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Autor: Khaine

Erstellt am: 06.07.2009

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Gomorrha



Geschrieben von:   Khaine


Dies hier, Fremder, ist die berüchtigte Stadt Gomorrha – die Stadt, die nie schläft und die so verhasst ist bei den Völkern, die um sie herum siedeln, dass sie einen göttlichen Fluch über die Stadt und ihre Bewohner gesprochen haben. Lass mich dir auch erklären warum das so ist:
Schau, diese langen und geradlinigen Straßen, diese weißen Rundbögen und Paläste, welche sich hier vor deinen Augen erstrecken, stehen nicht seit geraumer Zeit dort. Zwar mag die Stadt das biblische Alter eines Methusalems haben, doch was du hier siehst ist niemals älter als ein paar Tage, denn die Stadt stürzt in regelmäßigen Abständen in sich zusammen.
Der feste Boden, der von den Säulen der Erde wie ein unverrückbares festes Dach getragen wird und an dem Mensch und Tier, Baum und Stein um ihren Halt bescheid wissen, dieses Gebot gilt hier nicht. Er gleicht eher den Dünen einer Wüste, die alle Vermächtnisse in den Wind streuen oder im Dunkeln des Vergessens begraben. Nicht mal die große Ouroborosfigur dort, das Wappen unserer Stadt, übersteht diese Erschütterungen, die so Präzise, ja so verlässlich diese Stadt aufsuchen, dass es kaum zu bedauernswerten Verlusten kommt, da regelmäßig wie ein Uhrwerk, kurz vor dem Beben, sich alles Mensch und Tier in Sicherheit zu bringen weiß.
Nun, vielleicht ist das unser ewiges Vermächtnis, unser Erbe der Ahnen, denn diese wurden schon vom Zorn des Erdgottes heimgesucht, doch kehrten sie schließlich jedes mal, genau wie wir es tun, zurück zu den Trümmern ihrer Existenz und – auch hier stehen wir unseren Ahnen in nichts nach – bauten die Stadt binnen sechs Tagen wieder auf.
Nie bauten wir sie wie die Vorige wieder auf. Nie zogen wir dieselben Straßen und Gassen wieder ein und nie zierten wir unsere Prachtbauen mit denselben Fresken und Reliefs. Wo du heute weiße Marmorbögen siehst könnten Morgen schwarze Spitzbögen oder leichte Konstruktionen aus Stahl und Glas stehen. Eine Karte anzufertigen erscheint uns daher sinnlos.
Die Völker um uns herum schimpfen uns der Sittenlosigkeit, ja der Gottlosigkeit denn auch die Tempeln und die Götter, die darin wohnen, sind nach keiner Niederlage dieselben wie zuvor und doch frage ich dich: Steckt in diesem ewigen Wandel nicht dieselbe Kontinuität wie im Bewahren alter Schriften und Tafeln, alter Weißheiten und Bräuche, die – und sei es nur der Erinnerung willen – von jeder Generation aufs Neue übernommen werden?
Du wirst dich jetzt fragen, weshalb wir nicht einfach wegziehen? Weshalb wir diese unglaublichen Mühen, gleich einem Sisyphos, auf uns nehmen? Diese Mühen der Vergänglichkeit zu trotzen, gleichwohl sie uns alle sieben Tage lehrt wie unerreichbar uns die Ewigkeit auch ist. Du wirst dich sicher fragen, ich sehe es dir an! Ich sehe es dir genau an! Jedem dem ich diese Geschichte erzählte, sah mich mit demselben unverständlichem Blick an.
Ich kann dir darauf keine zufrieden stellende Antwort geben. Vielleicht ist das unserer Antwort auf den Müßiggang und Verharren, den andere Völker in Tradition, Brauchtum und anderer Überlieferung gefunden haben? Vielleicht liegt uns im ständigem Erneuern gleichzeitig eine Angst zugrunde des Stillstands, des Bewahrens und Bewährtem.
Nun aber lauf! Es ist bald wieder soweit und kehre nicht zurück. Denn die Stadt in die du wiederkehrtest, wäre nicht dieselbe in die du heute gekommen bist. Und ich kann dir nicht sagen ob es Morgen eine gute oder eine schlechte Stadt sein wird.