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Autor: knochengott

Erstellt am: 09.07.2006

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Geschrieben von:   knochengott


Teil des Episodenwerkes: cold

  - Einleitung
  - Kapitel 1: gereinigt
  - Kapitel 2: getrieben
  - Kapitel 3: gefangen
  - Kapitel 4: gefunden
  - Kapitel 5: gefallen
  - Kapitel 6: gewesen


Scheppernd prallte der Deckel auf den Asphalt, als ich mich in die Mülltonne beuge und nach eßbarem suche. Mein Magen ist ein schreiender Stein, taub und bösartig. Ich suche, wühle dreckiges Papier und verschimmelte Reste beiseite, finde schließlich ein paar Kartoffelschalen und schlinge sie gierig herunter. Eine Ecke Brot, nur leicht verschimmelt und verfaulte Orangen finde ich noch, dann werde ich mit wütenden Beschimpfungen verjagt und flüchte eilig. In den letzten drei Tagen wurde ich schon zweimal verprügelt. Die Orangen sind ungenießbar, aber das Brot kann ich noch essen, nachdem ich die verschimmelte Ecke abgebrochen habe.

Ich schleiche die Straße entlang, suche nach Mülltonnen und versuche den Tritten und Schlägen der Leute zu entgehen. Regen plätschert auf den Weg, rinnt gurgelnd in die Kanalisation. Ich fühle mich schwach und friere. Fast scheine ich am ende zu sein. Ich weiß, daß ich nicht in Ordnung bin, daß mein Kopf kaputt ist. Es gibt Leute, die verursachen mir Schmerzen. Wenn sie vorbeilaufen blitzt es in meinem Kopf auf und sie schrecken zurück, als ob ich geschrien hätte. Vielleicht habe ich das. Andere sehen mich nicht, und wenn sie an mir vorübereilen, dann tragen sie eine Fläche aus Dunkelheit mit sich, die mich jedesmal zu ersticken droht. Ich meide Menschen.

Die Straße ist unruhig, die Menschen in Eile. Ich gehe an der Wand entlang, von Schatten zu Schatten, verschmelze mit ihnen. Ein Mann kommt auf mich zu, er hat die Augen offen und sieht mich doch nicht. Schnell trete ich beiseite und halte den Atem an, als ich in seine Dunkelheit eintauche. Sie ist nicht bösartig, diese Dunkelheit. Sie ist weich und leblos, nur ein Fleck, ohne denken. Ohne Schmerzen.
Er eilt vorbei, nimmt seine Dunkelheit mit sich und läßt mich wieder atmen. Ich sehe die nächste Mülltonne, stolpere darauf zu, als ein seltsames Gefühl über mich kommt. Ich bleibe stehen, hebe das Gesicht in den Himmel, lasse den Regen darauf fallen und lausche. Es ist ein Kribbeln, ein Summen, nur schwach, doch es kommt mir bekannt vor. Ich drehe meinen Körper, versuche die Richtung zu erfühlen und bleibe schließlich ganz still stehen. Nehme das Summen auf, es fühlt sich an, als würde ich mit Strom geladen. Meine Muskeln zucken und ein Lächeln erscheint auf meinem Gesicht. Ich öffne die Augen und sehe ihn kommen. Er ist groß und hell gekleidet, geht ohne Hast auf mich zu und erwidert meinen Blick. Er kennt mich und ich kenne ihn. Endlich ein Freund, endlich ein Halt.

Wir treffen aufeinander, er lächelt mich an und meine Augen füllen sich mit dankbaren Tränen. Seine Gedanken, jetzt als Bilder, Gefühle und Worte zu verstehen, sind warm und frei.
Einladend.
Meine Hand hebt sich und tastet nach seiner Brust, langsam und streicht über die helle Jacke. Schmutz zeiht Schlieren, ohne das er darüber verärgert wäre. Meine Hand legt sich auf seine Brust, legt sich über dem Herzen sanft nieder und wieder schließe ich die Augen.

Wer bin ich?
Du bist der, der weise ist und ein Kind zugleich.
Wer bist du?
Ich bin der, der an dich glaubt.
Warum bin ich hier?
Um sie zu finden. Um dich zu finden. Um ihn zu finden.
Er? Wer ist er?
Das Ende und der Anfang.
Wie finde ich ihn?
Durch mich...

Ich öffne die Augen und stehe allein auf der Straße. Meine Hand hängt in der Luft, sie fühlt sich leer an, doch trotzdem ist sie warm. Eine Blick irrt die Straße entlang und dort stehe er, steht an der nächsten Ecke und sieht mich an. Das Lächeln eine Einladung. Ich setzte meine Beine in Bewegung und folge ihm, als er verschwindet. Lärmend hupen die Autos und kreischend schießen sie an mir vorbei, doch ich bemerke es kaum, denn ich stolpere, lache , renne hinter ihm her. Endlich.

Die Fassade des Hauses ist grau, die Fenster eingeworfen und tot. Etwas erklingt in mir, ein Gedanke, eine Erinnerung an eine andere Zeit, einen anderen Ort.
Oder doch dieser Ort?
Ich schüttle den Kopf und gehe auf das Haus zu. Die Eingangstür ist groß und gibt nach, als ich dagegenpreße. Ich trete in den Durchgang und sehe ihn am anderen Ende verschwinden. So schnell es geht folge ich ihm und erreiche schwer atmend den Innenhof. Von ihm ist keine Spur zu sehen, doch rechter Hand führt eine Treppe nach unten. Ich gehe sie hinunter, taste mich vorsichtig jede Stufe voran, die regennaß und glitschig sind. Am Ende der Treppe ist eine schwere Tür. Ich drücke dagegen, doch sie gibt nicht nach. Auch als ich daran ziehe bewegt sie sich nicht. Frustriert schlage ich dagegen. Ich versuche zu rufen und erschrecke über das rauhe Krächzen, das aus meinen Hals kommt. Ich rufe erneut, diesmal lauter, doch meine Zunge will keine Worte formen und was sollte ich auch rufen.
Ich kenne seinen Namen nicht.
Ich schlage mit der Faust gegen die Tür und rufe, kreische, schreie dazu. Ich bin da endlich da, sie mögen mich doch hereinlassen! Doch die Tür gibt mir stummen Widerstand und Panik überfällt mich. Ich hebe auch die andere Hand und balle sie zur Faust. Meine rostige Stimme hallt über den Innenhof, ich trommle, trommle wie rasend gegen die Tür, trete nach der Tür, trete bis die Schmerzen meinen Fuß taub gemacht haben, trommle dagegen, ohne auf die Holzsplitter zu achten, die meine Hände zerreißen, schreie, schreie wie ein Tier. Tränen laufen mir über das Gesicht, mein Atem geht schwer, meine Stimme bricht ab, das Trommeln wird kraftloser, immer schwächer.
Ein letzte Mal schlage ich gegen die Tür und breche zusammen, schluchzend, den Ziel so nah.
Ein Schrei der Verzweiflung kreischt rauh durch meine Kehle, hallt von den Wänden des Hofes zurück und verspottet mich von allen Seite. Immer länger und höher zieht sich der Schrei, fährt wie Glas aus mir heraus und plötzlich schlägt eine riesige unsichtbare Faust die Tür nach innen, die unter Krachen und Scheppern in ihnen Angeln aufspringt. Der Schrei bricht ab, ich holt tief Luft und mache meiner Angst, meiner Panik mit einem lauten Heulen Luft, als die Welt zur Seite kippt und dunkel wird.

Ich möchte die Augen aufschlagen, doch ich bin schwach. Zu schwach.
Regen fällt auf mein Gesicht und irgendwie schaffe ich es schließlich doch sie zu öffnen und blicke in den tiefen dunklen Gang, der vor mir liegt. Mühsam erhebe ich mich und schleppe meinen Körper durch die Tür hinein. Nach ein paar Metern beginnt eine Treppe, die mich noch weiter nach unter führt. Ich folge ihr, anfangs hektisch, doch als es dunkler und dunkler um mich herum nur noch tastend. Die einzigen Geräusche sind mein Atem und das Schmatzen meiner nassen Kleider.
Ich gehe ein Weile, vielleicht Minuten, vielleicht Stunden, wer weiß das schon?
Endlich, nach etlichen Stufen kann ich eine feines Leuchten vor mir sehen.
Dort wird er sein.
Dort wird er sein und meine Fragen beantworten.
Ich gehe schneller, etwas treibt mich voran. Das Licht wird heller und heller und ich werde immer schneller, während ein neues Geräusch in mein Ohr dringt – mein Lachen. Ich renne jetzt fast die Stufen hinab, kann sie nicht sehen, doch ich fühle sie. Meine Füße werden schneller und schneller, mein Atem folgt ihnen und als ich daneben trete kann mein langsamer, schwacher Körper nicht reagieren. Ich stürzt, pralle auf die Stufen auf und falle die Treppe herunter, komme dem Licht näher und näher, während mein Körper gänzlich neuer Schmerzen erschafft und mein Lachen mehr und mehr zum Kreischen wird.
Und dann endlich, endlich schlage ich auf und bleibe liegen.

Wo bin ich?
Bei mir.
Bin ich tot?
Noch nicht mein Freund.
Wer bin ich?
Das weiß du bereits.
Ja das weiß ich.
Du mußt ruhen mein Freund. Später erzähle ich dir mehr.
Aber woher kenne ich sie? Und woher ihn? Und woher dich?
Ich bin ein Freund, daher kennst du mich.
Und sie? Wer ist sie?
Auch das weißt du bereits.
Aber ich...
Du solltest dich jetzt ausruhen.
Ich habe aber noch so viele fragen!
Später mein Freund, später. Nur noch eins – du wurdest geschaffen, sie wurde geboren und er ist. Jetzt schlaf!

Ich schlage die Augen auf.
Kerzen erhellen den Raum, viele brennende Kerzen. Instinktiv erschrecke ich, ohne zu wissen warum. Mein Bettzeug raschelt und der feine Duft steigt in meine Nase. Ich streiche vorsichtig über den weißen Stoff. Er ist glatt und zart. Mein Körper ist ruhig und zum ersten Mal fühle ich mich kräftig. Der Raum ist ohne Fenster, wahrscheinlich befinde ich mich noch immer unter der Erde.
Tot und doch nicht tot.
Die Wände sind aus Stein, uneben und roh, Schatten huschen im Kerzenlicht darüber. Doch dies ist eine Dunkelheit, die mich nicht ängstigt.
Ich sinke wieder in mein Kissen zurück, als sich die Tür öffnet. Er tritt ein und sein Lächeln ist freundlich. Langsam nähert er sich dem Bett und läßt sich daneben nieder.
„Ich grüße dich mein Freund.“ Seine Stimme ist dunkel und warm.
Ich versuche zu sprechen, doch nur ein heisere Krächzen verläßt meinen Hals. Ich habe zu lang nicht mehr gesprochen. Seine große Hand sucht ihren Weg zu meiner Stirn und legt sich sacht darauf. Fast augenblicklich schließen sich unsere Augen.

Schön dich zu sehen mein Freund.
Ich danke dir.
Du bist wieder bei Kräften. Das ist gut.
Ich habe noch Fragen, unfaßbar viele Fragen.
Dann ist es an der Zeit sie zu beantworten.
Wer bin ich?
Das weißt du bereits!
Ich weiß wer ich für dich bin, doch wie ist mein Name?!

Ich schlage die Augen auf, als er seine Hand von meiner Stirn nimmt. Sein Blick ist ernst und nachdenklich. Ich versuche ihn zum reden zu bewegen, doch ich kann nur krächzen. Schließlich seufzt er und fragt:
„Du willst es wirklich wissen?“
Ich nicke stumm. Er atmet tief durch und als er meinen Namen nennt, fährt ein Schmerz durch meinen Kopf, der Gedanken und Gefühle befreit, die vergraben waren.
Ich sehe ihn an und meine Augen sind voller Tränen.
„Wolf!“