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Autor: Anetreus

Erstellt am: 26.08.2007

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Der Tod des Publikoid - Kapitel 3



Geschrieben von:   Anetreus


Teil des Episodenwerkes: Der Tod des Publikoid

  - Einleitung
  - Kapitel 1: Der Tod des Publikoid - Kapitel 1
  - Kapitel 2: Der Tod des Publikoid - Kapitel 2
  - Kapitel 3: Der Tod des Publikoid - Kapitel 3


Er wachte auf und öffnete die Augen. Der Raum um ihn herum war in dunklem Gau gehalten – oder arbeiteten seine Augen noch nicht richtig? Er hörte ein leises Summen, ähnlich wie es elektrische Geräte von sich geben. Die Luft roch abgestanden und war warm. Er rieb sich die Augen und richtete sich auf. Der Boden war hart. Metallische Oberfläche, leicht reflektierend – er konnte sein verschwommenes Abbild erkennen. Sein Blick klärte sich und erreichte die Grenzen seiner momentanen Umgebung. Er war von einer kreisförmigen Wand umgeben, die aus dickem, grauem Seil bestand. Er stellte sich einen Riesen vor, der ein Seil zu einer Rolle aufwickelte, auf den Boden legte und einen bewusstlosen Menschen hineinlegte. Er seufzte. Die Wirklichkeit wird natürlich viel komplizierter sein.
Die Decke war zwei seiner Körperlängen entfernt, der Radius der Metallscheibe, auf der er stand, betrugt vielleicht drei bis vier Körperlängen. Die Decke bestand aus einer weiteren Metallscheibe – obwohl er natürlich nicht sagen konnte, ob es sich um Scheiben, Zylinder oder etwas anderes handelte.
Er stand mittlerweile auf den Beinen. Sein Name war Publikoid, fiel ihm spontan ein. Mehr fiel ihm nicht ein, obwohl es natürlich mehr geben musste. Publikoid hatte das unangenehme Gefühl, dass es zum jetzigen Zeitpunkt besser war, sich nicht zu erinnern.
Er machte einen Schritt vorwärts und nun, wo sein rechtes Bein etwas weiter vorne stand, als das linke, begann er sich selbst zu betrachten. Er trug feste, schwarze Schuhe, die mit blauen Bändern verschnürt waren. Bei der Hose handelte es sich um eine blaue Jeans mit einer dicken, schwarzen Naht, die an den Außenseiten entlanglief. Er trug ein blaues Shirt und darüber ein schwarzes, zugeknöpftes Hemd.
Publikoid machte einen weiteren Schritt und bemerkte nun gleichzeitig zwei Dinge. In der Brusttasche seines Hemdes steckte ein kleiner Gegenstand und hinter ihm begannen sich Schritte zu entfernen.
Überrascht wandte sich Publikoid um und erblickte Fußspuren im Metall, die sich von ihm fort bewegten. Als würde ein Unsichtbarer seine Abdrücke in das Metall stampfen, wobei der Boden aber jeden Abdruck, der älter als zwei Schritte war, wieder verschwinden ließ. Der Klang der Schritte war dumpf und metallisch, die Geschwindigkeit entsprach normalem Gehen. Der Kurs war etwas unstet, führte aber tendenziell zur Wand. Dort angekommen endete das Schauspiel und auch die letzten Fußspuren verschwanden vollkommen. Publikoid setzt sich in die entsprechende Richtung in Bewegung, als er erneut Schritte hinter sich hörte. Diesmal wandte er sich energischer um und konnte das gleiche Phänomen beobachten. Und sogleich wieder neue Schritte hinter ihm! Publikoid machte weitere Schritte und nun offenbarte sich ihm ein Zusammenhang: Es waren seine eigenen Schritte, die diese Fußspuren verursachten, die sich sodann verselbstständigten. Publikoid ging einen Bogen und produzierte mit jedem zweiten Schritt einen neuen Unsichtbaren Läufer, der ohne zu zögern seinen unsteten Kurs durch den Raum begann. Inmadan beobachtete fasziniert die vielen Fußspurpaare, die nun kreuz und quer durch den Raum liefen und dabei ein Getrappel wie eine Kompanie metallbesohlter Schwergewichtsmeister verursachten, bis sie nach und nach am Rand des Bodens verschwanden.
Publikoid spielte auf diese Weise noch etwas herum, dann machte er sich auf, zur Wand zu gehen. Eine Tür sah er nicht, aber vielleicht offenbarte eine genauere Untersuchung eine Möglichkeit, diesen Raum zu verlassen. Die Wand bestand aus groben Seil, das sich in keinster Weis bewegen ließ. Vermutlich waren die Stränge nur eine Verkleidung wesentlich massiverer Wände. Oder es waren sehr, sehr viele Windungen, die Publikoid eingesperrt hielten.
Publikoid schritt die gesamte Wand ab und untersuchte sie mit größer werdendem Eifer, denn allmählich begriff er, dass er ein Gefangener war. Während er sich in der Runde bewegte, produzierte er natürlich weitere dieser selbstständigen Fußspurpaare, die durch den Raum klapperten und sich an verschieden Stellen an der Wand auflösten.
Schließlich hatte Publikoid einmal die ganze Runde abgeschritten und blieb stirnrunzelnd stehen. Dann fiel ihm der Gegenstand in seiner Hemdtasche ein und holte ihn hervor. Er war in Papier eingewickelt. Inmadan faltete das Papier auseinander und es kam ein zylinderförmiger Gegenstand zum Vorschein, der große Ähnlichkeit mit einem Feuerzeug hatte. Er bestand aus blauem Kunststoff und besaß eine schwarze Taste, ebenso wie eine schwarze Öffnung, aus der das Austreten einer Flamme zu erwarten war. In winzigen Buchstaben stand auf einer Seite des blauen Kunststoffgehäuses 'Hose und Lecheln' gedruckt. Publikoid fuhr mit den Fingern über die Buchstaben und fühlte ihre reliefartige Textur. Eine Erinnerung wollte sich in sein Bewusstsein drängen, doch Publikoid befand, dass es noch nicht an der Zeit war, die Ungeheuer aus dem Schrank zu lassen und stecke das Feuerzeug in seine Hosentasche.
Nun fiel Publikoid auf, dass das Papier, in welchem das kleine Gerät eingewickelt war, ebenfalls Schriftzeichen trug. Es war sehr dickes Papier, wie von einer Postkarte. Publikoid faltete es gänzlich auseinander und glättete es auf dem Boden. Es hatte das Format einer Postkarte, war blau und trug schwarze Schriftzeichen.
"Vielen Dank, dass du dich für einen Tod mit Hose & Lecheln entschieden hast!", stand dort.
Publikoid starrte die Wörter an und bemühte sich, Erinnerungen zu unterdrücken. Dann machte er den Fehler, die zerknitterte Karte umzudrehen. Ein Totenschädel über einer blauen Jeans mit gekreuzten Beinen lächelte einladend direkt in sein Gedächtnis und Publikoid hatte plötzlich den Geschmack von Beton in seinem Mund.
Ein paar Minuten später, als Publikoid die Erinnerung an seinen Tod bewältigt hatte, beschloss er, dass nun die Zeit gekommen war, den Raum zu verlassen – egal wie.
Nun, dieses 'egal wie' stellte sich allerdings als Problem heraus. Was konnte er tun? Gehen. Publikoid begann im Kreis zu gehen. Was konnte er bewirken? Fußspuren. Publikoid beobachtete die Fußspuren im Metall, wie sie davonschritten und an der Wand verschwanden. Wie kam er also hier raus? Publikoid hatte keine Ahnung. Kurz hatte er den Gedanken, mit dem Feuerzeug die Wände anzuzünden, doch vermutlich würde dann einen weiteren Tod sterben und zwar einen von der langsamen, qualvollen Sorte. Publikoid zog die Augenbrauen zusammen und starrte die lebendigen Fußspuren an, die er hinterließ. Wieso konnten sie den Raum verlassen und er nicht? Plötzlich hatte er eine Idee und blieb stehen. Die letzten Fußspuren stapften davon und es wurde still im Raum. Wenn die Fußspuren, die ihm vorrauseilten, hier herauskamen – warum folgte er ihnen nicht einfach? Eine verrückte Idee, aber Publikoid war Experte für verrückte Ideen. Er machte einen Schritt mit dem linken Bein. Eine Schrittlänge vor seinem Fuß entstand nach einer Sekunde ein Fußabdruck. Publikoid setzte seinen rechten Fuß genau in diesen Fußabdruck. Es entstand ein neuer, voreilender Fußabdruck. Und in diesen trat Publikoid mit dem linken Fuß. Und so weiter. Es erforderte seine ganze Konzentration, denn die Fußspuren liefen nicht entlang einer Gerade, sondern torkelten. Publikoid folgte ihnen dennoch, hielt den Blick fest auf den Boden vor ihm gerichtet und machte jede Richtungsänderung der Spur mit. Plötzlich tauchte etwas vor seinen Augen auf und zu spät bemerkte er, dass dies die Wand war. Die Zeit reichte gerade noch für einen Gedanken: Ich werde gegen die Wand laufen! Doch dazu kam es nicht. Er glitt in die Wand hinein, als wäre sie aus warmen Nebel und plötzlich war alles schwarz.