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Autor: Anetreus

Erstellt am: 12.07.2006

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Jenseits der Wasseroberfläche



Geschrieben von:   Anetreus


Teil des Episodenwerkes: Eimerweise

  - Einleitung
  - Kapitel 1: Wie hässlich ein Tag enden kann
  - Kapitel 2: Feuchtweise
  - Kapitel 3: Peterduo
  - Kapitel 4: Konsequentenattraktiver Ãœberfluss
  - Kapitel 5: Eimerweise Eimerweise
  - Kapitel 6: Doppelversum
  - Kapitel 7: Endliches Telefonat
  - Kapitel 8: Wunschüberfüllung
  - Kapitel 9: Schattenabo
  - Kapitel 10: Nirobyl
  - Kapitel 11: In Flammen!
  - Kapitel 12: Heldentat am Morgen
  - Kapitel 13: Eimerweises Darniederliegen
  - Kapitel 14: Ankunft an dem unheimlichen Ort voller Mysterien, Quelle der Intrigen, Sitz des Bösen und so weiter
  - Kapitel 15: Noch nicht das Ende
  - Kapitel 16: Jenseits der Wasseroberfläche
  - Kapitel 17: Gejagt von den Wassern grotesker Normalität
  - Kapitel 18: Eisinfiltration
  - Kapitel 19: Beziehungskugel
  - Kapitel 20: Nun ja
  - Kapitel 21: Rückblendenbehälter
  - Kapitel 22: Schergenhaufen
  - Kapitel 23: Erscheinen unten
  - Kapitel 24: Aus


Ja, Eimerweise war tatsächlich in ein Wasserbecken gefallen. Nachdem Marion und ich uns durch das Gebüsch gekämpft hatten, standen wir direkt am Rand eines großen Beckens. Ein Schild wies die Anlage als Trinkwasserschutzgebiet der Zone 1 aus. Auf weitere Details habe ich nicht geachtet, denn was ich dort im Wasser erblickte, zog meine Aufmerksamkeit auf sich wie ein schwarzes Loch.
Eimerweise befand sich unter der Wasseroberfläche und man sollte erwarten, dass er paddelte, Ruderbewegungen machte oder sich sonst wie bemühte, wieder an die Oberfläche zu kommen. Stattdessen stand er. Nein, er stand nicht auf dem Grund des Beckens. Ich konnte die Sohlen seiner Schuhe sehen, mit denen er unter der Wasseroberfläche stand, mit dem Kopf nach unten. Es schien, als sei die Wasseroberfläche für Eimerweise zu einem gläsernen Boden geworden und zwar mit umgekehrter Schwerkraft. Ich hoffe, Sie haben verstanden, was ich zu beschreiben versuche.
"Was in aller Welt ist das denn?" fragte Marion.
Ich zuckte nur mit den Schultern.
Eimerweise schien es recht gut zu gehen. Er spazierte unter der Wasseroberfläche, beugte sich herunter, beziehungsweise herauf, und winke uns zu. Seine Bewegungen wirkten nicht so, als sei er dem hinderlichen Widerstand von konventionellem H2O ausgesetzt.
Während ich noch unentschlossen dastand und zum x. Mal an diesem Tag vergeblich versuchte, absurde Informationen zu verarbeiten, hockte sich Marion am Becken rand nieder und griff in das Wasser.
"Fühlt sich komisch an", sagte sie und holte ihre Hand wieder hervor. Wasser lief an ihren Fingern herab. "Jedenfalls scheint das Wasser nass zu sein."
Ich konnte noch immer nichts sagen.
Eimerweise schien etwas entdeckt zu haben, winkte uns aufgeregt zu und wandte sich dann ab, um etwas auf der anderen Seite in Augenschein zu nehmen.
Marion zog ihre teuren Schuhe aus und schwang die Beine ins Becken.
"Warte!" rief ich, doch zu spät. Marion ließ sich ins Wasser gleiten und als ihre Hüfte unter der Oberfläche verschwand, begann sie merkwürdig zu zappeln. Sie wirbelte herum und saß plötzlich unter der Wasseroberfläche. Ich konnte ihren plattgedrückten Hintern sehen, als sei die Wasseroberfläche eine Glasscheibe, auf der Marion saß und unter der ich stand.
Verrückt.
Ich beobachtete, wie Marion aufstand und sich verwundert umsah. Dann blickte sie zu mir herauf/herunter und deutete in eine Richtung. Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, dass sie auf ihre Schuhe am Beckenrand zeigte. Nun zeigte sie auf mich und deutete auf den Grund des Beckens. Das sollte wohl heißen 'Komm zu uns. Und bring meine Schuhe mit!'
Ich starrte Marion an. Sie starrte zurück. Dann rollte sie mit den Augen, sagte irgendwas und ging hinter ihrem Vater her.
Was sollte ich bloß tun? Am liebsten wäre ich einfach nach Hause gegangen und hätte so getan, als wäre all dies nicht geschehen. Und das, obwohl mein Freund und seine Tochter sich an einem Ort befanden, den man nicht gerade als sicher bezeichnen konnte. Mein Gewissen bestand natürlich darauf, ihnen zu helfen. Doch ich war der Typ Mensch, der nur dann auf sein Gewissen hört, wenn es weder Unbequemes noch Mutiges verlangt.
Während ich also noch mit mir rang, hörte ich hinter mir das Rascheln von Blättern und Knacken von dünnen Ästen. Jemand näherte sich durch das Gebüsch.
Erschrocken sah ich mich um. War es der Penner, den Marion vor wenigen Minuten so unsanft verjagt hatte? Wollte er sich rächen? Doch es war noch schlimmer: Zwischen den Büschen trat ein Mann in dunkelblauem Anzug heraus. Er trug einen dunkelblauen, schmalen Aktenkoffer in der Hand. Erinnern Sie sich? Ich kann Ihnen auch noch das Gesicht beschreiben: Es entbehrte jeglicher auffälliger Merkmale und war geradezu grotesk normal. Ja, es war der Mann, der mich vor zwei Wochen mit einer Wasserpsitole ins Gesicht gespritzt hatte.
Meine Reaktion darauf war absurd. Ich hatte die Wahl zwischen einem Kerl mit einer Wasserpistole und einem großen Becken voller Wasser. Und trotzdem sprang ich in das Wasser – nicht ohne vorher Marions Schuhe aufgehoben zu haben.
Einem richtigen Romanhelden wären die Schuhe vermutlich egal gewesen und er hätte sich auf den Mann gestürzt, ihn kräftig durchgeschüttelt, angeschriehen, oder sonstige beeindruckende Dinge getan, um endlich herauszufinden, was hier eigentlich vorgeht.
Nun ja.
Ich traf also die dümmste aller Entscheidungen und hielt mich dabei noch mit irrelevanten Nebensächlichkeiten auf. So war ich.
Mein Körper durchstieß die Wasserobfläche. Doch es fühlte merkwürdig an. Die Welt drehte sich um mich und mit einem Mal saß ich wieder im Trockenen. Feucht war ich trotzdem, aber nur so, als hätte ich einen kurzen Nieselregen abbekommen. Ich schaute mich um und mir wurde etwas schwindelig, denn die Informationen, die mein Gleichgewichtssinn lieferte, standen im Gegensatz zu denen meiner Augen. Ich schien in einer großen Halle zu stehen. Über mir war ein Abflussloch in der Decke. Der Boden, auf dem ich stand, war eine flexible, transparente Scheibe, die Wellen schlug, wenn man über sie hinwegschritt. Ich stand nun also auch kopfüber im Wasserbecken und spazierte unter der Wasseroberfläche entlang. Unter mir lag die normale Welt und ich sah Wolken in morgendlichem Rosa unter meinen Füßen dahinziehen.
"Na endlich!" rief Marion mit hallender Stimme. Sie stand mit Eimerweise in der Nähe des gegenüberliegenden Randes.
"Oha", rief Eimerweise und deutete in die Richtung, aus der ich gekommen war.
Ich blickte nach unten und sah den dunkelblau gekleideten Mann am Rand stehen. Er schaute zu uns herunter und machte dann Anstalten, ins Wasser zu springen.
"Schnell!" rief Marion mir zu.
Dieses Mal reagierte ich schneller und lief zu meinen beiden Gefährten, in der Hoffnung, dass Eimerweise einen Weg hinaus finden würde.
Hinter mir hörte ich ein Platschen.
Die Jagd hatte begonnen.