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Autor: knochengott

Erstellt am: 19.11.2006

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destabilisation/stagnation



Geschrieben von:   knochengott


Teil des Episodenwerkes: H2SO4

  - Einleitung
  - Kapitel 1: aktion/reaktion
  - Kapitel 2: isolation/extraktion
  - Kapitel 3: initiation/adaption
  - Kapitel 4: infektion/immunisation
  - Kapitel 5: fragmentation/ rekombination
  - Kapitel 6: desensibilisation/resensibilisation
  - Kapitel 7: destabilisation/stagnation
  - Kapitel 8: explosion/implosion


Ich schrecke hoch, blicke mich um, das Zimmer schwingt vor und zurück, seltsames Licht herrscht. Ein fremdes Bett, fremdes Zimmer, fremdes ich. Violette Schatten huschen kichernd über die Wände. Das Haus stellt knarrend Fragen, ohne die Antworten abzuwarten. Die Bettdecke hat meinem Beine gefesselt, schmiegt sich verlogen an mich, liebkosend, verzweifelt. Ich strample mich frei, stürze seitlich aus dem Bett, überschlage mich und lande unsanft. Zitternd raffe ich mich hoch, stürze ans Fenster. Für einen Moment dreht sich mein selbst mir zu und erkennt mich mit knapper Not. Die Wohnung hat Ashok für uns organisiert, Owen und Henry schlafen nebenan. Und ich brauchte mal wieder etwas Abstand von mir. Mein Geist wendet sich angewidert ab. Meine Finger sind in violettes Licht getaucht, sie zittern über die Scheibe. Ich blicke nach oben und würge ein auflachen hervor. Der Mond strahlt violett. Halluzinationen. Der Geruch nach verbranntem dringt zu mir durch, er ist beißend und fettig. Ich dreh mich um und suche den Raum ab. Nichts zu sehen. Der Boden schlägt Wellen, als ich durch das Zimmer laufe, steigt und sinkt rhythmisch unter meinen Füßen. Ich strauchle, bleibe aber senkrecht. Ich durchsuche das Zimmer und obwohl der Brandgeruch stärker und stärker wird kann ich die Ursache nicht finden. Schließlich liege ich auf dem Boden und gleite geschmeidig auf meine Bett zu. Darunter ist ein funkeln zu sehen. Fast ohne Reibung schlüpfe ich über den vereisten Boden, kann mich kaum bremsen, so dass ich mich mit den Händen an der Wand abfangen muss. Es funkelt unter mir und um mich herum. Ein verzerrtes Bild meiner selbst wird höhnisch vom Boden reflektiert. Eiszapfer hängen mir vorm Gesicht und frostig bildet mein Atem kleine Wolken. Ich nehme meine Hände von der Wand, die Kälte prickelt und brennt in ihnen und mit entsetzen stelle ich fest, dass sie es sind, die stinkend und schmelzend brennen. Ich schreie, leise und rostig. Versuche die Hände unter meinen Körper zu zwingen, um die Flammen zu ersticken. Bäume mich dabei auf und spüre einen Schlag gegen den Kopf. Aus.

Das plärren des Fernsehers und der Geruch von Kaffee wecken mich. Meine Arme kribbeln, die Handgelenke schmerzen. Warum liege unter dem Bett und zudem auf meinen Händen? Bruchstückhaft fällt es mir wieder ein. Eine Staubfluse liegt direkt vor meinem Gesicht. Ich puste sie weg, wirble dabei nur noch mehr Staub auf und beginne abwechselnd niesend und fluchend unter dem Bett hervor zu kriechen. Meine Schultern, Arme und Hände protestieren heftig, aber erfolglos. Ich komme unter dem Bett hervor und stemme mich daran hervor. Sehe mich um. Alles ist durcheinander, Schränke offen, Bücher und Klamotten wild im Zimmer verteilt, die paar vorhandenen Möbel in der Zimmermitte zusammengerückt. Ich seufze. Scheißnacht.

Henry sitzt bei Kaffee und nichts in der Küche. Er sieht kurz hoch, schenkt mir ein grinsen.
„Nimm dir Kaffee.“
Ich akzeptiere wortlos. Er schaut mich noch eine weitere Sekunde an.
„Siehst aus als könnteste ihn gebrauchen.“ Er grinst in seine Tasse hinein, die eine Augenbraue spöttisch erhoben. Ich schmolle und fülle eine Tasse mit schwarzem Leben.
Aus dem Bad klingt verzerrte Rockmusik. Owen singt laut mit. Natürlich falsch. Ich bete um zwei Wunder. Das er aufhören möge und das er das Bad schneller verlassen würde, als mein Drang nach chemischer Blockade mich übermannen könnte. Unverdrossen singt Big-O weiter und auch das rauschen der Dusche hält an. Gott hat wohl mal wieder alle Hände zu tun nehme ich an. Alter Spielverderber.
„Essen?“
ich werde aus dem Gedanken gerissen und starre Henry einen Moment hirnlos an.
Essen? Ich?
Der Gedanke sucht umsonst eine Resonanz. Mir dämmert das Henry wirklich das meinte, was zu vermuten nahe liegt. Ich winke ab.
Im Bad verstummt das einlullende Rauschen der Dusche und, mit Gottes Hilfe, Owens Gesang. Ich leere mein Tasse mit einem Schluck, als Owen auch schon pfeifend und eine Wasserspur hinterlassend die Küche betritt. Er trägt einen Lendenschurz von Handtuch.
„Morgen!“ blökt er mich an und gibt mir im vorbeigehen eine sachte Kopfnuss. Ich zucke zusammen und fliehe ins Bad, das noch tropisch feucht nach Owens Shampoo riecht. Das heiße Wasser ist fast alle, der Boiler zeigt nur noch ein paar Liter an. Ich hangle mich aus meinen Klamotten, während Henrys Kaffee zu wirken beginnt. Obwohl Raketentreibstoff dem Gebräu wohl gerechter werden würde. Die Sachen landen in einer Ecke, ich lasse heißes Wasser über mich laufen, wasche den schmierigen Schweißfilm ab. Das heiße Wasser ist wie erwartet rasch alle und plötzlich übergießt mich ein eisig kalter Strahl. Schnell springe ich aus der Dusche und bemerke, dass ich keine sauberen Sachen mit ins Bad genommen habe. Ich schnappe mir mein Handtuch, das etwa viermal so groß wie Owens ist und wickel mich komplett darin ein. So eingehüllt komme ich zurück in die Küche, die von lautem Reden erfüllt ist. Mein Stuhl ist von Ashok besetzt, er muss wohl gerade gekommen sein. Er hält eine Tasse in der Hand und ein schneller Blick auf die leere fleckige Kaffeekanne lässt meinen Lebensmut sinken. Fast in der Atmosphäre ist mir doch tatsächlich der Treibstoff ausgegangen.
Houston wir haben ein Problem!
Ich stoße das einzige Wort aus, das immer ohne Probleme über meine Lippen kommt und die Unterhaltung stockt mitten im Satz. Ashok dreht sich zu mir herum, wird von meinem bösen Blick durchbohrt und lächelt gleichmütig. Ich gestikuliere in Richtung Kaffeemaschine, dann auf mich, dann auf ihn und grolle.
„Ah.“ Ashok nickt verstehend „ Mir war doch so, als ob ich Wrack fasch verstanden hätte.“ Lächelt schelmisch und nimmt die Tasse an den Mund. Schlürft genüsslich einen Schluck, zwinkert mir mit dem linken Auge vergnügt zu und da kann mich mein grinsen nicht mehr halten. Owen und Henry platzen gleichzeitig heraus und als sich Ashok auch noch an seinem Kaffee verschluckt dröhnt die Küche vor Gelächter.

„Es ist wie es ist und wie es war.“ Meint Ashok und ich glaube leichte Verärgerung erkennen zu können. Ich habe mich inzwischen an derartige Zen-Sätze gewöhnt und verstehe die Notwendigkeit ihrer Aussage für Ashok. Seine Kaffeetasse ist inzwischen geleert, ich trinke eine Cola als Rettungsanker und Ashok hat genug gesagt, um das Lachen zu vertreiben.
Nichts Neues von der Front.
Oder eher doch Neues, nur nichts Erfreuliches für uns. Die erwarteten Anrufe bleiben aus, der Termin verstrich ereignislos, die Anlage ist von nicht gekennzeichneten Männern abgeriegelt. Alles streng geheim, sehr vertraulich und fürn Arsch. Mehr hat Ashok nicht herausfinden können. Wer sie sind ist nicht ganz klar. Aber eins ist klar – der Krieg hat begonnen und wir haben es nicht bemerkt. Wir schweigen. Owen schiebt seinen Stuhl zurück und steht auf.
„Bin kurz weg.“ Meint er und geht aus der Küche, aus der Wohnung und nach dem knallen der Tür zu urteilen aus dem Haus.
„So eine scheiße.“ Henry sagt es nicht laut aber es klingt bitter. Was sollen wir jetzt tun? Zurück auf Anfang als ob nicht gewesen wäre? Als ob wir nicht wüssten was wir wissen?
Nein, undenkbar.
Aber was dann?
Ich sehe mich in der Küche um. Ashok sitzt mit unbeweglichem Gesicht da, Henry spielt mit seiner Tasse, der Abwasch türmt sich in der Spüle. Also stelle ich meine Coladose hin und lasse heißes Wasser in die Spüle einlaufen. Hinter mir kratz ein Stuhl über den Boden, dann steht Henry mit einem Tuch neben mir und nimmt mir die erste Tasse ab. Am Küchentisch raucht Ashok. Keiner sagt etwas.
Die Haustür knallt, jemand rennt die Treppe hinauf, dann klirrt ein Schlüssel. Owen wirft die Zeitung auf den Tisch und fährt sich durch die Haare.
„Mann sind wir blind!“ stößt er hervor und dreht sich mit den Händen in den Haaren einmal um die eigene Achse, schnaubt frustriert auf und deutet mit einer Hand auf die Zeitung.
„Schaut es euch mal an. Das Scheißding ist voll davon und wir haben nichts gemerkt. So eine verfluchte Scheiße!“
Wir schlagen die Zeitung auf, quetschen uns zu dritt an den Tisch. Henry riecht nach Spülmittel, das Handtuch auf seiner Schulter riecht danach.
Und wir sehen es.
Unerklärliche Amokläufe in Schulen. Plötzlich aufgetretene Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Vergiftete Lebensmittel. Zerfetze Leichen im Park, teilweise angefressen. Guerillataktik.
Es hat begonnen.

„Irgendwas muss schief gegangen sein.“ Ashok zieht nachdenklich an seiner Kippe und lässt alle Schnörkel und Spleens weg. „ Irgendjemand muss eine Verbindung hergestellt haben, wo keine hergestellt werden sollte. Vielleicht einer von innen? Oder doch von außen? Egal, jetzt sind wir abgeschnitten, lahm gelegt, ohne Plan, ohne Ziel.“
„Was machen wir jetzt?“ fragt Owen über unsere Köpfe hinweg. Wir sehen ihn an, einander und schlussendlich Ashok. Der drückt die Kippe aus und seufzt.
„Das schwerste von allem – wir warten. Warten was passiert.“
„Aber wir können doch nicht nichts tun!“ Owen wird etwas laut, was ich verstehen kann. Er lehnt sich mit dem Rücken an den Kühlschrank und sieht so verdammt hilflos aus.
„Was bleibt uns?“ fragt Ashok und darauf kann keiner etwas erwidern. Wir schweigen lange. Schließlich bewegt sich Owen, stößt sich von Kühlschrank ab und öffnet ihn.
„Ich brauchn Bier. Noch wer eins?“
Henry und ich nicken, Ashok verzichtet.
Owen schaut lange, schiebt Sachen herum und schließlich knallt die Tür wieder zu.
„Nur noch eins da!“ er schnaubt wieder.
„Lasst mal Nachschub organisieren. Und was zu fressen wäre auch nicht schlecht. Ich brauch was in den Magen. Am besten gleich für paar Tage, dann können wir die Köpfe unten halten.“
Ashok klirrt mit seinem Schlüsselbund.
„Ich fahr euch.“

Ashoks Auto ist einer dieser asiatischen Schlitten, sehr flach und klein, weiß lackiert, in den wir alle vier gerade so reinpassen. Owen sitz wegen der Größe vorn, Henry und ich hinten. Ashok lässt den Motor an und Gejaule erfüllt den wagen.
„Was zur Hölle ist denn das?“ fragt Owen und verzieht angewidert das Gesicht.
„Frank Sinatra, du Banause.“ Kontert Ashok und klingt ein wenig säuerlich. „Reich mal das Bier rüber, euer Herr und Meister braucht doch eine Ölung für seine Nerven.“ Owen reicht ihm die Dose und langt danach zum Radio. Seine hand stockt wenige Zentimeter davor.
„Und auch dieses Labsal werde ich genießen.“ Sagt Ashok halb in die Dose hinein.
„Ist ja okay, oh Meister. Jetzt lass mich los.“ Owen zieht seine Hand zurück und reibt mit der anderen darüber.
„Warum ist das eigentlich so verflucht kalt, wenn du das machst?“ murrt er. Ashok ignoriert die Frage und drückt ihm die Dose wieder zurück.
„Old blue eye für mich und Bier für die niederen Bücklinge.“ Meint er und fährt los.
Und so schlecht ist dieser Frank gar nicht.

Der Anblick der lärmenden Massen schlägt mir auf den Magen. Wir stehen in der Tür des Supermarktes und fangen neugierige Blicke ein. Ich fühle mich gestrandet. Der Gedanke in dieses lärmende Chaos einzutauchen bereitet mir Übelkeit. Ich drehe mich zu Henry um, der im grellen Neonlicht wie ein gepfählter Vampir aussieht und tippe ihm auf die Schulter. Er sieht rüber, ich lege die Faust in den Schritt und wackele mit nach vorn gerichtetem Zeigefinger. Er nickt.
„Wir warten.“
Schnell bewegen sich meine Beine den Gang hinunter auf das Klo zu, die beiden Buchstaben rot wie Brandzeichen an der Tür. Ich betrete die Toilette, suche eine Kabine auf, die Tür knallt, das Schloss klickt – allein. Die Tüte steckt tief in der Hosentasche, ich stoße die Hand fest hinein und ziehe sie an einer Ecke fassend heraus, drehe sie im grellen Licht hin und her. Suche die zartrosanen. Finde und nehme zwei. Trinke noch schnell ein paar Schluck Wasser und finde meinen Weg nach draußen.

Der Einkauf gleicht einer Odyssee durch michelangelosche Sphären. Zartes Licht, gedämpfte Laute, fliesende pastellfarbene Bewegungen. Lächelnde Glückseligkeit, sinnlos, gefühllos um mich herum. Mein Gehirn wird gespeist von Honig und Zucker.
Weiche Wattewelt.

Plärrend drängt irgendwann die Wirklichkeit zurück. Langsam wird alles wieder klarer, rauer, fieser. Hässlicher – willkommen zurück. Raue Welt du hast mich wieder. Die Stones lärmen durch das Auto, ich starre aus der Windschutzscheibe, Ashok neben mir. Ich lange mit einer immer noch unrealistisch glatten Bewegung zum Radio und stelle es etwas leiser. Stöhne auf, als der Druck auf meine Ohren sich vermindert und dadurch meine Kopfschmerzen nach außen drücken können.
„Ah, wieder bei uns?“ schreit mir Henry von hinten ins Ohr. „ Na herzlichen Dank auch!“ Warum klingt er nur so angewidert? Und warum funkelt mich Owen im Rückspeiegel böse an? Und was hat Ashok da in der Hand?
Das braun der Bierflasche harmonisiert hervorragend mit dem Braunton seiner Jacke und sogar die feingliedrigen Finger bilden einen sowohl kontroversen als auch auflockernden Kontrast dazu. Ich schüttle den Kopf. Es dauert eine Weile bis die Wirkung der zartrosanen nachlässt, sie setzt sich etappenweise ab. Grässliches Zeug. Ich schließe die Augen und schalte ab.

Gedämpftes Fluchen und hektisch blaues flackern erwartet mich, als ich sie wieder öffne. Ein Bulle fährt vor uns und sendet uns per Leuchtschrift Folgeanweisungen. Ashok drückt mir die Bierdose in den Schritt, die zwar halbleer aber nichtsdestotrotz verschwenderisch ist. Meine Jeans nimmt Bier auf. Die bremsen treten in Kraft, wir halten.
„Keiner sagt einen Ton.“ Sagt Ashok und legt die Hände aneinander. Im schnellen Muster verschränkt und löst er die Finger, dreht die Handflächen und ich kann eine Art elektrisches prickeln spüren. Die Haare in meinem Nacken richten sich kurz auf. Er hat eine Barriere gefestigt, ich weiß nur nicht ob physisch oder psychisch. Und bin erstaunt über seine Fertigkeiten. Ich hätte dafür noch weit ausholenden Bewegungen und mehrere Minuten gebraucht. Dann sind die Bullen schon da und beugen sich zu Ashok herunter. Er stellt das Radio ab.
Bis zu dem Moment bin ich mir sicher das es nur um das Bier geht, das Ashok in der Hand hatte, doch als ich die Augen des ersten Bullen sehe, wie sie sich verändern, als er Ashok ansieht, bin ich mir nicht mehr sicher. Es ist etwas anderes.
Sie bitten Ashok um Ausweis und Papiere, ohne mit einem Wort auf den Biergestank einzugehen oder uns eines Blickes zu würdigen. Ashok gibt sie ihnen und während der eine Bulle zum Auto zurückgeht um ihn zu überprüfen bleibt der andere bei uns. Er steht auf meiner Seite, direkt neben dem Kotflügel und beobachtet Ashok unablässig durch die Windschutzscheibe. Mir fällt auf, dass seine rechte die ganze Zeit auf dem Kolben seiner Waffe liegt. Alarmsirenen schrillen in meinem Kopf. Ich beuge mich zu Ashok rüber um ihn darauf aufmerksam zu machen, doch ehe ich den Mund öffnen kann wirft mir Ashok einen Blick zu der meine Lippen versiegelt. Er weiß was hier gespielt wird. Ich lasse mich wieder in den Sitz fallen und seufze. Sofort zuckt der Bulle zusammen.
„Habe sie was gesagt? fragt er in scharfem Ton, der aber nur knapp an Panik entlang schrammt. Er hat eine Mordsangst. Was zur Hölle ist hier los?
Ashok schüttelt den Kopf und schaut mich böse an. Der Bulle kommt näher und schaut Ashok misstrauisch an.
„Wie war das noch mal? fragt er erneut und steckt den Kopf durchs Fenster herein. Er ist keinen halben Meter mehr entfernt.
„Ich habe nichts gesagt.“ Ashok ist die Ruhe selbst. Der Bulle dreht den Kopf nach links, sieht auf die Rückbank und dann mich direkt an. Und gleichzeitig durch mich hindurch. Er schnüffelt.
„Riechen sie das?“ fragt er.
„Was?“
Der Bulle schnüffelt stärker. Der Biergestank hier drinnen ist für mich kaum zu ertragen.
„Kommt mir vor, als würde es nach Bier riechen.“ Meint der Bulle, als sein Funkgerät zu schnarren beginnt. Mit einem letzen grimmigen Blick auf Ashok zieht er den Kopf zurück und geht ein paar Schritte beiseite, während er kurz ins Funkgerät redet und lauscht. Dabei lässt er uns nicht aus den Augen. Dann hängt er das Funkgerät wieder ein und gleichzeitig steigt der zweite Bulle wieder aus. Beide nähern sich jetzt dem Wagen, beide mit der rechten Hand an der Waffe. Ein kleiner Augenkontakt und dann ziehen beide gleichzeitig.
„Hände ans Lenkrad, so das ich sie sehen kann!“ brüllt der Bulle vor der Motorhaube. Er zielt durch die Windschutzscheibe auf Ashoks Kopf, der andere keinen Meter neben mir durch das Seitenfenster. Er ist so nah, dass ich seine Waffe berühren könnte. Und da wird mir klar, dass ich das tatsächlich könnte und er es nicht merken würde, bis ich sie in der Hand halten würde.
Er sieht mich nicht, sie beide sehen Owen, Henry und mich nicht.
Langsam hebt Ashok die Hände und legt sie aufs Lenkrad. Dabei sieht er Bulle Nummer eins unablässig an.
„Und jetzt raus aus dem Wagen und halten sie ihre Hände so, dass ich sie die ganze Zeit sehen kann, klar?!“ Als ob an der Eindeutigkeit dieser Aussage etwas unklar wäre. Was die Worte nicht sagen, drücken die beiden und ihre Haltung aus. Sie hoffen geradezu auf einen Fehler, denn sie haben immer noch Angst.
Das ist interessant. Trotz Waffen und obwohl sie zu zweit sind haben sie Angst.
Ashok nimmt die linke vom Lenkrad und öffnet die Tür. Er steigt aus, bewegt sich betont langsam und hält die geöffneten Hände in Brusthöhe. Als er neben dem Wagen steht erhebt sich auch Bulle Nummer zwei und zielt jetzt über das Wagendach auf ihn.
Das ist gut so, denn der Drang ihm die Waffe aus der Hand zu pflücken war fast übermächtig stark.
„Hände aufs Dach, die Beine auseinander!“ Es ist immer noch Bulle Nummer eins, der die
Befehle gibt. Ashok dreht sich herum, schlägt mit dem Ellenbogen die Tür zu und lehnt sich wie befohlen dagegen. Spreizt die Beine leicht und tritt sogar noch einen Schritt zurück. Es ist perfekt.
„Tom, legt ihm Handschellen an!“ Bulle Nummer zwei, Tom, steckt seine Knarre weg und zaubert Handschellen hinter seinem Rücken hervor. Dann setzt er sich in Bewegung, läuft hinten ums Auto herum, was mir im ersten Moment sehr dämlich vorkommt. Immerhin ist der Weg so viel länger als vorn rum. Aber dann müsste er durch das Schussfeld von Bulle Nummer eins und das widerspricht wohl irgendeiner Vorschrift. Also hinten rum. Er schlägt einen großen Bogen um Ashok und nähert sich ihm dann von hinten.
„Beide Hände an den Kopf!“ Jetzt ist es Tom, der Befehle erteilt. Die geöffnete Handschelle in seiner linken blitzt grell. Ashok bewegt sich leicht, Tom tritt näher, die Handschelle klickt. Ich merke, dass ich den Atem angehalten habe und atme flach aus.
Nichts passiert.
„Die Arme hinter den Rücken!“ Tom klingt gepresst, fast angestrengt. Ashok senkt die rechte hinter den Rücken und kurz darauf auch ohne Befehl die linke. Ist ja auch klar, dass das der nächste logische Schritt gewesen wäre. Die zweite Handschelle klackt. Jetzt muss es soweit sein.
Und wieder passiert nichts.
Bulle Nummer eins holt seine Waffe und nickt Tom zu. Ein mürrischer Ausdruck belegt sein Gesicht. Zu glatt gegangen für seinen Geschmack.
„Pack ihn ein Tom, ich informiere die Zentrale.“ Noch während er es sagt dreht es sich schon zum Wagen um und geht los.
„Okay.“ Immer noch kein Name. Das macht mich wahnsinnig. Owen, Henry, Stuart, Ashok, Tom und? Warum zur Hölle hat er keinen Namen? Ich möchte aussteigen, ihn aus dem Wagen zerren und fragen, was das zu bedeuten hat. Nur die klar erkennbare Dummheit dieser Aktion hält mich zurück.
„Also los.“
Tom führt Ashok zum Polizeiwagen, öffnet die hintere Tür und lässt ihn Platz nehmen. Dann steigt er selber vorne ein. Und wieder halte ich den Atem an, mache mich bereit.
Doch nicht passiert.
Nach ein paar Minuten springt der Wagen an und fährt auf die Straße zurück.
Jetzt!
Ich halte die Fäuste geballt und beobachte weiter, warte auf etwas. Meine Fäuste schmerzen. Der Wagen verschwindet in der Ferne.
Und noch immer passiert nichts.