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Autor: knochengott

Erstellt am: 07.06.2008

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unbekanntes element



Geschrieben von:   knochengott


Teil des Episodenwerkes: jekyll

  - Einleitung
  - Kapitel 1: unbekanntes element
  - Kapitel 2: laufen
  - Kapitel 3: oberhand
  - Kapitel 4: ihr spiel


Ich schließe die Augen, wende meinen Blick von den weißen Fliesen ab und dem Dunkel hinter meinen Augen zu und sauge die Luft langsam durch die Nase ein.
Und das ist sie.
Der Geruch ist unverkennbar. Aber heute ist er anders als sonst, etwas liegt darüber. Ich lasse die Augen geschlossen und die Luft aus meinen Lungen, halte einen Moment inne um meine Sinne zu reinigen und atme wieder langsam und tief ein.
Ja das ist sie.
Ihr Parfum, ihr Haarspray, ihr Körperduft. Dieser Raum ist wie geschaffen dafür sie in mich aufzunehmen – er ist ohne eigenen Geruch. Hygienisch rein.

Das unbekannte Element in ihrem Geruch ist säuerlich und metallisch, ein Duft der mir vertraut ist, wenn auch in einer etwas anderen Form. Immer noch analysiert meine Nase den olfaktorischen Reiz in der Hoffnung ihn zu benennen. Sie hatte eine kleine bunte Tasche mit sich hier drinnen. Ich drehe den Kopf in beide Richtungen und links wird die Atmosphäre schwächer. Also beuge ich mich nach rechts und während ich tiefer gehe wird es intensiver. Immer noch die Augen geschlossen haltend bewege ich mich. Ich weiß nicht wohin, aber unverkennbar breitet sich ein Band vor mir aus. Ich suche die Quelle.

Gehe dabei auf alle viere und bewege mich auf Händen und Knien vorwärts, atme flach durch den Mund aus und langsam durch die Nase wieder ein, nehme jedes Duftmolekül auf und folge der Richtung die es weißt.
Und da, wie wenn sich ein dunkler Waldweg zu einer hellen Lichtung hin öffnet, nimmt die Intensität schlagartig zu, taucht meine Nase in einen Ozean ihres Duftes. Harte Kühle stößt gegen mein Kinn, aber sie trägt ihren Duft, ihren einzigartigen Duft und ich stoße mich ab, versinke mit meinen Sinnen in dem Ozean ihres Geruches, tauche tiefer und tiefer hinein, alles Licht bleibt hinter mir zurück und ich sinke tiefer, die Dunkelheit hinter meinen Augen wird zur Dunkelheit der Tiefe und ich sinke tiefer, immer tiefer.
Meine Zunge schmeckt Metall, weiches Metall, Kupfer und ein scharfer Geruch wie von Apfelessig kriecht in meine Nase – das neue Element wird mir plötzlich klar:
Sie hat ihre Tage.

Ich schlage die Augen auf, ein Stöhnen liegt in meinen Ohren, der Ozean ist leer, leergetrunken von mir. Ihr Geruch ist in mir, füllt mich bis zum Rand aus.
Ich sehe weiße Fliesen, umarme die Toilette. Meine Zunge steht weit aus meinem aufgerissenen Maul heraus, Speichel glänzt auf der Toilettenbrille. Keine Tropfen, saubere gerade Spuren führen kreuz und quer darüber. Die Zunge fühlt sich trocken an. Mein Stöhnen hallt mir aus der Toilettenschüssel entgegen, meine Brust hebt und senkt sich hektisch, das Herz rast.
Ich schließ den Mund, verbanne das verräterische Geräusch, das so offensichtlich Zeugnis von meiner Verwundbarkeit ablegt und der Atem stürzt durch die Nase. Ich rieche den Spülstein in Zitrone und Desinfektion und mein Magen macht eine langsame träge Bewegung. Es fühlt sich an als würde er sich verknoten. Es schmerzt aber bewahrt mich vor größerer Schande. Meinen Speichel auf der Toilettenbrille sehe ich und der Knoten löst sich schlagartig auf, der Kiefer klafft auf und wie Blut aus einer Wunde blutet mein Mittagessen heraus.
Und mit ihm verschwindet auch ihr Geschmack aus meinem Mund. Dumpfe Benommenheit überkommt mich, mein Körper pumpt reflexartig unverdautes Essen gegen die Schwerkraft an. Die Geräusche sind schrecklich und werden durch die Akustik der Toilettenschüssel noch verstärkt. Das ganze endet in einen langen Rülpser, mein Magen dreht sich noch einmal, wringt noch die letzte Flüssigkeit aus sich heraus und dann kippe ich zittern nach hinten an die Wand. Meine Hand tastet die Fliesen entlang und drückt die Spülung. Das Wasserrauschen ist ohrenbetäubend.
Als es verstummt bemerke ich die unnatürlich Stille und sehe hinüber zur Tür. Im Aufenthaltsraum dahinter sagt keiner ein Wort. Ich kann ihre Blick spüren, wie sie die Tür fixieren, mich hier einkerkern, gekettet mit Schweigen, paralysiert durch Entsetzen. Und da ist es wieder, dieses lang gezogene Stöhnen das meine Verwundung preisgibt.
Ich bin ihr Gefangener.