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Autor: Khaine

Erstellt am: 19.12.2007

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Selbstmord ist feige!



Geschrieben von:   Khaine




Der Autor hat folgende Stimmungen f�r sein Werk angegeben:
wütend
verletzt
unruhig



„Selbstmord ist feige!“, - diesen Satz hatte ich schon so oft gehört. Heute erneut.
Ich saß im Zug, eingehüllt in meinen schwarzen Wintermantel, die Handschuhe noch an. Ich fuhr nicht weit. Es hatte keinen Wert sich zu entkleiden.
Verträumt starrte ich aus dem Fenster. Der Boden war weiß bedeckt, doch den Himmel kleidete die Nacht in ein tiefes Schwarz.
Ein älterer Mann saß mir gegenüber die Zeitung lesend. Abfällig schüttelte er den Kopf:
„Schlimm das. Ich verstehe nicht wieso sich vor Weihnachten so viele umbringen müssen. Das ist doch keine Lösung! Eine Schande ist das. Selbstmord ist einfach nur feige, finden sie nicht?“
Ich ignorierte ihn, starrte weiter auf die schneegeschwängerte Landschaft, deren jungfräuliche, weiße Pracht alles darunter Liegende verbarg. Doch innerlich bebte ich.
Dieser Mann hatte doch keine Ahnung. Wahrscheinlich hatte er keine Sekunde seines Lebens daran gedacht was in so einem Menschen vorgehen musste, der beschloss das alles andere besser war, als weiter zu leben. Wahrscheinlich hatte er niemals daran gedacht wie schwierig solch eine Entscheidung sein musste. Wahrscheinlich hatte er niemals daran gedacht, wie lange solch eine Entscheidung gährte und welch eine Bürde solch eine Entscheidung darstellte. Wahrscheinlich hatte er auch niemals daran gedacht wie viel Überwindung solch eine Tat forderte.
Später würde man sagen: „Wir wussten von nichts. Wie hätten wir denn helfen sollen? Er hätte doch etwas sagen müssen!“ Damit wusch man sich rein. Beschmutzt blieb nur der Täter. Alle anderen trugen eine weiße Weste, denn Schuld musste ja immer jemand tragen und dass dies etwas Verwerfliches, Schlimmes, ja sogar Furchtbares sein musste, verriet schon die Bezeichnung: Selbstmord! - Das war ein Verbrechen!
Doch man hätte es ebenso gut Freitod oder einfach nur Suizid nennen können und ich bin sicher, so mancher lebte nur aus Feigheit.
Vielleicht würde man ihm auch Egoismus nachsagen, da er wohl niemals seiner Hinterbliebenen gedachte, die einen Menschentod verarbeiten mussten. Doch ob vielleicht die Hinterbliebenen egoistisch waren, sich nicht mit dem menschlichem Tod auseinandersetzen zu wollen, zu egoistisch oder bequem für einen Moment aus ihrer heilen Welt auszubrechen, diese Frage würden sich wohl nur die wenigsten stellen?
Wäre der ältere Mann nicht unlängst ausgestiegen, ich hätte ihm zu gerne geantwortet:
„Manche mögen zu feige zum Leben sein, doch die meisten sind zu feige zum Sterben!“
Mein Blick hing an den vorüberziehenden Masten. Den Horizont verdeckten graue Berge, hinter denen die ersten zaghaften Sonnenstrahlen zum Vorschein kamen.
Endstation. Die Fahrgäste stiegen aus. Ich blieb einfach sitzen. Dann kam der Schaffner und warf mich aus dem Zug.