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Autor: Anetreus

Erstellt am: 26.08.2007

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Der Tod des Publikoid - Kapitel 1



Geschrieben von:   Anetreus


Teil des Episodenwerkes: Der Tod des Publikoid

  - Einleitung
  - Kapitel 1: Der Tod des Publikoid - Kapitel 1
  - Kapitel 2: Der Tod des Publikoid - Kapitel 2
  - Kapitel 3: Der Tod des Publikoid - Kapitel 3


Sein Telefon klingelte. Es klingelte ein weiteres Mal. Und auch noch ein drittes Mal. „Warum nimmt dieser Apath nicht ab?“ fragte er sich, bis ihm klar wurde, dass dieser Apath er selbst war. Die Integration dieser Erkenntnis in seine mentale Existenz führte zum nächsten Problem: Wie soll man abnehmen, wenn man tot ist? Nun musste er dieser Frage aber eine wichtigere voranstellen: Wie konnte er das Telefon klingeln hören, wenn er tot war? Die ihm zu Lebzeiten bekannten Gesetze der Kausalität zwangen ihm die dritte Frage auf: Woher wusste er, dass er tot war?
Die Lösung war einfach.
Er schlug sich mit der flachen Hand vor den Kopf und stöhnte laut.
Er war gar nicht tot! Jubelnd lief er zum Telefon und nahm ab.
„Hallo, der lebende Publikoid hier. Wer da?“
„Ja, äh, guten Tag, äh, hier ist Nemnias vom Bundesamt für Erdrotation.“
„Worum geht's?“
„Ihr Haus steht leider auf einer destabilisierenden Koordinate.“
„Das heißt?“
„Ihr Haus stört die Erdrotation. Um den Periodizität des globalen Tag-Nacht-Zyklus nicht zu gefährden ist es unumgänglich, dass ihr Haus abgerissen wird. Haben Sie einen besonderen Terminwunsch?“
„Nö, legen Sie los, wann immer sie bereit sind“, sagte Publikoid.
„Danke, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tod“, erwiderte Nemnias und legte auf.
Publikoid stutzte. Hatte dieser Nemnias gerade wirklich 'Tod' gesagt? Vielleicht hatte er sich versprochen. Oder Publikoid hatte sich verhört.
Publikoid ging in sein Wohnzimmer, um zu schauen, was gerade im Fernsehen lief. Sein Wohnzimmer ist recht klein – sehr klein, um ehrlich zu sein. Drei mal Drei Meter Grundfläche sind schnell verbraucht, wenn man noch Möbel hineinstellt. Doch Publikoid war schlau und hatte die Decke als zusätzliche Wohnfläche eingerichtet. Er kletterte die Leiter hoch, schlüpfte in die Metallschuhe, die dort bereithingen und schaltete den Strom für die Elektromagneten ein. Es war ein wenig schwierig so überkopf unter der Decke zu laufen, vor allem, weil Publikoid die Stromkabel für die Schuhe stets im Auge behalten musste.
"Mist!" fluchte er, als ihm die Schlüssel aus der Hosentasche fielen. Er versuchte danach zu greifen, als sie an seinem rechten Ohr vorbeischossen, doch anstatt sie zu fangen, gab er ihnen unbeabsichtigt einen Seitwärtsstoß. Das Schlüsselbund fiel klirrend auf den unteren Boden, rutschte über das Parkett und verschwand unterm Sofa. Er beschloss die Schlüssel auf dem unteren Boden liegen zu lassen und stapfte zu seinem Fernsehsessel. Er wollte mich gerade hinsetzen und festschnallen, als aus dem Nichts ein Punkt erschien. Verdutzt betrachtete Publikoid den blau leuchtetenden Punkt, der da kaum eine Armlänge vor ihm in der Luft schwebte. Dann begann sich die Lichterscheinung in die Länge zu ziehen und wurde zu einem waagerechten Strich, begleitet von einem knirschenden Geräusch, als ob jemand über Glasscherben geht. Als der Strich etwa Unterarmlänge hatte, beendete er sein Wachstum und ging stattdessen in die Breite. Es entstand ein schmales blau leuchtendes Rechteck. Mitten in Publikoids Wohnung. Eine Täuschung? Vorsichtig bewegte Publikoid seine rechte Hand auf das Rechteck zu, das da so unerklärlich in der Luft hing. Als seine Finger nahe genug heran waren, um das blaue Leuchten zu reflektierten, schoss plötzlich etwas aus dem Rechteck heraus. Publikoid zuckte zurück. Dann sah er genauer hin. Es sah wie Papier aus. Ja, es war ein Brief, der halb aus dem Rechteck hervorschaute. Publikoid zog die Augenbrauen hoch und griff dann zögernd nach dem Brief. Doch dieser rutschte nun ganz heraus und bevor sich Publikoids Finger darum schließen konnten, segelte der Brief in Richtung unterer Boden. Das blau leuchtende Rechteck schrumpfte wieder zu einer Linie zusammen und die Linie wurde kürzer und kürzer, bis nur noch ein Punkt zu sehen war. Dann verschwand auch dieser. Spurlos.
Publikoid senkte seine Augenbrauen wieder und stapfte zur Leiter. Ganz ruhig bleiben. Für vieles gab es eine Erklärung. Vielleicht gehörte das Phänomen, das er gerade beobachtet hatte, zu diesen vielen erklärbaren Dingen. Was natürlich noch keine Garantie dafür war, dass es auch zu den erklärbaren Dingen gehörte, für die jemand die Erklärung tatsächlich kannte.
Bevor Publikoid die Leiter zum unteren Wohnzimmerboden erreichen konnte, fiel der Strom aus. Damals war Publikoid absolut überzeugt davon, dass seine Energieversorgung nicht ausfallen konnte, und doch tat sie es. Der Generator, den er sich damals zugelegt hatte, gehörte zu den solidesten Modellen überhaupt. Er hatte noch nie gehört, dass ein solches Modell ausgefallen war. Ihm drängte sich also der unangenehme Gedanke auf, dass ihn jemand abgeschaltet haben musste.
Viel Zeit zu weiteren Überlegungen hatte er nicht, denn er krachte erstmal heftig auf den unteren Wohnzimmerboden. Er hätte sich das Genick brechen können! Doch zum Glück beschränkte sich der körperliche Schaden auf eine Prellung an der Schulter und einen blauen Fleck am Oberarm.
Vor Publikoids Nase lag der Brief. Nach einer Weile, als die Schmerzen etwas nachließen, überlegte er, ob er erst in den Keller gehen und nachschauen sollte, was mit dem Generator los ist. Dazu müsste er jedoch aufstehen und die Metallschuhe ausziehen. Den Brief konnte er dagegen auch im Liegen lesen. Also griff er nach dem Brief und betrachtete ihn. Der Absender war in einer schnörkeligen Handschrift aufgetragen und lautete "Hose & Lecheln, 2-1-0-5-0, Uoafna, Ibrämus". Mit Ausnahme des ersten Wortes ergab der Rest keinen Sinn für ihn. Und er hatte das Gefühl, dass die Übereinstimmung des einzigen ihm verständlichen Wortes mit einem alltäglichen Kleidungsstück reiner Zufall war. Er zuckte mit den Schultern, was keine gute Idee war. Der Schmerz der Prellung tobte durch seine rechte Schulter und seinen Hals. Er beschloss von weiterem Schulterzucken Abstand zu nehmen und öffnete den Brief. Darin befand sich eine blaue Karte, auf der in schwarzen Buchstaben folgendes zu lesen stand: "Vielen Dank, dass du dich für einen Tod mit Hose & Lecheln entschieden hast!" Verwirrt drehte er die Karte herum. Auf der Rückseite war ein lächelnder Totenschädel abgebildet, und darunter eine blaue Jeans mit gekreuzten Beinen. Drumherum stand ein spiralförmig angeordneter Text aus sehr kleinen schwarzen Buchstaben: "Für Schäden an ihrem Eigentum übernimmt Hose & Lecheln keine Haftung. Ein solch spektakulärer Tod, wie der von dir gewählte, kann leichte Dearangements verursachen und zu realitätsinterferierenden Irritationen führen – dies hat keinen Einfluss auf die Reinterpretation deiner Existenz. Gesponsert von Flunips, dem Getränk für -"
Weiter kam Publikoid nicht, denn eine Abrissbirne krachte durch sein Wohnzimmer.

Es war ein Getöse von der Art, das einem auch Stunden später noch dazu brachte, ständig laut "Wie bitte?", "Was?" oder "Hä?" zu fragen. Trümmer, halbe Backsteine und zersplittertes Holz schossen durch die Wohnung und ein paar größere Teile krachten neben Publikoid zu Boden und ruinierten das Parkett.
Nun wurde Publikoid klar, dass der Anrufer, der den Abriss meines Hauses angekündigt hatte, es absolut ernst gemeint hatte.
Publikoid stand auf, ignorierte die Schmerzen und schrie: "Was soll das!?"
Über ihm konnte er durch ein großes Loch in Wand und Decke den Himmel sehen und ein mechanisches Ungetüm, das die Abrissbirne schwenkte. Publikoids Aufstehen stellte sich als dummer Fehler heraus. Denn logischerweise schwang die riesige Abrissbirne wieder zurück und erwischte ihn unvermeidlich.
Ohne die Chance einen letzten Gedanken zu haben oder gar sein Leben vor seinen Augen vorrüberziehen zu sehen, war Publikoid sofort tot.