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Autor: MaschineBaby

Erstellt am: 18.09.2006

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Geschrieben von:   MaschineBaby




Der Autor hat folgende Stimmungen f�r sein Werk angegeben:
aggressiv
hasserfüllt
wütend



Ich werfe mich hinter den Mauervorsprung und fluche leise. Beim Aufklappen meines Revolvers blicken mich meine letzten drei Freunde an, leicht metallisch schimmernd und bereit, ihre absolute Meinung in die Welt hinauszuschreien. Drei Schuß also nur noch, drei verfluchte Schuß gegen dieses ganze verdammte Land, dieses wahnsinnige Terroristenpack, Kriegsverbrecher, fehlgeleitet und geblendet durch ihren Glaubenskrieg.
Hinter der Mauer schlagen Kugeln ein, surren wütende Querschläger durch die Luft, mischen sich Klagelaute mit Wutschreien. Ich glaube, vier habe ich erwischt, habe sie fallen sehen, aber die restlichen sechs heizen mir jetzt ziemlich ein. Aber das ist kein Problem. Wir verhandeln nicht mit Terroristen und mit unseren Feinden schon gar nicht. Damals, vier Jahre ist es jetzt her, bei ihrem ersten Anschlag, starben meine Mutter und meine Geschwister, als sie ihre Fabrik sprengten. 246 unschuldige Menschen starben an diesem Tag! Und das nur für ihren Glauben, für ihre Autorität. Sie dulden nichts und niemanden neben sich, wollen alles beherrschen, ihre Ideale an die ganze Welt verkaufen. Mit reiner Waffengewalt unterdrücken sie die Minderheiten ihres Landes, bekriegen sich mit ihnen, bürgerkriegsähnliche Zustände. Sie drohen unserem Land öffentlich in den Medien, setzen unser Weltbild unter ihres, bekennen sich völlig frei dazu, uns verfolgen und ausrotten zu wollen. Ihre Übergriffe werden immer bestialischer, kein Haltmachen vor der Zivilbevölkerung, Alten, Frauen, Kinder. Also griffen auch wir zu radikaleren Mitteln. Schließlich zogen sie sich das blutbesudelte, stinkende Gewand der Morallosigkeit zuerst an. Aber seid sicher, uns tarnt es auch gut! Das Geschrei hinter mir nimmt zu, also entsichere ich die Waffe und luge den Bruchteil einer Sekunde über die Mauer. Da hechten sie von Deckung zu Deckung, in ihren schwarzen Roben, vermummte Gesichter. Auf der Kleidung prangen unverständliche Zeichen, ich sehe ihre religiösen Amulette um den Hals aufblitzen, das Geschrei klingt in meinen Ohren hart und lallend, als würden sie wieder und wieder nur eine Silbe brüllen. Ich tauche wieder ab in Deckung, öffne meine Jacke und fummle den Zünder ans Tageslicht. Gewichtig liegt er in meiner linken Hand. Ich ziehe den Splint heraus und halte den Sicherungshebel gedrückt. Dann schließe ich die Augen und entwerfe im Geiste einen Plan. Ihr Kommunikations- Stützpunkt liegt 150 Meter von mir entfernt hinter den sechs Soldaten. Ihr Anführer hat vor zwei Tagen erst von dort aus seine Haßtiraden über uns in die Welt hinausgeschrien. Ursprünglich wollte ich sie stürmen und mit dem Sprengsatz vernichten. Mit Zeitzünder, um mir eine Flucht zu gewährleisten. Jeder einzelne Mann ist wichtig bei Undercover-Einsätzen im Feindesland. Und das ist es immer noch für mich, trotz meiner vier hier verbrachten Jahre. Mein Vater arbeitet im Norden an einer Schule, er doziert dort über unsere Kultur und Geschichte. Seine Familie ließ er in der Heimat, wir erhielten kein Visum. Nach dem Tod meiner Mutter und meiner Brüder gab man mir die Einreisegenehmigung. Welche Regierung würde auch ein zwölfjähriges Attentatsopfer von seinem Vater trennen? Vier Jahre ist es her, vier Jahre mit schlaflosen Nächten, zahllose Pläne und Recherchen, Eingewöhnung und in der Masse untertauchen. Letzte Woche stellten sich ein paar harte Fundamentalisten meinem Vater in den Weg. Sie wollten ihn nicht in ihrem Land, ihn, den offensichtlichen Feind. Nach all der Prügel, den Tritten, den Messerstichen blieb er liegen mit einer unbrauchbaren Hand, inneren Blutungen und einen zerstochenem Auge. Aber sein Leiden fand ein Ende. Und so wie es aussieht, werde ich ihm wohl bald schon folgen können.
Der Bügel schmiert in meiner verschwitzten Hand. Also auf ins letzte Gefecht. Ich raffe mich auf, spanne den Körper, bereit, vorzupreschen, als ein hohles Scheppern in mein Ohr dringt und um mich herum Rauch in die Luft steigt. Nebelgranaten, Blitzangriff! Aber das ist die Gelegenheit für mich. Schatten bewegen sich durch den Dunst und als der Erste über die Mauer springt, renne ich los. Der Revolver beschreibt Halbkreise vor mir im Nebel, ich stolpere zwanzig oder dreißig Meter vorwärts, als die Waffe gegen einen Widerstand stößt und eine Hand meine Wange streift. Ich drücke sofort ab, meine drei Freunde tanzen ihre tödliche Polonäse durch die Organe meines Gegenübers und er sackt mit einem Röcheln zusammen. Durch ihr Klappern auf dem Boden finde ich seine Pistole und stürme weiter. Eine Windböe legt einen vermummten Kopf links vor mir frei, die Pistole in meiner Rechten spricht ihm mit rauhem Akzent gut zu und sein Kopf wird von mehreren Kugeln zurück in den Nebel gerissen. Aus dem Augenwinkel und durch mehrere harte Schläge in die Seite sehe ich rechts zwei weitere Gestalten auftauchen. Beim Umdrehen hämmern ihre Geschosse gegen meine Weste, meine Atemwege brennen wie Feuer, keuchend presse ich Luft aus den Lungen, spüre meine Rippen schmerzen. Einer lacht, seine weiß blitzenden Zähne sind mir Ziel genug und schon machen sich meine Kugeln auf den Weg. Er stürzt, reißt seinen Kameraden mit, ich höre vereinzelte Schüsse, heisere Angstschreie und renne weiter. Mein Hecheln wird kurzatmig, gebrochene Rippenenden reiben aneinander und die Welt wird roter, dumpfe Geräusche und schlierige Farben, ich ringe nach Luft, öffne die schwere Schußweste und werfe sie von mir, komme ins Taumeln, fange mich und weiter, weiter, noch achtzig Meter, sechzig, vielleicht auch nur fünfzig, der Nebel lichtet sich, ich sehe die Tür vor mir, trete aus dem Nebel, noch fünfzehn Meter, mein Lachen stockt, als mir ein glühender, armdicker Strahl aus Schmerzen in den Rücken fährt und sich vor mir eine rote Fährte aus meinem eigenen Blut bildet. Ich taumle wieder, stärker als zuvor, drehe mich träge um die eigene Achse und erblicke meine letzten zwei Gegner. Ihre feuerumrahmten Pistolenläufe fordern mich zu einem dunklen Tanz auf, sie geben den Rhythmus vor, ich spüre weitere Einschläge, sehe fast den Verlauf ihrer Kugeln, die ganze Szenerie friert beinahe ein, ich reiße den Arm hoch und überschütte sie mit meinen Argumenten. Fluchend suchen sie Deckung und ich nutze den Moment, überwinde die letzten paar Meter und werde in der Tür das erste und letzte Mal zu Boden gerissen. Ich lande auf dem Rücken und spucke Blut über den Sprengstoff auf meiner Brust, die Waffe entgleitet mir, meine linke Hand zittert leicht, der Hebel drückt protestierend gegen meine Finger und da kommen meine Jäger angeschlichen, bereit, der Trophäe den Gnadenschuß zu gewähren. Einer beugt sich zu mir herab und die Farben seines Landes, meines Feindes, lachen mich von seinem Ärmel herunter an, rot-weiß gestreift, und ich spucke auf seine weißen Sterne, nun verschmiert rot auf blauem Untergrund, lege den Kopf in den Nacken und lache ein Gebet, während der Zünder aus meiner Hand gleitet und alles in Weiß taucht.