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Autor: Lonely Wolf

Erstellt am: 16.10.2007

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Parkbankgeflüster



Geschrieben von:   Lonely Wolf


Anmerkungen des Autors:
Danke Mannheim!





Der Autor hat folgende Stimmungen f�r sein Werk angegeben:
frustriert
depressiv



Es ist Mittag, quasi High Noon und die ewig gestressten Krawattenträger strömen aus ihren Glaskäfigen um in ihrer knapp bemessenen und nicht bezahlten Mittagspause möglichst schnell eine Überdosis Koffein und Zucker zu bekommen, während eine Gruppe jugendlicher Punks auf dem genau auf sechs Millimeter geschnittenen Rasen der Parkanlage, direkt vor dem "Betreten der Rasenfläche verboten!"-Schild Picknicken. Eine Mutter zerrt ihr Kleinkind von Kaufhaus zu Kaufhof um ihm endlich die neue Kindersportkollektion eines namhaften Herstellers zu besorgen, damit das kleine auch den Status der Eltern in der Krabbelgruppe behaupten kann und übersieht dabei ganz, wie fasziniert der Kleine doch von den Tauben am Brunnen ist, welche sich redlich Mühe geben den geworfenen Brotkrumen der älteren Dame, die einsam und allein auf einer Parkbank sitzt, zu entkommen um sich wieder ihrem eigentlich Ziel: Der vollständigen Verunstaltung des Brunnens mit Taubenkot, zu widmen. Ungeachtet dessen diskutiert eine Reihe älterer Herren mit dem Bier in der Hand und nach dem Klischee in alten Trainingsanzügen gekleidet über die bolschewistische Weltverschwörung und wie der Jude ihre Arbeitsplatz zerstört hat, ich frage mich dabei wie "der Jude" bitte einen Unteroffizier des Heeres entlassen kann, aber das tut ja nichts zur Sache, irgendwie wird er schon Schuld haben.
Untermalt vom Läuten der einfahrenden Straßenbahn dringen die Klänge des dunkelhäutigen Predigers an meine Ohren, der neben der Haltestelle seine Plakate ausgebreitet hat: "Jesus liebt Alle! Gott hasst Scheidung, Anwälte, Streit ..." weiter lese ich nicht, als einer der Punks meint, dem Alten sei sicher seine Frau weggelaufen und hätte ihn verklagt - ich muss Lächeln. Und während der Duft von Zigaretten, Taubenkot, frisch gemähtem Rasen und Kaufhausduft langsam in mein Bewusstsein steigt, kurz bevor ich mein Buch aufschlagen und mich in meine Fantasy-Welt flüchten wollte, fällt er mir ins Auge.

Ein älterer Herr, in einem feinen Anzug, jene alten Anzüge, wie sie schon Al Capone und Ray Charles getragen haben und dieser Mann füllt den seinen mit Würde und Eleganz aus. Zugegeben, sowohl der alte Herr mit dem zerknitterten Gesicht als auch sein Streifenanzug haben sicherlich schon bessere Tage gesehen, aber irgendwie faszinieren sie mich beide, wie sie so gemeinsam über all den Stadtstress erhaben durch den Park flanieren, ungeachtet der Menschenmassen die sie umströmen, ungeachtet der Blicke und vollkommen unerreichbar für Taubenkot und bolschewistische Verschwörungen. So stolziert der Herr, den ich im selben Moment Pate getauft habe, so stolziert eben jener Pate an mir vorbei zur Parkbank mit der Rentnerin, die schon eine Viertelstunde vergeblich versucht die Tauben mit ihren Brotkrumen zu erwischen. Vielleicht sind sie ein Paar, kommt es mir in den Sinn, vielleicht ist er soeben nach fünfzig Jahren aus den Staaten zurückgekehrt nur um seine alte Jugendliebe hier in diesem Park, am Brunnen wiederzusehen. Er sieht in ihre Richtung und Lächelt fröhlich, kaum zu fassen, dass ich Zeuge eine solchen Szene werde, von denen ich bisher dachte, sie geschehen nur in Hollywood. Langsam flaniert der Pate auf die Dame zu, es scheint mir als wolle er seine Arme breiten. Jetzt steht er auf gleicher Höhe zu ihr und sieht hinab, sie sieht zu ihm auf und lächelt ebenfalls dieses alte, freundliche Willkommenslächeln. Hinter mir quietschen die eisernen Bremsen der Straßenbahn, die Parkbankdiskussion über die bolschewistische Weltverschwörung hat ihren Höhepunkt erreicht und einer der alten Unteroffiziere zertrümmert lachend eine leere Bierflasche, der dunkelhäutige Prediger wird von der Polizei bedrängt und muss seine Plakate wieder abbauen ... da bückt sich der Pate, noch immer Lächelnd, an der Rentnerin vorbei und greift neben ihr in den Mülleimer um eine verschmutzte Pfandflasche hervorzukramen und mit glücklichen Augen in sein Ledertragetasche zu stecken.

Der Wert einer Gesellschaft, ist dannach zu beurteilen, wie sie mit ihren Alten umgeht!