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Autor: Morgenstern

Erstellt am: 19.03.2013

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Besser als nie



Geschrieben von:   Morgenstern


Ich möchte euch eine Geschichte erzählen. Es ist eine, die das Leben geschrieben hat und angeblich sind das ja die besten. Aber unbesorgt, dies wird kein Monolog über die besseren Jahre. Begonnen hat es alles in einer Zeit, in der die Spanne meines Lebens, hätte ich damals schon über sie nachgedacht, mir noch unnatürlich lang vorgekommen wäre. Aber die Jahre bringen eine Menge von Erfahrungen und Erinnerungen mit sich. Und während sie langsam im Strudel des Vergessens versinken, weil im Kopf nicht genug Platz für sie alle ist, zeugen sie von all der Zeit, die man sich in jungen Jahren noch nicht vorstellen kann.

Es begann also als ich gerade mit der Schule fertig war, einen guten Abschluss dieser Laufbahn und des Kapitels meines bisherigen Lebens hinlegte und in eine fremde Stadt ging, um fern der Behütung des Elternhauses meine Zukunft in die Hand zu nehmen. Zugegeben, finanziell wurde ich immer noch vom Zuhause unterstützt, zugegeben, ganz sicher ob das Studium welches ich begann das richtige für meine Zukunft war, das war ich mir nicht. Aber es entwickelte sich dann ja von Semester zu Semester von selbst und auch wenn ich manchmal frustriert war, brachte ich doch auch dieses Kapitel wieder zu einem guten Ende. Nun ja, nicht ganz vielleicht, aber das ist noch nicht dran und das Studium ist auch nur am Rande ein Teil dieser Geschichte.

Ich sage auch, weil ich die Jugend nicht gänzlich hinter mir lassen konnte, wie man es glücklicherweise selten kann. Ein Teil von ihr, namentlich meine damalige Freundin Jana, ging mit mir in diese neue Stadt und auch wenn wir nicht zusammen wohnten, so entwickelte sich unsere Beziehung durch diesen Schritt doch weiter. Und wer weiß, ob wir beide all das Herzblut investiert hätten, wenn wir vorher gewusst hätten, dass es vergebens sein würde. Im ersten Halbjahr lernte ich viele neue Leute an dem Ort kennen, den ich als meine neue Heimat gewählt hatte und es begann sich nach einer Weile ein fester Freundeskreis herauszukristallisieren. Mit zwei jungen Männern, Stefan und Gustav, verbrachte ich bald die meiste Zeit, mindestens jeden dritten Abend waren wir gemeinsam bei einem von Uns oder irgendwo feiern. Ich legte mehr Wert darauf als die anderen Beiden alle Veranstaltungen zu besuchen, besonders Gustav tat vieles schnell als simpel und selbsterklärend ab. Er glaubte aus Lehrbüchern mehr lernen zu können und blieb zumeist zu Hause, wenn ich in den Vorlesungen war. Viel dachte ich mir dabei noch nicht, man kannte sich kaum und die neuen Freunde waren Menschen, die sich mir erst im Laufe der Jahre Seite um Seite wie ein Buch öffnen würden.

Mein Alltag drehte sich um die Universität. Ich war Student und empfand das daher als richtig auch wenn ich nicht leugnen kann, dass es irgendwann überhand nahm. Ich stand verhältnismäßig früh auf, um schon die ersten Veranstaltungen um acht Uhr besuchen zu können und gab meinem Tag auch sonst viel Struktur. Joggen, Vorträge, Lernen in der Bibliothek und bald noch eine Stelle als studentische Hilfskraft nahmen mich sehr in Anspruch. Und weil ich manchmal das Gefühl hatte, dass auch das nicht genug war, besuchte ich Podiumsdiskussion, sah mir Studentenzeitung, Organisationen für Studentenaustausche, Debattierzirkel, kritische Studentengruppierungen und die Selbstverwaltung näher an. Verbrachte einmal hier Zeit und dann wieder mehr woanders. Die Dinge interessierten mich auch und ich wollte möglichst viel des Angebotenen mitnehmen.

Aber wirklich beginnen tut diese Geschichte erst mit dem ersten Mal, an welchem wir in größerer Gruppe am Strand feierten. Ich war in die Nähe des Meeres gezogen, um genau das tun zu können und schon zur ersten Feier kamen mehrere Leute zusammen, die wir damals noch fast nur vom Sehen kannten. Stefan verbrachte auch viel Zeit mit einer Gruppe von anderen Jungs, die an diesem Tag alle auftauchten und auch zwei Mädchen im Schlepptau hatten. Vielleicht zu zehnt begannen wir am späten Nachmittag im Sand Bier zu trinken, ein wenig Fußball zu spielen und herumzualbern. Und als die Dunkelheit kam hatten wir schon ein großes Feuer entfacht, auf dem unsere Grillversuche jedoch recht kläglich scheiterten. Aber falls ihr euch die Atmosphäre nicht vorstellen könnt, denkt an einen der Camping-Trips und die abendlichen Lagerfeuer. Und dann müsst ihr euch das Ganze noch ein bisschen wilder und betrunkener ausmalen.

Es war die erste Nacht in der Ferne, die all das, was ich mir unter meiner neuen, eigenen Zukunft vorgestellt hatte, zu bieten wusste. Freunde und Bekannte, die nicht zu einer gewissen Stunde zu Hause sein mussten, die allesamt selbst entscheiden konnten wie und wann sie den Abend zu beenden gedachten. Etwas Besonderes lag an diesem Abend in der Luft, ein Hauch von Euphorie aber gepaart mit etwas Nostalgischem, ein besonderer Geruch, den zu beschreiben mir die Worte fehlen.

Das Wetter am Nachmittag war strahlend gewesen und auch in den späten Abendstunden blieb der Himmel frei von jeglicher Bewölkung. Das Firmament glänzte klar, woran ich mich konkret erinnere, weil auch Gustav sich der Faszination die von dort oben ausging bewusst war. Tamara, eines der beiden Mädchen welche die anderen Jungs mitgebracht hatten, war schon den ganzen Nachmittag über einem deutlichen Interesse von vielen der Männer ausgesetzt gewesen. Keiner außer mir hatte zu dem Zeitpunkt eine Freundin und sowohl Stefan als auch Gustav versuchten ihr Möglichstes, diesen Zustand zu verändern. Während zunächst noch Ersterer auf seine zurückhaltende, aber sicherlich nicht uninteressante Art versucht hatte ihre Gunst zu gewinnen, ging Letzterer, der fraglos zu viel Bier getrunken hatte, direkter vor. Als sich Stefan aus irgendeinem Grund zeitweise von dem Platz neben Tamara auf einer Campingdecke entfernte, fläzte sich der andere neu gefundene Freund neben sie, um mit belegter Stimme Sternbilder für sie auszudeuten. Und wo er keine erkannte, erfand er welche. Tamara ließ sich an diesem Abend auch nicht davon beeindrucken, überhaupt machte sie nicht den Fehler, sich jemals mit einem aus dieser testosterongeschwängerten Gruppe einzulassen. Der zurückkehrende Stefan sah sich trotzdem genötigt Gustav mit Plastikgabeln über das Feuer hinweg zu bewerfen, die nach den missglückten Grillversuchen übrig geblieben waren. Das aber bemerkte die Zielperson zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr.

Was sich wohl Tamara bei dem Abend dachte, ob sie es bereute sich auf die Exkursion an den Strand eingelassen zu haben? Oder genoss sie ebenfalls die Atmosphäre, auch aber die Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwurde? Ich erinnere mich noch daran, wie ich mir diese Fragen in meinem alkoholisierten Zustand gestellt habe, bevor ich meine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwenden musste.

Ebenfalls über das Feuer hinweg warf mir die andere junge Frau, an der wiederum ein anderer der Bekannten klebte, einige Blicke zu, die ich nicht ignorieren konnte. Noch bei Tageslicht war mit aufgefallen, wie hübsch das Mädchen war und ich konnte nicht begreifen, weshalb Gabelkriege über die Andere entbrannten. Aber zu Hause war Jana geblieben, die keine Lust gehabt hatte mit den vielen Unbekannten an den Strand zu fahren und um ihretwillen verbot ich mir zunächst Kontakt und Konversation mit der Fremden. Und als ich später zu dem Schluss gekommen war, dass eine simple Unterhaltung keine Folgen zu haben brauchte und es lächerlich war, mir diese selbst zu verbieten, saßen wir schon am Feuer. Und sie warf mir Blicke über das Feuer zu, während sie von einem von Stefans Bekannten belagert wurde. Es war in dem Moment relativ klar für mich, was diese Blicke bedeuten sollten und sicher wäre es okay gewesen, wenn ich mich unter einem Vorwand näher zu ihr gesetzt hätte. Ich hatte schon lange keinerlei Schwierigkeiten mehr gehabt ganz natürlich mit Frauen zu sprechen, weshalb auch, das war schließlich etwas für kleine Jungs und Pubertierende. Aber als ich jetzt schon aufstehen wollte, um pinkeln zu gehen und dann im Anschluss die andere Seite des Feuers besser kennenzulernen, hatte ich weiche Knie. Vielleicht war das Jana, die zu Hause geblieben und trotz des Alkohols nicht vergessen war, aber vielleicht war es auch dieses namenlosen Andere, das in der Luft lag. Als ich doch noch aufstand und kurz darauf zurückkam, lehnte ihr Kopf bereits an dessen, der so stur bei der Sache geblieben war. Naja, sie war auch nur eine Frau unter Milliarden, sehr hübsch, vielleicht nett, aber zu Hause wartete Jana.

Die Beziehung mit der Freundin aus der Heimat wurde schwieriger. Wir sahen uns viel und wenn wir das taten war es ihr zu oft, wenn ich aber mehr Zeit mit den Jungs und anderen Bekannten verbrachte, war es ihr zu selten. Wir stritten uns gelegentlich, aber schlimmer war eine unterschwellige Unzufriedenheit, die bei ihr irgendwann fast immer mitzuschwingen schien, außer wenn wir Sex hatten. Das war zwar ein Anfang, aber die physischen Möglichkeiten sind nun einmal begrenzt. Und es konnte ja auch nicht sein, dass man woanders neu anfing, um sich von solchen Relikten der Jugend nach unten ziehen zu lassen. Aber wir hingen aneinander, sie war die erste große Liebe und auch wenn die Beziehung recht offensichtlich mit einem Verfallsdatum versehen war, verrenkten wir uns doch noch eine ganze Zeit füreinander.

Der ganze, große Freundeskreis war am Ende des ersten Jahres mehr und mehr zusammengewachsen und wir unternahmen viel gemeinsam. Alkohol spielte keine unwesentliche Rolle und wenn ich nicht mit den anderen feiern war, saß ich oft bei Gustav auf der Couch, wir unterhielten uns und tranken gemeinsam etwas, hin und wieder spielten wir Schach. Wir alle dachten wohl nicht viel darüber nach, dass wir so exzessiv Party machten und ich konnte es schließlich auch guten Gewissens tun, denn ich besuchte alle Vorlesungen und arbeitete gut mit. Das zahlte sich bei den ersten Prüfungen, die nach einem Jahr anstanden aus und ich bekam gute Ergebnisse. Aber alle neuen Freunde bestanden, manche besser und manche schlechter. Auch der Mann, bei dem ich beinahe mehr Zeit verbracht hatte als zu Hause oder mit Jana, bestand mehr schlecht als recht, obwohl er doch zu kaum einer Veranstaltung gegangen war und sein Lerneifer sich in den eigenen vier Wänden in Grenzen hielt. Wenn wir zusammen saßen, tranken oder Haschisch rauchten und uns unterhielten, dienten uns diverse Themen als Gesprächsstoff. Aber über die Politik und die Welt sprachen wir wenig, denn das deprimierte so schnell und regte dazu an, sich schneller und gezielter aus dem Leben zu schießen. Meist ging es um die vergangene Schulzeit, um Frauen, um meinen Ärger zu Hause, der sich nicht legen wollte und um Gustavs mangelnde Begeisterung für das Fach, welches er mit uns studierte. Der Freundeskreis war am Ende des ersten Jahres mehr und mehr zusammengewachsen, in brüllender Hitze fuhren wir im Sommer fast täglich an den Strand, obwohl Nadja selbst bei diesem Wetter manchmal im Wind fror. Nadja? Das war das Mädchen mit den Blicken, die nun tatsächlich mit Jan, der sie bei der Strandparty belagert hatte, zusammen war. Und wenn Nadja dabei war, war auch Tamara nie weit.

Während die Männerrunde sich immer weiter verbrüderte, man gemeinsam viel zu exzessiv trank, „chillte“ und den Herrentag beging, entwickelte sich auch das Freundschaftsverhältnis zu den Frauen weiter. Wenn die große Runde zusammen war, stellten sie eine willkommene Abwechslung von den manchmal doch beabsichtigt primitiven Entgleisungen dar und wenn man sich nur so mit ihnen traf, gab es viel zu entdecken. Tamara hatte ihre eigene nicht uninteressante Lebensgeschichte zu erzählen: Von Freunden, von Hobbies und Sport, aber ich interessierte mich nie allzu sehr für das Mädchen, welchem die Männer nacheinander hinterherrannten.

Weil sie nicht allzu viele Freundinnen in Greifswald hatte, unternahm Nadja viel mit einzelnen von uns, besonders mit Gustav, mit Stefan und mir. Ihr Freund gab sich betont nicht eifersüchtig, auch wenn sich die Treffen mit mir häuften. Wir gingen zusammen in Sportkurse, wir trafen uns zum Filme schauen und kochen und auch gemeinsames Lernen stellte sich zügig ein. Ich wusste nicht immer was das zu bedeuten hatte, ob sie nur so wenige Interessen mit ihrem Freund teilte oder ob da mehr war. Aber es geschah nichts, nur hin und wieder fing ich einen dieser Blicke auf, die schon über dem Lagerfeuer getanzt hatten. Ähnlich wie ich kam sie aus einer gut situierten Familie, ähnlich wie ich hatte sie Geschwister. Aber das wirklich faszinierende an ihr war wohl, dass ihr alles gelang, was sie anpackte. Während ich mich gelegentlich nach dem Sinn meines Studiums fragte, schien sie ähnliche Überlegungen nicht zu tätigen. Sie konnte lernen, wenn ihr langweilig war, ohne je darüber nachzudenken, dass das andere nicht taten. Sie konnte Teil von allem Erdenklichen werden, aber nie warfen sich bei ihr die Fragen auf, die ich mir doch hin und wieder stellen musste. Und was auch immer sie in Angriff nahm, sie wollte gewinnen und blieb dabei bis eben genau das geschah.

Meine Beziehung mit Jana ging in die Brüche, nicht zuletzt weil ich ihr zu viel Zeit mit Nadja verbrachte, aber auch wegen der Dinge, welche schon immer zwischen uns gestanden hatten: Unverständnis, empfundene Lieblosigkeit, verschiedene Lebensphilosophien und eben die Menschen, mit denen wir uns umgaben. Ich war gegenüber ihren neuen Bekannten nie wirklich warm geworden, sie konnte meine kaum verstehen. Und weil ich in der schwierigen Zeit viel bei Gustav saß, der sich die Fragen die mich so beschäftigten noch viel häufiger zu stellen schien, wurde mir erneut vor Augen geführt wie besonders es war, dass Nadja dies nicht tat. Ich erinnere mich genau daran, wie er einmal zu mir sagte, dass er nicht verstünde weshalb er seinen Kopf mit Wissen füllen müsste, um dann doch nur wie jeder andere auch in die Mühle zu springen. Die Mühle war für ihn der Kreislauf aus Arbeiten, Essen, Schlafen und wieder Arbeiten. Eventuell noch Kinder kriegen, um für deren Ernährung und Unterhalt noch mehr arbeiten zu müssen. Natürlich hatte auch er Träume und Hoffnungen, aber die hinderten ihn nicht daran, den Weg den er beschritt pausenlos in Frage zu stellen.

Nadja schien, trotz der ganzen gemeinsamen Aktivität mit mir, zufrieden mit ihrer Beziehung zu sein auch wenn ich manchmal nicht verstand, was sie an ihrem Freund fand. Er war ein netter Junge und guter Kumpane beim Feiern, man konnte Spaß mit ihm haben und er stand neuen Ideen nicht unbedingt unaufgeschlossen gegenüber. Aber viel mehr war da nicht: Wenn die Gespräche tiefgründiger wurden schwieg er so regelmäßig, dass ich doch irgendwann zu dem Schluss kommen musste, dass er zu ihnen keine Meinung hatte. Dass da bei ihm eben nicht viel mehr war als das, was man sah. Ich war in einer unangenehmen Lage, stand zwischen Freund und einer Frau, die mich ungeheuer faszinierte. Die ich gerne bis ins kleinste Detail erforscht hätte, aber die Zeit und Situation ließen das nicht zu. So war ich nicht abgeneigt als eine Kommilitonin und ich uns näher kamen, sich aus Sex ein Zusammensein entwickelte. Wir verstanden uns gut, es war eine nette Frau und wir unternahmen anfangs eine ganze Menge zusammen. Aber so schön sich die anfänglichen Wochen und Monate entwickelten, so klar wurde mir nach einem gewissen Zeitraum, dass in unserer Beziehung irgendwas fehlte. Der Begriff Gefühle traf es nicht, denn natürlich empfand ich etwas für sie. Aber dieses gewisse Etwas, dieses Verständnis füreinander, vielleicht auch nur ein chemischer Konsens, wollte sich nicht einstellen. So empfand wohlgemerkt ich und nicht sie, denn als ich nach vielen weiteren Wochen, in denen ich inständig gehofft hatte, dass sich jenes, welches ich mit Jana gehabt zu haben glaubte, einstellen würde, unsere Beziehung beendete, war sie wie vor den Kopf getroffen.

Und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich eine ganze Zeit lang die angenehmen Aspekte unseres Verhältnisses fortführte. Das waren Nähe, wenn ich sie wollte und natürlich Sex. Sie nahm jede Möglichkeit an die sie bekam, um mir doch noch zu beweisen, dass da mehr zwischen uns war, bis sie schlussendlich die Kraft hatte das Richtige zu tun und mich hinter sich zu lassen. Sie tat das damals durch einen klaren Schnitt, einen Wechsel des Studienortes. Auch während dieses Zeitraums aber hatte sich die gemeinsame Aktivität mit Gustav und Stefan und den anderen nicht verändert und Nadja und ich trafen uns immer noch regelmäßig.

Während der erste Schnee fiel und der zweite Winter in der neuen Heimat vor der Tür stand, entwickelte sich aus einem weiteren Verhältnis eine Beziehung. Die universitäre Beanspruchung nahm zu, wieder schaffte der versammelte Freundeskreis die anstehenden Prüfungen, aber auch der Lernaufwand wurde erhöht. Andere Bekannte hatten teils die Schnauze voll von dem Studium, andere wiederum bestanden trotz anständigen Lerneifers die Klausuren eben gerade nicht. Auch unter den Freunden wollten noch nicht alle realisieren, dass der Ernst des Lebens erneut begonnen hatte, dass die Zeit wilden Feierns und der Faulenzerei vorüber war und nun die Arbeit anstand, vor welcher man uns gewarnt hatte. Und während so mancher auf Lücke lernte und bei Weitem nicht die Bandbreite an Wissen in seinen Kopf hämmerte, die erforderlich gewesen wäre, wurde der Ausgleich in weiteren wilden Festen gesucht.

In diesem Winter waren wir einmal alle gemeinsam essen, nur Nadjas Freund war krank zu Hause geblieben. Und wie immer wenn er nicht dabei war, schenkte ich ihr besonders viel Aufmerksamkeit und musste meinem Interesse, den Moment mit ihr gemeinsam zu füllen, keine Zügel anlegen. Die eigene Freundin war ebenfalls nicht Teil der Gruppe, nach schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit hatte ich wenig Interesse daran, mein Liebesleben zu schnell mit den sozialen Kontakten zu vermengen. Als wir das Restaurant verließen hatte es stark geschneit, noch immer schwebten vereinzelte große Flocken vom Himmel. Wer den ersten Schneeball warf, weiß ich nicht mehr, aber schnell entbrannte ein heißes Gefecht unter der versammelten Mannschaft, wobei ich zunächst darauf achtete, dass Nadja nicht zu viel abbekam. Als sich allerdings nach einem gekonnten Ausweichmanöver mein Mund dennoch mit Schnee füllte, reagierte ich instinktiv, wusste aber doch dass der Moment gekommen war. Nur Nadja hatte hinter mir gestanden und mich so heimtückisch attackieren können, gekonnt zog ich ihr noch in der Drehung die Füße weg woraufhin wir beide in einer Schneewehe versanken. Der Schnee aber auch meine Bemühungen dämpften ihren Fall und als wir Seite an Seite in der weißen Masse versanken, blieb ihr nur noch Zeit für einen kurzen Schrei.

Die anderen hatten nichts mitbekommen, ein Stück weg von uns am anderen Ende des Parkplatzes war der Kampf noch in vollem Gange. Nebeneinander im Schnee blickte sie mich fordernd an. „Na, was jetzt?“ schien ihr Blick zu sagen und sie wandte die Augen nicht ab. Ich küsste sie.

Nach diesem Abend sprachen wir lange nicht mehr miteinander und auch ihr Freund hatte wohl Lunte gerochen. Ich konzentrierte mich mehr und mehr aufs Studium, ging zum Hochschulsport und den meisten anderen aus dem Weg. Irgendwann führten Nadja und ich ein klärendes Gespräch, jemals Zeichen gegeben oder Interesse an mir bekundet zu haben, stritt sie ab. Und weil ich gerne Zeit mit ihr verbrachte nahm ich das hin und irgendwann wurde auch im Freundeskreis wieder mehr unternommen: Wer etwas geahnt hatte, schwieg nun. Gustav wusste was passiert war und wie ich dachte, ich wiederum wusste was er darüber dachte. Und über sein Studium, dem er sich mehr und mehr durchs Kiffen entzog.


Es dauerte noch drei Jahre und zwei weitere Beziehungen bis ich erkannte, dass es so nicht weitergehen konnte. Den Abschluss hatte ich in der Tasche, nicht so einige der Freunde darunter auch Gustav, die erst spät erkannt hatten, dass dieses Studium nichts für sie war. Und auch ich hatte sehr spät erkannt, dass ich mit diesem Kapitel meines Lebens abschließen, diesen Ort und die Geschichten aus der Vergangenheit zurück lassen musste, um den Weg in die Zukunft fortzusetzen. Dass sich alles immerwährendem Wandel unterzog, was das wirklich bedeutete und welche Opfer man diesen Veränderungen darzubringen hatte. Dass man manche Dinge hinnehmen musste, um sie zu überwinden. Spät hatte ich verstanden, weshalb meine Beziehungen nicht gehalten hatten und dass der Fehler weder bei meinen Partnerinnen noch bei mir gelegen hatte. Aber besser spät als nie.