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Autor: Khaine

Erstellt am: 03.12.2009

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Pandoras Büchse



Geschrieben von:   Khaine


Vor kurzem war mir ein älterer Mann begegnet, der interessantes zu berichten wusste. Er war Bauer und lebte in einem der zahlreichen Dörfer und Gehöften, denen ich auf meiner Wanderung begegnete und wo ich Unterschlupf suchte.
Und zwar berichtete er von einem alten Gemäuer – höchstwahrscheinlich einem Kloster oder den Überresten einer Universität – das zahlreiche Schätze barg. Bücher voller Wissen der Ahnen, das verloren ging, als jener blaue Tod in der Welt wütete und Mensch wie Tier erbarmungslos abschlachtete.
Damals waren unsere Vorfahren ein hoch entwickeltes Volk gewesen, welche zwar ihren Zenit überschritten hatten aber immer noch der Dekadenz zu trotzen verstanden.
Mit ihrem Wissen hatten sie Macht erlangt, nicht nur über die Erde, sondern auch den Himmel und jenem was unter dem Meeresspiegel lag. Mit Schiffen aus Stahl sollen sie zum Grund der Meere getaucht und sogar so hoch in den Himmel geflogen sein, dass sie den Mond berührten! Sie hatten mit Leichtigkeit Gänge durch Bergmassive gebohrt und Kanäle in trockene Gebiete gezogen, die sich jeweils über hunderte von Tagesreisen erstreckten und so das Land fruchtbar und gut erreichbar machten.
Den Tiefen entrissen sie ihre Schätze und errichteten Türme, die die Wolken durchstießen und hatten mit ihrem Einfallsreichtum und Handel einen materiellen wie kulturellen Wohlstand erzielt, wie wir ihn uns heute kaum denken können!
Und in eben jenen Tagen war der blaue Tod als Pandemie zu ihnen gekommen. Er erwürgte die Alten wie Jungen, Arme wie Reiche, Herrscher wie Sklaven. Sie alle waren ihm gleich. Erst legte er sich sachte wie ein Schatten über sie, bescherte nur Kurzatmigkeit und gelegentlich Atemnot. Dann presste er sich fester an die Brust, würgte schließlich seine Opfer bis sie jämmerlich erstickten. Nicht schnell ist er vorgegangen sondern gnadenlos, ließ ihnen immer wieder sporadisch Luft zu, um zusehen zu können, wie ihre Leiber blau anliefen bis sie schließlich schwarz wurden und nicht mehr zappelten. Niemanden dessen Lunge er habhaft wurde ließ er wieder gehen.
Ein unsichtbarer Dunst des Todes hatte sich über die gigantischen Wohnstätten der Alten gelegt und sie in Nekropolen verwandelt. Alles erinnerte an das Zeitalter der Pest, als Tote wie Massenware von Todeshändlern auf viel zu kleinen Karren aus den Städten fortgeschafft, gemeinsam in tiefe Gruben verscharrt wurden. Es hatte ganz den Anschein als ob die Wesen der Tiefen Wiedergutmachung für die geraubten Schätze verlangten.
Doch auch jenen denen das qualvolle Schicksal des Erstickungstodes erspart blieb, erging es nicht besser. Der Mensch war degradiert worden auf seine einfachsten Empfindungen. War wenig mehr als ein Tier. Mord und Lusttrieb hatten alles Edle an ihm degenerieren lassen und jeder wusste einem anderen die Schuld zu geben.
Das Zeitalter des Feuers entbrannte, das Kranke und Schwache verschlang und zuletzt selbst Eliten bezwang. Ohne Reue war alles was übrig geblieben, lichterloh den Flammen versprochen.
Der Fall einer unbezwingbaren Hochkultur in die Barbarei war ein tiefer und er vollzog sich über Nacht. Ganze Völker verschwanden mit samt ihrer Kultur, ihrem Wissen einfach vom Antlitz der Welt.
Niemand wusste zu sagen woher der blaue Tod wirklich gekommen war, doch so plötzlich wie er kam, so spurlos war er auch wieder verschwunden und wart seit dem nicht mehr gesehen.
Was er hinterlassen hatte, war eine dezimierte Rasse von Kindermenschen, die das Wissen der Väter eingebüßt hatten. Eine Menschheit, welche aus dem Paradies vertrieben in den Staub und Dreck einer wüsten Erde geschleudert wurde und nun aus den Ruinen eine neue Zivilisation schmieden musste. Seit damals existierten nur noch Erinnerungen an jene glanzvolle Zeit und sie verblasste zunehmend mit jeder weiteren Generation. Und nun wagte dieser Alte mir folgendes zu berichten:
In jenen Tagen als das Feuer wütete, soll ein Gelehrter, sichtbar mit den Anzeichen des blauen Todes geschmückt, sich vor seinen Häschern in das Innere einer Bibliothek geflüchtet haben, von der nun wenig mehr als jener luftdichte Turm übrig geblieben war, der auch heute noch steht und dem die Flammen nichts auszumachen vermochten. Niemand hatte es gewagt den Alten herauszuzerren, niemand hatte es gewagt die Siegel zu brechen mit denen er sich darin einschloss, denn niemand wollte es riskieren selbst angesteckt zu werden oder die Pandemie von neuem zu entfachen. Lange Zeit hütete man das Mausoleum und hinderte jedem am Einlass, bis man schließlich für diese Aufgabe selbst zu alt war und den Jungen lästig.
Nun steht es verloren in den Tiefen der Wälder, denn die Natur hatte sich diese Stätte, die einst eine Hochburg des Wissens war, zurückgeholt. Sie kleidete das Bollwerk ein mit Moos und Kletterpflanzen und bot an den verästelten Außenfassaden Vögeln und Kleingetier eine Heimat und wirkte so vergessen und gar nicht bedrohlich als ich vor ihr stand.
Das also ist Pandoras Büchse! Soll ich das Siegel brechen und ins Innere vordringen, auf dass das gesamte Wissen der Ahnen dem kollektivem Bewusstsein der Menschheit wieder zuteil werde, auch wenn darin ein verfluchter Leichnam liegt, welcher den todbringenden Erreger in sich trägt, der nur auf seine Befreiung wartet?