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Autor: Khaine

Erstellt am: 25.06.2009

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Der Totembaum



Geschrieben von:   Khaine


Setz dich und lausche meiner Geschichte, denn sie ist ebenso wahr wie ich vor dir stehe. Ich weiß gar nicht, weshalb ich sie dir erzähle. Vielleicht weil sie zu furchtbar, zu grotesk ist um im Schweigen begraben zu liegen. Manch einer wird mutmaßen ich sei nicht recht bei Sinnen gewesen, als sich die furchtbaren Ereignisse aus jener grausamen Nacht ereigneten. Doch wisse, Fremder, dass ich zu keinem Zeitpunkt meines Lebens wacher und geistesgegenwärtiger war als in jener Nacht als sich dieses Phänomen des Abstrusen vollzog.
Doch langsam, alles zu seiner Zeit. Ich bin Hirte, wie du sicher an meiner Kleidung festgestellt haben wirst, und ich kenne die Gegend hier gut. Seit nunmehr über zwanzig Jahren streife ich mit meiner Herde den Pass hinauf und lasse sie weiden. Doch die Schmelze des letzten Winters ließ den Übergang mit einem Erdrutsch versiegeln, so dass mir keine andere Wahl blieb als am Fuße des Berges nach einem anderem Durchgang zu den fruchtbaren Weideland zu suchen und eben jener Winterzorn ließ die Unglücksverkettung zu, das die Bäche zu reißenden Flüssen und das niedrig gelegene Weideland zu feuchtem Sumpfauen verkommen ließ.
Ich beschritt also mit meiner Herde einige Umwege und stieß dabei auf immer entfernter liegende Routen, die sich meinen Landkenntnissen immer mehr entzogen, doch gelang es mir schließlich einen für meine Herde passierbaren Gang hinauf zu finden.
Es war schon gegen Abend und ich erreichte eine nicht zu steile Weidefläche, schützend umgeben von einigen Tannen, Fichten und Kiefern einerseits, sowie einigen steil hervorragenden Felsen andererseits und in mitten der Weide stand majestätisch doch gebrochen die Überreste einer alten und kahlen Tanne. Diese ragte wie ein Turm, mehr noch wie ein riesiger Dorn oder Speer gen Himmel, als sei sie von einem Riesen aus dem Erdinneren hinaus gestoßen worden. Ich beschloss also hier zu nächtigen und machte mein Feuer unweit dieser, bei Tageslicht noch stolz drein wirkenden, dem Tode trotzendem, nun bei Nacht von Schatten verzerrten Nadelbaum, in dessen knorrige Borke sich wie Falten immer tiefer grabende Schluchten durch das Lichtspiel des Feuers bohrten.
Doch all das beachtete ich zu jener Zeit nicht. Mein Gemüt ließ nach einem harten und entbehrungsreichem Anstieg nur Sinn für mein Abendbrot, sowie dem Kurzweil meiner Flöte zu und ich wäre wohl zeitig eingeschlafen und des schrecklichen Ereignisses nicht teilhab, hätte mein Hund nicht ein zutiefst beunruhigendes Verhalten an den Tag gelegt.
Ach ja, wäre das ganze nur ein Traum gewesen so könnte ich heute darüber lachen, doch die Narben an meinem Leib verweigern mir das Vergessen und ich befürchte zudem meinen Verstand zu verlieren, sollte ich mich diesem Albdrucks nicht schleunigst entledigen und eine Antwort auf das Geschehene finden. Vielleicht wäre alles einfacher gewesen wenn ich in jener Nacht wirklich eingeschlafen oder zumindest in Ohnmacht gefallen wäre, doch würde ich dann heute vor dir stehen um dir davon zu berichten?
Ich beobachtete also meinen Hund, der nur beim Annähren von Wölfen oder anderen Gefahren zu solchem Verhalten neigte und ich befürchtete eben jene hinter dem Schatten der Tannenwälle und ging mit Fackel und Stock einige male dorthin um das was dort sein sollte zu verscheuchen. Dennoch rührte sich nichts im Unterholz und ich nahm an die Lage im Griff zu haben. Noch ahnte ich nicht, dass mit zunehmendem Fortschritt der Nacht mein Reisegefährte nervöser werden sollte.
Wir hatten in jener Nacht Vollmond und es wurde daher nicht richtig Dunkel. Jedenfalls nicht so sehr das ich meine Herde nicht genau im Blick haben konnte. Ich wunderte mich wie verängstigt sich mein Begleiter an mich drängte anstatt in der Nähe der Herde zu liegen, wo er bei drohender Gefahr blitzschnell aufspringen konnte um diese abzuwenden. Allerdings war ich zu jenem Zeitpunkt bereits so ermüdet das ich keine Anstalten machte den Platz weiter zu untersuchen und vertraute auf die Erfahrungen der Vergangenheit die mich in dieser Nacht bitter in Stich ließen da etwas vergleichbares noch niemals zuvor jemanden widerfahren ist, ja überhaupt von den Naturgesetzten geschehen durften. Welch unsäglich verfluchten Ort muss ich Thor in jener Nacht aufgesucht haben mich solch einem Geisterschauspiel – anders kann ich es nicht benennen – beigewohnt zu haben?
Es war mit einmal windstill geworden und eine erdrückende, schwülwarme Luft senkte sich auf die Weide was in diesen Höhen ungewöhnlich aber nicht unmöglich war. Zudem war der Nadelwald verstummt, als ob es ihn ihm kein Leben mehr gab.
Plötzlich, ich war schon fast eingedöst, als mich ein heftiger Tritt meines Hundes wieder in den Wachzustand zurück holte, bemerkte ich wie sich aus dem Schatten des Fichtenhaines eine dunkle, amorphe Gestalt zu lösen begann und sich schließlich ihrer entriss.
Ich hielt sie zunächst für einen Bären, dann für ein Schattenspiel, einer art Luftspiegelung oder dergleichen! Zumindest zeigte ich mich an dieser Stelle zwar in Alarmbereitschaft versetzt, doch nicht weiter beunruhigt im Irrglauben verharrend mit der Situation fertig werden zu können.
Doch je näher sich dieses, seine Gestalt ändernde, Geschöpf auf den lichten Platz zu bewegte, desto mehr und mehr schwand mir die Zuversicht und ich sprach dreimal das Vaterunser, bekreuzigte mich, spürte aber trotz der heilsamen Worte wie die Füße mir zu versagen drohten und ich alle Kraft aufbringen musste auf diesen zittrigen Stelzen aus Fleisch und Blut stehen zu bleiben.
Nun war auch die Herde verschreckt. Ich leugne nicht das ein Unbehangen auch diesen Tieren über den ganzen Tag zuteil wurde und sie schon beim Anstieg Anstalten machten mehr als üblich sich meinen Befehlen zu widersetzen, jedoch hatte ich sie bisher stets im Griff. Nun aber franste dieser lebendige Wollteppich zu allen Seiten hin aus und es war mir in meinem gegenwärtigem Befinden nicht möglich sie daran zu hindern, geschweige den sie wieder zusammen zutreiben, kämpfte ich doch selbst gegen die Dunkelheit die sich meiner Augen zu bemächtigen drohte und die vielleicht segenspendende Ohnmacht ankündigte. Dennoch konnte ich, wie bereits erwähnt, meines Bewusstseins habhaft bleiben.
Nun aber stierten mich die rot glühenden Augen dieses schwarzen Schattenwesens an, dessen Geisterleib jedes Licht verschluckte und so zu einer schwarzen, öligen Masse verschwamm aus dem sich wie aus Ton Körperteile bildeten. Meist glaubte ich die Attribute von Wölfen erkennen zu können. Hier mal ein Ohr, da eine Schnauze und dort einige monströse und mit Klauen bewährten Pfoten – nein Pranken! Pranken eines Monsterwolfes – zu sehen und wich immer weiter zurück und drückte mich an die Überreste der alten, knorrigen Tanne unter der ich meinen sicheren Schlafplatz eingerichtet zu haben gedachte.
Genau genommen waren es gut ein Dutzend Wolfsgestalten die aus jener Sinnestäuschung, –wie ich sie immer noch zu bezeichnen wagte – hervorgetreten und auch wenn sie flackerten und ihre Gestalt hier und dort wie Rauch an den Konturen verschwammen, so konnte ich ganz klar ihre gigantischen Wolfsleiber von der Dunkelheit unterscheiden, die nichts mit dem eines mir bekannten, natürlichen Wolfes gemeinsam hatten. Und allen voran waren es diese rotglühenden Augen eines jeden Wolfes, für deren Farbe mir nur das Wort blutrot zu beschreiben einfiele, welche mich anstarrten, mich festbanden und den meisten Mut aussaugten als hätten sie eine hypnotischvampirische Wirkung. Entschlossen zu widerstehen glaubte ich ihren Blicken nicht ausweichen zu dürfen. Ich wusste zwar mit Wildtieren umzugehen und ihren Einschüchterungsversuchen nur mit Gegeneinschüchterung begegnen zu können, doch dieses Wissen auf Geister zu übertragen erscheint mir heute genau so wenig vernünftig wie es dir vernünftig erscheinen muss, doch bitte ich meine damalige Lage nicht außer acht zu lassen, die mich zu solch einem Handeln bewegte.
Ich starrte also genau so in die Augen dieser Geisterwölfe und hoffte sie zurückdrängen zu können, gleichwohl mir bekannt war das ich nicht genügend Augenpaare für alle Wölfe hatte. So suchte ich das mir frontal gerichteten Tier, welches sich nicht nur durch seine Größe, sondern auch ein bestimmendes und weniger zögerliches Wesen als Leitwolf zu erkennen gab, zu fixieren und immerhin es blieb als es auf wenige Meter vor mir stand stehen, knurrte zwar doch wagte es nicht näher zu kommen.
Wie ich die Nerven in jener Nacht bewahren konnte ist mir nach wie vor ein Rätsel. Ich erinnere mich aber noch gut an das schwarze, geifernde Maul, das nur aus Zähnen zu bestehen schien und jedes Licht im vornherein fraß und drückte mich noch fester gegen den Stamm der Tanne, welcher ich den Schutz meines Rückens anvertraut hatte. Es war wohl in diesem Moment als mir zum ersten mal auffiel, wie ein starkes Brennen meinen Rücken durchzog, sowie etwas warmes, klebriges das meinen Rücken hinab lief. Außerdem spürte ich wie etwas spitzes, scharfes mir immer wieder in den Rücken stach, doch konnte ich mir nicht erklären was sich hinter mir ereignete und durfte auch nicht hinsehen ohne die Kontrolle über den Dämon vor mir zu verlieren.
Noch immer wagte ich nicht den Blicken auszuweichen, obwohl ich bemerkte wie der Leitwolf wuchs und an Größe wie Monstrosität gewann, gleichwohl die anderen Geister sich immer mehr auflösten und vergingen.
Das Entsetzen überfiel mich als ich begriff, wie sich dieses Rudel zu einem mächtigen Wolf vereinigte, dem an Größe und Kraft ich nichts entgegenzusetzen hatte und der sich nun nach einem entschiedenen Gekeife in Sprungstellung begab.
Ich wusste nun war der alles entscheidende Augenblick gekommen. Ich hatte verloren. Ich konnte nur diesem einen Angriff ausweichen. Was danach kam, entzöge sich meiner Macht.
Es hatte zum Sprung angesetzt und ich wartete bis es in der Luft war, warf mich zur Seite und rollte der Schwerkraft nachgebend den Hang hinunter und wurde schließlich in die Tiefe gerissen. Dabei konnte ich bei jeder Umdrehung noch genau wahrnehmen was sich an jener Stelle, an der ich zuvor gestanden hatte, in der Zwischenzeit an Absonderlichkeit abspielte.
Wo einst diese verdorrte Tanne stand, war nun ein riesiger, nadelbewährter Baum mit einem abscheulichen Gesicht das aus Einhöhlungen bestand und einem dornigen, abgebrochenem Ast anstelle der Nase. Anstelle eines Mundes, war ein Maul im Stamm hervorgetreten mit gezackten Rändern, die wie Zähne mutmaßten und es wiegte und beugte sich und schlug mit seinen vielen Ästen als ob sie Glieder und Gelenke hätten nach der ebenso mächtig wie Ehrfurcht gebietenden Schattenbestie, die nun zu voller Größe mit blutunterlaufenen Augen herangewachsen war. Seinem Gegner ebenbürtig warf sie sich mit ganzer Kraft gegen den dämonischen Stamm und verwickelte es in einen blasphemischen Kampf, einer Kakophonie der Naturgesetze die für den Verstand nicht grotesker, nicht bizarrer hätte sein können. Schließlich entlud sich die gesamte Erscheinung in einem aufschreigleichen Blitz- und Donnerschlag, das alle Geräuschen in weiterer Umgebung unter einer Kaskade des Schmerzes ertrank und mir gnädigerweise das Bewusstsein raubte.
Als ich wieder zu mir kam grauten bereits die ersten Sonnenstrahlen über einem dicht geschlossenen Nadeldach der Tannen, Fichten und Kiefern, die am Abhang wuchsen, den soweit war ich hinuntergerollt. Hier bemerkte ich auch erstmals die riesige Fleischwunde auf meinem Rücken, die ich mir letzte Nach am Stamme beigebracht hatte und erlebten den bis dahin ignorierten Schmerz nun in seiner gesamten Auswirkung, während ich noch immer nach einer Erklärung für das Geschehene der vergangen Nacht suchte.
Nur so viel: Als ich wieder auf die Weide stieg um nach den Überresten meiner Habseligkeiten, sowie der Herde Ausschau zu halten, entdeckte ich wie von der verdorrten Tanne nur ein abgebrannter, schwarz verkohlter Stumpf übrig geblieben war, während mein armer Hund mit weit hervorstehenden Augen als verkohlte Überreste an deren Wurzeln lag. Weiterhin machte mich eine nähere Untersuchung des Kadavers stutzig, stellte ich doch fest das dem Rücken des Tieres ein Stück fehlte, als sei es von etwas riesigem herausgebissen worden!
Nun ich weiß nicht was sich in jener Nacht auf dieser Bergweide wirklich zugetragen hat. Ich muss nur unentwegt an Geschichten aus meiner Kindheit zurückdenken, die alte Weiber sich erzählten. Sie berichteten von einem uraltem, heidnischen Brauch und einem Tannenkönig dem sie von Zeit zu Zeit Opfer darbrachten. Ich muss nicht erwähnen was das für Opfer waren, doch hielt sich in unserer Gegend noch lange der Brauch Mörder und andere Unmenschen und Taugenichtse an Tannen zu spießen wo sie als besondere Früchte der Verderbnis hingen.