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Autor: Silence

Erstellt am: 29.03.2006

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Auf leisen Sohlen?



Geschrieben von:   Silence


Teil des Episodenwerkes: Das Leben des Tod

  - Einleitung
  - Kapitel 1: Ach ja, der Morgen
  - Kapitel 2: Spaß an der Arbeit
  - Kapitel 3: Auf leisen Sohlen?
  - Kapitel 4: In Gedanken
  - Kapitel 5: Kinder und Haustiere
  - Kapitel 6: Die Liste
  - Kapitel 7: Arbeit, Technik und Frauen
  - Kapitel 8: Heißer Sand


Ein kurzer Blick in die Kundeninfo eröffnet Tod, dass es heute doch nicht so einfach wird, wie er es von den alten Leuten gewohnt ist. An der Tür zu Zimmer 23 lauschend, verfolgt er das Gespräch mit der Verwandtschaft. Gerade rechtzeitig legt er sein Ohr an die Tür um die alte Imalia sagen zu hören: „Du, meine liebe … wie heißt du noch gleich?“ – „Anna, Großmutter, mein Name ist Anna“ – „Ja richtig, Annett … Du, meine liebe Annika, wirst morgen den Mann deiner Träume finden. Keine Sorge, du brauchst nicht suchen, er wird dich in der U-Bahn anrempeln. Habe ich euch denn schon gesagt, dass ich heute sterben werde?“
Tod sank tief in sich, Hand in Denkerpose am Kinn. Ein Medium, selbst wenn es Alzheimer im Endstadium hatte war ein harter Brocken. Medien können den Tod kommen sehen und wissen wie man einem hart arbeitenden Seelenfarmer das Leben schwer macht. Zudem sind sie den Göttern so wichtig, dass nicht einmal er als letzter Bote um das Wissen ihrer Namen herumkommt. Er kennt sie alle, weiß wann sie geboren werden, weiß wann sie gehen, sogar ohne seinen Kalender.
Jetzt muss er aber die Ärmel hochkrempeln, nicht um den Seelen die Zugbrücke vor der Nase hochzuziehen, sondern weil er schuften muss. Es ist eben nicht immer so einfach wie im Klinikum. Zwei Standardtaktiken stehen ihm für so eine Situation zu Verfügung:
Entweder er zeigt einmal mehr, dass der Tod auch auf leisen Sohlen geschlichen kommen kann oder er marschiert stumpf in den Raum und schwingt die Sense bevor sie den Gedanken an ihn wieder aus der Vergessenheit hervorholt. Wenn er sich anschleichen wollte müsste er noch warten, bis sie schläft. Dazu muss man sagen, dass Medien nicht von allein gehen wollen oder können, was von beidem ist Tod immer noch ein Rätsel. Er ist immer gezwungen sie abzuholen, ihre Seelen dem lebendigen Körper zu entreißen. Sie scheinen spektakuläre Abgänge quasi gepachtet zu haben.
Nun ja, wenn er heute pünktlich zum bestellten Abendessen zu Hause sein möchte, muss er wohl oder übel den Frontalangriff wagen.
Er packt also seine Sense, in Vorhalte wie ein stürmender Pikenier und zieht ein grimmiges Gesicht. Das sieht zwar eh keiner unter der Kapuze aber es stärkt seine Entschlossenheit. Mit Schwung tobt er durch die Tür und ist in drei langen Schritten am Bett (es ist ein eher komfortables Altenheim). Für den Bruchteil des Sensenschwunges weiteten sich Imalias Augen und sie beginnt damit das erste Wort eines Satzes zu formen, der wahrscheinlich folgender werden sollte: „Hab doch gewusst, dass du kommst aber du bist fünf Minuten zu früh, kannst du bitte noch so lange draußen warten.“ Ihre Seele greift im ersten Moment instinktiv nach ihrem Körper und versucht sich festzuklammern. Dann realisiert sie, dass ihre Zeit gekommen ist, greift bestimmt nach der Klinge und lässt sich hinfort ziehen.
Die Verwandtschaft steht und kuckt, teilweise schockiert, teilweise genervt über die „Show.“ während Imalias Körper sich auf dem Bett, mit weit offenem Mund ächzend, unkontrolliert zuckend, windet. Langsam erlischt das Licht der Augen und die milchig-trübe, seelenlose Ruhe manifestiert sich. Sie grinst ihn hämisch an und sagt: „Einige von denen sind 300km gefahren, da muss man ihnen doch eine gute Show bieten.“ Dann winkt sie und verschwindet den rechten Ärmel hinauf. Noch mal gut gegangen, sie hat vergessen ihn dicht zu labern. In fünf Monaten wird er sie wieder sehen, dann wird sie von ihrer jüngsten Enkelin wiedergeboren, gut dass sie dann noch nicht sprechen kann.
Jetzt noch fix die anderen eingesammelt, damit die Pfleger morgen früh was zu tun haben und dann ab nach Hause.
Alea ist grade damit beschäftigt, die kleinen Pappbecherchen vom Koreaner um die Ecke stilvoll auf dem Esstisch anzurichten als Tod ins Zimmer stapft. Sie schaut ihn kurz an, bemerkt sein nicht sichtbares Grinsen und sagt: „Hast es dem Medium heute aber ordentlich gegeben, wie? War ja auch nicht schwer, nachdem du dir den Wanst mit Garnelen voll geschlagen hast. Wenigstens hast du deinen Mantel nicht schon wieder anbrennen lassen, dann währe ich wohl leicht sauer geworden. Schön, dass du wieder da bist.“ Sie drückt ihm einen Schmatzer auf die Wange, lächelt leicht und fragt: „Hat denn der Herr Tod heute Abend noch Lust mit seiner werten Gattin ein wenig zu kuscheln?“ Tod schaut flüchtig auf den Tisch, sieht dass es heute nichts Ordentliches zu essen gibt. Dann schaut er zu Alea, funkelt sie mit den Augen an, schwingt sie deftig über seine Schultern und macht sich auf den Weg Richtung Schlafzimmer.
Morgen früh wird das Aufstehen bestimmt wieder die Hölle.

© Silence