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Autor: Anthea

Erstellt am: 02.02.2007

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Was kaum ein Mensch sieht



Geschrieben von:   Anthea


Anmerkungen des Autors:
Mal was anderes...



Angel stand auf dem Dach des Hauses und beobachtete wie sich die Menschen unten auf den Straßen bewegten. Es war Abend und jeder strebte seinem Zuhause zu. Es war ein angenehmer Herbsttag gewesen, die Sonne schien noch und ein sanfter Wind spielte mit ihren schulterlangen, blonden Haaren. Schon hob sie eine Hand um sich mit einer lässigen Geste eine der Strähnen ihres Haares aus dem Gesicht hinter das Ohr zu streichen, da sah sie es wieder, das kleine schwarze Wesen, dem sie seit Tagen auf der Spur war. Ihre Hand hielt mitten in der Bewegung inne, legte sich dann wie unbewusst auf die steinerne Dachbrüstung. Es hatte sich schon einen Menschen ausgewählt, und an dessen Fersen geheftet, war ihm aber noch nicht nah genug. Also musste auch sie warten. Sie konnte diese Wesen erst bannen, wenn sie sich in einen menschlichen Körper gesetzt hatten und nicht sofort wieder in die Schatten der Welt fliehen konnten.
Normale Menschen nahmen die „Schwarzen“ – wie Angel sie nannte – nicht wahr, höchstens als Schatten, den eine Person warf. Aber diese Wesen waren dafür verantwortlich, dass ein einfacher Mensch Bösartigkeiten, Brutalitäten beging. Meist wurde hinterher von diesem Menschen gesagt: „ Er/Sie ist total ausgerastet, dabei war das so ein netter Mensch!“ Die Schwarzen waren dafür verantwortlich, dass der biedere Angestellte von nebenan zum brutalen Mörder wurde, der seine Frau und seine Kinder in unsagbarer Wut tötete. Deshalb gab es Wächter und Jäger wie Angel eine war. Sie konnte die Schwarzen sehen und bannen ehe ein von ihnen befallener Mensch zu großes Unheil anrichtete. Aber auch die Jäger konnten nicht überall gleichzeitig sein, und es gab einfach zu viele von den schwarzen Wesen. Nun, diesen einen zumindest würde sie bannen können. Sie legte beide Hände auf die schmale Mauer und schwang sich elegant über die Dachbrüstung. Ihr schwarzer, knöchellanger Ledermantel flatterte hinter ihr, breitete sich aus wie die Schwingen eines Raben, als sie so Stockwerk für Stockwerk tiefer fiel. Sie bat den Geist des Windes um seine Hilfe. Während sie mit leiser Stimme dein Naturgeist anrief, wurde ihr Fall langsamer, leicht wie eine Feder – getragen von einem Luftpolster – sank sie zur Erde, landete schließlich sanft auf dem Asphalt der Straße. Sie blickte sich um, musterte die vorbei eilenden Menschen, aber niemand schien Notiz von ihr genommen zu haben, denn auch die Jäger besaßen die Fähigkeit sich ungesehen zu bewegen. Zu Fuß folgte sie nun dem Schatten und dem Mann, den er sich gewählt hatte.
Der Mann war in Begleitung einer Frau, einer Farbigen, die Angel als schön bezeichnet hätte. Die Frau war langbeinig, was ihr einen federnden Gang verlieh. Das cremefarbene Kostüm betonte auf angenehme Art den haselnussbraunen Teint ihrer Haut. Das schwarze Haar war kurz geschnitten und elegant uns sorgfältig frisiert. Ihr Lachen war angenehm, als sie sich angeregt mit ihrem Begleiter unterhielt. Angel schnappte immer wieder Fetzen ihrer Unterhaltung auf, während sie den beiden in den Stadtpark folgte. Die Frau war vermutlich Radio-Reporterin, da sie einiges von einer Radiostation und einem DJ erzählte, dessen Musikwahl sie immer wieder aufs Neue zu ärgern schien. Er hingegen war ein groß gewachsener, gut gebauter Weißer, dessen grauer Anzug vorteilhaft seine sportliche Figur zur Geltung brachte.
Die beiden Menschen gingen im Park zu einem Karussell, stets gefolgt von dem Schatten und Angel. Als die Sitze des Karussells nach vielen Runden, die die Fahrgäste ausgelassen genossen hatten, wieder still standen, erkannte die Jägerin, dass es der Schatten nun fast geschafft hatte. Er hatte bereits seine Klauen durch das Plastik des Sitzes in den Rücken des Mannes geschlagen. Die Jägerin wusste, dass physische Barrieren wie Plastik oder Haut und Knochen die Schatten nicht aufhalten konnten und sie so auch keinen physischen Schaden hinterließen, wenn sie sich hindurch bewegten. Mit einem plötzlichen Satz sprang der Mann auf und riss seine Begleiterin von dem Karussell und warf sie zu Boden. Dies war der Augenblick auf den Angel gewartet hatte. Jetzt konnte sie eingreifen, da der Schatten in einen neuen Wirt eingedrungen war. Sie blieb aber wie versteinert stehen, als plötzlich vier weitere Menschen – zwei Männer, eine Frau und ein kleines Mädchen – zu dem Mann rannten, der gerade brutal auf die am Boden liegende Reporterin einschlug, und sich ihm anschlossen.
„So viele“, entfuhr es Angel, als sie sich bereit machte zu kämpfen. In einem einzigen Herzschlag hatte sie sich einen Überblick verschafft und wollte gerade los laufen, als eine rasche Bewegung, die sie aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte, doch noch innehalten ließ. Sie erkannte Seth sofort, einen Wächter und Jäger wie sie eine war. Er nickte ihr nur kurz zu und gemeinsam rannten sie auf die Menschen zu, die noch immer auf die Frau einschlugen. Einen nach dem anderen zerrten Seth und Angel sie weg, rangen mit ihnen, bis sie ihnen eine Hand auf das Gesicht legen und so das dunkle Wesen bannen konnten, das von ihnen Besitz ergriffen hatte. Es gelang ihnen bei allen, einzig bei dem kleinen Mädchen war sich Angel sicher, dass ihr der Schatten entkommen war. Das Kind hatte sich so heftig geweht, dass die Jägerin, die vor ihm in die Hocke gegangen war, das Gleichgewicht verloren hatte, und sich mit einer Hand am Boden hatte abstützen müssen. In diesem Augenblick hatte Angel geglaubt zu spüren, wie ihr der Schatten entglitten und in die Ritzen des Bodens geflüchtet war.
So schnell wie alles begonnen hatte, war es auch wieder vorüber. Angel nickte Seth noch einmal zu, dann gingen beide ihrer Wege. Es war selten, dass zwei ihrer Art am selben Ort auf einander trafen. Und wenn dies geschah, so wechselten die kaum ein Wort miteinander. Die Wächter und Jäger hatten ihre eigene Art zu kommunizieren, die genauso wenig auffällig war wie ihre Erscheinung. Angel suchte sich wieder ein Hochhaus aus, auf dessen Dach die bis zum nächsten Mal Wache halten konnte. Als sie auf ihre Weg nach oben um eine Ecke bog, stand das kleine Mädchen von eben vor ihr. Mit großen, braunen Augen fixierte sie die hoch gewachsene, ganz in Schwarz gekleidete Frau. Mit ihrer kindlichen Stimme sprach sie: „ Ich suche nach dem Weg zu den Zaubern. Du warst schon dort. Zeig ihn mir!“ Angel lächelte die Kleine traurig an, legte ihr kurz eine Hand auf den Kopf, ehe sie mit wehendem Mantel um die Ecke verschwand. Nur ihre Stimme war noch dort, wo sie eben gestanden hatte: „ Tut mir leid, du wirst ihn in diesem Leben nicht gehen!“