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Autor: knochengott

Erstellt am: 18.08.2010

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diluted



Geschrieben von:   knochengott


Anmerkungen des Autors:
und hier noch ein teil von \"strangers in the night\". wie puppets etwas was mich stark an 1984 erinnert.





Der Autor hat folgende Stimmungen f�r sein Werk angegeben:
depressiv



Durch den Lüftungsschacht, dessen vergittertes Ende über seinem Tisch lag hörte sich der Wind wie ein Orkan an. In unregelmäßigen Wellen, die mal wie kreischende Weiber, dann wieder wie flüsternde Liebende klangen drang ein kalter Hauch über den Tisch. Unter diesem Zug konnte man leicht krank werden. Also tat er etwas dagegen. Er führte das Glas zum Mund und nahm einen tiefen Schluck. Der erste Schock als der schlechte Alkohol seine Kehle herabrann wurde gnädigerweise fast sofort durch ein warmes Gefühl im Magen belohnt. Er setzte das Glas ab, mußte wegen des beißenden Geschmacks husten und Tränen schossen in seine Augen.
Ja, es war dieser Tage nicht mehr viel nötig, die Tränen saßen verdammt locker.
‚Du heulst wirklich wie ein Kind bei jeder Kleinigkeit!‘ schalt er sich selber in Gedanken. Und wenn er getrunken hatte war es noch schlimmer. Nichts desto trotz hob er das Glas wieder und leerte den Rest mit einem entschlossenen Ruck. Diesmal war es nicht bloß ein Hustenanfall, diesmal brach eine Salve kratzender, übler Laute hervor und schüttelte ihn. Das Glas fiel aus seinen plötzlich müde gewordenen Händen und prallte mit einen dumpfen Klang auf den Tisch. Es zersprang nicht, denn heutzutage war ja fast alles aus Kunststoff.
Neue kalte Welt.

Das Glas rollte einen sinnlosen Halbkreis über den Tisch ehe es stehen blieb und er preßte die Luft in seine Lungen hinunter um das Husten zu bezwingen. Es hob ihn noch ein paar mal heftig und die Tränen rannen jetzt seine Wangen hinab, aber er schaffte es den Husten zu beruhigen. Als er seine Hand nach dem Glas ausstreckte, fiel ihm auf wie stark sie zitterte. Seufzend verharrte er in der Luft, sah sie an. Es war lange her, das sie ihre Magie gewirkt hatte. Lange her.
Alles hatte sich seitdem geändert.
Nichts hatte sich seitdem geändert.

Manchmal gelang es ihm sich an das ‚davor‘ zu erinnern, bevor dieser unselige - unsinnige - unglaubliche, in jeder Hinsicht un-was-auch-immer Krieg angefangen hatte. Damals als man Alkohol noch gegen Geld bekam und nicht für Wertmarken. Eine Ewigkeit her.
Damals war er jung gewesen und jetzt war er alt. Nicht das er noch wußte wie alt er war, doch das spielte keine Rolle. Sein Spiegelbild zeigte ihm das Gesicht eine alten Mannes – grau und leer. Und so fühlte er sich auch.

Eine Bedienung kam und nahm seinen Wertmarke genauso wortlos entgegen, wie sie seine Glas wieder füllte. Das Schild über der Tür mahnte beständig: „Geschwätz nützt nur dem Feind!“ - also wurde wenig gesprochen. Viele dieser Schilder hingen in dem Lokal. Mit Sätzen wie: „Brennen ist Fortschritt!“ oder „Pflichten sind Stabilität! Stabilität ist Frieden! Frieden ist Leben!“
Sie deprimierten ihn und so stürzte er die erste Hälfte seinen Glases herunter, ehe er recht wußte was er da tat. Diesmal gab es keinen Hustenreiz, aber wie als Wiedergutmachung dafür schossen ihm sofort die Tränen die Wangen herunter. Er kramte ein altes Taschentuch, mehr ein Stoffetzen hervor und wischte sich langsam und umständlich das Gesicht ab. Es war schon, dieses sanfte und doch irgendwie festen Streichen der Haut zu spüren, die Stoppeln seinen Bartes kratzen zu hören. Er wischte sich von den Augen über die Ohren zum Nacken und ein Schauer durchfuhr seinen Körper.
Wie lange war es her, daß eine Frau das getan hatte? Nicht um der Wertmarke willen, sondern einfach nur wegen ihm.
Sehr lange. Zu lange.

Die Tür ging auf und eine Streife schwarzgekleideter Männer betrat das Lokal. Ohne darüber nachzudenken steckte er das Tuch weg, setzte sich gerade hin und holte seinen Ausweis heraus. Der Ordnung gegenüber mußte man Bedacht an den Tag legen. Zwei der Männer bleiben rechts und links neben der Tür stehen und entsicherten ihre Mpi‘s, die anderen drei gingen eine Runde und sahen sich Ausweise an. Es wurden Fragen gestellt, die meisten Antworten mit einem zufriedenen Kopfnicken abgetan und nur selten etwas erwidert. Als sie schließlich bei ihm am Tisch angekommen waren, hielt er den Ausweis am ausgestreckten Arm in die Höhe, damit sie ihn gut lesen konnten. Der Truppführer warf einen intensiven Blick aus die Papiere und dann noch einen zweiten auf ihn, nickte kurz und ging wortlos weiter. Fünf Minuten später verließ die Streife das Lokal und die Unterhaltungen wurden wieder aufgenommen. Er steckte seinen Ausweis in die Tasche und warf vorher noch einmal einen Blick hinein.

Kasper Schmied.
Er wußte nicht mehr, ob das sein richtiger Name war oder nicht. Er glaubte das er einmal anders gehießen hätte, aber das war vorher gewesen. Nichts was wichtig gewesen wäre. Wieder hob er das Glas an den Mund, warf den Kopf mit einem deutlich hörbaren Knacken nach hinten und stürzte den Rest des Inhaltes hinunter.
Ja ‚vorher‘.

Vorher.
Es gab nicht viel Sachen bei denen er sich inzwischen noch sicher war, am wenigsten bei Namen oder Daten, aber an seine beiden freunde erinnerte er sich genau.
Der kleine aggressiv-humorvolle, der sein Zwillingsbruder hätte sein können. Der Name war ihm schon seit langen entfallen, aber nie würde er sein Grinsen vergessen, dieses schreiende Grinsen.
Was war wohl aus ihm geworden?
Er konnte ihn sich nicht in dieser kalten Welt vorstellen, einer Welt voller Regeln und Geboten. Nein, er hatte schon immer außerhalb der Masse stehen, sich nicht anpassen, sich selbst respektieren und auf den Rest scheißen wollen.
Er lachte kurz und trocken auf, als ihm eine Gesprächsfetzen von etwas einfiel, über das sie sich einmal unterhalten hatten. Sein Zwilling und er saßen ihn einem Lokal ähnlich diesem hier, nur dunkler und lauter, lebendiger. Sie saßen sich gegenüber, ihre Nasen berührten sich fast, jeder Wort wurde geschrien.
„Wenn dich das Leben packt, nützt dir alles weglaufen und Arsch zusammenkneifen nichts!“ hatte sein Zwilling gemeint und ihn mit dem Zeigefinger auf die Brust gepiekst.
„Wenn dich das Leben fickt kannst du den Arsch zusammenkneifen bis du Diamanten scheißt, es wird dich trotzdem ficken und es wird trocken und hart sein!“
Sie hatte sich beide in die Augen gesehen und jeder hatte gewußt, daß das wahr war, das es darüber keinen dummen Witz zu reisen gab.
Wenn dich das leben fickt, dann tut es das hart und trocken. Brutal.

Das entfernte Heulen einer Sirene holte ihn aus seiner Erinnerung zurück. Wieder ein Bombenangriff. Er strengte seinen Ohren etwas mehr an und stellte fest, daß das wohl die Sirenen der Südstadt waren. Also war er relativ sicher. Auch die anderen Gäste hatten kurz ihr Gespräche unterbrochen und gelauscht, doch schon gingen die Gespräche weiter. Es war nur die Südstadt. Und wenn der Feind nicht mit seinen alten Fliegern kam, dann drohte ihnen keine Gefahr.
Das Sirenengeheul wurde durch den Windschacht ungleichmäßig abgeschnitten und verursachte bei ihm ein Unwohlsein.
Er setzte sich das Glas an die Lippen und bemerkte, daß es leere war. Eine Verwünschung vor scih hin murmelnd stellte er es wieder ab und knallte es anschließend dreimal aus den Tisch. Es schallte durch den ganzen Laden, aber niemand störte sich daran. Keine Minute später stand die stumme Bedienung wieder vor ihm und goß nach. Diesmal gab er ihr nur einen viertel Wertmarke und sie goß das Glas mit verwässertes Bier voll. Sie drehte sich um und verschwand wieder, doch in der Bewegung sah er einen Augenblick ein feines grünes Flackern hinter ihren Ohr. Seine Hand verkrampfte sich, der Arm blieb regungslos in der Luft hängen.
‚Ein Zombie!‘ dachte er nicht ohne Entsetzen. Deshalb war sie so zurückhaltend und unpersönlich. Sie hatte sich ihren Beruf brennen lassen, damit sie ihn ohne darüber nachzudenken erledigen konnte. Das war der neuste Schrei.
Kosteneffektiv und produktiv - Fortschritt.

Mit einem Schütteln warf er die Beklommenheit ab und fragte sich zum wiederholten mal wie er nur so schnell so alt hatte werden können. Und dabei mußte er plötzlich wieder an das ‚vorher‘ denken und an den anderen Kerl, seinen zweiten Freund. Groß und irgendwie auf eine bestialische Art anziehend. Er hatte etwas ihn seinen Augen, manche nannten es Wahnsinn, manche Feuer, daß einen mitreißen konnte. Mehr als einmal hatte er ihn aus der einen oder anderen Situation gerissen, ihn auf die Beine geprügelt, bis er vor Schmerzen und Zorn Wände einrennen konnte.
Er überlegte, ob er ihn im nachhinein eigentlich immer noch seinen Freund nennen konnte. Immerhin hatte er ihn permanent unter Druck gesetzt, gefordert, genötigt. Aber das hatte ihn vorangetrieben, das hatte sie alle drei angetrieben. Gott, waren sie damals gut gewesen!

Er stellte das Glas so voll wie es noch war ab und legte das Gesicht in die Hände. Und wie immer wenn er es brauchte wollten die Tränen nicht kommen. Wütende kämpfte er mit sich. Daran war nur sie schuld gewesen, sie und ihre verrückte Idee von Liebe. Wäre er doch nur damals mit ihr gegangen. Vieles wäre so viel einfacher gewesen. Vieles hätte er sich ersparen können. Doch alles was sie ihm ließ war dieses Gefühl der Leere, diese Unmöglichkeit zu weinen wenn er es am dringendsten brauchte.

Jemand schob sich auf die Bank neben seiner und erschrocken prallte er zurück, zog die Hände vom Gesicht weg und starrte die junge Frau neben sich an. Sie lächelte ihn einladend an und hob ihre linke Hand mit dem Glas darin zu Gruß. Automatisch nahm seine Hand sein Glas und erwiderte den Gruß. Sie lächelte breiter, trank einen Schluck, wobei er die Schluckbewegung ihrer kehle sehen konnte und stellte das Glas ab. Wie betäubt trank auch er einen Schluck und schmeckte das schale Bier kaum. Er war völlig verwirrt.
Sah sie ihn denn nicht?
Konnte sie denn seinen Augen nicht sehen?
Seine toten, grauen, leeren, blicklosen Augen?
Immer noch hielt sie den Blick auf ihn gerichtet und lächelte. Er starte nur zurück. Bis sie aufstand und zu ihm herüber kam. Da senkte sich sein Blick aus Gewohnheit. Sie trug die schwarze Uniform unter ihrem weiten Mantel.

Einer ihrer Finger im Handschuh schob sich unter sein Kinn und drückte seinen Kopf sanft in den Nacken. Langsam wanderte sein Blick an ihr empor, bis er ihr schließlich ins Gesicht, in die Augen sah und der sanfte Druck ihres Fingers aufhörte. Sie hatte ein schmales, hartes Gesicht, das dennoch auf eine schlichte Art schön war. Elegant. Ihre blonden Haare, die sie nur kinnlang trug unterstrich das und gaben ihrer Autorität Gewißheit. Nur hohe Rängen war eine Abstufung der Haarordnung gestattet.
Sie beugte sich zu ihm herab und hielt ihn am Kinn fest, als er den Kopf drehen wollte. Offensichtlich wollte sie ihm nichts vertraulich zuflüstern, sondern ihm dabei in die Augen schauen. Doch sie sagte gar nichts, küßte ihn nur kurz auf die Lippen, ließ sein Kinn los und ging zu ihrem Platz zurück. Er sah ihr nach und bemerkte daß sie mit dem linken Bein hinkte. Der Hosenaufschlag um ihren Knöchel flatterte. Sie nahm Platz, trank einen Schluck und wendete ihm sehr offensichtlich den Rücken zu.

Ungläubig fuhr er sich mit der Hand über den Mund und sah deutliche Spuren von hellem rot. Er wischte sich noch ein paar mal heftig über die Lippen und dann die Hand an seiner alten Hose ab. Die Frau war seltsam und er war froh, daß sie ihn nicht länger beobachtete. Schnell fand seine andere Hand das Glas, während die andere noch weiter an seiner Hose rieb. Er trank das Bier wie ein Verdurstender Wasser und etwas davon floß ihm übers Kinn.
Als er den leeren Becher absetzte wurde ihm der Raum plötzlich zu eng. Die Luft war furchtbar stickig und die gezwungene Unpersönlichkeit unerträglich. Der Wind schrie und kreischte über seinem Kopf, klang atemlos und panisch. Er stand auf, schwankte kaum, als er um den Tisch herumging und dem Ausgang zustrebte. Kalter Wind hieb ihm ins Gesicht, als er die Tür aufriß und ein paar Köpfe drehten sich nach der unerwarteten Lichtquelle. Da warf er die Tür schon hinter sich zu und stolperte davon.

Seine Lunge protestierte, als er die kalte Luft mit tiefen Atemzügen einatmete und ein neuer Hustenanfall schüttelte ihn. Er krümmte sich zusammen als aus dem Husten ein abgehacktes Bellen wurde, das sein Zwerchfell zu zerreißen drohte. Langsam durch die Nase ein und ausatmend beruhigte er sich langsam und richtete sich wieder auf. Seine tränenden Augen ließen ihm nur unwirklich erscheinen, was um ihm herum war. Wieder fand der Stoffetzen seinen Weg in sein Gesicht und dann sah er wieder klar. In der Ferne grollte der Donner der Bomben über der Südstadt und ihre grelle Explosionen zuckten wie Blitze am Boden entlang. Es war lange her, daß man taktische Nuklearwaffen als menschenverachtend bezeichnet hatte. Heute waren sie ein bevorzugtes Mittel für Radikalisierungen. Er ging los, stopfte das Stofftuch mit seinen Händen tief in die Taschen seiner Jacke und folgte dem Weg. Nach einer Weile hatte er unbewußt dem Bombenhagel den Rücken gekehrt und als die Sperrstunde einsetze und alle Beleuchtung ausging fand er sich allein auf der Straße, allein mit dem Grollen und dem Himmel.

Er mußte ein paar mal blinzeln, aber dann kamen langsam die Sterne hervor. Er sah hinauf und drehte sich, wobei er längst vergessenen Gebilde suchte und schließlich nur den Mond erkennen konnte. Violett schien er ihm ins Gesicht und ließ ein Lächeln erblühen. Sofort sah er wieder jung aus, jung und lebendig.
Er sah nach oben, sah hinauf zum Mond und bemerkte sie gar nicht, die ihrerseits auch ein Lächeln trug. Ihres war scharfkantig und die Worte, die sie murmelte waren es auch. Der lange Mantel hinterließ Schleifspuren im Schnee. Sie verstummte nach einigen weiteren Silben, sah noch einmal zu ihm herüber und verschwand, nahm ihr Lächeln mit.
Er spürte nur ein kurzes Summen, daß seinen Körper zu durchfahren schien und ihm wurde wohl bei dem Gefühl, daß er lange, viel zu lange nicht mehr gefühlt hatte.
Und der Mond trug drei Buchstaben, die früher wie heute galten.
Panem et circensis
Brot und Spiele