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Autor: Khaine

Erstellt am: 04.07.2007

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Der Gefangene



Geschrieben von:   Khaine




Der Autor hat folgende Stimmungen f�r sein Werk angegeben:
unruhig
sehnsüchtig
gelangweilt
einsam



Schritte hallten durch den langen Gang. Ketten rasselten. Eine schwere Metalltür wurde geräuschvoll aufgemacht. Ein Schlüssel klirrte.
„So, da rein!“
Der Gefangene trat ein.
„Du wirst mir keinen Ärger machen?“
-„Nein, Herr“, der Gefangene zögerte, „Sagen sie, wann komm ich hier wieder raus?“
Der Hauptwärter lachte, „Sehen sie die Wiese da? Pflücken sie mir eine Blume, dann lass ich sie gehen“
Dann schloss er die schwere Tür.
Der Gefangene sah sich um. Eine kleine Zelle, komplett in grau gehalten. Eine kleine Waschgelegenheit sowie die Möglichkeit sich seiner Notdurft zu entledigen bot sich ihm an und eine in die Mauer eingearbeitete Liege vervollständigte das Mobiliar.
Hoch über sich sah er ein vergittertes Fenster, zu welchem er gleich hinauf kletterte. Was ihm zunächst noch Schwierigkeiten bereitete, gestaltete sich bald zu einem leichtem, spielerischem Unterfangen. Immer wieder kletterte er hoch um sich an den Gittern zu halten, an denen er sein verzerrtes Spiegelbild ablesen konnte und von wo ihm der Ausblick auf die Welt nach draußen offenbart wurde.
Ein schönes Zimmer.
Nicht weit entfernt lag die hohe mit Stacheldraht umwickelte Steinmauer und dahinter erstreckte sich ein weites kahles Feld, welche an einen dunklen Wald angrenzte, der es wie eine weitere Mauer einsperrte und so verhinderte das die Wiese ihm davonlief.
Noch ehe der Frühling Einzug hielt, entwickelte er eine nie gekannte Sehnsucht nach diesem Fleckchen Land. Zu gern wäre er auf ihr spazieren gegangen, jetzt und auch später, denn er fühlte sich ihr verbunden. Die Wiese war ein Gefangener, so wie er. Eingeschlossen von hohen Gefängnismauern auf der einen und von einem unüberwindbarem, dunklem Wald auf der anderen Seite.
Entkommen konnte sie nicht und auch ihm bot sie keine Möglichkeit zur Flucht. Denn wie sollte er sie auch erreichen um den Schlüssel aus seiner Zelle dort zu pflücken?
Das versuchte er auch dem Wärter beizubringen, der ihm in regelmäßigen Abständen das Essen brachte, doch dieser lachte nur spöttisch und sperrte die Türe wieder zu.
Enttäuscht beobachtete er wieder das Geschehen aus dem Fenster. Der Frühling hatte das Fleckchen Land in ein farbenfrohes Meer aus Gräsern, Halmen und Blumen getaucht. Insekten tummelten sich herum. Bienen, Hummeln und Schmetterlinge flogen von Blüte zu Blüte. Käfer wälzten Schlammkugeln und Ameisen trugen abgestorbenes unter die Erde.
Alles schien so sorglos und frei. Und das zwischen diesen beiden Wällen!
Auch er war häufig frei. Nämlich dann wenn er auf seiner Pritsche lag und fabulierte. Dann schwammen die Farben durch seinen Kopf, bildeten neue Formen, neue Bewegungen, neue Gerüche. Bilder entstanden die jedem Kind ein Lächeln auf die leblosen Gesichter gezaubert hätten.
Nur wenn er die Augen wieder öffnete war er traurig. Diese schöne Welt, die ihm gehörte, konnte er ja niemandem zeigen und mit niemandem teilen. Seine Welt, in der er frei und glücklich sein durfte ohne, dass sie ihm jemand wegzunehmen vermochte. Diese Welt gehörte einzig und alleine ihm und nur ihm!
So saß er häufig allein in diesem grauen kastenförmigen Steinkäfig. Die Wärter die er ab und an kurz zu Gesicht bekam interessierte sein Geschwafel nicht. Meist lachten sie über ihn. Manche schüttelten auch nur mitleidig den Kopf, so wie man auch über jemanden der den Verstand verlor den Kopf schüttelte.
So spähte er wieder aus dem Fenster und suchte nach neuen Bildern die er stehlen und in seinem Kopf bewahren konnte. Manchmal saß er aber auch einfach nur grübelnd da. Das waren jene Momente, in denen er aus seinen Träumen gerissen wurde und die ihm klar machten das seine Welt nur Trug war. Die wahre Welt lag draußen, hinter diesen Mauern. Und er brauchte eine Blume um sie betreten zu können. Eine Blume von dieser Wiese, die er betreten mochte. Häufig fragte er einen der Wärter ob er nicht die Güte besäße ihm eine Blume zu pflücken, damit er sie dem Hauptwärter geben könne, der den Schlüssel zu seiner Freiheit trug. Doch er fand niemanden und auf die Wiese konnte er auch nicht. In vielen Nächten lag er verzweifelt, fand nur mit Mühe in seine Scheinwelt zurück, denn sie war ihm fahl geworden.
Die Farben des Sommers schmeckten nicht, sie ließen ihn nur erkennen, dass es kalter Stein war, den er unter seinen Füßen spürte und nicht das Streicheln des umgeknickten Grases. Nicht die warme Erde, die Schlammpfützen nach einem heftigen Sommerregen. Nur kalter Stein.
Häufig wünschte er sich ein Schmetterling möge doch durch diese schmalen Gitter hinein fliegen, mit seinen schönen, vielfarbenen Flügeln um die schärfe seiner grauen Wände ein wenig ab zu glätten. Doch nichts von alldem geschah.
Noch blühten Blumen, doch der Herbst nahte und drohte ihm alles wegzunehmen. Er wurde unruhiger. Er musste hier raus!
Auch den Wärtern war seine Veränderung nicht entgangen. Sie wurden vorsichtiger, stiller. Längst sahen sie keinen Verrückten mehr in ihrem Gefangenem, sondern einen Besessenen. Ein Wildes Tier, das sie jederzeit anfallen konnte.
Als der Herbst dann auch den letzten Farbfleck verwelken ließ gab er schließlich auf. Kraftlos ließ er sich auf seiner Pritsche nieder. Depressionen schlichen sich ein, vergewaltigten seinen Geist und ließen auch den Körper nicht unbeschadet zurück. Er war müde geworden. Als der Winter ein weißes Tuch über seine Schande legte, bat er nochmals den Hauptwärter sprechen zu dürfen.
Mit trockenen, geröteten Augen sah er ihn flehend an.
„Es war mit nicht möglich ihnen eine Blume zu pflücken, würden sie mich dennoch frei lassen?“
Der Hauptwärter sah ihn spöttisch an:
„Sie armer Teufel. Wir sind hier in einer Anstalt und nicht im Gefängnis. Gehen sie doch wann sie wollen!
Nur heute ist es zu spät. Ich schließe jetzt die Tür. Gute Nacht!“