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Autor: Anetreus

Erstellt am: 30.09.2006

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Eine Reise in die phantastischen Möglichkeiten der männlichen Selbstbeherrschung



Geschrieben von:   Anetreus


Anmerkungen des Autors:
Ende 2003





Der Autor hat folgende Stimmungen f�r sein Werk angegeben:
gespannt
belustigt



Jeder Mann kennt doch den Effekt, wenn einem eine attraktive Frau vor der Nase herläuft: Man muss hinsehen. Manche starren, manche schielen heimlich, aber es ist immer das Selbe.
Eigentlich kein Problem, werden viele sagen. Wenn die Frau so geil aussieht, dann gucke ich eben ein bisschen, merkt ja keiner. Habt ihr aber schon mal absichtlich versucht, nicht zu gucken? Auf die Gefahr hin als unzivilisiert und unbeherrscht dazustehen, gebe ich zu: Das ist verdammt schwierig! Aber warum sollte man nicht hinsehen wollen? In meinem Fall war das ganz einfach: Meine Ex-Freundin hat mich darauf aufmerksam gemacht. Nein, dass ist zu höflich ausgedrückt – sie hat mir die Hölle heiß gemacht deswegen.
Also ich will mal mit der Geschichte ganz von vorn beginnen.

Aaliyah ist der Name meiner damaligen Freundin. Von ihrer arabischen Mutter hat sie vermutlich das Temperament geerbt, dass man in unserem kalten Norden südlichen Frauen so gerne nachsagt. Damals hatte ich gerade den ersten Job meines Lebens begonnen und zwar als Fotograph. Ich hatte sogar das große Glück, gleich in meinem Interessengebiet anfangen zu können, nämlich der Aktfotographie. Nee, kein Porno, wie manche von euch jetzt grinsend denken, sondern Erotik mit Stil. Das erwähne ich auch nur, um den nötigen Hintergrund für Aaliyahs Argumentationen aufzubauen.
Wir saßen draußen vor einem Café und studierten die Getränkekarte, als der ganze Mist begann.
„Musst du das immer machen?“
Aaliyah hatte die Karte sinken lassen und fixierte mich auf diese besondere Art, wo man sich gleich schuldig fühlte, ohne zu wissen, warum.
Ich ließ meine Karte, die mir jetzt ein schützendes Bollwerk war, nur ein kleines Stück sinken.
„Was denn?“
„Dass du denen immer nachschauen musst.“
Aaliyah nickte in die Richtung der drei jungen Frauen, die eben unseren Tisch passiert hatten. Tatsächlich wurde mir jetzt erst klar, dass ich die Formen der drei Mädchen ohne Ausnahme betrachtet hatte. Ich spielte den Unschuldigen und drehte mich in die Richtung, in die Aaliyah gedeutet hatte und machte damit den nächsten dummen Fehler. Denn meine Augen gehorchten ihren geschulten Reflexen und tasteten die drei Frauen nochmals von oben bis unten ab, wenn auch in wesentlich kürzerer Zeit.
„Du tust es schon wieder!“
„Was denn?“
„Stell dich nicht blöd! Du hast sie angestarrt!“
Hätte ich leugnen sollen? Die Empörung, die plötzlich in Aaliyahs dunklen Augen stand, veranlasste mich, es auf die vernünftige Art zu versuchen.
„Entschuldige, aber in meinem Job eignet man sich ein Auge für die weibliche Ästhetik an.“
Mit dieser kühlen, professionellen Aussage hoffte ich ihr hitziges Temperament abzukühlen. Genauso gut hätte ich versuchen können, mit einem Eiswürfel gegen einen beginnenden Waldbrand vorzugehen.
„Das passt dir jetzt aber gut, dass du deinen Schmuddeljob als Ausrede für deine Gafferei benutzen kannst!“
Jetzt ließ ich die Getränkekarte auf den Tisch fallen.
„Schmuddeljob?“
„Ich glaube fast, es ist umgekehrt: Du hast den Job, weil du dann noch mehr gaffen kannst!“
„Hey, das ist unfair!“
„Ich finde es würdelos, wie du dich verhältst. Und außerdem ist es reichlich unverschämt, dass du in meiner Gegenwart andere Frauen anstarrst!“
Ihr merkt schon, aus dieser Situation gab es kein Entrinnen. Dieser Streit setzte das in Gang, was unsere Beziehung schließlich zum Scheitern verurteilte, obwohl ich damals nicht das Wort ‚Scheitern‘ gebraucht hätte. Aaliyah war alles für mich und um sie zu halten, hätte ich auch alles getan. Ich redete mir damals ein, dass das nur ein vorübergehendes Tief und bei weitem nicht das Ende sei.
Als sie mich sitzen ließ, rief ich ihr nach, das ich mich ändern würde.
Und das tat ich.

Der Vorsatz, keine Frauenkörper mehr zu betrachten, außer es diene meiner Arbeit, kam mir lächerlich einfach vor. Ich ärgerte mich, dass ich mich nicht schon früher so verhalten hatte.
Was für eine schwere Aufgabe ich mir vorgenommen hatte, merkte ich bereits am nächsten Morgen, als ich mit der Straßenbahn zur Arbeit fuhr. Ich hatte einen Fensterplatz in der Nähe der Türen und merkte erst bei der vierten Schönheit, die ich beim Einsteigen beobachtete, dass meine Augen anscheinend noch nichts von meinem neuen Vorsatz mitbekommen hatten. Ruckartig wandte ich meinen Blick ab, nur um an einer zarten Rothaarigen hängen zu bleiben, die sich in Erwartung eines weiteren, heißen Sommertages recht leicht bekleidet hatte.
Impulsiv sprang ich auf, eilte ins nächste Abteil und setzte mich einem Hundertfünfzig-Kilo-Typen gegenüber, seine Körpermasse als Sichtschirm nutzend.
Im Studio erwartete mich glücklicherweise normale Fotografie. Ich wurde abgestellt, um für und von den Kindern einer Grundschulklasse Portraits zu schießen, was an diesem Tag nie gekannte Begeisterung für solch gewöhnliche Tätigkeit bei mir auslöste.
In der Mittagspause rief ich Aaliyah an, aber die wollte nichts von mir wissen. Allmählich drang eine Ahnung der Wahrheit durch mein Bollwerk der Selbsttäuschung. Konnte mich Aaliyah wirklich einfach so abschreiben? Verdammt, was sollte ich tun?
Meine nächste dumme Entscheidung war, den Job zu kündigen. Am Abend des selben Tages rief ich Aaliyah an, um ihr diese erfreuliche Nachricht mitzuteilen, aber die Frau wollte immer noch nichts von mir wissen. Gut, redete ich mir ein, sie braucht Zeit. Und diese Zeit werde ich nutzen, um zu üben.
Von einem Bekannten bekam ich den Tipp für einen Übergangsjob, bis ich neue, ‚anständige‘ Arbeit gefunden hätte und machte mich auf dem Weg zum Einstellungsgespräch. In der Straßenbahn nahm nach zwei Haltestellen mir schräg gegenüber die Blondine Platz, die ich schon öfters auf meinem Weg zur Arbeit gesehen hatte. Sie war etwa einen Meter achtundsechzig bis siebzig groß, musste ungefähr fünfundsechzig Kilogramm wiegen, hatte eine makellose helle Haut, nicht zu blass, und goldblondes Haar – ich tat es schon wieder! Der mir am nächsten sitzende Fahrgast erschrak, als ich meinen Kopf gegen die Kunststoffscheibe knallte. Mit Mühe verdrängte ich die Gedanken an die Anatomie der blonden Schönen und betrachtete die vorbeiziehenden Häuserfronten.
Der Job schien mir zunächst harmlos. Ich saß an meinem Tisch und telefonierte durch die Gegend, hatte also nicht mit Menschen von Angesicht zu Angesicht zu tun. Ein paar Tage ging es gut und ich kam sogar in der Straßenbahn und auf allen anderen öffentlichen Wegen und Plätzen gut zurecht. Einmal nur lief ich gegen eine Straßenlaterne, als ich es krampfhaft vermied, der hübschen Lady vor mir auf den Hintern zu gucken.
„Das kommt davon, wenn man jungen Frauen hinterhergafft“, belehrte mich eine Alte.
„Ich hab sie nicht eine Sekunde angegafft!“ brüllte ich der alten Dame ins Gesicht und lenkte damit nicht nur die allgemeine Aufmerksamkeit weiterer Passanten, sondern auch die spezielle Aufmerksamkeit der Frau auf mich, der ich optisch ausgewichen war. Es war klar, was sie alle über mich dachten und ich war verdammt wütend, so missverstanden zu werden. Eine prächtige Beule sorgte dafür, dass meine Wut so schnell nicht erstarb.
Zwei Tage später musste ich feststellen, dass mein Telefonplatz nicht so gut war, wie ich dachte. Die anderen Telefonplätze befanden sich hinter mir und lagen damit außerhalb meines Gesichtsfeldes, was ziemlich gut war, denn einige der jungen Telefondamen stellten eine große Versuchung dar. Vor mir befand sich nur eine Wand – prinzipiell ist daran nichts auszusetzen. An dieser Wand war eine große Metalltafel angebracht, auf der mit Magneten wichtige Mitteilungen befestigt wurden. Und nun stand plötzlich dieses Mädchen vor der Tafel und studierte die neue Pausenregelung. Mein Blick hing zunächst an ihrem zarten Hals, wanderte über den Rücken hinab zur schlanken Taille, über ihren Po zu den Schenkeln – abrupt drehte ich meinen Bürostuhl um neunzig Grad und wäre fast heruntergefallen. Weglaufen konnte ich nicht, da mein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung nicht zu erzählen aufhörte. Egal, ich wollte es schaffen und nahm meine ganze Kraft zusammen, während der Kugelschreiber in meiner Hand völlig sinnlose Notizen zum Gespräch schrieb.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die Frau ihre Frisur löste und gedankenverloren ihr langes, blondes Haar schüttelte, während sie noch immer die Mitteilungen betrachtete. Ich konnte einfach nicht wegsehen – diese weibliche Geste sprach meinen Sinn für Schönheit dermaßen an, wie Käse eine Ratte. Irgendwo zog ein Kollege die Fenstervorhänge auf und Sonnenlicht badete die blonde Schönheit in goldenem Glanz. Ihr zarter Arm bewegte sich grazil, ihre schlanken Finger fuhren sanft durch das Engelshaar – mit einem Schrei sprang ich auf, der Telefonhörer polterte auf den Tisch. Auf dem Klo gewann ich meine Selbstbeherrschung wieder, kehrte zurück an meinen Platz, stellte unendlich erleichtert fest, dass die Frau verschwunden war, rief den Kunden an und erzählte ihm was von technischem Versagen. Doch die Wahrheit sah so aus, dass das Versagen überaus menschlich gewesen war.
Es wurde immer schwerer für mich. Fernsehwerbung, Werbeplakate und Internetbanner warfen mir professionell präsentierte Weiblichkeiten entgegen und machten mir meine selbst auferlegte Aufgabe noch schwieriger. Ich konnte es kaum fassen, als ich plötzlich merkte, dass ich beim Internetsurfen auf einen Werbebanner für Dessous geklickt hatte und mir die Angebote betrachtete. Mit einem Wutschrei packte ich mir den Briefaufschlitzer und rammte mir die Klinge mit soviel Kraft in die Hand, dass meine Rechte zusammen mit der Computermaus auf den Schreibtisch festgenagelt wurde.
Dem Notarzt log ich was von einem Haushaltsunfall vor und hatte Glück, dass keine Sehnen verletzt wurden.
Meinen Job konnte ich natürlich eine Zeit lang vergessen, da meine Rechte weder Tasten tippen noch Kugelschreiber führen wollte. Ich verschanzte mich in meiner Wohnung, zog die Jalousien nicht mehr hoch und ließ mich von Bringdiensten ernähren.
Am ersten Abend ging mein Fernseher drauf, als ich meine Zehnkilo-Hantel in den Bildschirm schleuderte. Warum, könnt ihr euch sicher denken. Zeitschriften wagte ich auch nicht zu lesen, ebensowenig ging ich online.
Die einzigen Beschäftigungen, die mir blieb, waren Essen und Krafttraining.
Als meine Hand es mir wieder gestattete, zur Arbeit zu gehen, ahnte ich nichts von den Rachegefühlen, die in meiner Rechten leise vor sich hinkochten. Ich sollte es nicht bis zu meinem Arbeitsplatz schaffen.
Eine Schwarzhaarige fuhr wenige Stufen vor mir die Rolltreppe hinauf und ich hatte einen exzellenten Blick auf ihre braungebrannten, wohlgeformten Beine. Meine Rechte traf mich hart aufs linke Auge, ich stürzte unter Aufschrei der anderen Rolltreppenfahrer die metallenen Stufen hinunter und trug nicht nur ein mächtig blaues Auge, sondern einige Kratzer und eine schmerzvolle Prellungen davon. Ein herzförmiges Gesicht mit tiefgrünen Augen, umrahmt von kastanienbraunen Locken beugte sich zu mir herunter und fragte mitfühlend, ob ich Hilfe bräuchte. Panisch antwortete „Nein! Alles Okay! Wirklich!“ und lief wie vom Teufel gejagt davon.
Im Büro meines Chefs gab ich ein übles Bild ab. Blaues Auge, noch immer leicht bandagierte Hand und die letzten Spuren meiner abklingenden Straßenlaternen-Beule wirkten zusammen mit meiner äußerst kräftigen Statur nicht besonders vertrauenerweckend. Vermutlich dachte mein Chef, ich hatte noch einen Job als Türsteher oder Schuldeneintreiber. Mit viel Redekunst konnte ich ihn von Harmlosigkeit und purem Zufall der letzten Ereignisse überzeugen, aber trotzdem sollte ich mir noch zwei Tage Frei nehmen.
Es waren zwei sehr lange Tage, aber danach gelang es mir heile an meinem Arbeitsplatz anzukommen. Ich war erleichtert und stolz, es ohne Probleme bis hierher geschafft zu haben. Doch dann sagte mein Chef, dass ich zeitweise von der ersten in die letzte Reihe verlegt wurde, da die technische Ausstattung der vordersten Plätze modernisiert wurde.
Fünfzehn Kollegen saßen in meinem Blickfeld, davon waren zwölf weiblich und davon wiederum sechs unübersehbar attraktiv. Bevor ein Unglück geschah, bastelte ich mir aus Papier und Klebestreifen einen Sichtschirm, hinter den ich mich ducken und arbeiten konnte. Ihr könnt euch vorstellen, wie merkwürdig das auf meine Kollegen gewirkt haben muss.
Dummerweise musste man an der letzten Reihe entlang gehen, um zu den Toilettenräumen zu kommen und da Frauen relativ häufig und in Gruppen diese Örtlichkeit aufsuchten, musste ich über den Rand meines Sichtschirms immer wieder beobachten, wie sich weibliche Oberkörper vorbei bewegten. Wohlgeformte Brüste in engen T-Shirts, bloße schlanke Arme und zarte Hälse, umschmeichelt von weichem Haar sorgten schließlich dafür, dass ich meinen Job verlor. Der Telefonhörer, mit dem ich versucht hatte, mich selbst zu erschlagen, war zerbrochen und die Reinigung des Teppichs vom Blut kostete mich alles, was ich bisher mit dieser Arbeit verdient hatte.
Dem Arzt gegenüber hatte mein Chef wohl gewisse Andeutungen über meinen geistigen Zustand gemacht, denn nachdem meine Kopfwunde genäht worden war, legte man mir nahe, professionelle Hilfe aufzusuchen. Tja, soweit war es gekommen: Man hielt mich für irre!
Ich ging also zum Psychiater und dachte sogar, dass das eine gute Idee sein könnte. Vielleicht wüsste der eine Möglichkeit, mich von meinem ‚Auge für weibliche Ästhetik‘ zu befreien.
Ich erzählte dem Mann also meine Geschichte. Aber der schlug die Hände über den Kopf zusammen und rief: „Sie sind ja total verrückt!“
Und so etwas nennt sich Psychiater! Wütend sprang ich auf und verließ die Praxis. Der Mann besann sich, lief hinter mir her und rief „Sie brauchen Hilfe!“ aber ich blieb stehen, drehte mich zu ihm herum, in all meiner Größe und eindrucksvollen Zerschundenheit und antwortete: „Ja, aber nicht von Ihnen!“

Am Abend des nächsten Tages klingelte es an meiner Haustür. Schlecht gelaunt öffnete ich und hatte einen älteren Herrn von kleiner Statur vor mir, der mich durch eine dicke Brille anblinzelte. Draußen an der Straße stand ein Kleinwagen, auf dem Beifahrersitz saß eine Frau.
„Guten Abend, mein –“
„Was wollen Sie?“
„Darf ich vielleicht herein –“
„Nein. Sagen Sie was Sie wollen, oder gehen Sie.“
„Ich hab ihre Adresse von Doktor Meier, Sie wissen schon, der –“
„Ja, ja, ich weiß“, unterbrach ich ihn, bevor er das Wort ‚Psychiater‘ aussprechen konnte.
„Ich biete Ihnen Hilfe an –“
„Lassen Sie mich in Ruhe.“ Damit warf ich die Tür ins Schloss.
„Hilfe für Ihre Augen! Sie wissen schon!“ rief der Mann durch die Tür.
Ich stutzte. Langsam öffnete ich die Tür.
„Sie sind kein Psychiater?“ Jetzt hatte ich das Wort selbst ausgesprochen.
Der Mann grinste.
„Nein. Von solchen Leute halte ich nichts. Ich bin ein Praktiker und kann Ihnen wesentlich handfestere Hilfe anbieten.“
„Na, dann kommen Sie mal rein.“

Nachdem der Mann seinen Trenchcoat abgelegt und Platz genommen hatte, stellte er sich vor.
„Ich bin Erich Reinhold.“
„Wer ist die Frau da draußen?“
„Oh, die in meinem Wagen. Äh, ja, dazu komme ich später.“
„Gut.“
„Zusammen mit Gleichgesinnten habe ich vor einigen Jahren einen Verein gegründet, der nur Männer aufnimmt.“
Ich wurde wieder misstrauisch.
„So eine Selbsthilfegruppe?“
„Nein, nicht das, was Sie denken. Wir helfen uns zwar selbst, aber nicht durch Reden, sondern durch Taten. Wissen Sie, es ist für Männer wie uns recht schwierig, mit gewissen Problemen fertig zu werden, in einer Welt wie dieser. Die Menschen halten sich für zivilisiert und stellen ihre Vernunft über ihre körperlichen Bedürfnisse und man hat kein Verständnis dafür, wenn jemand die Schönheit einer Frau auf so unkontrollierte Weise, wie wir, bewundert. Meiner Meinung nach ist es aber so, dass unser Handeln von vielen Dingen bestimmt wird – aber kaum von Vernunft. Man kann sich wenig dagegen wehren. Dass man uns einreden will, wir wären unvernünftig, ist einfach ungerecht.“
„Das klingt schon viel besser.“
„Um im Alltag bestehen zu können, ohne sich von weiblichen Reizen ablenken zu lassen, haben wir ein paar besondere Techniken entwickelt.“
Reinhold zog ein Brillenetui aus der Westentasche, öffnete es und reichte mir die darin enthaltene Brille. Sie wirkte in keiner Weise ungewöhnlich, nur die Bügel waren vielleicht etwas zu dick.
„Diese Brille unterscheidet sich in ihrem Erscheinungsbild kaum von normalen Brillen. Aber sie wird Sie vor weiblichen Reizen schützen.“
Ich grinste zweifelnd, glaubte an einen Scherzartikel und wollte die Brille aufsetzen, aber Reinhold hob die Hand.
„Nein, warten Sie damit bitte noch. Wenn ich meine Begleiterin hereinbitten dürfte?“
„Klar.“
Der alte Mann ging zur Tür und winkte der Frau zu. Einen Moment später betrat eine junge Frau meine Wohnung, und ich hätte mich beinahe schreiend aus dem Fenster gestürzt. Ihre rote Mähne und ihre smaragdgrünen Augen wurde durch einen grünen, hautengen Anzug betont und ihre Proportionen ließen keine Wünsche offen. Im letzten Moment packte Reinhold mich am Oberarm.
„Schnell, setzen Sie die Brille auf.“
Ich kam der Aufforderung nach und traute meinen Augen nicht. Meine Wohnung und der Mann sah noch genauso aus, wie vorher, doch die Frau hatte sich komplett verändert. Ihr Haar war kurz und stumpf, ihre Augen klein und fast ohne Wimpern und ihr Körper musste doppelt so viel wiegen wie vorher.
„Unglaublich!“
Die Frau lächelte und drehte sich einmal um sich selbst, um ihre ganze hässliche Pracht zu zeigen.
„Das funktioniert mit jeder Frau, die ein vorher definiertes Mindestmaß an sexueller Ausstrahlung überschreitet. Sie können wieder gehen, Frau Schmidt, danke.“
„Und wie funktioniert das?“ fragte ich den Mann, nachdem die Frau gegangen war und ich die Brille abgenommen hatte.
„Modernste Technologie. Eine Mikrokamera nimmt das auf, was Sie sehen und füttert einen Mikrochip damit. Der ist darauf programmiert, weibliche Schönheit zu erkennen. Wird ein solcher Störfaktor identifiziert, überblenden die Gläser, die in Wirklichkeit durchsichtige Bildschirme sind, die Person mit einer Standardfigur, die über wenig Reize verfügt.“
„So etwas ist heute möglich? Ich hatte keine Ahnung, dass die Computertechnik so winzig geworden ist, dass man sie in einem Brillengestell unterbringen kann.“
„Die Not hat uns gezwungen, die Technik der Zukunft schon heute zu entwickeln.“
„Und was wollen Sie dafür haben?“

Ich trat dem ‚Verein zur männlichen Selbstbeherrschung‘ bei. Die monatlichen Mitgliedsbeiträge waren erschwinglich und ich verstand mich auf Anhieb super mit den anderen Männern.
Zunächst lief alles ganz wunderbar, denn keine Frau, egal wie schön und sexy sie auch war, konnte mich mehr ablenken. Aaliyah würde stolz auf mich sein! Einen kleinen Rückfall hatte ich aber dennoch. Bei einem Telefoninterview begann ich doch glatt mit der Ansprechpartnerin zu flirten, nur weil sie so eine wunderbare Stimme hatte. Aber auch dagegen hatte der Verein zur männlichen Selbstbeherrschung ein Mittel: Es sah aus wie ein winziges Hörgerät und funktionierte wie eine Art selektiver Stimmverzerrer. Sollte Frequenz und Modulation einer Stimme zu erotisch sein, aktivierte sich der Stimmverzerrer und verwandelte die Stimme in ein elektronisches Krächzen, das zwar noch hundertprozentig verständlich war, aber keinen Reiz mehr ausübte.
Gut – so war ich also bestens gewappnet. Man hätte mich in einen Raum mit den schönsten Modells, begehrtesten Hollywood-Frauen und heißesten Pornostars stecken können und ich wäre vor Langeweile eingeschlafen.
Ich begann Pläne zu machen, wie ich Aaliyah zurückgewinnen könnte. Vielleicht sollte ich sie zu einer Veranstaltung einladen, auf der garantiert viele schöne Frauen anwesend sein werden. Dann könnte ich Aaliyah mit totaler Ignoranz weiblicher Reize beeindrucken.

Im Büro des Studioleiters klingelte das Telefon, doch der Mann war vor fünf Minuten in die Mittagspause gegangen und hatte mich gebeten, eventuelle Gespräche entgegenzunehmen. Also verließ ich meinen Platz, betrat das Büro, nahm den Hörer ab und meldete mich korrekt mit Firmen- und Eigenname und dem obligatorischen „Was kann ich für Sie tun?“.
„Hallo.“
Die Stimme wurde von meinem Beschützer im Ohr sofort verzerrt. Es folge ein Moment der Stille, bis die Dame weitersprach.
„Ich wollte mich entschuldigen.“
„Sicher nicht bei mir“, antwortete ich scherzhaft und wollte gerade erklären, dass der Studioleiter zu Tisch war, als die Stimme erschrocken einatmete und dann die Verbindung unterbrochen wurde.
‚Leute gibt’s‘, dachte ich und berichtete nach der Pause dem Studioleiter davon. Der konnte sich angeblich keinen Reim darauf machen, woraufhin meine Fantasie weitere Nahrung bekam und ich mir so meine Gedanken über das Privatleben unseres Studioleiters machte.

Zwei Stunden später, ich wollte gerade den Toilettenraum aufsuchen, kam mir eine Frau entgegen, die von meiner Brille als potenziell gefährlich eingestuft und mit dem reizlosen Standardbild überblendet wurde.
„Hallo. Ich wollte nur...“
Ihre Stimme wurde von der Schutzelektronik verzerrt, aber trotzdem hörte ich Unsicherheit und Nervosität heraus..
„Was denn?“ fragte ich ungeduldig. Ich hatte echt Druck auf der Blase.
„Es ist... Na ja, du und ich... Vielleicht könnten wir...“
Da verstand ich endlich. Klar, ich war gegen weibliche Reize geschützt, aber die Frauen nicht vor meinen männlichen. Bevor es noch peinlicher für die arme Frau wurde, gab ich ihrem Annäherungsversuch den Gnadenschuss.
„Ich bin schon vergeben.“
Die Frau hob eine Hand zum Mund, schluchzte kurz, wirbelte dann herum und lief davon.
Meine Güte – ich hatte keine Ahnung, dass ich SO attraktiv wirken kann. Lag das vielleicht daran, weil ich Frauen nun viel vernünftiger betrachtete, dass ich nicht mehr auf ihre äußere, illusionäre Schönheit, sondern nur noch auf innere Wert achtete? Ich grinste – meine Schutzausrüstung ließ mir ja keine andere Wahl.

Ich kam also gut gelaunt nach Hause und dort wartete ein guter Freund von mir vor der Türe.
„Hey!“
„Hallo. Ich wollte dich gerade besuchen.“
Er grinste auffällig breit und versuchte eine prall gefüllte Plastiktüte hinter seinem Rücken zu versteckten.
„Gibt’s was besonderes?“ fragte ich neugierig und kramte den Haustürschlüssel heraus.
„Na hey! Das muss gefeiert werden!“
„Was denn?“
„Tu nicht so. Ich weiß Bescheid.“
Fieberhaft dachte ich nach, was ich wieder angestellt haben könnte. Aber da war nichts. Oder hatte er von meiner Mitgliedschaft im ‚Verein zur männlichen Selbstbeherrschung‘ gehört? Das war allerdings streng geheim. Doch etwas anderes war in der letzten Zeit nicht geschehen.
„Ich verstehe echt nicht.“
Sein Grinsen starb einen langsamen Tod, und Verwirrung war der Nachfolger.
„War sie denn heute nicht bei dir?“
Eine schwarze Vorahnung kroch durch meine Gehirnwindungen.
„Wer?“ fragte ich leise.
Die Antwort bestand nur aus einem Wort, traf mich aber mit der Wucht eines ganzes Bücherregales.
„Aaliyah.“
Mein Unterbewusstsein gab den Lungen bereits Befehl, tief Luft zu holen, während mein Bewusstsein erst jetzt begriff, dass die vermeintlich fremde Frau am Telefon und die, die mich auf dem Weg zur Toilette angesprochen hatte, ein und die Selbe waren: Aaliyah!
Ich fiel auf die Knie, streckte meine Fäuste in den Himmel und mein Schrei hallte durch die Straßen und Gärten des Viertels.
„Neiiin!“