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Autor: MaschineBaby

Erstellt am: 18.09.2006

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Trojanisches Pferd



Geschrieben von:   MaschineBaby




Der Autor hat folgende Stimmungen f�r sein Werk angegeben:
aggressiv
frustriert
unruhig



Ein Wort ist auf die Kassette geschrieben, in dicken, schwarzen Lettern darauf gekrakelt, irgendwie hastig und doch sind die Buchstaben kunstvoll geschwungen wie die Unterschrift eines Künstlers. Fast fröhlich. Es ist der erste und einzige Hinweis von ihm, nach sieben Leichen endlich ein direktes Indiz. Mit einem Klacken springt das Kassettendeck des Recorders auf und ich lege das Tape vorsichtig ein. Die Play-Taste knirscht beim Drücken, leise und doch scharf, als wäre dem Gerät das Tape zuwider. Nicht, daß ich es nicht verstehen könnte. Acht Wochen sind wir schon hinter ihm her, dem „Kindfrauen-Kannibalen“. Jede Woche eine neue Tote, eine neue Frau von immer gleichem Typ. Blaß, dunkle Augen und Haare, zierlich. Und jedesmal nimmt er mehr für sich mit, läßt weniger für uns zurück. Aber auch wenn sein Appetit steigt, mit diesem Tape werden alle Chancen erheblich sinken.

Zuerst ist nur Rauschen zu hören, qualvoll lange ein oder zwei Minuten. Dann ein hartes Krachen und sofort ertönt das erstickte Wimmern einer geknebelten Frau. Meine Augen weiten sich und der Schweiß in meinem Nacken wird kalt, eisig. Sie hat eindeutig große Schmerzen, denn das Wimmern steigert sich stellenweise zu dumpfen Schreien. Dann ist vereinzelt das fleischige Klatschen von Schlägen zu hören und das Mädchen wird leiser. Beim ersten Ton seiner Stimme spannt sich mein Körper, verwende ich jede Faser , jede Zelle meiner Selbst dem Zuhören. Unzusammenhängend sind seine Worte, an der Grenze zur Sinnlosigkeit, er stammelt, verfällt in einen Singsang wie bei einem Abzählreim für Kinder. ...die helle Haut und welch duftendes Haar, zartes Blut – und ein Lachkrampf läßt seine Worte abreißen, im Hintergrund kreischt die Frau inzwischen, der Knebel verwandelt es in das Todesheulen eines Tieres und ich schwitze, kralle die Fingernägel in die Tischplatte, in Gedanken sehe ich die Szenerie, male sie mir aus, Schärfe tritt in das Bild...

Ein harsches Reißen und der Recorder spult endlos weißes Band ab, mit zittrigen Fingern und feuchten Händen drehe ich das Tape, ramme meinen Daumen auf die Play-Taste, doch nur Rauschen belohnt mich. Hektisch spule ich vorwärts, ergebnislos, und drehe die Kassette erneut, malträtiere den Rücklauf. Endloses Surren und ich lasse das Gehörte Revue passieren. War da nicht ein Ton im Hintergrund gewesen, unter dem Heulen des Opfers verborgen? Die Kassette stoppt und mein Finger findet das Play-Symbol.

Wieder das gedämpfte Winseln, die Schläge, fast sehe ich die Hand im Geist herabfahren auf Schenkel und Rücken. Dem Ton seiner Stimme mischt sich ein anderer unter, tief und vibrierend und ich reiße die Lautstärke hoch, ersticke fast im Schreien und das Lachen klingt doch eher wie Schluchzen, mein inneres Auge zeigt mir einen erschöpften Mann, kraftlos über den zuckenden Körper gebeugt, eine Klinge zieht kraftlose Bögen in das weiße Fleisch und die Szene tritt deutlicher hervor, fast rieche ich das süße Blut, spüre seinen Blick, brennend und doch irgendwie flehend. Als bitte er um Hilfe, um Kraft und Unterstützung...

Ein Klicken, kurzes zeitzerrendes Surren der Maschine und schon tauche ich erneut in seine Welt ein, profiliere und lausche auf den einen verdammten Ton.

Das Wimmern läßt mich kurz erschauern und obwohl der Schweiß auf meinem Rücken immer noch klamm ist, wärmt mich das Zittern beinahe. Die Schläge hören sich an wie von meiner Hand geführt und ich weiß genau, daß sie den linken Oberschenkel und den Nierenbereich des Rückens treffen, könnte fast das leichte Brennen meiner Handinnenfläche
spüren. Seine Stimme dröhnt gottgleich, es muß an der Lautstärke liegen und der Hintergrundton spaltet sich, wird zu zweien, welche eine kurze Melodie bilden wie das zweitönige Läuten der Türklingel. Aber doch eine Melodie, träge und tief und verspielt auf einfache Art. Das Bild zeigt sich mir wieder und ich sehe ihn tatsächlich vor mir, sein Lächeln wird zum Schluchzen, er sinkt auf die Knie und hebt einmal kraftlos das Messer und ich fühle mich ihm so nahe, fast möchte ich nach der Klinge greifen und ihm helfen. Seine Gestalt strafft sich, erneut hebt sich das Messer wie bestärkt durch mein Mitgefühl und er führt sie kraftvoll diesmal, hart und steil nimmt sie alles Leben aus dem Mädchen, die Luft ist voll von der schweren Süße ihres Bluts, meine Fingernägel brechen blutig an der Tischplatte und ich sinke tief ein in die Szene, meine Finger drücken automatisch die Tasten und mein Geist geht unter in Rauschen, Kreischen und Schluchzen...

Gequält ächzt das Kassettendeck und gibt dann endlich das Tape frei. Mit zittriger Hand zerre ich es heraus, kralle meine schmierigen Finger hinein und halte sie langsam vor mich. Ich weiß nicht, wie oft ich es in der Zwischenzeit schon angehört habe. Vielleicht zehnmal? Oder hundert? Tausendmal? Wer weiß. Eine verblassende Melodie in meinem Schädel läßt langsam Wellen von Kopfschmerzen hochbranden. Aber sie wird schon leiser, verschwindet. Schöne Melodie. Träge und irgendwie verspielt. Oder? Aber schon ist sie verklungen. Mein Blick fällt wieder auf die Kassette. Die Schrift ist von meinen Händen leicht verschmiert, aber nicht unleserlich. Komisch, das Wort kommt mir irgendwie lustig vor: „Typhoid A“.