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Autor: knochengott

Erstellt am: 09.07.2006

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Geschrieben von:   knochengott


Teil des Episodenwerkes: cold

  - Einleitung
  - Kapitel 1: gereinigt
  - Kapitel 2: getrieben
  - Kapitel 3: gefangen
  - Kapitel 4: gefunden
  - Kapitel 5: gefallen
  - Kapitel 6: gewesen


Mit kalten tauben Fingern umklammere ich die Tasse Kaffee. Von meiner Lederjacke tropft Regen, meine Haare hängen mir naß und strähnig ins Gesicht. Ich hebe die Tasse an die Lippen, nehme einen Schluck und lasse ihn warm in meinem Mund kreisen, ehe ich schlucke. Ich friere.
Meine Sachen, meine Hose, der Pullover, alles ist naß. Es regnet in Strömen und ich bin seit Stunden unterwegs, laufe ziellos umher, versuche jemanden oder etwas zu finden, daß ich kenne, das ein Echo hervorruft.
Doch nichts.
Als wäre ich noch nie hier gewesen.
Ich wärme mich an der Tasse auf und sehe mich in dem Kaffee um. Ein paar Leute sitzen um mich herum und mir fällt eine Frau ins Auge. Sie sieht mich ebenfalls an, bemerkt meinen Blick und lächelt mich an. Ich senke schnell den Kopf und nehme noch einen Schluck. Dann sehe ich wieder hin, doch es will sich kein Lächeln in mein Gesicht einschleichen.
Kenne ich sie?
Sie ließt ein Buch, schaut auf und lächelt mich wieder an. Ihr Augen laden mich ein. Ich überdenke meinen Anblick – naß, erschöpft, unrasiert – und verwerfe die Einladung. Schnell stürze ich den letzten Schluck Kaffee herunter und will gehen., doch sie ist inzwischen zu meinem Tisch gekommen und als ich aufstehe pralle ich sacht gegen sie.
Sie riecht gut, ich schließe die Augen und atme tief ein. Feinste Empfindungen erreichen meine sensible Nase.
Leichtes Parfüm. Süßer Schweiß. Weicher Wollstoff. Eine Hautcreme, milchig und zart.
Ihre Erregung, süßlich der Schweiß und säuerlich frisch zwischen ihren Beinen, attackiert mich hart. Meine Kehle kratzt, ein dumpfes gieriges Grollen steigt hoch und verläßt heiß meinen Mund.
Als ich sie wieder ansehe, lächelt sie noch immer und ihr Augen funkeln. Ich öffne den Mund um sie zu fragen, wer sie ist, doch sie legt mir den Finger auf die Lippen und nimmt meine Hand. Ihre Sicherheit verunsichert mich. Sie muß mich kennen. Oder würde sie sich so jedem Fremden gegenüber verhalten?
Ungläubig sehe ich, wie sie mich in Richtung Toilette zieht. Keiner der anderen scheint uns zu bemerkten. Sie stößt die Tür zur Damentoilette auf und zieht mich mit hinein. Drinnen ist es weiß und grell und kalte Fliesen berühren meine Hand, als ich mich an die Wand lehne. Ich halte den Atem an, als würde ich etwas erwarten – vielleicht eine Erinnerung. Der Ort, die Situation kommt mir bekannt vor.
Sie beginnt ohne weiteren Übergang damit sich auszuziehen, knöpft sich die Bluse auf und entblößt einen dunklen BH. Noch während die Bluse zu Boden schwebt, hat sie sich schon umgedreht und beginnt mit schwingenden Hüftbewegungen ihren Rock zu öffnen. Meine Finger verkrampfen sich, die Hand schließt sich wie eine Klaue, als ich etwas fast spüren kann, daß mit meinem „davor“ zu tun hat.
Der Reißverschluß sinkt tiefer und tiefer bis...
Eine Erinnerung hämmert gegen meinen Kopf, ich presse eine Faust gegen meine Schläfe und schließe die Augen. Verdammt irgendwann muß meine Erinnerung doch zurückkommen! Ich sehe Gedanken vorbeirasen – schleierhaft, undeutlich.
Ich meine ein Tier riechen zu können, tobend und mörderisch, doch das muß Einbildung sein. Ich öffne die Augen wieder und sie ist fast nackt, trägt nur noch Unterwäsche und BH, tanzt mit dem Rücken zu mir, berührt sich selber mit ihren Händen, ihren Fingerspitzen. Und etwas überlagert dieses Bild, ein Traum oder ein Gedanke.
Dunkelrot vermeine ich ein Knurren zu hören.
Sie dreht sich um und das erfreute Lächeln verschwindet wie der Mond hinter einer Wolke, als sie mich ansieht. Mein Gesicht muß eine Fratze aus Entsetzen und Schmerz sein. Ich kann einen Schweißtropfen beobachten, der ihren Hals hinabläuft und breche zusammen.
Wieder hämmert eine Erinnerung gegen meinen Kopf, rot und scharf und schmerzhaft. Ich presse die Fäuste an die Schläfen und gehe in die Knie, den Mund zu einem lautlosen Schrei geöffnet. Meine Augen schließen sich reflexartig und so knie ich keuchend auf dem Boden und spüre das Summen näher kommen. Es klingt wie ein Schwarm bösartiger Insekten.
Bitte keinen Aussteuer, nicht jetzt, bitte NICHT JETZT!
Etwas berührt meine Schulter, ich schlage die Augen auf und sie steht vor mir, einen ihrer Hände auf meiner Schulter und schaut mich sorgenvoll an. Ich werfe einen Blick auf ihr weiße Haut, die Nacktheit und als die Erinnerung diesmal rot und hart meinen Schädel rammt, falle ich auseinander und werde von dem Insektensummen hinweg gefegt.

Das erste was ich wieder sehe, als ich die Augen öffne ist Blut. Überall Blut. Sie liegt auf dem Boden, inmitten einer riesigen Blutlache. Teilweise. Ich halte den Atmen an und sehe mich Sekunden schnell um. Endecke andere Teile von ihr. Innere und Äußere. Ich stoße mir die Faust in den Mund, beiße darauf und als mich der Schmerz in die Wirklichkeit zurückbringt, werde ich etwas klar im Kopf.
Während meine Augen diesen Anblick aufsaugen, tastet meine freie Hand nach der Türklinke. Jedes Detail wird angenommen, mein leerer Speicher, mit neuen Erinnerungen gefüllt. Endlich finde ich die Türklinke und reiße die Tür auf. Hastig stolpere ich aus der Tür und atme auf dem Gang tief durch. Mit einen Knall fällt die Tür hinter mir ins Schloß und läßt mich zusammenfahren.
Was habe ich getan?
Ich blicke auf meine Hände, sehe die Bißspuren an der linken, doch kein Blut. Überhaupt kein Blut. Auch nicht auf meiner Kleidung.
Mit einem Keuchen stoße ich die angehaltene Luft aus. Ich drehe mich nach links, weg von dem Kaffee und laufe los, suche einen Ausgang. Ein Schild weißt mir den Weg, ich hetzte um die Ecke, springe eine Treppe herab und pralle gegen eine sich öffnende Tür.
Auf der Gegenseite geht jemand mit einem dumpfen Laut zu Boden, ich zögere keine Sekunde, stoße die Tür beiseite und laufe weiter. Der Junge am Boden trägt einen dunklen Pullover und eine schwarze Hose sehe ich im vorbei rennen und noch etwas fällt mir an ihm auf.
Aber ich habe keine Zeit zum nachdenken, laufe weiter, erreiche endlich den Ausgang und rase mit nach der Klinke ausgestrecktem Arm darauf zu. Ich drücke sie nieder, ramme meine Schulter gegen die Tür und fliege durch die Tür und über die kurz dahinter liegende Brüstung. Noch während ich den Halt verliere frage ich mich, ob es das schon wieder war, ob ich mit der kurzen Zeit, mit den wenigen Erlebnissen wieder gehen soll, da schlage ich schmerzhaft auf und werde mir darüber klar, daß ich wohl noch eine Weile nach mir suchen darf.

Keuchend hocke ich in der Ecke eines Hauseingangs und versuche mich zu beruhigen.
Was war das gerade eben? Habe ich das getan?
Ich bin diese Fragen so leid, dieses andauernde Suchen - warum kann ich mich nicht erinnern?
Ich lehne meinen Kopf gegen die Knie und beginne leicht zu schaukeln, vor und zurück, langsam und gleichmäßig. Mein Atem bildet kleine Wolken vor meinem Gesicht, der andauernde Regen kühlt unmerklich aber unerbittlich. Ich schaukle sanft, bewege gerade so viele Muskeln wie nötig, um die Bewegung konstant aufrecht zu erhalten. Meine Augen schließen sich und die willkommene Schwärze beruhigt mich innerlich. Ich schalte die Umwelt auf ein Minimum herunter, will nur allein sein, mit mir und meinen Gedanken. Warm schlägt mir mein Atem ins Gesicht wenn sich mein Kopf den Knien nähert. Irgendwann wird mein Herzschlag ruhiger und meine Atem verlangsamt sich. Ich beginne zu träumen, erst undeutlich und abgelenkt von dem Rest meiner Umwelt, den Autos, dem Regen, der Kälte. Aber schließlich verschwinden nach und nach diese Einflüsse, verblassen einfach und ich finde mich an einem warmen, finsteren Ort wieder. Ich sehe mich um, kann zuerst nichts erkennen, nicht einmal meine Hand vor Augen.
Doch dann fällt mir eine zweite Person auf. Sie ist weit entfernt, nähert sich aber schnell, läuft nicht, schwebt eher näher heran. Ich kann sie sehen und gleichzeitig nicht sehen, bemerke ich verwirrt. Und begreife, das ich nicht sehe, wie man normalerweise sehen würde. Es ist stockdunkel und ohne Licht gibt es natürlich kein sehen.
Ich fühle die andere Person, fühle ihr Näherkommen.
Es ist eine Frau, nein, ein Mädchen. Während sie näher kommt, wird sie langsamer und ich kann ihre Neugier und ihre Vorsicht spüren. Ich sollte hier nicht sein, daß ist ein Ort, denn nur ein paar Leute kennen, und sie kennt mich nicht. Ich fühle mich genauso verwirrt, denn ich weiß nicht einmal wo hier ist. Sie bemerkt es und nähert sich noch ein wenig, bleibt aber stehen, als sie meine Unruhe und meine Angst spürt. Meine Gedanken schweifen immer wider zu dem Kaffee und der Frau ab und sie kann es natürlich wahrnehmen. Geschockt wendet sie sich ab und flieht, ehe ich reagieren kann und gleichzeitig stößt mich etwas aus meiner Ruhe heraus - ich komme wieder zu mir.

Neben mir steht ein Mädchen, nicht älter als siebzehn, mit dunklem Pullover und schwarzer Hose. Dieselbe Kleidung, wie der Junge hinter der Tür. Die nassen Haare kleben ihr am Kopf und sie starrt mich wütend an. Die Iren ihrer Augen sind rot, knallrot und ich kann ihre Pupillen arbeiten sehen. Sie pulsieren, als ob das Mädchen unter starken Drogen stände. Immer wieder ziehen sie sich zusammen und dehnen sich aus. Ein Regentropfen hängt an den Wimpern des linken Auges, doch sie fällt nicht. Kein Blinzeln ist zu erkennen, sie starrt mich nur an, keuchend und versucht sich offensichtlich unter Kontrolle zu halten. Nach einigen Sekunden wird das Keuchen flacher und ihr Blick weniger mörderisch.
Ich stehe auf, einen Kopf größer als sie und warte ab.
Sie nimmt meine Arme in ihre eiskalten Finger und hebt sie hoch. Ich sehe nur zu, agiere und erschauere, als ihre Finger meine berühren. Sie nimmt die Finger der rechten Hand, spreizt sie einzeln ab und dreht den Handteller zu sich. Mit der linken dasselbe. Dann packt sie mich mit erschreckender Heftigkeit und Kraft und hält mein Arme fest. Sie zieht erst den rechten und dann den linken zu ihrem Gesicht und leckt von der Handfläche nach oben über den Mittelfinger. Als ihre Zungenspitze die Spitzen meiner Mittelfinger verläßt, schlägt bei beiden eine elektrisches Zucken durch meine Hand.
Sie reißt die Augen auf, stößt meine Arme nach unten und funkelt mich wild an. Ein Ausdruck äußerstes Ekels verzerrt ihr Gesicht. Dann stößt sie einen zornigen kreischenden Schrei aus und rennt weg.
Ich sehe ihr verwirrt nach und bemerke etwas. Sie hinkt und der Saum des linken Hosenbeins flattert stark.
Eine Prothese?
Und schlagartig wird mir klar, was mir bei dem Jungen aufgefallen war. Ihm fehlte die linke Hand.

Wie auf Kommando schießt ein scharfer Schmerz durch meinen Kopf und ich krümme mich zusammen, reiße die Hände an meinen Schädel. Alle äußeren Eindrücke gehen verloren in diesem kreischendem Schmerz, ich bin vorübergehen taub und blind. Ich spüre einen Schlag, nur leicht, aber doch massiv, er trifft mich am ganzen Körper ohne mich zu verletzten. Derweil dringt der Schmerz in meinen Kopf weiter, dringt durch wie ein chirurgisches Instrument. Scharf und präzise. Und schlagartig wie er gekommen ist verschwindet er auch wieder.
Ich richte mich auf und feine Steine rieseln von meiner Jacke und meinen Kopf. Meine Hände sind mit blutigen Striemen übersät und schmerzen. Ich sehe mich verwirrt um und sehe ein großes Loch in einer Wand des Hauseingangs. Plötzlich erfühle ich eine leises Singen und mein Körper geht automatisch zu Boden, rollt sich zu Seite, als die Säule an der ich lehne in tausend Teile zersplittert. Erschrocken und hektisch atmend sehe ich mich um und entdecke den Jungen auf der anderen Straßenseite.
Er hat den gesunden Arm ausgestreckt und sein Gesicht ist vor Wut verzerrt. Die Platzwunde an der Stirn ist wohl von mir. Wieder kann ich das Singen fühlen, es sammelt sich um ihm, um seine Hand, ein feines vibrieren der Luft. Ich senke den Kopf, schließe die Augen und versuche mich auf das Insektensummen zu konzentrieren. Doch es kommt nicht und als das Singen schlagartig ansteigt reiße ich mich herum und werfe mich erneut flach zu Boden. Diesmal ist es noch knappen, ich werde von große Steinbrocken und feinen Splittern überschüttet. Als das Klingeln in meinen Ohren nachläßt höre ich ihn schrill vor Wut schreien.
Ich denke nicht weiter nach, stemme meine Beine auf den rutschigen Boden und laufe los, durch den Hauseingang nach hinten hinaus. Wieder beginnt er zu Singen und ich sammle alle meine Kräfte und laufe um mein leben.
Wer zur Hölle ist das?
Als das Singen diesmal zu einen feinen Schreien ansteigt wird mir klar, daß er mir seine ganze Kraft noch nicht gezeigt hat. Nicht annähernd.
Ich entdecke einen Mauernische, hetzte drauf zu und werfe mich dahinter, genau in dem Moment, als das Schreien abbricht und mir folgt. Es verfehlt mich diesmal um mehr als einen Meter und räumt eine paar Autos aus dem Weg, ehe es in das gegenüberliegende Gebäude einschlägt. Mit pochendem Herzen und schmerzender Lunge liege ich hinter dem Vorsprung und überlege was ich weiter machen soll.
Weglaufen geht nicht, denn wenn er mich sehen kann, kann er mich auch treffen. Kämpfen? Genauso sinnlos. Ich sehe meine Hände an. Sie zittern leicht. Keine brauchbaren Waffen. Das Summen ist verstummt. Vielleicht für immer. Hoffentlich nicht für lange.
Mitten in meiner Überlegung höre ich schnelle Schritte, die sich nähern. Ich krieche hinter den Vorsprung, richte mich auf und greife mir ein Holzlatte, die neben mir liegt. Als er um die Ecke gerannt kommt, ziele ich tief und lasse die Latte in einem weiten Bogen schwingen. Ich schlage ihm die Beine weg und er stürzt mit einem überraschten Schrei.
Schnell bin ich über ihm und lasse mein ganzes Gewicht auf seinen Rücken fallen. Mit dem Knien nagle ich seine Hand fest, so das er mich nicht treffen kann.
Hoffe ich.
Er schreit schrill und unartikuliert und versucht mich abzuwerfen, aber ich kann obenauf bleiben. Um ihn ruhig zu stellen packe ich seine schwarzen Haare und knalle seine Stirn mit voller Wucht auf den Boden. Er schreit noch schriller und wehrt sich stärker, also stoß ich seinen Kopf noch einmal zu Boden.
Und noch einmal. Und noch einmal. Und noch einmal.
Immer und immer wieder, das dumpfe Dröhnen wird irgendwann von einem feuchten Klatschen begleitet, als sich Blut unter seinem Gesicht ausbreitet.
Endlich ist er still, wehrt sich nicht mehr.
Ich löse meine verkrampften Finger aus seinen Haaren und drehe den Kopf vorsichtig zur Seite. Blut fließt ihm aus den Ohren, der Nase und aus dem Mund. Schaumig klebt es an den Lippen. Sein Blick ist starr, die Stirn hat in der Mitte ein blutiges Loch. Ich beuge mich vor und sehe einen kleinen spitzen Stein darin stecken.
Würgend stürze ich beiseite und übergebe mich. Krämpfe schütteln meinen Körper, ich sacke an der Wand zusammen, schaffe es gerade so nicht in meiner kotzte zu landen. Ich rutsche hinter einen Müllberg und sehe zu dem toten Jungen hinüber.
Seine Augen verfolgen mich.
Ich ruhe ein paar Minuten aus, schließ die Augen und lege den Kopf auf die Arme, als ein schriller Schrei ertönt. Erschrocken reiße ich den Kopf hoch, überzeugt, ihn aufstehen zu sehen - doch er ist tot.
Noch immer.
Aber nicht mehr allein. Das Mädchen, augenscheinlich seine Zwillingsschwester hockt neben ihm und streicht mit ihren Händen immer wieder über seinen Kopf, während sie klagende Laute ausstößt.
Eiskalte Angst erfaßt mich.
Ich stehe langsam und vorsichtig auf, bewege mich leise und schaffe es zu verschwinden, ohne das sie mich sieht.
Ich beginne zu laufen.
Schneller. Schneller. Immer schneller.

Wieder sind es ihre Augen die meine Aufmerksamkeit fesseln. Die Gasse liegt einige Straßen hinter mir, als ich ihr Gesicht auf einer Werbetafel entdecke. Abrupt bleibe ich stehen und blicke sie mit großen Augen an.
Wie schön sie ist!
Wieder klingt etwas in mir nach, eine Erinnerung an sie. Doch ich vermisse etwas und schlage verwirrt die Augen nieder. Grüble über meine Erinnerungen, die keine sind.
Etwas fehlt.
Ich kenne sie, weiß nicht woher oder wieso, doch bin mir sicher sie zu kennen. Und mit dieser Sicherheit schwingt ein Gefühl mit, daß ich nicht erkennen kann. Ein Stich fährt durch meine linke Brust und plötzlich habe ich eine Vorstellung das dieses Gefühl mit etwas damit zu tun hat. Ich streiche mit den Fingern über die breite Narbe und spüre die Ruhe, diese eisige Ruhe die von dort ausgeht.
Meine Augen finden ihre wieder und so stehe ich gedankenverloren, sehe sie an, meine rechte Hand auf der linken Brust und spüre eine Veränderung an mir.
Etwas steigt auf aus dem unsichtbaren dunkel und endlich erreicht eine Erinnerung meinen Geist.

Ich sehe sie, sehe sie neben mir knien und weinen, lautlos, alles ist lautlos nicht einmal mich kann ich hören. Und dann erinnere ich mich weiter, das ich tot bin. Kein herzschlagen oder atmen, das zu hören wäre. Sie weint lange und ich sehe sie indessen mit unbeweglichen Augen an, sehe ihre Schönheit und es schmerzt.
Wie schön sie ist.
Wie traurig sie ist.
Nach einer Weile steht sie auf und geht. Es folgt eine zeitlang nichts, ich blicke auf die graue, bröckelige Decke des Zimmers. Dann erscheint sie wieder in Begleitung von drei Männern. Ihre Traurigkeit macht sie wunderschön.
Zwei der Männer sind jung und kräftig, der dritte ist alt und wirkt hart wie ein Stein. Ich zucke innerlich zusammen, doch keine Regung erscheint auf meiner toten Oberfläche.
Er ist einer der alten Feinde! Ein Erschaffer des Chaos. Die Großen Alten haben mich vor ihnen gewarnt, doch ich habe mich mit ihnen eingelassen.
Mein Blick geht zurück zu ihr.
Noch immer ist sie namenlos, doch sie ist der Grund, warum ich mich mit den Erschaffern des Chaos eingelassen habe. Weil sie göttlich sind. Weil sie göttlich ist.
Er sieht mich an und ein spöttisches Lächeln umspielt seine Lippen. Sie sagt etwas zu ihm, faßt ihn zaghaft am Arm und redet auf ihn ein, doch er wendet den Blick nicht von mir ab, auch nicht als er kurz und scharf antwortet. Sie zuckt zusammen und läßt ihn los. Dann deutet er den beiden anderen Männern etwas und ich werde unsanft hochgehoben. Eine Art Sack wird mir übergestülpt und dann ist es wieder schwarz. Ich fürchte mich.
Tot und doch nicht tot.
Lebendig und doch nicht lebendig.

Ich erwache aus meiner Starre und sehe immer noch sie an. Diese Augen, die wegen mir weinten, wegen mir leuchteten.
Die großen Alten. Der alte Feind.
Ich denke an die Zwillinge. Neue Feinde.
Die Frau im Kaffee. Ein Opfer.
Ich sehe wieder zu dem Plakat, sehe ein Datum. Sie wird auftreten, wird für mich greifbar sein. Ich muß sie sehen, mit ihr reden. Sie scheint mich zu kennen, scheint etwas zu wissen.
Und immer noch frage ich mich wer ich bin. Ich sehe auf meine Hände herab, weiß und schlank. Unscheinbar zittern sie im kalten Regen. Sie verraten mir nichts. Genauso wenig wie mein Körper oder mein Gesicht. Ich bin nichts.
Und mir ist kalt.