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Autor: Khaine

Erstellt am: 01.02.2006

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Feuer am Horizont



Geschrieben von:   Khaine


Anmerkungen des Autors:
Entstehung: 1. Quartal 2004



Feuer am Horizont

Es herrschte tiefste Dunkelheit. Nur das durch die Bogenfenster silbrig scheinendes Vollmondlicht erhellte die Gänge der Festung Arawn in der sich Calion, an eine Wand gelehnt aufhielt. Neben ihm eine alte aufgestellte Ritterrüstung, unweit von ihm, zwei patrouillierende Wachen die auf ihn zukamen. Er verharrte bewegungslos. Sein Herz pochte in gleichmäßigem, sich steigerndem Rhythmus, das er sich fürchtete es würde ihn verraten. Kalter Schweiß rann ihm die Stirn herunter und sein fettiges mittellanges, braunes Haar juckte ihn furchtbar und fiel ihm immer wieder ins Gesicht.
Gemütlichen Schrittes, sich unterhaltend, kamen die Wachen der Rüstung näher. Gleich wäre es soweit. Gleich würden sie ihn sehen und dann musste er schnell sein. Langsam tastete er seinen Waffenarm zu seinem Schwertgriff und umklammerte diesen fest.
Verdammt! Dachte er sich, was tat er nicht für einen Kameraden? Reisende berichteten immer wieder Unholde gesichtet zu haben. Manche wurden sogar angegriffen. Doch wie es im reisendem Volk so üblich ist, dichten sie gerne Dinge dazu um sich interessant zu machen, und so schenkte man den Gerüchten keine große Bedeutung bei. Erst als ein wichtiger Vertrauter des Königs nicht mehr von seiner Reise zurückkehrte wurden die Herrschenden mißtrauisch. Zu zehnt waren sie los geschickt worden ehe sie von den Soldaten des so überraschend „Empfangen“ wurden. Nur er und Rojan konnten aufgrund eines reinen Zufalls im ungleichem Kampf gegen die Übermacht der Armee entkommen und lieferten sich eine tagelange Hetzjagd durch die kühlen, verregneten Bergwälder mit den Suchtruppen. Der Nebel war ihnen auf der Flucht lange Zeit hilfreich, doch mit dem Einsatz der Hunde wendete sich ihr Glück und Rojan, der durch die Ereignisse ebenso eng an seinen Kameraden gebunden wurden, wurde gefasst. Doch er musste ihn befreien gehen. Auch wenn es töricht war. Er hätte lieber seinen Vorsprung nutzen sollen und zurück fliehen um seine Leute zu warnen das Baron Waldemar sie verraten hatte! Wie töricht er war, wurde ihm erst in diesem Moment klar, als er es schaffte unbemerkt in die Burg einzudringen um seinen Freund zu befreien. Wenn er ihnen jetzt in die Hände laufen würde, hätte er seinem Kameraden keinen Gefallen getan und sein Herr hätte immer noch keine Warnung.
Dumpfe Schritte, ab und zu metallgeräusche wenn ihre Speerspitzen aneinander gerieten durchdrangen die Stille, und sein Herzschlag! Er hielt die Luft an. Hoffentlich würden sie ihn übersehen, es stand so vieles auf dem Spiel.
Nun waren sie hier! Er sah deutlich die Lichtspiegelungen auf ihren Schulterplatten. Der eine war etwas jünger, rasiert, längerer Haarschnitt, der andere etwas älter mit Vollbart.
Die beiden waren in einem Gespräch vertieft, und gingen einfach an ihm vorbei ohne ihn im Schattenwirrwarr zu erkennen. Doch noch war die Gefahr nicht gebannt. Noch hielt er die Luft an, noch pochte sein Herzschlag, noch badete er in seinem klebrigem, kaltem Schweiß.
Sie entfernten sich, verschmolzen mit der Dunkelheit, bis nicht mal mehr die Reflexionen des kühlem Mondlichtes sich seinem Auge erschlossen.
Nun konnte er sich erlauben tief Luft zu holen, und auch sein Herzschlag war durch die Marathonziellinie gelaufen. Mutpackend warf er sich sprunghaft von der Wand weg und rannte vorsichtig, nahe der Wand entlang, in die Richtung, in der er den Kerker vermutete.
Eine Gabelung! Verdammt!
Er blieb an der Ecke stehen, vorsichtig hinüber spähend. Ein langer Gang mit einigen Türen auf beiden Seiten. Zwei Nischen mit Ignussteinen, die nach ihrer Aktivierung selbständig brannten, warfen ihr tanzendes Licht an die Wand und ließen alle Gegenstände unheimlich und gespenstisch aussehen. Doch dafür hatte er keine Zeit! Geräusche mehrerer Männer, scherzende wie lachende, ernste wie angetrunkene ließen ihn neben den Metallgeräuschen erahnen, das es sich um die Soldatenunterbringung handelte. Er bewegte sich auf glühenden Kohlen, doch er glaubte nah dran zu sein. Die Gefangenunterkünfte waren in solch alten Gemäuern selten von den Soldatenquartieren weit entfernt. Wenn jetzt nur nichts schiefgehen würde. Seinen letzten Mut packend rannte er los, als er sich sicher war ungesehen zu sein und erreichte das Ende des Ganges wo ihn eine Wendeltreppe erwartete. Ebenfalls mit tanzendem Feuerschein erleuchtet erschreckte ihn nun noch etwas anderes.
Das Licht des warmen Feuers warf verzerrte Schatten an die Wand die immer näher kamen. Und nun hörte er auch schwere Schritte und zwei sich unterhaltende Männer.
Was sollte er nun tun? Nirgends ein Versteck und erreichen würde er sein altes auch nicht. Doch viel Zeit blieb ihm nicht! Sie kamen immer näher, und wenn sie ihn hier entdecken würden, wären die anderen Soldaten bald hier! Nicht mehr lange, nur noch wenige Treppen und sie würden ums Eck kommen und ihn entdecken!
Es blieb keine Zeit mehr zu verlieren. Er zog langsam sein Schwert um keine unnötigen Geräusche zu machen und rannte anschließend auf den Ganz zu, die Stufen herunter. Seine Gegner erwarteten ihn nicht, somit hatte er den Überraschungsvorteil auf seiner Seite und rannte sie mit seiner ganzen, im Lauf gebildeten, Wucht nach hinten um, sodass sie ungeschickt die Treppen übereinander herunterpurzelten.
Laut war es, und er hoffte die Soldaten in ihren Quartieren würden ihren angegriffenen Gefährten nicht zur Hilfe kommen, doch für die hatte er nun keine Zeit. Nun musste er sich seinen Feinden im Kellergewölbe widmen, ehe diese Verstärkung alarmierten. Seine Waffe eng am Körper gehalten, übersprang er jede zweite oder dritte Stufe auf seinem Weg durch den engen, geschwungenem Pfad und sprang schließlich über die letzten fünf Stufen ganz um angriffsbereit im Gewölbe zu landen.

Rojan lehnte mit ausgestreckten Armen an der kalten Steinwand. Lehnen konnte man es nicht nennen, hängen kam der Tatsache schon näher. Ein silbriger Vollmond warf sein kaltes Licht über dessen Kopf hinweg und zerrte seinen Schatten in die Länge. Lange, dunkelbraune Haarsträhnen versteckten sein Gesicht, während sein Kopf bewegungslos nach unten hing. Draußen rasselte der Regen harmonisch vom Himmel herab und schlug angenehm auf sein Gemüt nieder, währenddessen seine Kehle immer mehr einer Wüste glich. Seine Lippen waren aufgeplatzt, lange ist es her das er vom köstlichem Nass schmecken durfte. Was hatten sie nur mit ihm vor? Wollten sie ihn verdursten lassen? Oder hatten sie ihn einfach nur vergessen? Wirre Gedanken schossen ihm willkürlich durch den Kopf. Beim „nächsten“ mal würde er alles anders machen, schwor er sich. Er würde nicht schwach sein und sich von anderen rumschubsen lassen, nach Lust und Laune, wie es ihnen gefiel. Doch würde er auch nicht den Pfad des Kriegers einschlagen wollen. Er wollte jemand sein der Menschen bewegen konnte, sie in ihrem innersten Treffen um von den Wunderlichkeiten dieser Welt zu berichten. Er würde sich frühzeitig der Poesie widmen, oder doch der Zeichenkunst?
Und er würde sich zusammenreißen, wenn ein Mädchen ihm gefiel. Ihr seine Gefühle eingestehen und vielleicht um sogar um ihre Hand anhalten. Er würde alles tun, was er in diesem Leben falsch gemacht hatte.
Sein Blick richtete sichzur Decke hinauf, ein paar Haarsträhnen fielen zur Seite, doch Mauern versperrten ihm den Ausblick zum Himmel und zum Mond, den das einzige Fenster befand sich hinter ihm. Nichtsdestotrotz, sein Blick schien durch Wände hindurch sehen zu können, und sogar durch schwere Regenwolken. Er sah einen blauschwarzen Himmel, geschmückt mit funkelnden Sternen, die achtlos über den Himmel verteilt waren, und irgendwo dort oben schien ein strahlender Mond, nur für ihn!
„Beim nächsten mal, mache ich alles anders!“, schwor er sich mit flüsternder Stimme. Tränen kullerten seine Wange herab, doch sein Mund verzog sich zu einem wärmendem Lächeln in einer kalten Zelle.

Von den beiden Unglücklichen, die die Treppe herunter gerollt kamen, fiel einer tödlich aufs Genick. Der andere war noch am Leben, allerdings wirkte er nicht sonderlich vital zur Zeit, was auch einer seiner Kameraden festgestellt haben durfte, der den Lärm hörte und nun gebeugt über ihm stand.
„Dort ist er!“, schrie eine männliche Stimme, von weiter her.
Wieder entschieden wenige Sekunden über den Verlauf dieser Rettungsaktion. Ein Schwerthieb reichte aus um den überraschten und nicht rechtzeitig zurückgewichenen Wächter das Leben zu nehmen. Doch viel gewonnen hatte er nicht. Zwei weitere, mit Kurzschwertern bewaffnete Wächter rannen auf ihn zu. Einer, von seiner Narrheit oder gar Kampflust beflügelt rannte schreiend und mit erhobenen Schwert auf ihn zu. Der andere war vorsichtiger, hielt sich im Hintergrund und verlangsamte seinen Schritt je näher er dem Eindringling kam. Calion ging in Angriffsstellung, das Schwert nach hinten, den linken Arm abwehrend nach vorne, bereit jederzeit seinen Gegner in die Brust zu stechen. Dann verstummte das Angriffsschreien, und ein Toter mehr blockierte den Weg an der Tür.
Langsam zog Calion sein blutbesudeltes Schwert aus dem Sterbendem heraus. Die dickflüssige, dunkelrote Masse sprudelte wie eine Bach aus einer Bergquelle, und verteilte sich am Boden zu Füßen des jungen Kriegers der sein Schwert mit beiden Armen über der linken Schulter hielt. Flackerndes Licht von den Wenden, reflektierte sich an Calions Klinge, als er bewegungslos mit Raubtierblick seinem Gegner, wie eine Festung gegenüber stand. Dann zischte ein Armbrustbolzen, von der Seite her und prallte an der Wand ab.
Schützen! Hinter seinem Gegner musste sich ein Schütze befinden. Sofort ging er in Angriff. Die Klinge in Herzhöhe rannte er auf den Widersacher zu, der ihm in Paradestellung den Weg versperrte und sich sein Rumpfbereich mit seiner Waffe schützte. Er erreichte ihn, hielt seine Waffe leicht angewinkelt nach unten und hob mit seinem Schwert, das Schwert des Gefängniswärters in die Höhe. Die Finte zu spät erkennend stand er nun wehrlos da und ließ sich die Waffe über seinem Kopf aus der Hand schlagen, erkennend das er an diesem Abend schon den zweiten Fehler begonnen hatte.
Calion, der in einer drehenden Bewegung nun seitwärts vom Wächter stand schlug mit der scharfen Seite seiner Waffen quer über dessen Rücken. Ein kurzes Stöhnen und er fiel zu Boden, liegend auf seinem Bauch, den Kopf seitlich liegend, wicht die Realität vor seinem Auge und er war den Geisterpfaden näher als den Lebenden Wegen.
Unerwartet schnappte der Mechanismus einer Armbrust zu. Calion wich schnell aus, doch traf ihn der gottlose Bolzen am Waffenarm. Reflexartig brachte er ein kurzes Wehgeschrei hervor, ehe er mit zusammengebissenen Zähnen und das Schwert mit beiden Händen haltend in die Richtung des Schützen lief.
Zwei waren es. Der erste der Geschossen hatte war gerade dabei seinen zweiten Bolzen abzufeuern. Calion schlug es ihm mit einem Schlag von unten weg. Der Mechanismus löste sich und der Bolzen prallte an der Decke ab und fiel zu Boden. Der zweite, der soeben erst abgefeuert hatte, schmiß seine Waffe nach dem Eindringling, der dieser mit einer knappen Bewegung nach hinten auswich, und war dabei seine Waffe zu ziehen, während dessen Kamerad das Weite suchte.
Calion, das Schwert schlapp in seiner Hand haltend, brach mit der gesunden Hand den Bolzenschaft ab und warf ihn achtlos zur Seite. Auf dem Boden fallend, rollte dieser die grob bearbeiteten Steinfliesen laut bis eine Spalte ihn zum stehen brachte.
Sein Schwert mit beiden Händen fest umschlossen, hielt Calion um den verheerenden Schlag des Schützen abzuwehren nah am Boden. Mit der Kraft von zwei schlug er nach oben, brachte so seinen Feind kurz ins schwankend als dieser den Druck an den Waffen nicht mehr stand halten konnte und erwischte in seitwärts. Durch seine Rüstung geschützt, machte dieser Schlag ihm nicht viel aus und versuchte in einer Rundumdrehung seinen Feind zu überwältigen.
Calion wicht mit seinem Oberkörper dem unkontrolliertem Schlag aus und nutze die, durch die Drehung entstandene Orientierungslosigkeit seines Angreifers aus um diesen niederzustrecken.

Trion rannte. Er rannte in sein eigenes Grab. Das wußte er, den er rannte in eine Sackgasse. Wo sollte er hin? Wo sollte er schon hin um sich von diesem irren Eindringling verbergen zu können. Seine Schritte hallten durch die dunklen Gefängnisflure und würden ihn irgendwann verraten. Wo sollte er hin?
Der Gefängnisgang war lang. Sechzehn Türe, und ums Eck nochmals zehn. Doch nur ein Gefangener. Dann ergriff ihn die Vernunft. Er blieb stehen. Wahllos ging er an eine der leeren Zellen und öffnete die aufgeschlossene Holztüre. Sobald er drinnen war, schlug er sie mit seinem Rücken zu und rutschte zu Boden. Zusammengekauert mit dem Rücken zur Tür saß er da und sendete ein Stoßgebet zum Himmel. Was sollte er tun? Diese Kerl würde ihn abschlachten, genauso wie die anderen. Sich ihm zu stellen wäre Wahnsinn. Doch wenn er hier drinnen blieb, könnte diese Zelle bald sein neues Quartier werden. Baron Waldemar kann sehr jähzornig werden, wenn seine Anweisungen nicht befolgt werden. Doch lieber würde er dem Baronen in die Hände fallen, statt diesem neuem, diesem Lord Nimh. Der duldet kein Versagen und macht kurzen Prozess. Dieser, dieser … der war ja noch nicht einmal ein Mensch! Dieser neue General.
Schritte? Verdammt, da war er!

Elender Pfeil! Dachte sich Calion, der mit dem Gesunden Arm sich die Wunde zuhielt. Er lief leicht gebückt und hielt sein Schwert immer noch in der schlaffen, verletzten Hand und schleifte die Klinge über den kalten und feuchten Steinboden. So viele Türen? Hinter welcher verbarg sich nun Rojan? Es war sehr still und ruhig hier. Nichts rührte sich. Nichts außer seinen Schritten, dem Schleifen seiner Waffe, und dem Regen der draußen harmonisch auf die Erde prasselte. Aber keine Gefangenen. Sollten sie Rojan vielleicht doch woanders hingebracht haben? Oder war er im falschem Kerker? Würde er überhaupt hier wieder lebend raus kommen um seinem Herrn, König Lothar von dem Verbrechen zu berichten, das an ihm verübt wird? Wäre er doch nur gleich zurück nach Modos, der Haupstadt Caledonias gereist. Für Rojan war es längst zu spät. Er starb nicht hier in dieser Festung, in Gefangenschaft. Er war gestorben in dem Moment in dem ihn die Hunde fingen!
Verzweifelt ging er an eine der Türen und sah durch einen kleinen quadratischen Schlitz mit Gittern in die leere Zelle. Enttäuscht ging er weiter, die Zelle gegenüber, leer. Eine weitere, Nichts! Er schüttelte nur den Kopf. War es doch vergebens?
Er ging weiter, die Zelle gegenüber. Verdammt! Wieder nichts. Doch wo er schon mal hier war, beschloss er weiter zu suchen.
Was war das? Atem? Ein Herzschlag? Die Hoffnung kehrte zu ihm zurück. Jemand war hier! Und dieser Jemand war Rojan!
Euphorisch ging er den Atemgeräuschen hinterher, hier irgendwo mussten sie sein, sie wurden immer lauter. Hier mussten sie sein! Er blickte in die Zelle, doch da war niemand. Ebenso verstummte der Atem, der zuvor noch ganz schnell und unregelmäßig erklang. Er blickte genauer in die Zelle. Ketten an der Wand, für drei Personen. Doch keine darin. An den Seitenwenden , in die Wand eingearbeitete Holzbretter, so das man sich darauf legen konnte. Die äußeren Ecken mit Ketten an der Wand befestigt. Zwei übereinander pro Seite. Doch wieder war niemand darin. Und der Atem? Er wußte genau das er etwas hörte. War er bereits verrückt geworden, oder trieben Geister ein böses Spiel mit ihm? Vielleicht war es auch nur eine Ratte, die sich nun in ihrem Rattenloch verkroch? Er stieg auf die Zehenspitzen um die naheliegenden Dinge zu sehen. Etwas huschte! Doch war dort nichts mehr, was einem Menschen hätte gleichen können.
Er schüttelte den Kopf. Ging einige Schritte weiter. Die Euphorie, die ihn soeben durchflutete und seinen ganzen Körper neues Leben anhauchte war von ihm gewichen. Doch jetzt war er so weit gekommen. Nun würde er alle Türen hinter den Steinmauern durchsuchen, bis er ihn fand. Oder auch nicht.

Ein dumpfer Schlag, Äonenstille, ein weiterer! Schweigen. Warmes Blut? Das aus einer Wunde klaffte. Roter Trank, das ihn nährte, das ihn verließ. Warm, glühend heiß, welches sich über seine Hand ergoß; Leben, das sich über seiner Hand ergoß, und sie widerlich verklebte.
Kalt, sehr kalt ist es. Es fröstelt ihn. Und leere. Wie eine leere Vase. Soll es so enden?
NEIN! NIEMALS!
Er riß die Augen auf, er erhob sich, erhob sich von den Toten. Doch sie zerrten an ihm. Körperlose Wesen mit dämonenhaften Fratzen. Sie alle zerrten an ihn, zwangen ihn zurück zu Boden, wollten ihn in Stücke reißen. Stück für Stück, ein jeder ein bisschen, um von ihm zu zehren, um von ihm zu leben. Sie packten ihn am Haar, sie packten ihn am Arm, überall wo sie nur ihre tiefen Klauen versenken konnten, da packten sie zu und sie packten nicht bescheiden. Sie packten zu Hunderten und zu Tausenden, ihre Zahl war Legion!
Doch würde er sich unterkriegen lassen? Würde er sich von ihnen zerlegen lassen, bis nur noch Staub und Asche übrig blieb?
NEIN! NIEMALS!
Er würde kämpfen, er würde stehen, er würde wieder aufrecht gehen!
So erhob er sich nun zum zweiten male und nun wichen sie zurück, die Geister mit den Dämonenfratzen, den in seinem Gesicht stand das Leben!
Die Dunkelheit kehrte wieder zurück, doch es war nun eine andere Dunkelheit. Eine Dunkelheit die sich von tanzendem Fackelschein bezwingen ließ. Neben ihm seine Freunde. Sie würden heute im Kampf unterliegen. Das war ihm klar. Mühsam hob er den Kopf. Da lag Arthur, den niemand wirklich ernst nahm, weil er noch so jung war. Und neben ihm der dicke Bernd, der nächstes Jahr zu seinem Großvater ziehen wollte. Warum musste es so enden?
Er sah zur Seite. Da lag Griglor. Den Kameraden den er in dieser Nacht verriet, und sich selbst. Auf der anderen Seite, weiter weg. Melchor, er wollte nur nach den beiden sehen, die unglücklich gestürzt waren. Verdammt! Sollen sie umsonst gestorben sein? Soll ihr Blut umsonst vergossen worden sein?
NEIN! NIEMALS!
Er versuchte den Arm zu bewegen auf dem er lag und der warm von seinem Blut war. Doch es schmerzte ihn, es kostete ihn viel kraft und er spürte ihn nicht. Zu lange war er auf ihm gelegen, das er eingeschlafen war, doch nun musste er ihn wieder bewegen. Er blickte auf. Die Treppe war nur wenige Meter von ihm entfernt. Er robbte ein kleines Stück vorwärts. Es war mit großen Schmerzen verbunden, doch biss er heldenhaft die Zähne zusammen und ließ den Schmerz über sich ergehen. Es war es wert! Diese Treppe würde ihn zum Licht bringen. Und er würde niemals sterben, in dieser Nacht.
NIEMALS!

Kaltes, klares Wasser, plätscherte seine trockene Kehle herab. „Trink“, sprach eine ihm wohlvertraute Stimme, „Du musst Trinken“
Ein kleiner Streifen durchbrach die Schwärze vor seinen Augen und wuchs immer mehr heran. Undeutlich sah er verschwommen jemanden der ihm einen Wasserschlauch an den Mund hielt. Bald erhielt er sein ganzes Augenlicht wieder, und sah so scharf wie noch nie zuvor, das Gesicht Calions. Bald kehrten auch die Erinnerungen zurück. Er war hier in der Festung Arawn, als Gefangener Baron Waldemars. Sie wurden von dessen Männern überfallen, als sie …
„Trink“, wiederholte Calion, „Du musst dich wieder stärken, ehe wir hier raus können.“
Sein Körper schrie zwar immer noch nach Wasser, doch er schob den Wasserschlauch mit seiner Hand beiseite. Das Calion nun hier war, gab ihm neuen Mut. Er griff in seine Tasche und holte einen silbernen Ring hervor, der ein Rankenmuster darstellte der in der Mitte eine Blüte hervorbrachte. Er hielt ihn im blassem Mondlicht, so das er dieses reflektierte und ein schmalen weißen Lichtstreifen in dessen Gesicht zurückwarf. „Nun, würde ich sie doch noch fragen können“, grinste er mit einem zufriedenem Lächeln und steckte sich den Ring an den kleinen Finger, wo er gerade noch passte.
Währenddessen war Calion in den Gefängnisflur vom einem altem Holztisch etwas Brot holen gegangen, welches die Wärter nicht zu ende aßen und brach ein kleines Stück davon ab um es seinem Gefährten zu reichen, der dankbar annahm. Auch er riß sich davon ab, während er sich kauernd neben ihm auf den kalten Boden setzte.
„Rojan?“
-„hm?“
„Wenn einer von uns es nicht schaffen sollte.“
-„Du hast mir das Leben gerettet und ich we…“
„Nein“, schüttelte Calion den Kopf, „der König muss unbedingt vom Verrat Baron Waldemars in Kenntnis gesetzt werden. Verstehst du das! Wenn einer von uns beiden … “, hielt der Retter inne.
Rojan schluckte in die Dunkelheit starrend seinen Bissen herunter und schwieg.
„… dann muss der andere…“,setzte Calion fort. Rojan nickte schweigend und sah ihn mit einem ernsten Blick an: „Waldemar hat schon seine Soldaten und ein Heer Söldner vor seinen Toren versammelt. Wenn wir es nicht schaffen, dann ist alles was uns lieb und teuer ist dem Untergang geweiht. Ich habe riesige Gestalten gesehen, Unholde! Die Gerüchte um den schwarzen Marschall scheinen wahr zu sein“. Calion nickte. Hätte er das Lager vor den Burgtoren nicht gesehen, er würde es ihm nicht glauben. Doch so war ihnen um so deutlicher klar geworden wie verheerend die Lage für ganz Caledonia war.
Rojan biss ein Stück von seiner Mahlzeit ab, kauerte sie genüßlich als wäre es seine letzte und setzte fort, „Du hättest nicht meinetwegen hier her kommen dürfen. Du hättest schon auf dem halben Weg nach Modos sein können. Stattdessen sitzt du hier mit mir in der Höhle des Löwen.“
Calion, sah seinen Freund verletzt an. Als dieser begriff was er da gesagt hatte, legte er ihm seine Hand auf die Schulter und meinte: „Aber danke, mein Freund.“
Aus seiner Trauer gerissen blickte er zu Rojan, welchen er zu befreien gekommen war. Ein freundschaftliches Lächeln zierte sein Gesicht und er ergriff dessen Hand: „Gern geschehen. Mein Freund.“
Dann aßen sie genüßlich ihr Brot, wissentlich das es nicht ihr letztes sein durfte.

Verdammt, der Stein bewegte sich nicht! Saß er doch in der falschen Zelle, dachte sich Trion. Aber jetzt raus zu gehen, wo doch der Irre da war? Er wußte genau, hier war eine Zelle in der sich ein Stein aus der Mauer hat verschieben lassen. Einem Gefangenem gelang vor längerer Zeit die Flucht, und wer schwimmen konnte um über den Burggraben zu gelangen, war nicht nur schnell draußen sonder hatte auch noch einen beachtlichen Vorsprung, wenn seine Häscher seinen Fluchtweg nicht kannten, den geographisch lag diese Seite sehr ungünstig für die Außenwelt. Hügeliges Gelände ermöglichte Reittieren und großen Truppen nur ein langsames Vorankommen. Dies war Zeit genug die Äcker und die Weide so schnell wie möglich zu erreichen und hinter sich zu lassen, um sein Heil im dichtem Wald zu finden.
Doch der dumme Stein ließ sich nicht verschieben! Ruhig, Trion, nur Ruhig, versuchte er sich zu beruhigen. Er war an jenem Abend hier unten, als das Unglück geschah. Er wußte es noch, obwohl er nur ein kleiner Bursche war, nicht reif genug für den Wehrdienst, war er hauptsächlich für die Pferde der höheren Soldaten beschäftigt, doch in dieser Nacht, sollte er den Gefangenen das Essen bringen. Als er die leeren Teller wieder abholen wollte stellte er fest das die Zelle leer war. Die diensthabenden Wärter waren sofort herbeigeeilt und zu Leichen erblasst als sie den Fluchtweg entdeckten. Es handelte sich nur um herumstreunende Vagabunden, also schlossen sie den Geheimgang wieder, in der Hoffnung niemand würde jemals nach ihnen fragen. Doch als Baron Waldemar seine neue Waffe an diesen Gefangenen demonstrieren wollte und diese unauffindbar waren, fand man schnell Ersatz. Die damals diensthabenden Wärter! Da beide notorische Säufer waren, fragte niemand nach der Art der Flucht, doch niemand traute sich seither im Dienst zu trinken. Doch das war alles so unwichtig! Welche Zelle war das, verflucht noch mal! Ruhig, ruhig, es ist alles in Ordnung, besann er sich. Der fremde Krieger wußte nicht das er hier drinnen war, und er würde auch nicht nach ihm suchen. Er hatte ihn vergessen. Und wenn er weg wäre hätte er immer noch genügend Zeit ehe der Baron ihn vermissen würde. Doch was ist wenn dieser Lord Nimh feststellte das er nicht unter den Toten war? Würden sie ihn nicht suchen? Würden sie ihn nicht mit allen möglichen Mitteln suchen und als Verräter hinrichten? Verdammt, wieso musste das ausgerechnet ihm passieren, wo er doch noch nicht mal seine Ausbildung zum Soldaten hat beendet. Er hatte doch noch so viel vor. Ruhig, ruhig. Mal überlegen. Zelle 7! Da saß Rümierg, der gesuchte Mörder. Das wußte er noch genau. Vor ihm hatte er am meisten Angst. Zwei Zellen weiter auf der gegenüberliegenden Seite, vom Eingang weg. Zwei Bauern. Sie waren nicht im Stande ihre Schulden abzubezahlen. Zimmer 12, behielt er im Hinterkopf. Erste Tür ums Eck, dieser merkwürdiger Reisender der so wenig sprach, bis man ihn wieder laufen ließ. Es war die Neun. Und die drei Vagabunden waren! Verdammt! Er saß wirklich falsch! Oh je, oh je, was nun? Trion kauerte sich an die Tür und machte sich daran die Kuppeln an seinen Fingerspitzen abzukauen. Was sollte er jetzt machen. Wenn er nun raus ging in die andere Zelle, nein der irre war doch noch da er würde ihn hören. Hören wie er die Tür öffnete und dann würde es ihm genau so gehen wie seinen Kollegen. Sie werden doch sicher bald die Flucht ergreifen. Wenn es bis dahin bloß nicht zu spät war und die Soldaten des Baronen hier unten schnüffelten. Oh je Oh je!“

Eine halbe Waffenkammer lag zu ihren Füßen. Nur schade das von den fünf Toten niemand die Maße Rojans besaß. Aber eines Kurzschwertes würde er sich getrost bemächtigen. Dann kam der kritische Punk. Wie würden sie nun wieder herauskommen? Eine alte Weisheit sprach: Hinein in ein Gefängnis kommen, ist keine schwere Kunst, heraus aber sehr wohl! Diese Weisheit würde nun hier auf vollste Zustimmung stoßen.
„Wenn wir die Fenstergitter der Kerkerzellen abfeilten?“, schlug Rojan vor. Calion schüttelte nur den Kopf. „Zu schmal. Die Erbauer wußten was sie taten. Davon abgesehen würde es zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Wir sollten hier weg sein, noch ehe sie die Wachen ablösen um festzustellen das diese nun nicht mehr unter den Lebenden weilten“
Rojan nickte zustimmen.
„der Einzige Weg“, Calion zeigte mit seiner Schwertspitze die Treppe herauf, „Ist der Weg über die Burgmauer und über den Graben. Und das nur zur vollen Stunde wenn die Soldaten ihre üblichen Patrouillen wechseln.“
Rojan nickte zustimmend, „Dann los!“
„Dann los“, gab er seinem Freund die Hand, “Möge Flawior mit uns sein!“
-„Möge Flawior mit den Gerechten sein“
Dann ließen sie die Hände von einander, und eilten die ersten paar Stufen ehe sie auf Leichtigkeit und leises, unbemerktes vorankommen setzten. Ein großes Abenteuer wartete auf sie um hier raus zu kommen, das wußten sie und ihre Herzen wußten es auch. Nur wußten sie nicht ob es so heftig und laut schlug aus Vorfreude, Angst oder um sie zu verraten.

Trion schluckte das abgebissene Hautläppchen von seinem Finger runter. Er hatte gehört wie die beiden herausgekommen waren. Er hatte gehört wie sie sich leise Unterhalten hatten. Er hörte wie sie leise an seiner Zelle vorbeigelaufen waren. Er hatte sogar gehört wie sie die Habe seiner Toten Kameraden geraubt hatten. Doch sie würden nicht hören wie er seinen Aufenthalt wechselte. Jetzt oder nie! Entweder die Flucht ins Unbekannte oder der Galgen des Baronen. Er packte sich Mut, riß sich hoch, schaute noch einmal durch die schmalen Sichtstreifen ob sie noch in der Nähe waren. Dann öffnete er bedächtig die Tür, eilend auf leisen Sohlen in die Verheißungsvolle Kammer, und warf sich gen rettenden Steinblock. Er war so voll Freude das er selbst Vergaß die Türe hinter sich abzuschließen. Er bewegte sich! Der Stein bewegte sich! Stück für Stück, Millimeter für Millimeter bewegte er sich Richtung Freiheit und Richtung Leben. Nein, er würde kein Rabenfraß werden!
NIEMALS!

Leise waren sie die Treppe hinauf gestiegen und lehnten nun geschützt in einer Windung, langsam in die Gefahrenzone spähend. Feuerschein flackerte, doch war nichts zu sehen. Keine Wächter! Calion, der die Führung übernahm, sah zu seinem Gefährten und nickte signalisierend mit dem Kopf. Beide stahlen sich vorsichtig weiter zum Ausgang und warfen sich seitlich vor der Tür um noch einmal sicher zu gehen. Calion spickte vorsichtig hinaus und auch Rojan war leicht nach vorne geneigt. Niemand zu sehen, niemand zu hören! Dies war ein gutes Zeichen! Ihr kleines Scharmützel im Kerker war noch nicht entdeckt worden, doch noch sind die Würfel nicht gefallen! Noch konnte alles schief gehen. Ein einzelner Wächter langte und sie hätten die ganze Armee Waldemars auf dem Hals. Und damit wäre jegliche Hoffnung gestorben die Kunde vom Verrat rechtzeitig zu überbringen.
Niemand zu sehen, Mucksmäuschenstill. Jetzt oder Nie! Schnell rannten sie geräuschlos wie möglich aus dem Treppenturm in den langen Korridor. Dicht an der Wand, bis zur Abzweigung zu den Soldatenquartieren als…
„Sieh an sieh an, wenn haben wir den da?“, ertönte eine kräftige, männliche Stimme voll Eitelkeit und Schadenfreude.
Sie waren ertappt! Sie waren wie kleine Mäuse in die Falle gegangen. An die Dutzend bewaffneter Soldaten im Waffenrock waren hinter der Abzweigung postiert und eilten schnell in einem Halbkreis um alle Wege zu blockieren. Der Offizier, ein mittelgroßer Mann mit dickem Oberlippenbart und dunklem Haar stand triumphierend mit verschränkten Armen, seine Beute anstarrend da, ehe er langsam auf sie zukam.
Calion und Rojan standen mit weit aufgerissenen Augen regungslos da. Das Herz war ihn in die Hosen gerutscht. Nun war alles aus!
„Ihr dachtet wohl, ihr könntet hier einfach rein und raus spazieren wie es euch gefiele, nicht? Ohne das meine Männer dies bemerkten, ha!“, mit den Händen am Rücken umkreiste Leutnant Madron die beiden Flüchtlinge um sie noch mehr zu demütigen,
„Verräterpack!“, zischte Calion
„Wie? Hä?“, Madron hielt seine Hand ans Ohr und streckte sich dem wütendem Krieger ins Gesicht als wolle er ihn nach hinten schubsen, „Kann dich nicht hören“
„Ihr habt König Lothar und das Königreich Caledonia verraten dem ihr alle Dient, auch euer verlogener Baron!“
Madron lachte ihn vor Angesicht seiner Soldaten aus, „Der König! Der König! Ein Sklave des Rates! Glaub mir so einen König kann man nicht verraten. Er fordert es Quasi. König Lothar ist ein schwacher König. Eine simple Marionette im Zwist der Magokraten, Kleriker und Aristokraten.“
„Als ob du was von Politik verstündest. Du bist doch nur der Hampelmann Waldemars!“
Wieder lachte der höhnisch, „Ich würde an deiner Stelle nicht so große Töne spucken, wenn ich du wäre. Bist nicht in der richtigen Position dafür“
„Du Verräter!“
Wieder lachte er seine Beute aus, wie ein Kätzchen eine Maus die sie ihn ihren Pfoten hielt und nun damit spielte ehe sie ihm das Genick brach und genüßlich verschlang.
Plötzlich hallten langsame aber feste Schritte durch die stillen Gänge die nur durch das spöttische Gelächter des Leutnants erfüllt waren. Die Soldaten gingen beunruhigt wenige Schritte langsam und unauffällig zurück. Niemand wollte den Gang blockieren aus dem die Geräusche herkamen.
„Lord Nimh! Lord Nimh!“, flüsterte es durch die gelichteten Soldatenreihen und als auch Leutnant Madron merkte was geschah verstummte sein Gelächter. Wie angewurzelt blieb er stehen in den langen Gang starrend. Aus seinem Gesicht war jegliche Farbe gewichen.
Die langsamen Schritte wurden immer deutlicher. Schemenhaft blitzte ab und an etwas metallisches. Seine dunkle Silhouette bewegte sich mit raubtierhafter Eleganz durch die Dunkelheit.
Die Soldaten zogen sich immer weiter zurück. Weg von den Gefangenen, weg vom Gang aus der Lord Nimh kam. Calion und Rojan beobachteten fasziniert das sich ihnen bietende Spektakel. Dieser Lord Nimh musste eine furchteinflößende Person sein, wenn er einem Dutzend gestandener Männer den Angstschweiß aus den Poren triefen ließ, das musste er wahrhaftig sein.
Die kollektive Furcht ließ auch von den beiden Kriegern nicht ab. Calion umklammerte noch sein Schwert das ihm die Fingerknöchel weiß wurden. Rojan hingegen starrte nur gebannt auf die Dunkelheit. Die Schritte brachen für den Bruchteil einer Sekunde aus. Demonstrativ wichen die Soldaten noch einen Schritt zurück. Madron riss sich zusammen. Gaukelte den besonnen Leutnant der respektabel für seinem Vorgesetzten Platz um die Gefangenen machte damit dieser sich nun ihnen widmen konnte.
Dann trat er vorsichtig ins Licht.
Zuerst mit den Füßen. Er stand aufrecht auf seinen kräftigen Hinterläufen, welche die Gestalt von Wolfsbeinen hatten. Gekleidet in knielangen Wildlederhosen die von mehreren Gürteln gehalten wurden, hielten diese Muskelpakete den Koloss mühelos aufrecht.
Die Beiden Krieger packte das Entsetzen, als sie weiter aufrecht sahen.
Ein Wesen halb Mensch halb Wolf, deutlich über zwei Meter groß mit breitem Kreuz, stand aufrecht mit verschränkten Armen vor ihnen.
Sein Gesicht war noch das eines Menschen, wenn auch irgendwie wölfisch angehaucht. Goldene Wolfsaugen starrten funkelnd seine Beute an und ein belustigtes Grinsen verbarg die dahinter befindlichen Reißzähne. Sein Haupt war geschmückt mit wallendem, schneeweißem Haupthaar das ihm bis ins Kreuz fiel und von einem rotem Stirnband zurückgehalten wurden. Aus den Haaren heraus lugten zwei große Wolfsohren mit kleinen Fellbüscheln an den Spitzen. Auf seiner Wange wuchs etwa zehn Zentimeter lang ein Wangenbart. Kinn und Oberlippe hingegen waren ausrasiert. Er hatte eine starke Körperbehaarung, wenn auch kein dichtes Fell über dem gesamten Körper. Nur sein Haupthaar, seine Brust, die Unterseite seiner Arme sowie der Schwanz und ein schmaler Teil seiner Wirbelsäule entlang war mit langem Fell überwuchert.
„So, so. Das sind also König Lothars Helden“, verhöhnte er seine Beute, doch traute sich niemand seiner Männer darüber zu lachen. Nicht mal Leutnant Madron.
Er ging auf sie zu. Gott, bestand dieses Wesen denn nur aus Muskeln? Muskeln die angesichts seines Wuchses und seiner breiten Gestalt noch nicht mal auffielen? Nichts desto trotz bewegte er sich mit einer raubtierhaften Eleganz auf die Helden zu. Sein Roter Umhang mit schwarzem Wellenlinien am unterem Saum sowie ein monströses Schwert auf seinem Rücken, welches die Länge eines Durchschnittlichen Mannes und etwa Fünfzig Zentimeter Breite besaß, ergänzten Lord Nimhs furchteinflößendes Erscheinungsbild. Er baute sich vor den Gefangenen auf. Packte Calion mit einer Hand, die mit Lederriemen und Brandmalen geschmückt war und zog ihn zu sich heran.
Liebevoll wie ein Vater strich er seine riesigen krallenbewährten Pranken durch Calions Haar.
„Armes Kind, bist ja ganz verschüchtert“, sprach er in einer ruhigen, fast schon besorgten Tonfall. Calion zitterte am ganzen Leib. Aus seinem Gesicht war jegliche Farbe gewichen. Er sah mit weit aufgerissenen Augen, gelähmt vor Furcht, der Bestie entgegen, unfähig sich seiner Haut zu erwehren als sein Waffenarm ihm nicht mehr gehorchte und vor Schwäche die Waffe zu Boden fallen ließ. Doch mit seiner Furcht war er nicht allein. Auch von den Soldaten rührte sich niemand. Sie alle wußten was nun passieren würde, sie alle wußten es.
„Armes Kind, sag, wie hast du dich bloß hier herein verirrt? Nicht sehr gesprächig, was?“
Er hörte mit den Streicheleien auf und legte seine große Pranke auf dessen Haupt. Sie war groß genug um mühelos den ganzen Kopf zu umklammern. Eine Sekunde verstrich, vielleicht auch zwei. Augenblicke der Ewigkeit. Die Pupillen seiner weit aufgerissenen Augen wanderten hin und her und versuchten die Aktuelle Lage noch unter Kontrolle zu bringen, unwissend das die Leitung zum Gehirn längst abgekapselt war und somit alle Informationen ins Leere strömten.
Ein, zweimal streichelte Nimh ihn noch. Paukenschläge donnerten aus des Hasens Brust wie in einer Zirkusvorführung ehe der große Höhepunkt eintrat. Die Blicke aller Anwesenden waren nur auf die beiden gerichtet. Vater und Sohn, Wolf und Hase. Niemand, wagte es auch nur für einen Moment mit den Wimpern zu zucken. Die Soldaten wußten wie diese Nacht für ihren Gefangen enden würde. Sie alle wußten es! Und doch war jeder von ihnen so gebannt das er es nicht fertigbrachte wegzusehen um sich den Anblick für ein ganzes Leben zu ersparen. Nur Rojan sah mit einem anderem, wenn auch ebenso gebanntem Blick auf das Geschehen. Auch sein Herz entsprach einem schnell gespieltem Instrument
Dann, eine ruckartige Bewegung, ein grausames Knacken das niemand, wirklich niemand, und am allerwenigsten Rojan hören wollten. Nein! Dies war nicht geschehen! Dies konnte nicht geschehen sein. Das war doch alles nur ein Traum. Ein wirklich übler Traum aus dem er jeden Moment schweißgebadet aufwachen würde. Dies alles konnte nicht wahr sein. Dies alles entsprach nicht der Wahrheit. NIEMALS! Auch seine Leitungen waren unterbrochen nachdem er seinen Freund wie eine riesige Puppe in Nimhs Armen sah.
Sein Kopf hing mit trübem Blick taumelnd hin und her. Blut quoll langsam aus einem triefendem schwarzem Loch wo eins sein Kopf war. Zunächst nur zögerlich doch als die erste Lawine sich ihren Weg erstmals gebahnt hatte sprudelte sein Lebenselexier wie aus einer Bergquelle hervor und ergoß sich in einem Wasserfall seinen spielzeugartigen Körper herunter und beträufelte den kalten Stein und tränkte es in ein kräftiges rot.
Es war ein entsetzlicher und zugleich widerlicher Anblick für Rojan mit anzusehen unter welchen Bedingungen sein Freund sein Leben lassen mußte.
Dann, ehe er sich versah, wurde er kräftig an seinem Arm gepackt. Lange Krallen bohrten sich in sein Fleisch das Blut herausquoll und brannten höllisch als er zu diesem Scheusal herangezogen wurde.
„Und du? Magst du einfach so gehen ohne dich zu verabschieden?“
Er musste was tun er musste handeln. Sonst würde es ihm genau so ergehen wie seinem Freund. Verdammt er musste einfach etwas tun. Dieser Lord N… Nimh, sah ihn erwartungsvoll an als warte er auf eine Antwort. Er musste einfach was tun. Er sich zusammen, packte alles in sich, was ihn noch am Leben hielt und ließ es in seine Faust gleiten.



„Wie Unhöööö“, sein liebevolles Grinsen wich einem Schmerzenslaut und er griff sich an die Brust wo ihn der unerwartete Schlag Rojans traf. Instinktiv ergriff dieser die Flucht und rannte vor dieser Bestie weg, vorbei an den weit voneinander stehenden Soldaten die, starr vor Schreck und Erstaunen über das Schauspiel keine nennenswerte Barriere bildeten.
Er rannte die Treppen herunter, so schnell er konnte. Von der Dunkelheit verschluckt eilte er den Gewundenen Pfad ins Erdinnere, wie durch den Tunnel eines riesigen Wurms. Er rannte durch den Gang im Vorzimmer, über die toten Wächter, welche es sich sonst hier gemütlich machten. Er rannte, sein Herz donnerte wie die Trommel einer Sklavengaleere auf der Flucht vor Piratenschiffen. Er rannte, doch wohin? Er rannte in sein Verderben, in seine Todeszelle zurück, aus der er zu flüchten versuchte. Mit seinem Freund, der dafür sein Leben ließ. Er war gedankenlos zurück gerannt, doch nun war es zu spät anderswohin zu gehen. Er rannte in den Gefängnisflur, knallte mit seinem Rücken die Tür hinter sich zu, drehte zweimal den Schlüssel um und rang nach Luft. Er musste einen klaren Kopf bekommen, sonst war alles verloren. Stille kehrte ein. Genauer gesagt, er nahm sie wieder wahr. Bruchstücke von Sekunden, doch Äonenlang, in denen er verzweifelt nach Luft rang, als sei er vom Grund eines Sees zurück an die Oberfläche aufgetaucht um nun wieder nach Luft zu schnappen. Er war naß, von Kopf bis Fuß. Naß, und klebrig! Das war der Schweiß. Kalter Angstschweiß und heißer Erschöpfungsschweiß verbanden sich zu einem unausstehlichem Gemisch in das er hinein getaucht wurde. Er schnaufte laut und hielt sich mit seinem gesunden Arm die verletzte Stelle. Ihm schien es als würde sie munter in ihm lodern. Doch dieses Brennen fraß von ihm, und von seinen letzten Kraftressourcen. Er war wenige Sekunden an der Tür gelehnt, doch sie schienen ewig.
Was ist das? Eine offene Tür? Schnell rannte er dort hin. Seine Schritte hallten in den Gefängnisfluren. Wieso nur schien der Weg vor ihm immer länger zu werden und von ihm davon zu rennen. Endlich, geschafft. An den Türpfosten gelehnt sah er hinein.
Verdammt! Das war die Rettung! Ein Klotz war aus der Wand geschoben und silbriger Mondschein schien hindurch. Es war ein Wunder geschehen! Die Götter meinten es gut mit ihm! Sofort rannte er darauf zu, nein noch schnell zurück die Zellentür hinter sich schließen um seine Verfolger länger suchen zu lassen und so Zeit zu gewinnen. Dann warf er sich in den quadratischen Gang hinein, richtete sich auf und kletterte die senkrechte Öffnung hinaus. Dies war kein leichtes Unterfangen. Der Boden war Matschig, den der Himmel entleerte sich mit Stummen, schwarzen Wolken die keinen Stern am Himmel glitzern ließen. Nur der Mond, war mächtig genug es sich auf einen Ringkampf mit den Wolken einzulassen und so kämpfte er um seinen Schein, mal Verloren mal Gewonnen.
An der Oberfläche angelangt versteckte er sich nahe der Festungswand, hinterm Dickicht. Über ihm auf den Zinnen waren keine Wächter zu sehen. Doch bei dem schwachem Licht war dies auch kein Wunder. Vorsicht war angeraten, den er würde in dieser Nacht keine dritte Chance bekommen. Schnell schlich er auf allen Vieren durch die vom Regen aufgewühlte Erde zum Burggraben. Erst schnaufte er noch die verbrauchte Luft in sich ehe er seinen Luftvorrat auf ein Maximum auffüllte und ins schwarze Wasser tauchte, bis auf den Grund!
Er riß die Augen auf. Bald tauchte ein verschwommenes Bild vor seinen Augen auf. Dann schwamm er am Grund des Grabens ans andere Ufer und tastete sich etwas von der Festung weg. So leicht würde er es seinen Feinden nicht machen!

Lord Nimh war erstaunt über den Schmerz auf seiner Brust, den dieses Kind ihm verursachte. Und er fürchtete sich! Fürchtete sich das die um ihn herumstehenden Menschen seine Schwäche erkannt hatten, doch noch verdeckte er die wunde Stelle mit seiner Hand.
„Worauf wartet ihr? Holt ihn!“, schrie er erzürnt die Ölgötzen an um sie endlich von sich zu scheuchen, und sie taten wie ihnen befohlen, selbst Leutnant Madron, brauchte keine zweite Aufforderung um hinunter zu gehen und ihn allein zu lassen. Wütend starrte er den letzten hinterher bis er ganz sicher war, das er ungesehen war. Dann wagte er es die Hand von der Wunde zu nehmen. Ein Abdruck war geblieben, hatte sich leicht hinein gebrannt in sein Fleisch. Es war eine kleine Stelle, die eine Rosenblüte umgeben von einigen Ranken darstellte. Er war erleichtert. Fell würde bald drüber wachsen und dann sehe es niemand, und so sieht es wie eine beabsichtigte Schmucknarbe aus. Dieser kleine hatte verdammtes Glück. Ohne diesen kleinen Ring der aus reinstem Silber bestand, es konnte nur Silbers sein, das wußte er, kein anderes Metall wäre in der Lage ihm eine Wunde zuzufügen, wäre der kleine jetzt Tod.

Madron kam als einer der Letzten im Untergeschoss an. Beinah stolperte er über die Leiche eines toten Soldaten. Erstaunt darüber wie dieser eine Krieger es fertig gebracht hatte all diese Männer zu überwältigen und zu töten, warnte seinen Verstand, das auch der andere ein gefährlicher Kämpfer sein könnte. Die Krieger des Königs verstanden also ihr Handwerk! Nun gut. Er sah sich um. Seine Truppe hatte sich bewaffnet im Raum verteilt jedoch eine Schneise zur geschlossenen Tür bildend, die in die Gefängnisflure führte. Ihm war klar, sein Gefangener verbarg sich dahinter. Vielleicht hinter der Tür, wartend das er hineinkam um aus dem Hinterhalt erschlagen zu werden. Vielleicht wartete er direkt neben der Tür, oder ums Eck, vielleicht würde er sogar aus einer Zelle hervorspringen. Vielleicht wartet er nur darauf bis alle drinnen sind und würde dann aus einer Zelle hervorspringen und die Tür abschließen. Doch er würde sich von ihm nicht narren lassen. Mit einfachen Handbefehlen gab er seinen Leuten die Befehle. Ihr bleibt hier, versperrt den Durchgang. Ihr wartet an der Seite, bereit zuzuschlagen, wenn es erforderlich sein sollte. Der Rest solle auf sein Zeichen vorgehen. „Rojan! Rojan!“, schrie er, hörst du mich? Wir kommen jetzt rein!“
Ein kleiner Wink und die beauftragten stürmten hinein, sicherten zu beiden Seiten die Lage und nickten ihrem General zu, er möge kommen. Mit langsamen stolzen Schritten tat er dies auch. „Wo versteckst du dich?“, fragte er ihn: „Du weißt doch ganz genau das du nicht entkommen kannst!“, blitzschnell ging er an eine der Türen und riß sie auf. Niemand drinnen, doch es war gut das er gleich zur Seite gesprungen war. Denn wenn er drinnen gewesen wäre, hätte ihn diese Aktion das Leben kosten können. Er war bewaffnet und wenn sein Gefährte es mit einer Hand voll Soldaten aufnehmen konnte, dann sollte man ihn auch nicht unterschätzen.
„Hörst du mich?“, vergewisserte der Leutnant sich als er langsam weiter in den Gang eindrang, seine Wächter selbstverständlich voraus. Er drehte sich noch mal um, um zu sehen ob die aufgestellten Wächter an der Tür ihrer Aufgabe gewissenhaft nachgingen. Beruhigt setzte er fort: „Gib’s doch auf!“
Wieder öffnete er eine Zellentür und sprang ruckartig beiseite um einem möglichen Angreifer auszuweichen. „Du hast überhaupt keine Chance, das weißt du doch. Ich könnte dich auch hier ganz einfach einschließen und den Schlüssel wegwerfen. Du siehst, es macht keinen Unterschied“
Er blieb einen kurzen Moment stehen: „Wenn du dich jedoch bedingungslos stellst könnte ich ein gutes Wort für dich einlegen. Ein schneller Tod ist noch immer besser als eine qualvolle Todesfolter. Vielleicht könntest du aber auch mit dem Leben davon kommen. Das hängt von dir ab. Komm, sein kein Kind! Wo bist du? Zeig dich!“
Er hörte wie die Soldaten plötzlich aufgeregt waren und jemand langsam die Treppen herunterkam. Verdammt! Lord Nimh! Wieder blieb ihm das Herz im Hals stecken, doch er schluckte es runter. Er musste besonnen aussehen. Nein er musste besonnen sein! Der große Wolfsmensch musste leicht gebückt laufen um nicht mit dem Kopf an der Decke zu stoßen. Doch das tat seiner gefährlichen und zugleich grazilen Art keinen Bruch. Es war dunkel hier, und seine Augen funkelten golden wie die einer Eule die ihre Beute aus dem Verborgenem beobachtete ehe sie sich mit ihren Krallen auf sie stürzen würde. Nein, keine Eule! Er war ein Wolf. Wolfsaugen blickten lauernd durch die Dunkelheit und führten ihren Besitzer direkt zu ihm.
Leutnant Madron räusperte sich um seine Stimme wieder zu fassen: „Los! mei …, unsere Geduld geht zur Neige!“
„Er ist nicht hier“, sprach Nimh mit einem genervtem Unterton in seiner Stimme, noch ehe er Madron erreichte.
„Was?“, fuhr es aus Madron hervor, „Das kann nicht sein! Wo …“
-„Er ist nicht hier!“, bekräftigte Lord Nimh seine Aussage.
„Los! Öffnet alle Zellen!“, befahl Madron und es verstrich nicht viel Zeit bis die Fluchtzelle entdeckt wurde. Der Leutnant überzeugte sich erstaunt und war zugleich fassungslos über der Tatsache das in seinem Gefängnis solch ein Fluchtweg existierte. „Verdammt!“, fluchte er, „Los! Schnell! Holt ihn! Laßt ihn nicht entkommen!“. Wie aufgescheuchte Hühner rannten die treuen Soldaten in die Zelle hinein durch den Fluchtweg nach draußen um Festzustellen das die Spur des Flüchtenden sich nur bis zum Burgraben verfolgen ließ. Sofort erstattete der Ranghöchste Leutnant Madron und Lord Nimh Bericht.
„Das darf doch nicht Wahr sein!“, fluchte Madron, „Los! Worauf wartet ihr! Schlagt Alarm und sucht nach ihm. Weit kann er noch nicht gekommen sein!“

Es rasselte leise. Leise und Regelmäßig, rasselten kleine Nägel aus Wasser auf Gaias Leib. Leise rasselten kleine Nägel auf grüne Gräser und Moose, feine Fühler die strebsam wie kleine Härchen gen Himmel wuchsen um mit kleinen Händen die Sterne zu pflücken. Leise rasselten kleine Nägel auf schwarze Erde. Trocken, feinkörnig, Reich an Leben. Nun zu einer unbeständigen und klebrigen Masse verwandelt, wie Götterspeise oder eine Teergrube, die alles Leben, welches sich in ihr verfing zu schlucken versuchte, nicht bereit sich davon zu trennen.
Der Himmel weinte!
Ebenso weinte eine Gestalt auf Erden. Mühsamen und erschöpften Schrittes kämpften er sich durch matschigen Boden durch, der ein dämonisches Eigenleben entwickelt hatte und seine Klauen und Fänge nach den Füßen des Wanderers ausstreckte um diesen zu ergreifen. Doch Rojan ließ sich nicht bezwingen. Er kämpfte. Kämpfte gegen den feindlichen Boden, kämpfte gegen seine Verzweiflung, kämpfte gegen seine Erschöpfung, und nicht zuletzt, er kämpfte auch gegen die Zeit. Es würde nicht lange dauern, und es wäre seinen Feinden bekannt das er sich nicht mehr hinter ihren Mauern befand. Dann würden sie zu Pferd und Fuß nach ihm jagen. Er brauchte jeden Vorsprung den er erzwingen konnte.
Weicher, weißer Nebel. Dicht über dem Boden schwebend hüllte ihn ein. Verschlang ihn, und versteckte ihn. Raubte ihm die Sicht und verzerrte alles was er sah zu schemenhaften, schwarzgrauen Silhouetten, die geisterhaften Wesen glichen, welche lauernd ihm entgegen liefen. Doch gleichzeitig trübte dieser Nebel seinen Feinden die Sich und ließ ihn in sich untergehen. Und dafür war er sehr dankbar, denn dies war seine einzige Deckung auf dieser riesigen Weide. Schutzlos wäre er dem Auge der Schlange ausgeliefert gewesen und schnell ergriffen. Mühelos war er durch den Burggraben geschwommen und verwischte somit seine Spuren, doch Kraft- und Zeitraubend war der Abstieg über die steilen Felsvorsprünge bis er diese Weide erreichte, und nun hoffte er so schnell wie möglich den Wald zu erreichen, der sich durch die Nebelschwaden ihm andeutete. Sein Magen knurrte, und er zitterte am ganzem Leib. Das kleine Bad hatte ihn vom Schweiß sauber gewaschen, doch nun war er der Kälte schutzlos ausgeliefert. Er spürte wie seine Temperatur anstieg und er fürchtete von innen zu verbrennen. Doch am meisten spürte er den stechenden Schmerz in seinem Arm der mit einem Höllenpein loderte. Er hielt den Arm dich am Körper angewinkelt, mit dem anderen Hand umschloss er schützend die Wunden, die die Krallen dieser Bestie ihm zugefügt hatten. Die Stelle war angeschwollen, sicherlich auch entzündet und ließ ihm keine Ruhe. Doch vielleicht brauchte er diesen Schmerz. Solange er sich auf seine Verletzung besann, dachte er nicht an seine Häscher, was ihn nur in Panik versetzen würde. Und er achtete nicht auf sein Schwindelgefühl. Plötzlich stolperte er, fiel in die Hände der Erde. „Argh, Verdammt!“, fluchte er als er sich kraftlos zu erheben versuchte. Am Boden liegend sah er hinter sich. Da war niemand. Nein, es ging nicht, er konnte sich hier keine Pause leisten. Verzweifelt robbte er sich einige Meter über den saugenden Boden, bis er sich auf die Knie setzte und anschließend aufrichtete. Er lief einige Schritte, leicht wankend. Dann stolperte er wieder. „Scheiße“, flüsterte er mit verzweifelter Stimme. Diesmal kam er nicht mehr auf. Er würde es nicht schaffen, er würde es nicht schaffen seinem König die Nachricht vom Verrat zu überbringen. Er würde es nicht schaffen seinen Herrn zu warnen um so Maßnahmen in die Wege zu leiten, die die Menschen die ihm nahe standen und die er liebte zu beschützen. Dicke Tränen kullerten seine schmutzige Wange herunter. Er würde es nicht schaffen! Er hörte schon die Todesglocke des dunklen Sendboten nur für ihn klingen. Eine dumpfe, schwere Glocke, wie die eines Kirchturms. Verschwommen sah er durch den Tränenfluss in die Ferne. Er konnte nichts erkennen. Noch einmal wollte er alles sehen. Er wischte sich mit der gesunden Hand die Augen trocken. Dieser Ring, er war nicht für ihn bestimmt. Sondern für einen anderen Menschen. Dem er diese kleine Kostbarkeit als Zeichen seiner Liebe schenken wollte. Rojan stützte sich mit den Ellenbogen beider Hände ab. Auch wenn sein anderer Arm stark zitterte, glitt er liebevoll über die Oberfläche des Ringes, tastete die Rosenblüte, tastete die Ranken außen herum, laß den Namen mehrmals still in seinen Gedanken, der auf diesem Ring eingraviert war. Es wäre so schön gewesen. Wieder war sein Blick getrübt von salziger Traurigkeit. Die Totenglocke hielt inne. Moment! Das war keine Einbildung! Das kam von der Festung! Seine Gedanken waren von ihm gewichen und machten reinen Überlebensinstinkten Platz. Er robbte sich über den Boden, versuchte sich hochzustemmen, mit aller Kraft. Er schaffte es! Nun stand er wieder auf den Beinen. Gekrümmt und nach Gleichgewicht taumelnd versuchte er die ersten Schritte. Er stand noch, fast wäre er umgefallen, doch er stand noch. Er nahm seine letzten Kraftreserven, welche er längst verbraucht zu haben glaubte und lief weiter zum Wald. Er musste es schaffen!


Mit verschränkten Armen, stand Lord Nimh hinter den Burgtoren Arawns. Er war ganz und gar eingehüllt in seinem rotem Umhang, so das nur ein schmaler Streifen seiner Brust entlang frei blieb. Der prasselnde Regen schien ihn nicht zu stören. Unscheinbar für die im Hof versammelten Soldaten bewegte er seine Nase auf und ab.
Die Soldaten standen alle bereit und regungslos in Suchgruppen formiert, die Hunde an den Leinen haltend und warteten auf Befehle. Auch Madron wartete darauf wie es nun weitergehen würde. Lord Nimh stand immer noch wie ein Steingötze in die Gegend starrend. Nur das riesige, unmenschliche Schwert auf seinem Rücken funkelte im Mondlicht. Madron überlegte ob er nicht zu ihm gehen sollte und fragen was nun sei, doch wer wollte schon diesem Riesen entgegentreten und befehlen. Plötzlich, unerwartet zeigte Lord Nimh in eine Richtung und spie aus sich heraus: „Dort!“
Das war ein sicherer Befehl, Madron wußte wie er sich zu verhalten hatte. „Na los!“, schrie er seine Männer an. Sofort versetzten sich die Truppen in Bewegung. Es würde nicht lange dauern und sie würden ihren Gefangen nehmen. Dessen war sich Madron sicher. Sie würden ihn schnell einholen, solange sie nur wußten wo er sich befand. Und mit Lord Nimh schien dies gewährleistet zu sein.
Nimh hingegen stand immer noch regungslos da und beobachtete wie die Suchtruppen den breit angelegten Weg vom Burghügel herunter eilten. Stolz wie ein Löwe, ober besser, wie ein Wolf grinste er in sich hinein.
„Lord Nimh!“, ertönte eine ihm vertraute Stimme. Gewichen war jeglicher Stolz und machte nun einem genervtem Ausschnauben Platz. Wortlos drehte er sich ein Stückchen zum Baronen um, nur so weit ihm zu erkennen zu geben, das er ihn Registriert hatte, und nun den Auszug seiner Männer weiter Beachtung schenken wollte.
„Lord Nimh, ich muss mit euch sprechen!“
„Nur zu. Ich bin ja hier“, entgegnete ihm eine übelgelaunte Stimme.
Auch dem Baronen schien der Regen nicht viel auszumachen. Er war ein Eitler Mann, doch kein krankhaft Reinlicher wie der Stadtadel in Modos. Sein ehemals dunkler Bart, in welchem sich schon viel grau und weiß geschlichen hatte, genau wie in seinem schulterlangem nur noch an den Schläfen wachsendem Haar, war fein säuberlich aussrasiert, so das er an den Wangen entlang eine einheitliche Linie darstellte.
„Ihr müsst mir diesen Gefangenen unbedingt bringen. Tod oder Lebendig!“
„Fürchtet ihr euch etwa vor einem einfachen Soldaten?“
„Er ist ein Krieger des Königs! Er zählt zu den Eliteeinheiten! Nicht viele gelangen dort hin!“, belehrte Waldemar seinen Hauptmann.
„Interessant!“, ignorierte ihn Nimh weiterhin
„Einem Krieger des Königs schenkt man viel Vertrauen entgegen. Wenn er es schaffen sollte, jemanden von unserem Verrat zu warnen…“
„Unserem?“, wiederholte Nimh verächtlich. Baron Waldemar sah ihn bösfunkelnd an. Sichtlich verärgert schrie er ihn an: „Bring ihn mir einfach! Tod oder Lebendig!.“
„Jawohl“, entgegnete Lord Nimh provozierend und ging gemütlichen Schrittes den rennenden Truppen hinterher.

„Schneller! Schneller!“
Keuchend nach Luft ringend rannte der gejagte Rojan mit unsicheren Schritten vor seinen Verfolgern davon. Er wagte es nicht sich umzudrehen und so wertvolle Zeit zu verschenken, seit er die vielen kleinen Irrlichter hinter sich bemerkt hatte, die immer schneller auf ihn zu kamen. Gebell von Hunden fuhr ihm eiskalt über sein Rückenmark als wäre es das Heulen von Höllenhunden, begleitet von dämonischen Aufsehern, die sie immer weiter antrieben ihn zu fassen. Wie das Geheul einer Banschee fuhr es in ihn hinein und brachte ihn nahe dem Ende seines Verstands. Er durfte nicht denken, nur rennen! Denn wenn er dachte würde er nur seinem Wahnsinn ausgeliefert werden.
„Da ist er!“, erklang eine gehässige Stimme. Nein, er würde sich nicht umdrehen! „Los! Schneller!“. Er war bereits am Ende seiner Kräfte. Er würde nicht lange durchhalten. Das wußte er genau. Tief in seinem Unterbewusstsein wußte er es. Doch etwas anderes, unbekanntes in ihm, befahl ihm zu rennen und er gehorchte. Da war der Wald. Nur noch wenige Meter. Dahinter hätte er genügend Deckung um seine Verfolger lange Zeit im Baumlabyrinth nachgehen zu lassen. Er musste ihn einfach erreichen. Er schloss die Augen. Er konnte es nicht mit ansehen wie der Wald nur spärlich ihm entgegenkam, während der Abstand zwischen ihm und seinen Verfolgern immer kleiner wurde.
Ein aus dem Boden ragender Stein! „Argh!“ Er fiel zu Boden. Welch unseliger Stein, mochte er ihn doch am liebsten Verfluchen! Er löste seinen Fuß und robbte, während er sich aufrichtete noch wenige Meter durch nasses Gras und matschigen Schlamm. So viel Zeit hatte er verloren! Nein, er drehte sich nicht um.
„Da ist er! Laß die Hunde los!“
Noch wenige Meter, trennten ihn von seiner Oase. Er durfte nicht denken! Durfte nicht daran denken das Hunde seine Witterung aufnehmen konnten, er durfte nicht daran denken das ein weit kegelförmig zerstreuter Trupp mit den selben Waffen nach ihm suchte. Er durfte nicht daran denken das ein abscheuliches Wesen, welches seinen Freund tötete, hinter ihm her war um das selbe Urteil auch an ihm zu vollstrecken.
Noch 20 Meter, 15!
Er durfte nicht daran denken wie die Hunde ihm näher kamen. Er war doch so nah am Ziel. 10! Er setzte im Lauf zum Sprung an. Und, Endlich! Der Wald nahm ihn schützend vor seinen Verfolgern in die Arme. Er rannte immer tiefer hinein, wie ein Kind seiner Mutter entgegen. Er war voll Freude, wie ein Veteran der Heimkehrte. Jetzt musste er nur noch das Ziel seiner Reise aufsuchen, nach dem er sich so lang sehnte. Und das war ein wenig Rennen schon wert. Er rannte gerade aus, an den Bäumen vorbei die sich ihm wie Hindernisse auf einer Rennbahn entgegenstellten um ihn davon abzuhalten als Erster durch die Ziellinie zu gehen. Doch er würde sich nicht besiegen lassen. Er hatte einen beachtlichen Vorsprung gegen seine Mitläufer und den würde er sich nicht nehmen lassen. Wofür hatte er schließlich all die Zeit mühsam trainiert gehabt?
Die Hunde erreichten den Wald, sprangen ebenfalls zwischen Bäumen und Gestrüpp hindurch, bereit die Verfolgung aufzunehmen. Eines der Jagdhunde sprang um Zeit zu sparen durch ein lichtes Dornengestrüpp. Unverhofft blieb er darin stecken, und wand sich vergeblich heraus. Irgendetwas schien ihn festzuhalten. Je mehr sich das arme Tier nach seiner Freiheit sehnte, desto feste packte das Pflanzenwerk zu, krallte sich mit seinen Dornen in das Fell des Hundes, welcher schmerzerfüllte Klagelaute von sich gab bis es schließlich einsah, das es vergeblich war und ruhig verharrte. Die anderen Hunde jagten weiter.
Rojan rannte, er dachte an den Sieg, den Lorbeerkranz, und die zurufe von der Tribüne aus. Auch wenn er nur noch nach Luft rang, sein Schweiß sich Eimerweise aus ihm entleerte und er seine Beine nicht mehr spürte und in den nächsten Tagen schrecklichen Muskelkater hätte, es war es Wert!
„Los er ist in Wald!“, fluchten die zwei Häscher die ihm dicht an den Fersen waren. Einer blieb stehen, blies kräftig in sein Horn um die anderen zu signalisieren, und zu sich zu rufen. Der andere rannte weiter die Hunde einzuholen.
König Lothar persönlich würde ihm den Lorbeerkranz aufsetzen und seine schöne Ifalja würde ihm von den Tribünen aus zuwinken. Nein, das würde er sich nicht kaputt machen lassen. Auch nicht durch einen zweiten Platz! Er rannte weiter. Vorbei an den Bäumen, über den abgefallenen Laubteppich, durch Sträucher, Hecken und Unterholz. Er bemerkte diese nicht einmal, wie er an zahlreichen Dornen hängenblieb und durch feine Zweigkonstruktionen Wunden davontrug.
Nun erreichten auch die beiden Hundeführer den Wald, den sich verfangenden Hund ignorierend betraten sie das Reich der Bäume die ihre Äste wie ein Dach über den Waldboden gespannt hatten und den heftig prasselnden Regen teilweise auffingen.
Da war sie, nur noch wenige Meter! Rojan setzte zum Endspurt an, nicht merkend das die Ziellinie ihm kein Stückchen näher kam. Plötzlich stolperte er! Oh nein! Wie verheerend. Er kullerte willenlos einen Hang hinunter, an vielen kleinen aus den Boden sprießenden, Strauchwerk und hervorstehenden Steinen die wie Messer leichte Schnitte in seinen Körper ritzten. Gleichzeitig pflügte er alles um, was sich ihm in den Weg setzte. Kleine Pilze und Pflanzen. Vergilbtes Laub verklebte sich wie Gras zuvor am klebrigem Schlamm, der großzügig an seiner Kleidung haftete und ihm so ein neues Blätterkleid schneiderte.
Endlich am Boden angelangt rollte er noch wenige Meter vom Hang weg und blieb schließlich bei einer alten Eiche liegen. Das Bewußtsein verlor er bereits beim abrollen und blieb somit regungslos liegen.

„Sie müssen in den Wald Emania gelaufen sein, Leutnant Madron“, deutete ein Soldat auf den Wald, „ Sicher würden sie den Gefangenen bald zurückbringen. Sie waren ihm dicht auf den Fersen“
Madron schüttelte den Kopf: „Nein, wir müssen sichergehen. Schickt weitere Männer aus um ihnen Verstärkung zu geben“
„Jawol Sir!“, Feldwebel Laron salutierte und verharrte in dieser Stellung als er merkte das Lord Nimh sich plötzlich wenige Meter hinter ihnen befand als wäre er aus dem Boden gewachsen. Sofort drehte sich Madron um, um nachzuprüfen was hinter ihm sich so faszinierendes abspielte. Überrascht salutierte auch er vom großem Nimh der unbeeindruckt vom Militärjargon mit ruhiger Stimme sprach:
„Wer auch immer auch nur einen Fuß nach Emania setzt, wird den nächsten Sonnenaufgang nicht mehr Erleben“
„L… Lord Nimh!“, salutierte erneut der Leutnant, „Wie darf ich das verstehen?“
„Der Wald verwehrt sich uns. Er möchte nicht das wir eindringen“
„Der Wald?“, wiederholte Madron ungläubig und auch Laron runzelte die Stirn. „Aber der Gefa…“
„Niemand wird den nächsten Sonnenaufgang erleben der Emania auch nur mit einem Fuß betritt.“, verdeutlichte Nimh seine Aussage und wandte sich vom Ort des Geschehens langsam ab um sich zurück auf den Weg in die trockene Burg zu machen.
„Lo… Lord …“, versuchte Madron leise eher zu sich gewannt als zu Lord Nimh der sich immer weiter von ihm entfernte und damit verdeutlichte das er es ernst meinte
„Lord Nimh?“, doch dieser war bereits zu weit weg als das er ihn hörte.

„Wo ist er? Wo sind die Hunde?“ Galion war sichtlich verwirrt. Alles klappte gut, bis sie diesen verdammten Wald betraten. Beinah hätten sie ihn geschnappt. Ach was, sie würden ihn schnappen, fragte sich nur wer ihn zuerst schnappen würde. Er schnaufte immer noch tief nach Luft.
„Vielleicht sollten wir es dort probieren“, zeigte Morner mit seinem Schwert in eine Richtung. Galion nickte. Er hatte ja doch keinen besseren Vorschlag. Die Prämie könnten sie sich abschmieren, so viel war sicher. Jetzt würden auch die anderen jeden Moment hier sein. Verdammt was war plötzlich mit den Hunden, wieso waren sie spurlos verschwunden und wo war dieser Gefangene. Einen so weiten Vorsprung konnte er doch gar nicht haben. Er musste sich irgendwo verstecken! Er spähte langsam an den zahlreichen Strauchwerken um ihn herum. Ärgerlich wenn sich herausstellen sollte, das er sich unmittelbar vor ihrer Nase befand. Er sah hoch zu den Bäumen. Möglich das er irgendwo auf einem Ast saß.
„Galion! Komm schnell! Ich habe etwas gefu… ah!“
Verdammt! Mit gezogener Waffe eilte er zu seinem Kameraden. Dieser Bastard würde ihn nicht auch noch umbringen. Nach dem Gemetzel im Kerker, armer Arthur. Er würde ihn nie wieder lebend sehen.
Sofort erreichte er die Stelle, doch was er da sah war ein zu abscheulicher Anblick. Galion stand regungslos an die Unglücksstelle starrend, wo sein Freund gerade sein Leben ausgehaucht hatte. Ausgerutscht, und in einen abgebrochenen Ast gefallen, der Spitz wie ein Speer sich durch Morners Brust bohrte und warmes Blut dickflüssig aus ihm herausquellen ließ. Verdammt! Wie viele Menschenleben würde diese Nacht noch fordern? Galion glaubte plötzliche Stimmen zu hören. Überall um ihn herum. Grässliche, Verzerrte Schreie die ihn umzingelt hatten und auslachten. Galion drehte sich blitzschnell um, diesen Perversen rechtzeitig zu entdecken, doch hinter ihm war niemand. Wo kamen die Stimmen her? Sie schienen von überall zu kommen! Er drehte sich um die eigene Achse. Nichts, nur dichter weißer Nebel und graue Bäume die wie Schatten aus diesem ragten. Wo kamen die Stimmen her? Überall um ihn herum: dünne Riesen mit langen dürren Armen auf denen knorrige Finger sich in alle Richtungen ausstreckten und ihm ungeheuerlich immer näher zu kommen schienen. Wo kamen diese Stimmen her? Wer lachte so gehässig? Er hielt sein Schwert mit beiden Armen, kampfbereit und fest umschlossen das sogar seine Knöchel weiß wurden. „Hört auf!“, befahl er den Stimmen, „Hört endlich auf!“. Willenlos schlug er nach einem Baum als wäre es sein Feind. Er brach ihn Tränen aus: „Hört auf!“. Er schlug wild um sich, traf mehrere Bäume bis schließlich seine Klinge im Stamm einer großen Birke steckenblieb. Er umklammerte fest den Griff und versuchte seine Waffe aus der Gefangenschaft des Holzstammes zu befreien und zog mit sämtlicher Kraft. Doch die Klinge bewegte sich kein Stückchen. Dafür glitten Seine nassen Hände langsam vom Griff bis sie diesen schließlich ganz verloren hatten. Er viel auf den Rücken, dicht neben seinem Freund. Galion setzte sich auf die Knie, schrie ein letztes mal „Hört endlich auf!“. Dann vergrub er sein Gesicht im Boden. Mit seinen Händen hielt er sich die Ohren zu, damit diese Geräusche endlich aufhörten, doch sie lachten weiter. „Renn Galion“, sprach sein verunglückter Freund, „Renn um dein Leben“.
Was? Er drehte seinen Kopf langsam zu seinem verunglückten Kameraden, seinem Freund um, sah in dessen kalten, leeren Augen aus denen jegliches Leben gewichen war und ihn nun ausdruckslos anstarrten „Renn um dein Leben. Bevor es zu spät ist. Renn!“
Galion nickte. Von Panik überfallen rannte er los. Er rannte den Weg zurück den sie hergekommen waren. Seinem Blick verschloss sich die Realität um ihn herum. Er sah nur noch den Weg geradeaus vor sich, wie ein Tunnel. Der Pfad der ihn hier rausbringen würde, das sah er. Und sonst nichts. Er rannte so schnell er konnte, nur weg von hier! Möglichst schnell aus diesem verfluchten Wald!
Ihn würden sie nicht kriegen!
NIEMALS!

„Leutnant Madron? Was sollen wir jetzt tun?“, fragte Laron salutierend nun schon zum zweiten mal. Madron der verunsichert und sich von Lord Nimh überrumpelt vorkam, sah diesem stillschweigend hinterher bis er von Nebel und Dunkelheit verschlungen war.
„Leutnant Madron? Was soll ich den Männern sagen?“
„Ach, nerv du mich nicht auch noch, du verdammter Arschbluter!“, fauchte Madron ihn an. „Du hast doch selbst gehört was Lord Nimh gesagt hat. Oder? Kommando zurück!“
Plötzlich kam Galion wie ein Irrer aus dem Wald gerannt, das er beinah einige Soldaten die den Waldrand umkreisten umgerannt hätte, wenn diese nicht rechtzeitig ausgewichen wären.
Seinem Gesicht war jegliche Farbe gewichen und machte nun eine gelbweißen Blässe Platz. Einige Soldaten gingen auf ihn zu um ihn zu beruhigen, wurden jedoch von diesem zur Seite geschlagen. Es lag auf der Hand das dieser Mann den Verstand verloren hatte. Zielstrebig rannte er auf Leutnant Madron zu, der sich von dessen Anblick bedroht fühlte und bereits nach seiner Waffe zog. Nur einem herausragendem Stein, war es zu verdanken das in dieser Nacht kein weiteres Blut floss.
„Leutnant Madron! Leutnant Madron“, winselte Galion, während er die letzten paar Meter zu seinem Anführer durch die schlammige Erde robbte, „Morner ist tot! Morner ist tot!“
„Was?“, starrte ihn Madron unbeherrscht und ungläubig an, obwohl er genau wußte, dieser Mann konnte nicht Lügen, nicht in diesem Moment! Nun wußte er wie er handeln würde. Dieser Bastard hatte schon genügend seiner Männer auf dem Gewissen.
„Ich weiß es nicht. Es waren so, so … viele und es war dunkel und der Nebel. Und plötzlich, da … da …“
„Schon in Ordnung Galion“, beruhigte er ihn und wandte sich an seinen Feldwebel, „Gib den Männern den Befehl ihn aufzuspüren. Und sie sollen nicht eher Ruhen, ehe sie ihn gefunden haben.“
„Jawohl Sir!“, salutierte dieser gehorsam.
„Nein! Nein! Das dürft ihr nicht!“, Galion sprang schnell auf Leutnant Madron zu und klammerte sich flehentlich an dessen Beinen fest, „Ihr dürft da nicht rein. Dieser Wald ist … ver… flucht!“
Die umstehenden sahen ihn nur mitleidig an und gingen kopfschüttelnd weiter. „Bitte! Ihr dürft da nicht rein. Erst, erst waren die Hunde weg, dann, dann war Morner weg und dann, war er Tod! Ich schwöre euch , es war kein Mensch der ihn umbrachte. Er liegt Tod im Wald, auf einem Baum aufgespießt und dann, dann hatten sie plötzlich von überall angefangen zu lachen und ich , ich schrie sie an, sie sollen aufhören, doch sie lachten weiter, ihr dürft da nicht rein gehen, sonst werden ihr alle Sterben!“
Madron blieb stehen, er schüttelte den Kopf. Nein, das war Unsinn. Dann ging er weiter, ignorierte den armen bedauernswerten Tölpel.
„Leutnant Madron?“, kam Kalm von der Seite, ein weiterer Feldwebel, auf Madron zu.
„Was ist?“, entgegnete dieser ihm mürrisch.
-„Irgendwas stimmt mit den Hunden nicht. Die sind ganz aufgebracht und wehren sich in den Wald zu gehen. Selbst mit Gewalt erreichen wir kaum was. So was hab ich noch nie gesehen“
„Ach, was du nicht sagst. Die Hunde sind aufgebracht. Na wie rührend.“, fauchte ihn Madron an.
„Leutnant Madron?“, apellierte Laron an seinen Leutnant: „Sollen wir uns wirklich dem Befehl Lord Nimhs widersetzten wegen eines einfachen Gefangenen?“
Madron blieb stehen. Sie hatten ja recht. Befehl war Befehl! Und ehrlich gesagt hatte er auch genug von dieser Nacht. Er starrte auf den schlammigen Boden vor seinen Füßen. Dann stimmte er den anderen nickend zu: „Ihr habt ja Recht. Gebt Befehl umzukehren“
Eine weile noch starte er auf den Boden vor seinen Füßen wie kleine Wassernadeln, während alle andern allmählich den Rückzug antraten.

Das Arbeitszimmer des Baronen war mit antiquarischen dunkelbraunen Möbeln ausgestattet, die sich in einem eitlem Herrenzimmer gut machten. Aus einem Kamin knisterte leise ein aus drei faustgroßen Ignussteinen brutzelndes Feuer. Doch das gemütliche und wärmende Feuer war nicht das einzige Geräusch das den Raum erfüllte. Leises plätschern wie aus einer Bachquelle ertönte von einem kleinen Zimmerspringbrunnen aus, der mit einem kleinem Aquastein betrieben wurde. Die kleine unscheinbare Kostbarkeit stand auf seinem teuerem Schreibtisch wo das leise plätschern gut hörbar war, den Waldemar liebte dieses Geräusch das ihn beim Entspannen half. Doch momentan konnte er sich nicht entspannen. Er saß aufgebracht in seinem bequemen Ohrensessel, seine Pfeife in der einen Hand, eine Schreibfeder in der anderen. Er war gerade dabei einen Brief zu verfassen, so das neben dem knisterndem Feuer und dem plätschernde Wasser sich noch ein drittes Instrument hinzufügte, nämlich das Kratzten einer in Tinte eingetauchten Spitze einer Feder über rauem Pergament. Endlich Klopfte es an der Tür.
„Herein!“, brüllte er und legte die Feder weg. Die Tür ging langsam auf. Sie quietschte nicht, als langsam Lord Nimh gebückt um hindurch zu passen, hereinkam.
„Sie wollen mich sprechen. Baron?“, begann er mit tiefer, ruhiger Stimme.
„In der Tat. Hatte ich dir nicht aufgetragen du sollst mir den Gefangenen bringen? Und? Wo ist er?“
„Es war nicht möglich ihn zurück zu holen.“; antwortete Nimh ruhig mit verschränkten Armen
„Warum nicht?“, hackte Waldemar verärgert nach.
„Die Sicherheit eurer Männer stand auf dem Spiel“, antwortete Nimh knapp.
„Die Sicherheit meiner Männer?“, wiederholte Waldemar erstaunt, „Was schert mich die Sicherheit meiner Männer? Könnt ihr mir das vielleicht erklären? Vielmehr Angst habe ich das dieser Ritter des Königs verbreiten könnte was sich hier abspielt! Habt ihr daran schon mal gedacht? Sagt, was war den, das die Sicherheit meiner Männer vorging?“
„Der Wald hatte sich uns verwehrt. Er wollte nicht das wir eindrangen“, entgegnete Nimh immer noch mit ausdrucksloser, ruhiger Stimme, dem Baronen in die Augen blickend, welcher ihn fassungslos anstarrte. Eine Sekunde, zwei, weitere, bis er sich endlich durchrang etwas zu sagen. Solch eine bescheuerte Antwort hatte er nun wirklich nicht erwartet. „Der… Wald?“, betonte Waldemar, „Der Wald hatte sich euch entgegengestellt?“ Er lachte künstlich, als er sich dessen Antwort nochmals im Geiste aufsagte: „ Der Wald hatte sich euch verwehrt! Natürlich! Was den sonst? Sag, Machst du dich hier lustig über mich?“
„Nicht im geringsten. Doch es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich Menschen nicht offenbaren. Ich würde es auch nicht glauben wenn ich noch ein Mensch wäre“
„Na wie schön, das du so verständnisvoll bist!“, antwortete ihm der Baron zynisch.
„Versucht es zu verstehen oder auch nicht. Aber ich kann Dinge wahrnehmen die Menschen nicht wahrnehmen“, gestand Nimh, zur Tür gewandt. Augenblicklich registrierte Waldemar, das sich das Gespräch für Lord Nimh erledigt hatte und dieser nun gehen wollte. Entrüstest öffnete er eine Schublade und holte eine einfache silberne Kette hervor die er mit seiner Faust umschloss, als er blitzschnell, sich mit einer Hand auf den Schreibtisch stützend, mit der anderen auf Nimh zeigend, aufstand. „Glaube ja nicht ich tanze nach deiner Pfeife! Ich weiß genau was deine Schwäche ist, Nimh! Oh ja! Ich weiß es!“, die einfache Kette in seiner Faust pendelte hin und her, als dessen Hand versteift auf den Wolfsmenschen zeigte und Waldemar ihn anschrie.
Lord Nimh, der stehengeblieben war, drehte sich langsam mit einem Spielmannsgrinsen zu Waldemar und entgegnete ihm folgendes: „Vielleicht kommen wir ja doch noch ins Geschäft“ und schloss die Tür hinter sich zu.

„Oh Mann!“, fluchte Leutnant Madron, während er seinen Stiefel anzog, „Ergreift den Gefangenen, kehrt zurück, nein holt ihn doch! Könnten die sich nicht irgendwann einmal einig werden?“. Er setzte sich auf sein Bett und schnürte den verdammten Stiefel zu und sah zum Zuber, aus dem warmer Wasserdampf emporstieg. Man, das konnte er jetzt auch vergessen. Bis sie zurück wären, würde das Wasser schon kalt sein. So viel war sicher. Und er hatte sich so sehr auf ein schönes warmes Bad, nach einer kalten Nacht in Regen und Schlamm gefreut. Und dann noch ein paar Stunden Schlaf. War den das zuviel Verlang?
Seine Schwertscheide samt Schwert nehmend, knallte er die Tür seines Zimmers hinter sich zu und machte sich auf den Weg zu den Unterkünften.
„Hey! Aufwachen Jungs!“, brüllte er seine Leute an, die es auch kaum erwartet hatten wieder in ihren Kojen zu schlummern und nun unsanft aus ihren Träumen gerissen wurden.
Zögerlich wachten diese auf, rieben sich die Schläfen, Augen oder Stirn Andere murmelten belanglose Sätze von sich.
„Na hob! Auf! Das muss schneller gehen! Wo ist Laron? Kalm? Irion?“
„Ja sir?“, meldete sich Kalm der in dieser Nacht ohnehin Spätdienst hatte und somit noch am klarsten bei Verstand. Madron, der ebenfalls kurz zurück salutierte gab ihm Anweisungen die Männer bereit machen zu lassen und zwar schnellstens und sich dann im Hof zu versammeln. Dann ging er vor. Elende Nacht! Gott sei Dank würde sie bald vorüber sein. In wenigen Stunden schon, würde die Sonne aufgehen.

Es hatte zu regnen aufgehört. Mit ausdruckslosem Gesicht späte er mit seinem Auge aus dem warmen Zelt nach draußen. Die Wolken rangen nun nicht mehr so stark mit dem Mond, so das dieser sein dürftiges, mattes Licht auf das Lager warf. Viele große Zelte waren planlos auf dem Feld aufgestellt worden, doch nur die wenigsten waren bewohnt. Sie dienten hauptsächlich der Ausrüstung, denn seine Kampfmaschinen, Unholde wie sie im gemeinen Sprachgebrauch auch genannt wurden, hätten ohnehin keinen Platz darin. Davon mal abgesehen, sie waren primitive Lebewesen die Höhlen bewohnten, welche ihnen die Natur in menschenleeren Gebirgen schuf, wo sie allein oder in kleinen Sippenverbänden lebten und in denen das Recht des Stärken die Ordnung bestimmte. Die Menschen mieden sie, wo sie nur konnten. Der Begriff Unhold wurde nämlich nicht umsonst benutzt um kleine Kinder daran zu erinnern artig zu sein, nein er machte auch gestandene Männer zu kleinen wimmelnden Kindern wenn sie vor eines dieser Riesen standen, den sie frassen alles was sie fangen können. Deshalb stellt es auch kein Wunder dar das Jagden in großen Gruppen auf einzelne Unholde immer wieder in der Vergangenheit stattfanden so das auch Unholde es vorzogen menschenleere Gebiete zu bevölkern.
Die Unholde waren groß an Höhe und stämmig gebaut, doch durch Inzucht verblödet und hässlich, um nicht zu sagen mißgestaltet. Häufig kam es vor, das mach Unhold nur ein Auge hatte, zwei ungleich große oder ein drittes auf der Stirn.
Viele beklagten sich auch über ein bis mehrere zusätzliche Gliedmaßen, welche meist jedoch im Wege standen oder sich in ihrem Wachstum mit einem anderem Arm behinderten, doch selten waren sie von Nutzen. Andere hatten mehr als sechs Finger, währen einem anderen zwei Finger zusammengewachsen waren und nur geringfügig bewegbar. Nichtsdestotrotz, sie waren reine Kampfmaschinen und ihre Haut, die häufig mit Flächten, Beulen und ähnlichem Geschwür überwuchert war, war eine harte Hornhaut, die vor so machen leichteren Schwerthieb Schutz bot. Das waren sie, Übermenschen, dachte er spöttisch mit schelmischen Grinsen, als er sich wieder ins Zelt zurückwandte. Diese Narren!
„Was belustigt euch so sehr?“, fragte ein zweiter Mann, der draußen neben dem Zelteingang im Schneidersitz auf mehren Tierfellen auf dem Boden saß. Um ihn herum waren fünf Schälchen im gleichmäßigem Abstand zueinander aufgestellt. In jedem Schälchen befand sich ein Ignusstein, der selbständig brannte und so den Weihrauch in den Schälchen verzehrte. Amöbe Geistergestalten stiegen aus diesen auf, deren verzerrten Fratzen stumme Schrei ausstießen ehe sie sich auflösten um in ihre Geisterwelt zurückzukehren.
Der Mann am Zelteingang ignorierte ihn.
Der Sitzende lachte in sich hinein. „Wir bekommen hohen Besuch“
„Besuch?“, fragte der zweite nach
„Richtig, diese befremdliche Kreatur, von der sich alle fürchten. Und noch einige Soldaten mit ihm Darunter auch der Leutnan.“
Der Marschall wandte sich interessiert zu seinem Wahrsager um: „Was wollen sie, Siedhe?“
„Das kann ich euch noch nicht sagen. Aber ich denke unsere Unholde werden bald was zum Spielen haben“, grinste er sadistisch.
Der Marschall sah ihn eindringlich an.
„Ich meine eure Unholde, Marschall“, korrigierte der Geisterseher sich.

„Ach, du Schande!“, dachte sich Madron beim Anblick der riesigen und häßlichen Gestalten die überall um kleine Lagerfeuer versammelt saßen und riesige Fleischbrocken in sich stopften. Er hielt sich dicht an Lord Nimh, da dieser ihm die meiste Sicherheit bot. Hinter ihm waren zwar noch vier Soldaten mit Schilden und Speeren bewaffnet, darunter auch Kalm, doch auch sie sahen sich vorsichtig nach allen Seiten um, um ja niemandes Aufmerksamkeit oder Mißgunst zu erregen. Sie alle hielten sich dicht an Nimhs Versehen. Beschleunigte dieser seine Schritte, so gingen auch sie schneller, verlangsamte Nimh, so wurden auch sie langsamer. Schon paradox das ausgerechnet das Wesen, von dem sie sich die letzten Monaten am meisten fürchteten nun die größte Sicherheit bot.
Ein Unhold sah mit seinen ungleichgroßen Augen eindringlich auf die sechs Gestalten die durchs Lager gingen. Er stupste seinen Kameraden an und deutete mit dem Kopf ihn ihre Richtung. Dieser, der ein Auge ausgestochen bekam zeigte sich ebenfalls interessiert. Sein offener und sabbernder Unterkiefer, der wohl wegen Mißgestaltung kaum verschließbar war, verzog sich zu einem sadistischem Grinsen. Madron räusperte sich. Nun wurden immer mehr dieser Gestalten auf sie aufmerksam und starrten sie eindringlich an. Dabei viel ihm auf das Lord Nimh, der kleiner war als die Unholde, ganz ruhig und entschlossen wirkte. Sie gingen nun auf ein Zelt zu, das sich wenige Meter vor ihnen befand. Es stand offen und ein Schamane oder Geisterbeschwörer saß davor und verbrannte Weihrauch um sich herum.
Madron sah ihn ausgiebig an. Seine Größe war nicht ganz eindeutig auszumachen, da er sich in einer sitzenden, nach vorne geneigten Haltung befand, doch der Mann war ziemlich dürr, um nicht zu sagen mager! Madron schätzte den Mann ziemlich alt ein. Rötliche Augenränder und tief eingefallene Augen, sowie zahlreiche Falten im Gesicht und Oberkörper die seine Haut alt und ledrig erscheinen ließen sprachen dafür. Auch sein ergrauter Ziegenbart und die lange Skalblocke auf dem sonst kahl geschorenem Schädel sprachen für hohes Alter.
Nimh trat an den Mann heran.
„Wo ist Balior?“
„Ich bin hier drinnen, werter Lord Nimh“, ein mittelgroßer Mann mit schneeweißem Haar, das ihm bis an Kinn fiel trat heraus. Auch in beäugte Madron aufmerksam von oben bis unten. Balior war eingehüllt in einen dunklen Mantel der das meiste seines Körpers bedeckte. Er schien schlank zu sein, doch im Gegensatz zum Schamanen nicht unterentwickelt. Besonders ins Auge stach Seine Augenklappe überm rechten Auge sowie sein weißes Haar, in dem weder blond, noch grau enthalten war. Der Mann schien aber um die dreißig zu sein.
„Was kann ich für euch tun?“, begann Balior das Gespräch, „Schickt uns der Baron endlich in den Kampf?“
„Noch nicht. Habt Geduld“, entgegnete ihm der Wolfsmensch
„Geduld?“, lachte der schwarze Marschall, wie er von seinen Feinden und Konkurrenten ehrfurchtsvoll genannt wird „Ich habe mehr als genug davon. Wir sind nun schon über einem Monat hier und könnten noch über einem Monat warten. Aber ich weiß nicht ob die Kasse des Baronen geduldig genug ist. Wir sind schließlich nicht billig.“
-„Das ist nicht mein Problem. Der Baron schickt euch wenn er die Zeit für angemessen hält“,
„Ich war zu nachgiebig. Ich hätte euch einfach kein Sonderangebot machen dürfen. Normalerweise verlange ich das zehnfache. Wir sind schließlich eine gefürchtete Einheit!“
„Sein Name ist gefürchtet!“, warf Siedhe ein, „Er gewinnt Schlachten noch ehe sie überhaupt beginnen. Lautes Getrommel, Kampfschrie und unzählige gepanzerte und bewaffnete Unholde mit Kriegsfarben geschmückt reichen meist aus seine Gegner in die Flucht zu jagen!“
Das waren Worte die für Madron und seine Leute mehr als überzeugend klangen, wünschten sie sich doch überall sonst auf der Welt zu sein außer an diesem Ort. Doch Nimh der kaltherzig Balior direkt entgegentrat zeigte sich davon unbeeindruckt: „Weshalb habt ihr dann jetzt eine Ausnahme gemacht?“
Balior grinste. Er sah ein das Lord Nimh sich nicht groß für die Pläne des Baronen scherte und sprach ihn sofort darauf an. Auch Nimh, der von vornherein wußte das Balior etwas in Schilde führte verzog ein Grinsen. Die beiden hätten ganze Dialoge ohne Worte abhalten können.
„Nun, was kann ich für euch tun?“
„Zunächst, was ist mit Senizar, den euch der Baron zum ausquetschen gab?“
„Senizar?“, wiederholte der Marschall, „Ah ihr meint diesen Boten des Königs, diesen zierlichen Schnösel“
„Genau den. Der Baron möchte ihn nun wieder haben“
Balior zuckte mit den Schultern: „Nun gut, wenn ihr ihn haben wollt, dort vorne hängt er“. Er zeigte auf einen Flaggenmast wo eine unförmige schwere Flagge in der Willkür des Windes flatterte.
Die Soldaten versuchten etwas zu erkennen, doch sie sahen nirgends einen Mann. Nur ein widerlicher Unhold der das Ding bewachte.
Nimh, der mit seinen scharfen Wolfsaugen auch im Dunkeln gut sehen konnte schüttelte den Kopf als er sich an die Stirn fasste: „Ihr habt doch wohl nicht?“
„Doch!“, lachte Balior
„Ihr seid so ein primitiver Barbar!“
Balior lachte laut auf, „Nicht umsonst sucht jede Armee das weite wenn unsere Flaggen am Horizont weht“
Madron spähte immer noch in die Nacht hinein und versuchte den Gefangenen zu erkennen: „Hm, ich sehe nichts. Nur einer eurer Unholde und diese Flagge“
„Leutnant Madron? Diese Flagge dort, IST Senizar!“, bemerkte Kalm fassungslos.
„Was?“, spie Madron
„Naja, nicht ganz. Ähm, nur seine Haut!“, korrigierte der Söldnermarschall schelmisch.
„Tatsächlich!“, sprach einer der Soldaten entsetzt und kalkweiß im Gesicht, ein anderer hielt sich die Augen zu und sah angewidert und fassungslos weg, der dritte beugte sich vor und leerte seinen Mageninhalt. Nur Lord Nimh blieb ruhig und starrte das Ding mit verschränkten Armen noch eine Zeitlang an. Augenblicke des entrüsteten Schweigens begannen, und nur die beiden Söldner schienen von der perversen Handlung die sie begannen hatten belustigt zu sein bis Balior dann das Schweigen durchbrach: „Was ist? Wollt ihr ihn jetzt nicht mitnehmen?“
Nimh entgegnete ihm unprovoziert „Der Baron wollte seinen Gefangenen haben und er soll ihn auch wiederbekommen“
Madron nickte Nimhs Befehl zu und wandte sich an einen Soldaten der ihn fassungslos anstarrte, „Was? Wieso ich. Warum kann Mack ihn nicht holen“
„Was? Ich? Du hast den Befehl!“
„Wollt ihr mir jetzt gehorchen oder …“
Die beiden Söldner fielen in achtloses lautes Gelächter bis sie sich wieder eingekriegt hatten.
„Siedhe?“, fragte Balior kurz
„Jawohl!“, verstand er und richtete sich auf um das Ding zu holen. Er glättete noch schnell seinen Rock und warf sich den Umhang über seinen fast nackten Oberkörper der mit mehreren dreieckigen Lederstücken eingekleidet war, welche mit Gurten um den mageren und wundenreichen Oberkörper befestigt waren, die er sich in perversen Ritualen selbst zufügte.
„Kann ich sonst noch was für euch tun, Lord Nimh?“
„Hat er geredet?“
„Ob er geredet hat?“, wiederholte Balior belustigt, „Na und wie er geredet hat!. Kaum das wir ihn an den Holztisch genagelt hatten, dabei hatten wir noch gar nicht erst angefangen gehabt. Muss schon sagen, es ist ziemlich langweilig einen Menschen zu foltern der bereits alles ausgespuckt hat wie ein Verräter!“
„Die Informationen?“, verlangte Lord Nihm trocken.
„Alles aufgeschrieben. Siedhe hat die Folter persönlich überwacht und alles dokumentiert, wie es sich gehört. Sobald er hier ist soll er euch das Schriftstück aushändigen.“
„Gut, aber das!“, erzeigte auf den zurückkehrenden Zauberer der mit dem Kompletten Flaggenmast auftauchte, „…War nun wirklich nicht nötig. In Zukunft haltet euch genau an die Anweisungen“
„Anweisungen? Wir sollten ihn nur ausquetschen. Hätten wir nur die leiseste Ahnung, das ihr ihn wieder haben wollt, lebend meine ich, … ähm Siedhe? Die Aussagen unseres,“ er deutete mit seinem Kopf auf die ledrige Flagge, „Wo hast du sie? Die Herren, hätten sie gerne“
„So, da haben wir ihn!“, grinste Siedhe freundlich und wartete darauf das jemand ihm die Stange abnahm, „Ich habe sie sicher unter meinen Sachen verstaut. Sobald mir einer das schwere Ding hier abnimmt kann ich sie euch holen gehen“
Zunächst rührte sich niemand, bis Nimh seine Leute eindringlich ansah. Dann kam Madron zu sich und tat es Nimh gleich und sah eindringlich auf Kalm, welcher sich zu einem der drei Soldaten wandte und auf die Flagge deutete. Dieser zeigte mit dem Finger auf sich und merkte das Kalm ihn meinte und starrte dann das zusammengenähte Ding an. Man hatte ihm wirklich die komplette Haut abgezogen, und an den Armen und Beinen aufgespannt. Nur der Kopf wurde abgetrennt und über der Brust mit weit aufgerissenem Maul aufgenäht. Der Soldat zögerte. Als er nochmals aufgefordert wurde ging er einige Schritte auf das Ding zu und gab es dann auf. Die leckere Mahlzeit die er wenige Stunden zuvor genießen durfte lag in einer breiten Lache vor seinen Füßen. Kalm schüttelte den Kopf. Er konnte den Mann gut verstehen. Er riß sich zusammen, jemand musste es doch tun!

Ein dumpfer Schlag, Äonenstille, ein weiterer! Schweigen. Kalt, sehr kalt ist es. Es fröstelt ihn. Und leere. Wie eine leere Vase. Soll es so enden?
NEIN! NIEMALS!
Er riß die Augen auf, er erhob sich, erhob sich von den Toten. Doch sie zerrten an ihm. Körperlose Wesen mit dämonenhaften Fratzen. Sie alle zerrten an ihn, zwangen ihn zurück zu Boden, wollten ihn in Stücke reißen. Stück für Stück, ein jeder ein bisschen, um von ihm zu zehren, um von ihm zu leben. Sie packten ihn am Haar, sie packten ihn am Arm, überall wo sie nur ihre tiefen Klauen versenken konnten, da packten sie zu und sie packten nicht bescheiden. Sie packten zu Hunderten und zu Tausenden, ihre Zahl war Legion!
Doch würde er sich unterkriegen lassen? Würde er sich von ihnen zerlegen lassen, bis nur noch Staub und Asche übrig blieb?
NEIN! NIEMALS!
Er würde kämpfen, er würde stehen, er würde wieder aufrecht gehen!
So erhob er sich und nun wichen sie zurück, die Geister mit den Dämonenfratzen, den in seinem Gesicht stand das Leben!
Mit dem Oberkörper nach vorne geneigt riß er seine Augen auf und vor seinem Auge gebar sich eine neue Welt. Eine Welt der materiellen Geister, versunken im schaurigem Licht, unheimlich und zugleich hoffnungsvoll. Geworfenes Licht in Höhen und Tiefen kalten Steins formte tote Fratzen von Dämonen. Doch sie jagten ihm keine Angst mehr ein. Er hatte gesiegt! Entgültig!
Wo war er? Was ist passiert? Schweiß rann ihm das Gesicht herunter. Er sah sich um. Ein Bett weich wie ein Meer von Federn. Neben ihm eine kleine Kommode, ärztliche Behandlungsgeräte sowie Kräuter standen bereit. Weitere Betten ohne Schläferin, aufgestellt in zwei Reihen zu je drei Kameraden. Bald erkannte er den Raum. Es war das Lazarett. Und allmählich kamen die Erinnerungen zurück. Die Szene spielte sich vor seinem geistigen Auge nochmals ab, bis ins kleinste Detail:
Die Dunkelheit war zurückgekehrt. Doch es war nun eine andere Dunkelheit. Eine Dunkelheit die sich von tanzendem Fackelschein bezwingen ließ. Neben ihm seine toten Kameraden. Dieser Bastard hatte sie einen nach dem anderen Umgelegt! Und fast wäre er mit ihnen gegangen, in eine Welt die zuvor noch kein Auge verließ, kein Mund davon berichtete, und kein Ohr von ihr vernahm. Doch er war entkommen! Durchbrach das Tor das ihm den Weg versperrte, zerbrach die Kette an die man fesselnd bändigen wollte.
Schleppend und verletzt kroch er mit allen verbliebenen Kraftreserven über gefrorenen Boden, die Treppe hinauf. Stufe für Stufe, nur mit einem Arm, während der zweite Arm die klaffende Wunde geschlossen hielt. Die Wunde! Er sah auf seinen nackten Oberkörper. Weiße Bandagen kleideten seine Seite ein und tränkten sich in ein rötliches Braun dort wo vorher sein Lebenssaft entweichen wollte.
Erleichtert legte er sich zurück, zog die Decke zu sich hinauf und starrte auf die, von der Nacht geschwärzten Decke. Es war ein schrecklicher Abend, doch er hatte sich nicht bezwingen lassen, nicht eine Sekunde lang, NIEMALS!

Ein leichter Wind wehte von Südwest, nicht sehr günstig für die Reise. Aber die Luft nach so einer verregneten Nacht tat gut. Der Baron stand mit den Armen am Rücken auf einem Turm, in dem sich auch sein Arbeitszimmer wenige Stockwerke tiefer befand, sowie auch sein Schlafgemach und sein Bad und sein, ach und überhaupt. Dies war sein Turm. Zumindest die oberen Stockwerke. Der Turm der am höchsten von allen gen Himmel ragte, den er liebte die Lüfte. Stolz aufgerichtet sah er auf seine Festung herab und beobachtete das Geschehen im Hof.
Die meisten seiner Soldaten waren bereits aus der Burg und suchten nun nach seinem entflohenem Gefangenem. Wie dieser entfliehen konnte war ihm immer noch ein Rätsel, doch es würde gelöst werden. Schließlich musste ja auch jemand zur Verantwortung gezogen werden, nicht oder?
Der andere Teil machte sein Luftschiff startbereit und rüstete sich für die Reise auf, oder wachten über seine prachtvolle Burg welche auf einem abgeflachtem Berg aufgerichtet war, der einsam über diese hügelige, meist mit Wäldern bepflanzte Landschaft thronte. Da die Böden hier recht sauer waren, und auch die unzählbaren Hügel die Landschaft zerklüfteten, stand nur wenig Fläche für Ackerbau zur Verfügung, so dass man eher zur Forst- und Weidewirtschaft überging. Den Arwan war bekannt für seine Hirten und deren einfache Volkslieder von Feen und Kobolden.
Die Burg hatte eine Rechteckige Grundform die mit hohen, dicken Mauern umgeben war, mit dicken passierbaren Wehrgängen, für Schützen angelegte Zinnen und an jedem Eck wachte ein quadratischen Turm, als stummer Wächter. Um die Mauern selbst war ein breiter Graben angelegt den man nur über eine einziehbare Zugbrücke überqueren konnte. Recht zentral in diesen Wehranlagen befand sich dann die „innere Burg“. Fünf quadratische Türme, von denen die äußeren vier in gleicher Höhe endeten, ließen den mittleren Turm doppelt so hoch über dem Berg ragen.
Von hier konnte man wirklich alles sehen, sofern die Nebelgeister es zuließen. An besonders klaren Tagen, selbst die Hauptstadt Caledonias: Modos. Eine Stadt die genau so majestätisch wirkte wie dieser einsame Riese.
Waldemar genoß die gute Luft hier draußen und sah mit auf dem Rücken verschränkten Armen in die weite Ferne bis an den Horizont, wo ein glühender Feuerball bald aufkommen würde um die Nacht zu verbrennen.
Das Volk Caledonias verehrte die Sonne. Trotz den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen der Technokraten hatte die Kirche des Lugh immer noch eine bedeutende Stellung, sowohl in der Politik als auch im gesellschaftlichem Alltag. Nun, es wäre wohl überflüssig zu erwähnen das Waldemar kein besonders religiöser Mensch war. Im Gegenteil, er haßte die Lughianer, auch wenn sie eine starke militärische Kraft dem Reich zur Verfügung stellten oder vielleicht gerade deswegen?
Ein drahtiger, mittelgroßer Soldat mit einem Speer in der Hand und einem Schwert an der Seite kam an die Seite des genießenden Baronen.
„Sir, Die Cyhiraeth ist für die Abreise bereit“, der Soldat salutierte. Waldemar der immer noch auf das Hofgeschehen achtete entgegnete ihm nur kalt: „Wundervoll“.
Wenige Augenblicke lang herrschte Schweigen ehe Waldemar wieder das Wort ergriff: „Ist Lord Nimh bereits mit Senizar zurück?“
„Nein Sir“, gestand der einfache Soldat.
„hm“, überlegte der Baron, „Gebt mir Bescheid wenn er Eintrifft. Vorher kann ich nicht gehen. Halt Moment! Ich sehe sie. Sagt den Männern ich komme gleich!“
„Jawohl Sir!“, der Soldat begab sich nach unten.
Waldemar stand noch dort droben und beobachtete die kleine Gruppe Menschen, die jedoch genau so viele waren wie zu ihrer Abreise, dafür jedoch eine Flagge mitschleppten, dessen Sinn sich Waldemar verschloss. Als sie endlich eintrafen schnipste er einen kleinen Hirschkäfer die Zinnen hinunter und begab sich, die Treppe hinunter, den er wollte keine Zeit verlieren.
Der dem sicherem Tod entgegen fallende Käfer breitete weit seine winzigen Flügel aus und glitt dem schwarzem Todesvogel knapp an den Klauen vorbei.

Der kleine Trupp, mit Lord Nimh an der Spitze trat durch das große Bogentor ins innere der Burg ein. Die im Hof herumlaufenden Soldaten und Bedienstete sahen nur angewidert weg angesichts der bespannten Menschenflagge in Kalms Händen und machten einen großen Bogen. Ob dieses Verhalten durch die Anwesenheit Nimhs, den sie alle fürchteten und mieden oder des Banners wegen war, blieb ungewiss.
Kurzerhand später stürmte ein reisefertiger Baron aus dem Haupthaus direkt auf die Ankömmlinge zu.
„Habt ihr den Gefangenen?“, warf Waldemar direkt ohne Gruß auf sie zu und zugleich angewidert beim Anblick des Mitbringsels, „Und was zur Hölle ist das?“
„Das? Das ist euer Gefangener. Darf ich vorstellen: Senizar“,
„Se…? Argh. Schafft es weg! Schafft es mir vom Hals. Verbrennt es oder macht sonst was damit aber ich will es nie wieder sehen. Ist das klar?“
Nimh zuckte mit den Schultern, „Nun gut, wenn ihr es euch nun anders überlegt habt.“
„Was heißt hier anders? Ich wollte einen lebenden Menschen vor mir sehen und nicht nur dessen Haut! Hat man wenigstens was aus ihm raus bekommen?“
„In der Tat“, antwortete Nimh, welcher einen befehlerischen Blick auf Madron warf, welcher unaufgefordert das Schriftstück dem Baronen übergab. Als Nimhs Aufmerksamkeit nicht mehr auf ihm lag, schallte das Donnern eines vom Herzen gefallenen Steines meilenweit.
„Wundervoll! Ich lese es mir nachher im Luftschiff durch. Und ihr besorgt mir jetzt diesen verdammten Ritter! Und wehe euch er ist bis zum Abend nicht hier!“, brüllte Waldemar die Schriftrolle entgegennehmend und zum Luftschiff eilend, an dem die letzten Riesevorbereitungen getroffen wurden.
Nimh und die anderen sahen ihm nach bis er im großem Schiff verschwand, welches an einem mit warmer Luft gefülltem Stoffballon hing. Die Ignuststeine im inneren des Ballons brannten immer stärker und saugten so das Gewicht der darin gefangenen Luft in sich auf, bis sie leicht genug war das Schiff über die Mauern zu heben. Die hinteren Rotoren, mit Blitzsteinen angetrieben, begannen sich langsam in Bewegung zu setzten, wirbelten immer stärker Staub und Erde auf, so das sich die Menschen im Hof und den Wehrgängen die Augen zu hielten um sie sich vor den fliegenden Fremdkörpern zu schützen. Immer schneller die Kreisbewegungen, fielen nun auch schon Tongefäße um, flogen Blumentöpfe und Heu durch die Gegend und die ersten Menschen hielten sich irgendwo an einer Säule, Wand oder Boden fest um nicht weg geweht zu werden, bis die Rotoranlagen wie ein Sägeblatt silbrig schimmernde Kreise bildeten. Das Schiff wendete sich langsam um die eigene Achse, während es ständig an Höhe zunahm, um endlich in Richtung Modos fliegen zu können. Das Schiff schrumpfte im Auge der Beobachter immer weiter, bis es sich in ein bedeutungslosen kleinen Schatten am Horizont verwandelte und die ganze Aufregung wie Reisegepäck mitnahm. Die Bediensteten gingen, soweit von Nimhs und Senizars Erscheinung erholt ihrer Arbeit nach, während die Wehrfähigen ihre Wachstrecken auf und ab liefen, Waffenübungen durchführten oder den zugewiesenen Eingang bewachten.
Nimh, der immer noch in Waldemars Richtung starrte fragte den hinter ihm stehenden Trupp eher rhetorisch mit verschränkten Armen und die für ihn typisch ruhigen Stimme: „Ist er immer so gelaunt?“

Ein winziger Wassertropfen, klein und unscheinbar. Lautlos stürzte er sich hinab in die Tiefen, ertrunken in einem Meer der Schwärze, in einer Legionen identischer Individuen.
So viele Tropfen Wasser, unzählbar wie die Sterne am Himmel der schwarzen Nacht. Ein Spiegelbild, jenseits einer verborgenen Symetrieachse, einer Mauer, die Welten trennte, die im Grunde die selben waren.
Und während der Himmel mit den Sternen zog, eine Sternenträne in die Wellen flog, gepflückt wie ein goldener Apfel der Erkenntnis, schreitend durch einen Spiegel zur anderen Seite. Strahlend weiß, hoffnungsgleich.
Vergossen ins Meer, wo es zu den anderen floss. Gleichheit. Man unterschied sie nicht mehr, sie waren eins. Verschmolzen in einer einheitlichen Masse und Pfütze getauft dann, See, Meer, Ozean.
Heiliges Wasser, das Sünden wusch, das Krankheiten heilte. Doch vermag es sich auch vor der eigenen Sünde rein zu waschen? Sich befreien, vom Geschwür das es befiel, und sich verbreitete wie ein Pilz, eine Epidemie der umgekehrten Vernunft? Unaufhaltsam, rotes Wasser, fließend über nackte Erde nach einer Orgie der Dummheit und Wut. Allein, dann zwei, vier, acht, sechzehn, Millionen, Milliarden, geschmolzen in eine schwarze Melasse, wachsend und sich ausbreitend schnell wie Erdenblut und versiegt letztendlich im Schlund des Vergessens, auf das die Irrtümer untergegangener Könige aufs neue zum Leben erweckt, gemeinsam wieder in Flut und Wellen, in einem Strom vereinter Kraft, die selbst durch Fels und Wand des klaren Geistes durchdringen mag und die Wahrheit im Geiste wie in Büchern dem nassen Feuer übergeben, brennt es schließlich lichterloh bis es aufgelöst in Rauch und Asche, unter schwarzen Balken ruht.
Und wenn der Regen aufhört, ist alles was noch übrig ist, ein altes Buch mit leeren Seiten und in Friedenswassern schwimmt eine scheue Göttin, die aus dieser Welt vertrieben, nun durch Wolfsgeheul in der Epochennacht zum Leben neu gerufen.

Früh am Morgen, die Sonne war noch nicht aufgegangen. Der Horizont war in ein sanftes lila-blasblau getaucht, doch die Welt war immer noch grau. Weiß erhellte ein kniehoher Nebel den Boden wo blaugraue Stämme und andere Pflanzen gediehen und an Blättern sanfter Morgentau zauberhaft funkelte. Unscheinbare Befehle, und der Wald begann zu singen: leises tropfen von benäßten Blättern, hohes zirpen kleiner Heuschrecken, stummes rauschen bewegten Laubes in welchen der Geist des Waldes sich rührte. Unscheinbare Wesen die durch Büsche und Sträucher huschten. Kleine Feen, die einfache Melodien summten, unsichtbare Kobolde die stumm Violine spielten und Geister, die mit eulenartigen Stimmen Laute formten!
Und dort, unter einer Eiche lag ein Wesen, das bald erwachen würde zu einem neuen Leben. Es öffnet die Lider und sah mit neuen Augen die Welt. Schüttelt ab das Delirium das ihn befiel! Langsam rührt er sich, doch noch immer gefangen in der anderen Welt.
Ein befremdliches Wesen bis dahin niemanden bekannt. Hüpfend auf seinen Hinterbeinen den Schläfer unter alten Eichen liegend, sah es eindringlich an. Von Neugier befallen hüpfte es auf ihn zu. Schlug dabei heftig mit den kleinen Flügeln auf und ab, und schwebte kurze Distanzen über den holprigen, unebenen Leib einer sterbenden Göttin. Interessiert sah es zu dem Fremden und stichelte ihn mit seinem langen Schnabel. Vom kleinen Vogel gepiesackt schlug schließlich Rojan desorientiert seine Augenlider auf. Das befremdliche Wesen stierte ihn mit seinen kleinen Glubschaugen eindringlich an. Dann hüpfte es weiter. Ein Meter, zwei. Erschöpft verharrend neben sprießenden Moos und gebieterischen Bäumen und tauchte mit seinen Kopf im gelbschimmernden Federkleid sich mit dem kleinen Schnabel zu kratzten. Rojan immer noch nach Anhaltspunkten suchend wo er sich befand und wie er hierher gekommen sein konnte starrte entgeistert auf das Federvieh. Was zum Henker war das? Halluzinierte er? Der eigenartige Vogel beendete seine Rast, stieß mehrere helle Laute wie ein Huhn dem man den Hals umdrehte und hubste anschließend weiter in den Nebel hinein, bis er von diesem gefressen wurde und ein für alle mal aus Rojans Sicht verschwand. Was war das? Dachte er und versuchte sich zu bewegen. Ein kurzer Kraftstoß in den Armen, kurzes Erheben über den weichen Gras- und Nadelboden, und der Zorn seines Körpers über die letzte Nacht fuhr ihm übers Knochenmark in alle Regionen vor und rührten jeden Knochen, jeden Muskelstrang, jeden Nerv einzeln in einer gewaltbereiten Protestaktion den Volkszorn zu entladen. Durch den eigenen Körper gepeinigt schrie der leidende Rojan kurz in einem tiefen Schrei auf um die Gewalt in sich zu unterdrücken.
Er musste sehr schlecht gelegen haben, sein Nacken fühlte sich an als sei er mehrmals um 360° hin und her gedreht worden. Dafür schlief er fest wie ein Stein. Allmählich kamen ihm erste Erinnerungen zurück. Er hatte einen eigenartigen Traum von einem schwarzen Ozean. Dann erinnerte er sich an eine Burg.
Richtig, er war Gefangener in Arawn gewesen und sein Freund Calion half ihn bei der Flucht. Er streckte sich. Dabei fiel sein Blick auf einige Pilze die unweit von ihm wuchsen. War er den jetzt völlig verrückt geworden? Er starrte genau auf das Knollengezücht doch es änderte sich nichts. Ein jeder dieser Pilze hatte drei unförmige Punkte die wie Augen und Mund angeordnet waren und sich bewegten. Als ob sie ihn anstarrten. Auch bewegten sie ihre Gestalt mal nach links und dann wieder nach rechts um ihn forschend von allen ihnen möglichen Blickwinkeln betrachten zu können, als ob sie das fremde Wesen eindringlich studierten. Dabei gaben sie kleine Klappergeräusche mit ihren Hüten, was wohl der Kommunikation diente. Er musste verrückt geworden sein! So was war doch nicht möglich. Nein, so was gab es nicht! Er versuchte sich aufzurichten, merkte aber das er dadurch nur noch mehr stumme Schmerzen die sein Körper beiwohnten wachrief. Nichtsdestotrotz richtete er sich zumindest mit dem Oberkörper auf und lehnte an dem alten Eichenstamm.
Er wirkte noch verschlafen, sein zotteliges langes Haar in welchem sich einige Blätter und Zweige verfingen kämmte er sich mit seiner Hand nach hinten. In seinen Bewegungen klopfte er sich etwas sauber. Dabei musste er feststellen das er einige dieser befremdlichen Waldbewohner wohl in seinem Fall gepflückt haben musste. Mitleidig hob er wie einen verletzten Vogel eines der umgeknickten Pflanzen hoch und sah ihn sich genauer an. Er atmete nicht mehr, seine schwarzen Gesichtspunkte hatten sich fast aufgelöst. Halt! Noch bewegten sie sich ein wenig, auch wenn man genau hinsehen musste um es zu erkennen. Sanft legte er ihn zu seinen anderen Brüdern die ihren Morgentau von den in dunkel- bis hellblau schimmernden Hüten abwarfen und ihren Kameraden damit benäßten. Sie schienen abzuwarten, sicherlich zerrte die Situation an ihrem Nervenkostüm. Sekunden der Ewigkeit schienen zu verstreichen. Dann bewegten sich die drei Flecken, wurden groß und rund. Es richtete sich auf, lange dünne Fäden wucherten wie Haare aus ihm heraus und verankerten sich im Boden. Heiter fingen sie wieder an zu klappern, als wollten sie jedem seinen Aufenthaltsort verraten.

Aufatmend lehnte sich Rojan gegen den dicken Eichenstamm zurück und kehrte seine Gedanken der Normalität zu.
Sie wollten fliehen, Calion und er. Sie mussten rechtzeitig König Lothar vom Verrat in Kenntnis setzen! Oh mein Gott! Der Verrat! Rojan wurde mit einem male ganz wach. Er musste so schnell wie möglich Modos erreichen und die Menschen warnen ehe alles zu spät war!
Nun war er wieder klar im Kopf. Er erinnerte sich wieder an alles. Wie er über die sumpfige Wiese gerannt und gekrochen war, wie er zuvor durch den Burggraben geschwommen war, wie er davor zurück in den Kerker zurück geflohen war. Wie … Er schluckte. Wie dieses abscheuliche Monster, seinen Freund Calion, der alles riskiert hatte um ihn herauszuholen von diesem Bastart getötet wurde. Er stürzte mit dem Oberkörper nach vorne, vereinzelte Strähnen seines dunklen Haares fielen ihm ins Gesicht und wischten seine Tränen erfolglos weg. Alles war schiefgelaufen! Er sollte mit gebrochenem Genick in der Feste Arawn liegen und nicht Calion. Calion sollte auf den Weg nach Modos sein um König Lothar zu warnen! Überhaupt sollte Calion …
Warum er? Was war er den schon? Nur mit Blut und Schweiß hatte er es geschafft doch noch Ritter des Königs zu werden, während Calion, er gehörte immer schon zu den Besten seit er sich erinnern konnte. Genau so wie sein Freund Cherdron, der nun ein hoher Hüter der Flamme in den Reihen der Lughianer war. Warum entkam ausgerechnet er? Welcher Logik folgte diese Welt? Selbst den Verfolgern war er entkommen. Warum hatte das Schicksal ausgerechnet ihn ausgewählt?
Er war ein schlechter Schneidergeselle gewesen, er war ein miserabler Zimmermanngeselle, und darum ging er ins Militär die jeden aufnahmen! Er hielt sich seine zwei linken Hände vors Gesicht mit dem Wunsch sie zu verdammen und genau das hätte er nicht tun soll. Erneut verließ ihn sein Verstand als er auf seine plötzlich stark behaarten Hände sah. Was war mit ihnen geschehen? Er betrachtete sie ausgiebig von allen Seiten. Sie waren grober, doch am meisten erschraken ihn die Fingernägel, die in einer Nacht um einen Zentimeter etwa gewachsen waren. Doch hätten sie die Gestalt eines normalen Fingernagels, hätte er sich wohl kaum so aufgeregt. Vielmehr die spitz zulaufende, nach vorne gekrümmte Form und die besondere Härte gegenüber normalen Fingernägel löste in ihm breites Entsetzen aus.
Sofort begutachtete er seinen restlichen Körper. Die Körperbehaarung! Überall war sie stärker hervorgetreten. Er faste sich an die Brust, das Bein, ins Gesicht, seinen Bart! Seit der Gefangenschaft hatte er sich nicht mehr rasieren können doch so lang war er letze Nacht in der Zelle noch nicht! Was war sonst noch? War er größer? Kräftiger? Oh Gott, was geschah mit ihm? Das Biest! Sollte er auch zu so einem gottlosem Geschöpf mutieren? Er starrte auf seinen Arm, wo er von dieser Bestie gepackt wurde und welche ihn die letzte Nacht über peinigte. Sie war mit einer Kruste zugedeckt. Schien sich nicht weiter zu entzünden.
Nach Luft schnappend lehnte er sich wieder an den Baumstamm zurück um sich wieder zu beruhigen. Er hatte eine Mission zu erfüllen. Versager hin oder her, von ihm hing die Zukunft Caledonias ab. Und die Zukunft aller derjenigen die er liebte.
Sein Blick tastete die Umgebung ab, forschend nach Neuem um sich auf andere Gedanken zu bringen. Unweigerlich verfing sich jedoch sein visuelles Tasten an einen Baumstamm. Doch statt sich zu beruhigen stellte dieser Anblick nur einen weiteren Angriff auf seinen klaren Geist.
Wo eine dünne Birke stehen sollte, da stand gefroren ein Wesen, halb Mensch, halb Baum, wie eine groteske Skulptur eines geisteskranken Künstlers, der eine Frau im Tanze formte. Haut aus Rinde, kletterndes Efeu wie ein knappes Kleid, das mehr offenbarte als bedeckte. Stand sie da auf einem Bein, graziöse wie ein Ballerina. Weitere groteske Fangarme, sich windend wie Schlangen, Köpfe einer Hydra nach Äpfeln der Erkenntnis beißend, entsprangen der Phantasie des Künstlers, als er das andere Bein, gerade am Körper entlang über den Kopf hinaus modellierte. Sie hielt es mit Klauenbesetzter Hand in die Höhe. Eine Tänzerin.
Der andere Arm streckte sich in Tausend mal Tausend langgezogener, dürrer Finger vom Körper weit weg um für die Balance zu sorgen. Ihr Haupt, verfangen im Wirrsal von langem Haar, die sich wie das Haupt einer Medusa, ähnlich dem Arm in einem niemals enden wollendem Kampf verfing. Und so peinigen die hungrigen Mäuler sich selbst verschlingend die einsame Skulptur. Ihr zartes Frauengesicht wirkte zersprungen, wie das Gesicht einer Porzellanpuppe. Und dabei Emotionslos als fühlte sie kein Leben. Nein, melancholisch, deprimiert und passiv blickte sie drein.
Ein weiterer Baum. Auch er stellte eine groteske Perversion dar. Ein langer Stamm, dürr wie in ausgehungerter Mensch, denn man in eine Kammer tief unter der Erde, ohne Fenster zur Außenwelt, ohne eine kleine Spiegelscherbe, eingesperrt und den Schlüssel weggeworfen hatte. Ausgehungert, ausgezehrt, wußte er doch nicht mal mehr seinen eigenen Namen, sein eigenes Gesicht. Ein letztes mal, vor seinem nicht eilendem Tode, aufgerichtet zur vollen Größe, ausgemagerte Arme, Finger mit langen Krallen bestückt, griffen nach einem sternenlosem Himmel, und eingefroren ein niemals enden wollender Schrei, ein Maul, ausgefallene Zähne, dessen schwarzes Loch über die ganze Brust sich erstreckte und Einblick auf ein verdorrtes, ledriges Herz gab, das unlängst aufgehört hatte zu schlagen. Ein Fluch, der niemals enden wird.
Ein anderer, noch nicht so alt, von ein Zentrum aus wuchsen lauter kleine Stämme wild gewunden, wie lauter kleine auf Besen reitende Hexen, amorphe Dämonenhände, Geistervögel die in Scharen in alle Richtungen ausflogen.
Er sah zum Himmel hinauf. Die Bäume trugen keine Blätter. Nackte Äste sprossen hinauf, wie Hörner.
Rojan drehte sich um zum Baumstamm an dem er dicht gelehnt saß. Mit grimmigem, bewegungslosem Blick zwischen der Borke sah ihn ein entrüsteter Großvater an, dessen Bartsträhnen sich im Boden verkeilten und ihn aufrecht hielten.
Die Nerven aufgebraucht, sprang er unverzüglich weg vom mürrischem Großvater, krabbelte über den Boden auf allen Vieren wie ein Wolf über spitze Nadeln von Tannenbäumen abgefallen, stechen sie seine Pfoten, als liefe er über ein Nagelbrett. Die Hüte der kleinen Pilzwesen klapperten immer schneller, immer lauter. Als wollten sie jemanden alamieren. Er musste weg. Er versuchte sich auf seine Beine aufzurichten. Er rannte einige Meter und Stolperte über einen Steinblock, der aus seinen Gedanken gerissen, ihn mürrisch, aber geduldig anstarrte. Er versuchte sich aufzurichten doch ein weiteres mal würde er nicht aufstehen. Grünes Efeu wuchs wie Schlingen aus dem Boden, wand sich um ihn. Schlängelte sich um seine Beine, zogen die Beute zu sich. Um den Arm, rissen ihn zu Boden. Legten sich auf ihn, wie eine Geliebte, bedeckten ihn mit Küssen um ihn zu ersticken. Sie verhüllten seinen ganzen Leib ein, verdeckte seine Lebensaura.

Die Nacht war am sterben, doch noch funkelten die Sterne an einer schwarzen Decke die sich nur an den Rändern der Welt verfärbte. Eine goldene Scheibe stieg langsam hinterm Horizont hinauf und drängte die Dunkelheit immer weiter zurück. Gott sei dank war diese schreckliche Nacht endlich vorbei. Das dachten sich viele, nicht nur Laron der nun keine Ignussteine mehr benötigte um die Karten und Pläne lesen zu können. Ein wenig frustriert war er schon. Sie hätten ihn längst haben können wenn sie von Lord Nimh nicht zurückgepfiffen worden wären. Wer weiß wo er sich jetzt befand. Aber naja, so hatten sie wenigstens was zu tun, und würden wenigsten keine unnötigen Soldatenübungen zum Hundertsten male wiederholen.
Er studierte die Karte. In dieser Zeit teilten andere die Männer in etwa gleich große Suchtruppen von drei bis vier Mann, ausgestattet mit Speer, Schwert und Schild. Dazu noch ein bis zwei Hunde, je nach Gruppenstärke und dem zu durchsuchendem Gebiet. Dann legte er die Suchgebiete fest und teilte sie den Suchtrupps mit. Laron hatte alles bedacht, und die ihm zur Verfügung stehenden Suchtrupps rational eingeteilt so das das ganze Gebiet im Umkreis von fünfundzwanzig Meilen erschlossen sein würde. Sogar die Bewegungszeit hatte er berücksichtigt wann und wo sich Fußtruppen, welche den Wald durchquerten und die berittenen Spähtrupps an den Straßen und Waldrändern, mit denen sie tauschen würden und den Weg zurück antreten so dass sie wieder hier am Ausgangspunkt ankommend, treffen würden. Sollten sie ihn bis dahin nicht gefunden haben, was er bezweifelte, könnte ein Teil der Truppen weitersuchen, während der andere Teil beritten voraus ritt um ihn abzufangen. Denn nach verstreichen dieser Suchzeit könnte er weit genug gekommen sein, doch momentan war er noch in der Nähe! Es waren nur wenige Stunden seit seiner Flucht vergangen und sie hatten ihn zügig nachgestellt, wenn auch erfolglos. Doch seit er sich in Emania verschanzte waren nur drei Stunden vergangen. In dieser Zeit konnte er nicht weit gekommen sein. Schon gar nicht wenn er sich durch das dichte Unterholz des alten Waldes durchzukämpfen hatte. Und Laron war sich dessen ziemlich sicher, das er den Wald wählte. Schließlich bot ihm dieser genug Deckung, was die Straße nicht tat. Ebenfalls berücksichtigt waren wichtige Orte. Der Entflohene hatte keinen Proviant und er hatte eine Dreitagesreise vor sich. Er muss also, früher oder später in einer Reisetaverne halt machen. Und dort würden ihn verdeckt stationierte Soldaten, abfangen, den Steckbriefe konnte er nicht anbringen. Schließlich hätte ihn einer erkennen können und ihr Spielchen wäre dann aus.
Ebenfalls interessant war ein kleiner Bach der durch den Wald plätscherte sowie der kleine See durch den er floss. Dort könnte er nämlich seine Wasservorräte auffüllen, und da er voraussichtlich wenig Geld besaß, würde er dies früher oder später mit Sicherheit tun müssen. Deshalb war gerade an diesen Stellen Vorsicht geboten.
Laron gab den Männern nun Anweisungen. Bald schon zogen sie los und folgten seinem gut durchdachtem Plan. Stolz knackte der junge Offizier mit den Fingern und nahm einem Soldaten die Zügel aus der Hand seiner Reitechse Glis. Nur noch sein Trupp stand auf der Weide vor dem Wald und wartete das er aufstieg. Doch auf die paar Sekunden kam es nun nicht an.
Sie hatten ihn! Sie hatten ihn praktisch schon, er wußte es nur noch nicht! Es war nur noch eine Frage der Zeit bis er ihnen ins Netzt laufen würde. Und wenn nicht? Hey, sie wußten immerhin wohin er unterwegs war.

Ein lauter, bestialischer Schrei, gefolgt von einem lauten Geräusch ertönte als wäre etwas schweres metallenes umgeworfen worden. Der Soldat der in diesem Gang des Schlosses, unweit von Lord Nimh zugewiesenen Gemächern wache stand, bekam einen Riesenschreck und suchte das Weite.
Lord Nimh, schritt aufgebracht an das einzige Fenster in seinem Gemach, die aufsteigende Sonne zu verfluchen. Das spitzbogige Fenster war recht groß, jedoch in einer für normale Menschen angebrachte Höhe angelegt so das er sich mal wieder tief bücken musste um sich mit verschränkten Armen am Fenstersims stützen zu können. Das ihm zugewiesene Gemacht war recht groß, schien normalerweise höhere Gäste zu beherbergen. Gäste mit mehr Stil als der jetzige, da es sich in den höheren Stockwerken befand, so das man bei guten Sichtverhältnissen eine große Aussicht auf das Land Caledonia hatte. Wahrscheinlich war es auch mal recht pompös ausgestattet, doch für eine Bestie wie ihn, schaffte man wohl die teueren Antiquitäten lieber ins Nachbarzimmer als sie hier aufzubewahren. So dachte zumindest Nimh, den vieles hier sprach dafür das vor nicht all zu langer Zeit etliche Gobelins an den Wänden hingen, die allesamt recht teuer sein mussten. Das verriet ihm seine feine Nase und auch die Essenz von Eichenholz, dem König der Hölzer, waren noch präsent, wenn auch nur für ihn wahrnehmbar. Doch momentan war es hier eher gemütlich eingerichtet und erinnerte eher an ein gutes Zimmer in einer Reisetaverne. Sei’s drum, er verschwendete nicht unnötige Gedanken an sinnlosem Luxus und hegte in diesem Zusammenhang auch keinen Groll gegen seinen Gastgeber, außer das es nicht nur eine beleidigende Geste sonder auch ein Ausdruck mangelnden Vertrauens war.
Nimh hatte beim beobachten des Sonnenaufgangs seine Augenbrauen tief nach unten hängen, genau so wie seine Mundwinkel.
Was hatte Balior nur vor? Modos würde brennen! So viel hatte er gesehen und um ehrlich zu sein, es konnte ihm nur recht sein, den es wäre ein schwerer Schlag für alle. Doch welchen Nutzen würde dieser verdammte Mutantenhauptmann daraus ziehen? Welche Interessen verfolgte er? Es hätte ihm nicht viel gefehlt dies herauszufinden, doch jetzt wo die verdammte Sonne die Nachtgöttin verdrängt hatte konnte er nicht mehr weissagen. Er musste sich bis zum Abend gedulden. Nun, sei’s drum. Was spielten zwölf Stunden schon für eine Rolle. Der Krieg war etliche Tage entfernt.
Das Wasser aus der silbernen Wasserschüssel verteilte sich in einer durchsichtigen, die Sonnenstrahlen reflektierenden Lache aus und wurde bald vom Steinboden aufgesaugt, als es plötzlich leicht, kaum hörbar und nur drei mal nach großen Pausen dazwischen an Nimhs Tür klopfte. Dann als Nimh immer noch stillschweigend auf die rötliche Scheibe blickte erklang eine zittrige Mädchenstimme die nur mit müh und Not einen zusammenhängenden Satz hervorbrachte.
Langsam öffnete sich geräuschlos die Tür und im Türrahmen stand ein junges, etwa sechzehn Lenzen zählendes Mädchen mit hellem schulterlangem Haar, welches einfach, wie in den Vorschriften für Bedienstete auf Schloss Arawn festgelegt war, in einem geflochtenem Zopf nach hinten hing. Mit zittrigen Händen versuchte sie das mit einem Deckel zugedeckte Tablett vorsichtig auf den kleinen Holztisch inmitten des Zimmers zu bringen. Sie wußte genau was darauf war. Rohes Fleisch. Schon allein der Gedanke war widerlich, doch nichts hatte sie mehr gefürchtet als eines Morgens oder Abends das Essen für Waldemars spektakulären Gast bringen zu „dürfen“ und nun war sie doch dran gekommen weil Gita, die dumme Gans, deren Aufgabe es bisher war, sich den Fußknöchel verstaucht hatte. Sie stellte das Tablett vorsichtig hinab und versuchte den Gast nicht anzusehen, den wenig genügte um in Ohnmacht zu fallen. Eine Ohnmacht aus der sie womöglich niemals wieder aufwachen würde, wie sie vermutete. Ronja bewunderte Gitas Mut jeden Tag Morgens und Abend hierher kommen zu können ohne vor lauter Angst das ganze Essen über den ganzen Boden zu verteilen.
Den Deckel ließ sie drauf. Wer konnte schon ahnen was der Geruch des Fleisches alles für bestialische Triebe in diesem Wesen hervorrufen konnte? Und sie war zum falschesten Zeitpunkt gekommen, den auch sie hörte den Wutanfall ihres Wolfmenschen. Am liebsten wäre sie unverzüglich heraus gerannt, doch als Dienstmädchen war es ihre Pflicht das Zimmer ordentlich zu halten, was es auch war, bis auf die kleine Pfütze nahe dem Fenster wo sich dieser Wolf aufhielt. Sie nahm einen Lappen und ging vorsichtig, schon vom weiten gebückt auf diese zu und fing an es zügig wegzuwischen. Sie wollte nur eins: Hier raus! Sie wußte genau das gerade Jungfrauen sich solchen Gefahren fernhalten sollten, denn alle Unmenschen aus den Großmuttergeschichten sahen es auf Jungfrauen ab. Es war höchste Zeit für einen Freund dachte sie sich noch im selben Moment als sie sich mit Rotkäpchen verglich.
Nimh streckte sich. Ronja erschrak bei der plötzlichen Bewegung des Wolfs, der nur in seiner braunen Lederhose gekleidet dastand und sich nun, das „Frischfleisch“ ignorierend, an den Tisch saß und sich sein heutiges Frühstück ansah.
Das selbe wie jeden Morgen, Lamm. Er befand sich eben in einem Schafszuchtgebiet. Und was Balior anging. Es musste eben bis heut Nacht warten. Warum zitterte diese dämliche Göre eigentlich andauernd?

Rohes Fleisch, zäh und blutig, von seinen Zähnen zerrissen. Unter seinem Gaumen, eine sorgenlose Feder, Tanz einer Balerina drehend wie die Weltenuhr für das sterbliche Sein, dem sie wie Sand zwischen den Fingern davonlief für immer, spielerisch, ihn kitzelnd - regt ihn an. Unschuldig, wie Kind. Provokation. Sein Magen stimmte dem mit weit aufgerissenem Wolfsmaul knurrend zu. Ein Heulen. Rohes Fleisch, frisch und roh. So frisch das es noch auf allen Vieren lief. Viel Fleisch. Fleisch und Blut. Warmes Blut. Geruch. Schweiß. Haut und Haar. Baumwolle und Stahl. Menschenhand geschaffenes Parfum. Illusion. Lüge! Eine Maske, eine zweite Haut, die verdecken soll: Den Geruch nach Fleisch und Blut - das Leben.
Die Wächter des Baronen! Sie nahten! Wie ein aus der Luft geschossener Pfeil riss Rojan seine Augen auf. Er roch sie, er roch sie ganz genau. Drei oder vier Mann, und Hunde.
Er sah sie! Zwei Soldaten mit je einem Spürhund! Hier! Ganz Nah, nur wenige Meter entfernt. Direkt vor ihm. Und er? Lag wie auf einem Präsentierteller zu ihren Füßen. Gefesselt mit Ranken. Sie brauchten ihn nur noch abzuschlachten wie ein Metzger ein Schwein. Eines der Hunde lief auf ihn zu. Die schwarze Knopfnase vibrierte. Sie schnupperte. Er folgte ihr wie ein Blinder seinem Stock. Er kam auf ihn zu. Ein nachtschwarzes Ungetüm, wie Rabengefieder. Wie ein Höllenhund, eine Bestie eines verbitterten Gottes. Fletschende Zähne. Speichelflüssigkeit, angeregt durch unsterblichen Hunger, vergossen wie Blut eines Rehs.
Dicht hintenan folgten die Tierführer. Emotionslos wie eine Teufelsmaschinen. Künstlich optimiert verschwendeten sie keine Bewegung, keinen Blick, keinen losen Gedanken der nicht auf ein baldiges Aufspüren ihrer Beute gerichtet wäre.
Rojan sah sich an. Gefesselt und unfähig sich zu rühren. Welch peinlichen Anblick musste er doch abgeben? Gestellt vom eigenem Land. Deren Land.
Der schwarze Schäferhund beschnupperte den nachdenklichen Stein, markierte ihn, und lief schnuppernd weiter. Direkt um ihn herum. Er roch. Rojan traute sich keinen Mucks von sich zu geben. Angstschweiß sprudelte wie aus einer Bergquelle. Er wagte nicht einmal zu atmen. Doch sein Herz? Sein verräterisches Herz pochte so laut es wollte ihn verraten. Der Hund stand direkt vor ihm, berührte sein Gesicht beinah mit der feuchten Schnauze und die Nase saugte begierig alles in sich auf.
Dann lief er weiter. Er lief einfach weiter! Als wäre hier nichts. Nur ein grüner Hügel in der Landschaft. Die Beiden Hundeführer tasteten mit ihrem Blick aufmerksam die Umgebung ab. Doch auch sie liefen einfach weiter. Rojan merkte nicht, wie sein Herz nun wieder langsamer schlug, sein Adrinalin sich langsam senkte. Er atmete tief ein, füllte seine Lunge wieder mit Luft, die er ihr verweigert hatte. Seine Augen verfolgten erleichtert die im Morgennebel verschwindenden Wachen, bis sie sich in diesem auflösten,

Rojan blieb noch eine Zeit liegen. Seine Fesseln ließen nach, wurden lockerer. Bald schnitten sie ihm nicht mehr in die Haut. Hinterließen keine unschönen Narben die rote Spuren hinterließen. Keine Brotkrümel, denen man folgen konnte, ehe weiße Tauben sie aßen. Bald schon fühlte es sich an wie eine wärmende Decke. Funkelte im fahlem Sonnenlicht. Wie Kristall. Wie Eisen. Flossen sie wie geschmolzener Schnee. Schmiegten sich an seinem Körper und tröpfelten wie Regen an einem warmen Sommertag zu Boden. So schmolzen die Ranken wie Wachs in der Glut. Aufgelöst in Rauch und Asche kehrten sie zur Mutter zurück.

Der Feuerwagen Lughs war weitergefahren. Sein Feuer strahlte nun heller und wärmer vom Himmel hinab und verbannte die Geister der Morgenröte in ihren Nebel und Schatten zurück. Das Leben war neu zum Leben erweckt. Kleine Blütenpflanzen in schimmernden Farben sprossen aus dem Erdboden, da wo Lichtkegel das Tannendach durchbrachen und der Boden nicht versäuert war, mit einer Decke kleiner brauner Nadeln die wie kleine Lanzenspieße abgeworfen haben in einem Krieg deren Zweck unbekannt war. Anderswo war es lichter und Moose und Farne wuchsen unter kahlen Bäume deren Arme nackt ohne rote oder goldene Ärmel zum Himmel um Vergebung baten, erkämpften sich ihren Platz gegen kleinere Steine die Dickköpfig ihren Platz verteidigten, auch wenn diese auch auf weniger fruchtbaren Boden hätten wachsen können. Kühler Wind eilte wie ein Courier zwischen den Bäumen. Dennoch glitzerte nicht nur Rojans Stirn von kleinen Schweißtropfen. Seine Füße flogen wie Laub im Wind. Lange war er vor seinen Verfolgern davongelaufen, das sie ihn jemals wirklich zu Gesicht bekommen zu hätten. Er war wie ein Phantom, den man in einer dunklen Opernhalle nachjagte. Ein Gedanke, ein Traum den man kurz in den Händen hält nur um für immer loszulassen, egal wie sehr man sich dagegen sträubte. Oder war er doch die Maus die sich sicher glaubt auf den Weg zu ihrem Mauseloch, während die fette Katze bereits davor wartete und ihr Wasser im Munde zerging und es nicht erwarten konnte ihre scharfen Krallen in sein Fleisch zu spießen?
Rojan blieb einen Moment stehen. Er musste stehen bleiben. Mit dem Ellenbogen an einen alten Stamm gelehnt rang er heftig nach Luft. Haar und Bart hingen als Nasse Bündel von seinem Kopf hinab. Seine Stirn glühte. Atem.
Vor ihm glitzerte etwas, ein breiter Streifen. Plätscherndes Wasser. Da war ein Fluss! Fabelhaft! Dies würde ihm helfen seine Spuren zu verwischen, so dass die verdammten Hunde seine Fährte nicht weiter verfolgen konnten. Das Schicksal meinte es gut mit ihm, zumindest noch. Er blieb noch einige Sekunden lang stehen. Keuchte nach Luft. Seine Augen verfolgten nur das Funkeln der warmen Sonne die diesem Orte fern war im Wasser. Lachse sprangen eine kleine Kaskade hinunter. Sein Magen knurrte.
Nur wenige Meter. Dann ließ er ab von seiner Krücke und rannte darauf zu. Kurz vor dem Sprung schnappte er nach einem großem Luftvorrat und hielt es in seinen Lungen gelagert. Das Flussbett war über zehn Meter breit, unmöglich es zu überspringen. So auch er. Doch er schaffte es über der Hälfte des Fluss im Flug zu überqueren und tauchte mit den Füßen voraus ins kalte, klare Wasser. Er fiel hinein, wie ein großer Stein und ging mindestens genau so schnell zusammengekauert unter. Die Augen auf. Ein tiefblaues, verschwommenes Bild tat sich vor seinen Augen kund. Er glitt immer tiefer einem sandigen mit kleinen spitzen Felsen übersäten Grund vor dem nur noch weniger Meter trennten und er jeden Moment wieder nach oben gleiten würde.
Aus seiner Embryostellung befreiend, streckte er sich schmal in die Länge, wie ein Fisch und tauchte unterm Schleier des Flußlaufs die restliche Entfernung zum anderen Ufer. Eine senkrechte Felswand baute sich vor seiner auf um ihn aufzuhalten und ihm blieb nichts anderes übrig als ihr nach oben entlang zu tauchen. Geschmeidig sprang er bis zur Gürtellinie aus dem Wasser empor und krallte sich am hohem Gras des anderen Ufers fest um mit hektischen Lungenzügen nach Luft zu schnappen, die ihm im Wasserreich nicht gegönnt waren. Der Unterwasseraufenthalt schien ewig, doch dauerte sie in Wirklichkeit nur wenige Sekunden.
Mit den Beinen im kühlen Fluss schwebend lag er mit dem Oberkörper am anderen Ufer und legte seinen Kopf ins weiche Gras, wo ein Frosch gerade vorm fremden Wesen weg hüpfte. Sein nasses Haar fiel wie ein schwarzer Schleier um sein Gesicht während er weiterhin angestrengt nach Luft keuchte und er seinen Beinen etwas Ruhe gönnte. Der Menschengeruch war sehr dünn geworden. Er hatte sie fürs erste abgeschüttelt. Erleichtert drehte er den Kopf zur Seite und sah dem Fluss zu wie das Wasser von ihm wegfloß. Etwas erleichtert beobachtete er die Idylle, bis er sich wieder etwas erholte. Die Flucht hatte doch etwas von seinen Kräften gezehrt und beim Anblick einer aufspringender Fische fiel ihm wieder ein, das er immer noch Hunger hatte!
Roher Fisch, das wäre jetzt etwas feines. Einige letzte male um Luft ringend, einen letzten Moment Ruhe, dann schob er sich mit seinen müden Armen zurück ins Flussbecken und hielt sich mit einfachen Armbewegungen an der Oberfläche und ließ sich von der Strömung treiben. Dann machten seine scharfen Augen eine Entdeckung. Einige Fische waren an einem Gefälle weiter Stromabwärts aus dem Wasser gesprungen. Sofort ließ er sich von der Strömung hinterher treiben und verschanzte sich lauernd hinter der kleinen Kaskade.
Geduldig wie ein Raubtier lauerte er hinter dem kleinen Wassergefälle, wartend das seine Beute an dieser Stelle aus dem Wasser springen würde. Er war bis knapp unter der Nase im Wasser eingetaucht um sich so vor einer Entdeckung zu verbergen. Seine Hände waren zum Greifen bereit, die Arme bereits zum plötzlichem ausholen angewinkelt. Er wartete nur noch auf den Richtigen Moment.
Dann, zum Richtigen Zeitpunkt. Er sah etwas blaugräuliches Schimmern. Es schwamm direkt auf ihn zu, löste sich dann aus dem Wasser und wurde eins mit der Luft, bis die Klauen des Jägers es plötzlich aus diesem Element holten. In einer ruckartigen Bewegung war Rojan aus dem Wasser geschossen und versenkte seine Krallen in das glitschige Schuppenkleid des Flussbewohners. Fast wäre es ihm entglitten, so schleimig wie er war, doch seine Fingernägel bohrten sich tief genug ins Leib des Fisches, das an den Stellen sich die blauschimmernden Schuppen mit roter Farbe vermischten . Die Beute in der Luft haltend kämpfte er sich an ans Ufer zurück, von dem er nicht kam. Wie einen Morgenstern schwang er seinen Arm mit dem Tier darin ans Ufer und zog sich damit ein wenig an dieses so wie zuvor bereits. Die Beute zappelte am Trockenen und versuchte sich aus den Klauen seines Jägers zu befreien. Vergeblich, den Rojan wartete nicht lange bis er in die Seite des Fisches herzhaft hinein biss.
Welch eine Wonne, welches Vergnügen bereitete es ihm noch während dem Kauen. Wie lange ist es her das er etwas so köstliches zu Essen bekam? Vom Appetit und dem Durst nach Stärkung angeregt, verschlang er den Süßwasserfisch binnen kürzester Zeit und machte sich auf den zweiten zu fangen.
Dieselbe Prozedur. Er wartete lauernd im Wasser, sein Blick kannte nur die Wasseroberfläche aus der seine Mahlzeit herausspringen würde. Kurze Zeit, und wenig später hielt er den nächsten Fisch in seinen Klauen. Er hatte die Richtige Stelle zum Fischen genutzt. Andere bräuchten Stunden für solch einen Fang. Doch diesen hier trug er nicht erst ans Wasser. Von der köstlichen Duft erregt biss er gleich hinein. Das arme Tier zappelte noch eine weile schmerzerfüllt, doch bald war es von diesem befreit und würde sich nun in einem Fischhimmel wiederfinden.
Das unverdauliche und zugleich ungenießbare übergab er dem Fluss zurück. So würden wenigstens keine Spuren an ihn erinnern. Schon wollte er sich auf die Lauer nach dem nächsten Fisch machen, denn er hatte lange Zeit nichts zu essen gehabt und die Flucht strengte ihn an, doch seine Nase witterte etwas viel größeres als einen Fisch. Etwas viel gefährlicheres. Menschen!
Verflucht, zischte er im Geiste. Diese elenden Verräter die Caledonia verraten hatten und ihren Untergang vorbereiteten, wenn er ihnen nicht dazwischenfunkte. Noch waren sie weit weg. Einige Meilen im Wald. Das heißt sie wußten noch nicht, wie heiß es zu ihrem Ziel war. Aber er würde dafür Sorge tragen das es wieder kälter wird. Er tauchte unter und schwamm einige Meter unter Wasser und nutzte auch dessen Kraft, bis er wieder an die Oberfläche zurück tauchte um nach Luft zu schnappen um anschließend wieder ein Stück Unterwasser zu reisen. Denn Unterwasser war er für die Augen seiner Jäger unsichtbar, ehe er dazu überging den Rest mit dem Kopf über Wasser mit dem Strom zu schwimmen. Dann war er weit genug und die Hunde würden seine Spur verlieren mit der sie ihn bis zum Fluss verfolgen konnten. Erfreut über seinen Vorsprung kam er aus dem Wasser. Kaum verließ er das schützende Nass, erinnerte ihn der eisige Hauch der Winterkönigin mit dem sie bereits im Herbst von ihrer baldigen Ankunft ankündigte das der Sommer längst vorbei war und seine Kleidung, sofern man sie noch so nennen konnte, durch das Wasser ihrer wärmenden Wirkung beraubt waren. Er umklammerte sich mit seinen Armen, versuchte sich instinktiv Trocken zu schütteln. Wie ein Hund. Doch dünne Wasserfäden rannen aus jeder unbedeutenden kleinen Furche seines Leibes und bildeten eine große Pfütze dort wo er gerade stand.
Er hatte keine Wahl. Den Tod hatte er sich längst geholt. Ob in den kalten Verließen Burg Arawns oder im Wald Emania spielte keine Rolle. Aber wenn er weiterging, würde er vielleicht einem Medikus in die Arme laufen oder wenigstens seinen König warnen können und einen ehrenvollen Heldentod erfahren. Einen Tod den auch sein Reise- und Kampfgefährte Calion erhielt. Doch nur wenn es ihm gelang davon zu berichten. Wo waren nur die Barden und Legendensänger um von ihnen zu berichten? Die Welt stand vor einem Neubeginn und es würde sich zeigen wer in Zukunft die Zügel in der Hand halten wird. Und ausgerechnet er spielte eine entscheidende Rolle darin. Seufzend betrat er mit langsamen Schritten wieder das Reich des Tannenkönigs. Ein Geäst aus Dornen und Gestrüppen verschloss sich hinter ihm, wuchs enger zusammen zu einem undurchdringlichen Wand. Der Wald wollte ihn in sich verschlingen, wie eine Muschel eine kostbare Perle. Und noch immer wartete die Herrin des Wasserfalls verärgert auf einen Dank für ihre beiden Geschenke, die sie dem hungrigen Wanderer dargebracht hatte.

Irion ging den Maschinenraum der Cyhiraeth auf und ab. Er verstand nicht was da jetzt nicht klappte und die Maschinen nur mit halber Kraft liefen. Der Baron war schon ganz erzürnt darüber das das Schiff so langsam flog. Eigentlich hätten sie schon längst angekommen sein können. Er warf einen Blick auf dem Mechaniker. Gerb schien sich ziemlich Zeit zu lassen. „Wie lang dauert das noch? Wir haben nicht ewig Zeit!“, fauchte er ihn an, obwohl er genau wußte das dieser Mann sein bestes gab. Der hohe Druck auf seinen Schultern ließ sich wohl bemerkbar machen.
„Ja, ja!“, entgegnete Gerb mit ruhiger Stimme, die jedoch einen leicht genervten Unterton aufwies. Gerb, eigentlich Gabriel, war schon lange als Techniker, Mechaniker und Tüftler in Waldemars Diensten, doch in letzter Zeit ging ihm der Druck des Baronen den er auf alle Köpfe gleichmäßig verteilte, ziemlich auf die Nerven. Gerb stand gerade auf um sich die ölverschmierten Hände an einem schmutzigen Tuch zu reiben um hinterher die abgebrannte Asche seines Zigarrenstummels über eine Holzschale abzuklopfen.
„Sag,“, eröffnete er das Gespräch mit der Zigarre im Mund und mit den Händen wieder an einigen Zahnrädern fummelnd, „Was ist das eigentlich für ein wichtiges Treffen auf das er keinesfalls fehlen darf?“
„Ich hab keine Ahnung“, gestand Irion, „Weiß nur das ein Haufen piekfeiner „Aris“ aus dem Rat ebenfalls daran teilnehmen. Adlige, Militärbonzen Händler, Technokraten, … was weiß ich“
„Ui, wußte ja gar nicht das wir einen so wichtigen Baronen haben“, warf Gerb belustigt ein, und steckte auch Irion mit seinem Lachen an. Ja, ja, überlegte er während er wieder nach Luft schnappte. Gerb war schon in Ordnung. Ein kleinerer Mann, nur 165 groß und mindestens genau so schwer dachte er im Geiste zwinkernd nach, der mit seinem langem rötlichgrauem Haar, der ihm zum Zopf geflochten war, und dem dicken Vollbart wie ein Zwerg welche nur in Märchen und Mythen der Barden und Großmütter erschienen. Er war ein herzensguter Mann der gerne und viel lachte, besonders nach dem einen oder anderen Whisky. Auch jetzt, wo die Zeit für ihn doch nicht so einfach war. Er musste es vor sich selbst zugeben, das er für diesen Mann große Bewunderung empfand. Nicht nur für sein technisches Verständnis, sonder auch für die Stärke die er jetzt zeigte. Schließlich musste man bedenken, dass sein Neffe Melchior vor wenigen Stunden sein Leben ließ.
Plötzlich knackte etwas Metallenes. Irion beugte sich weit über der Brüstung von wo er weit von den Maschinen stand, um nachzusehen was geschehen war, doch bald beruhigte er sich wieder als er Gerbs zufriedenen Gesichtsausdruck vernahm, „Ah ja! Hier haben wir den Übeltäter“
Er hielt einen Metallbolzen in der Hand, der sich wohl im Getriebe verankert hatte, „Na wie kommst den du her?“, sprach er zur kleinen Eisenstange, die er hochhielt um sie Irion zu zeigen. Dieser, erleichtert das nun endlich nach den Wünschen des Baronen ging, fragte jedoch zur Sicherheit noch mal nach um sich zu vergewissern.
„Keine Sorge“, vergewisserte ihm Gerb, der sich nun die Hände wusch und hin und wieder die Aschestummel von seiner Zigarre wegschnipste, „Ich muss nur noch den Blitzstein in den Generator einsetzten damit mein Baby wieder genügen Energie hat und dann können wir mit den „Aris“ um die Wette fliegen“
Die beiden lachten.

Waldemar saß mit übergeschlagenen Beinen auf einer Art Thron, der ziemlich kalt und hart wirkte, wäre da nicht der rote Stoffsaum, der den grauen Steinblock etwas erwärmte und weicher gestaltete. Der Stuhl wirkte als wäre es aus massivem Stein. Tatsächlich aber war es ein recht leichtes Material, das durch den grauschwarzen Farbton, und die Dicke der Arm- und Rückenlehnen schwer wirkte. Das monströseste aber war die Rückenlehne die wohl um ein doppeltes höher war, als ein ausgewachsener Mann stehend. Der Thron selbst war auf einer Art, im Boden verankertem Drehgelenk befestigt, so dass mit wenigen Knopfdrücken auf der linken Armlehne eine Drehung um 180° möglich war. Zurzeit sah er frustriert an seiner Pfeife kauend aus dem riesigem Fenster nach hinten, abgewendet vom Geschehen auf der Brücke der Cyhiraeth. Er war ziemlich aufgebracht und hatte große Mühe sich ruhig im Sessel zu halten. Umso schlechter erging es seiner Pfeife, die er fest in der Hand heilt und, wenn er nicht gerade an der Öffnung zog, mit seinen Backenzähnen am Holz nagte.
Die Cyhiraeth war nun schon seit drei Stunden unterwegs. Doch flogen sie mit weniger als der Hälfte der durchschnittlichen Geschwindigkeit. Er würde zum Treffen zu spät kommen, und das obwohl er ein pünktlicher Mann war. Doch größere Sorgen bereite ihm das die Sitzung ohne ihn beginnen würde. Und er war der Grund weshalb es außerhalb Modos‘ stattfand. Wenigstens waren sie informiert und kamen ihm entgegen. Er konnte es kaum erwarten. Diese Söldner würden ihm noch die Haare vom Kopf fressen, so gierig nach Gold und Fleisch waren sie. Gott sei dank waren es nicht seine Haare dachte er sich. Solange der Bund der Aristokraten für die Kosten der Söldner die auf seinem Boden auf seinem Geheiß warteten war es ihm recht egal wie lange es noch dauern würde. Und dann malte er sich die Zukunft Caledonias im Geiste aus. Modos würde wohl als Hauptstadt nicht mehr in Frage kommen, zumindest nicht vor dem Wiederaufbau. Die alternative wäre wohl Chadda doch trug die Stadt eine tief verwurzelte Geschichte mit der Lughischen Kirche. Und ein Wahlfahrtsort und ehemaliges Klosterstädtchen hatte nicht die richtige Publicity für die kommende Zukunft. Seine Wahl würde eher auf Kismoth fallen, doch glaubte er, dass der Rest aus Stadtgröße und Bedeutung eher auf Chadda fallen würde.
„Sir?“, riß ihn Irion aus seinem Tagtraum
„Was gibts“, sah er zu ihm auf
„Gerb hat den Schaden behoben. Es kann nun mit voller Kraft geflogen werden“
„Wunderbar!“, schrie er ihn sarkastisch an, „Und worauf wartest du dann noch? Gibt endlich den Befehl dazu!“
„Jawohl Sir“, salutierte Irion und tat wie ihm geheißen wurde.

Zwitschernde Vögel in Kronen von Bäumen, ein Knacken am Boden. Rojan schrak auf als er versehentlich auf einen Ast getreten war. Er musste vorsichtiger sein! Es war kühl, sehr kühl. Ein Herbsttag wie jeder andere, aber nass wie er war wünschte er es wäre Sommer. Der beißende Wind klammerte sich fest an ihn und nagte an seiner Haut, welche sich in eine raue Gänsehaut verwandelt hatte, rau wie ein Kettenhemd auf der seine feinen Härchen sich zu Berge stellten. Mit seinen Armen versuchte er sich zu umklammern und etwas warm zu reiben. Aber egal wie sehr er sich auch schüttelte, wie sehr er mit dem Biest auch rang, es ließ nicht ab von ihm sonder krallte sich nur noch tiefer in seine Schultern um mit eisigen Mäulern hundert Hydrenköpfen von Rojans Wärme fraß.
„Verdammt!“, fluchte er. Seine Stirn fühlte sich so warm an. Sie glühte wie das Dampfeisen einer Büglerin. Drang nun seine Wärme aus ihm heraus um den Eisigen Hauch der ihn befiel zu besiegen oder wenigstens zu vertreiben, oder saugte dieser Parasit seine Wärme aus ihm heraus bis er zu einem Eiszapfen erstarrt entweder als Leiche gefunden oder schlimmer noch: saugte der Dämon wie ein Vampir ihn aus, um die Scharr der Winterkönigin Cyhiraeth zu vergrößern?
Noch schlimmeres Entsetzen packte den frierenden Rojan: Welche Wärme saugte dieser Scherge Cyhiraeths aus ihm heraus? Seine körperliche Wärme die seinen Körper am Leben hielt, oder seine innerste Wärme, die aus seinem Herzen kam, wenn er einer traurigen Schwester die Tränen wegwischte oder einem kranken Vater Kräuter für einen Tee mischte. Die Wärme die ihn Lachen ließ oder Hingabe einer jungen Maid empfand. Die Wärme, die Gnade seinen besiegten Feinden übergab und am Grabe eines Freundes Tränen aus den Augen sprießen ließ.
Nein, das konnte er nicht zulassen. Nichts von alledem würde er aufgeben um zu einem emotionalem Eisblock zu werden der nichts empfand. Irgendeine Möglichkeit musste es doch geben sich seines Feindes zu erwehren. Ein Feind der anders war als seine anderen. Der nicht aus Fleisch und Blut bestand und keinen Speer aus Eisen verwand. Ein Feind der keine Spuren im Boden hinterließ, noch nicht mal der Nase eine Fährte überließ.
Plötzlich blieb Rojan stehen. Moment, was hatte er eben gesagt? Seiner Nase eine Fährte überließ?
„Arschbluten!“; fluchte er laut und ehe er sich versah schaute er sich nach allen Seiten um. Niemand schien ihn gehört zu haben. Vielleicht erreichte der Schall seiner Worte die Ohren seiner Verfolger noch nicht, aber das Echo würde es Weitertragen, wenn nicht die Bäume ihn daran hinderten. Überhaupt, wo waren sie? Ihre Gesichter meinte er. Sie waren alle verschwunden. Auch das Klappergeräusch der Pilze war weg. Doch überall um ihn herum wuchsen Pilze. Er roch sie
Er roch demonstrativ. Der Duft nasser Blätter, der faltigen Rinde uralter Bäume, kleiner Ameisen die eiligst diese auf und ab liefen um letzte Wintervorbereitungen zu treffen, stiegen seine Nase empor. Er schloss die Augen und roch intensiver. Er roch ein Rehkitz, welches vor mehreren Stunden hier entlang lief. Er roch die Steine die hier ewig Wache hielten. Er roch einige Menschen die einige Meilen weit entfernt waren.
Er fing an zu Lachen. Es war kein Freudenlachen, oder ein belustigtes Lachen. Eher wie das eines Wahnsinnigen der gerade auf den blutenden Stumpf seines Armes blickte als er sich diesen mit einer Axt oder einem Schwert abhackte.
Noch ehe dieses markerschütternde Gelächter verstummt war, war Rojan bereits mit Tränendurchlaufenen Augen auf seine Knie gefallen und vergrub seine mit Krallen besetzten Hände in sein Gesicht. Fünf rote Striemen je Gesichtshälfte zierten ihn wie eine Kriegsbemalung. Seine Stirn berührte den Boden und kleine Waldgeister klapperten heftig mit ihren Hüten um ihn aufzumuntern. Vergebens.
Aber das war’s. Das war’s was ihn am leben hielt, ihn entkommen ließ. Letzte Nacht, als seine Kraft am Ende war. Es war die Kraft dieses Ungeheuers. Die Kraft die letzte Nacht ihm innewohnte, sie kam nicht von ihm. Das Ungeheuer das mit Leichtigkeit das Genick seines Freundes, der sein Leben für ihn gab, nach hinten brach, als wäre er eine ausgestopfte Puppe. Dessen Kraft war es! Nicht seine!
Als er am Ende war und reglos am Boden hätte am liegen bleiben müssen. Da war es die Kraft dieses Nimhs die durch seine müden, geschundenen Knochen und Muskeln floss und ihn antrieben immer weiter zu rennen und rennen und rennen. Bis er entkommen war. Und als sie nach ihm suchten, da hat er ihn auch nicht in Stich gelassen. Mit seinem Geruchssinn hatte er neue Augen bekommen. Er konnte seine Verfolger sehen, doch sie ihn nicht und das ermöglichte ihm einen ungeheuerlichen Vorteil auf der Flucht. Aber warum? Warum das alles? Was wollte diese Bestie von ihm. Warum hat sie Calion getötet?
War es der Hass den er nun auf ihn empfand. Hass konnte eine riesige Energiequelle oder Motivation sein. Kontrollierte Nimh ihn? Oder schenkte er ihm nur seine Kraft. Verdammt was geschah hier?
Der eisige Hauch legte wieder seinen Arm auf ihn und holte ihn in die Realität zurück. Rojan sah mit weinenden Augen zu ihm hinauf. Der kalte Wind nickte. Er hatte genug. Ein versöhnender Blick wanderte von einem zum anderen. Es wurde auch Zeit, die Verfolger hatten zu sehr aufgeholt. Eine Höhle befand sich nicht allzu weit von hier.

Leichter Wind pfiff eine flüsternde Melodie über Felder und Hügel Arawns und fegte die rot und golden vergilbten Blätter über die, mit kleinen Steinwürfeln gepflasterte Straße, die sich wie ein Fluss durch die unebene Landschaft zog, hinweg auf eine weite Reise um die Welt mit eigenen Augen zu sehen ehe sie sich an einem schönen Ort niederlassen würden.
Leises traben mehrerer Reittiere aus der Ferne drang an des reisenden Ohr und machte ihn hellhörig. Er spähte durch den noch nicht vollständig aufgelösten Nebel. Nebel der sich wie eine weiße Wolke oder eher wie ein amorphes Geisterwesen welches seine Schwingen ausbreitete und dicht über den Boden schwebte, suchend nach etwas oder jemanden um ihn anschließen zu verschlingen. Und inmitten dieses Gespensterumhangs bewegten sich drei schwarze Flecken die immer größer wurden und zu schemenhaften Schattenreitern heranwuchsen, bis das Licht ihnen endlich mehr als nur Konturen zugestand und sie mit Farbe menschlich und weniger geheimnisvoll erfüllte.
Der Reisende hielt seine Reitechse an und stellte sich nah an den Rand des Ahnenpfades, wie man die uralte Straße nannte, die sich durch dieses Gebiet zog. Noch lange bevor die Feste Arawn errichtet, lange bevor das Reich Caledonia gegründet, zogen reisende Händler, Spielleute und Boten über diesen Weg und ihre Spuren sind noch heute sichtbar für jene die nach ihnen suchen und den Steinen und Hügeln lauschen wollen. Denn man sagt diese Gegend hier sei einst Heilig gewesen. In jedem Stein, jedem Hügel ja jedem Baum schlummere noch der Zauber vergangener Zeit, als noch heidnische Priester den Geistern des Waldes in heiligen Heinen und Quellen huldigten, ehe die Boten des einsamen Sonnengottes ihre Zelte auf dieser Erde aufschlugen – mit Feuer und Schwert!
Laron erblickte den Fremden auf seinem Reittier wie er ihnen Platz machte, doch anstatt an ihm vorbei zu reiten hielt er seine Männer mit einem Handzeichen an und zog an den Zügeln Glis‘ um diesen zum stehen zu bringen.
„Zum Gruße Reisender. Ich bin Feldwebel Laron, im Dienste Baron Waldemars“
„Zum Gruße, Jagotin Strogow mein Name. Wie kann ich euch zu Diensten sein?“
Laron betrachtete den zwei Meter Hünen auf seinem Tier sitzend. Sein Schädel war kahl geschoren und nur eine lange, schwarze Skalplocke, welche zu einem Zopf geflochten bis zu seinen Hüften hing. Er guckte grimmig irgendwie forsch, aber er schien auch interessiert zu sein. Laron nahm sich zusammen. Er sah die gewaltige Axt an des Fremden Rücken hängen, aber er wusste auch das mehrere Männer im Dienste Arawns ihm gegenüber standen. Das Recht war auf ihrer Seite!
„Wir suchen einen entflohenen Verbrecher. Er ist sehr gefährlich und sechs tapfere Männer des Baronen haben bereits ihr Leben lassen müssen als sie versuchten ihn seiner Freiheit wieder zu berauben“
„Ein halbes Dutzend gestandener Männer des Baronen waren nicht in der Lage einen Verbrecher gefangen zu nehmen? Das macht mir große Sorgen. Entweder ist dieser Mann wirklich so gefährlich wie ihr sagt, oder dem Baronen dienen zu viele Versager und beides ist nicht wünschenswert.“, entgegnete Jagotin.
Laron verzog sein Gesicht, behielt aber denselben freundlichen Tonfall bei, zumindest soweit er das beurteilen konnte: „Falls ihr ihn seht, seid gewarnt. Wenn ihr ihn gefangen nehmen könnt bringt ihn zur Feste Arawn oder haltet ihn fest bis wir ihn abholen können. Ich warne euch. Dieser Mann ist ein Mörder! Und er läuft gerade in diesem Moment durch Wald Emania und ist auf der Suche nach seinen nächstem Opfer.“
„Ich danke euch vielmals für eure Warnung. Ich werde die Augen offen halten“
„Ihr seid uns nicht zu Dank verpflichtet.“, entgegnete ihm der Feldwebel mit der Faust am Herz: „Wir erfüllen nur unsere Pflicht. Dienst am Volk und Vaterland!“
Mit einem Kopfnicken verabschiedeten sie sich. Glis hob wieder seinen Kopf und ließ den einsamen Grashalm in Ruhe, welcher durch eine Lücke zwischen zwei Pflastersteinen gedieh. Laron gab seinem Tier die Sporen, dann ritten sie ihn ihre Richtungen bis nicht mal mehr eine kleine Staubwolke an das Treffen hier erinnerte.
Jagotin verhaarte noch einige Minuten. Eigentlich wusste er gar nicht warum er sie so blöd angemacht hatte. Er hätte seine schlechte Laune nicht an ihnen auslassen sollen. Nun, jetzt war es zu späht. Schon wollte er Nordwind in Bewegung setzten als ihm beim nachdenken etwas im Unterholz auffiel.
„Warte hier“, sprach er zu seiner Reittechse während er auf die Stelle zulief und instinktiv nach seiner schweren Skrijala auf seinem Rücken griff.
Mehrere schwere Äste waren umgekippt und das Gras platt getreten, als wäre eine Dampfeisenbahn durchgerast. Das ihm so was nicht schon früher aufgefallen war. Er fluchte. Seine Augen waren weit aufgerissen als hätte er sich Streichhölzer hineingesteckt.
Er schüttelte nur ungläubig den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein? Oder doch. Er bückte sich entsetzt über die Stelle um sie mit seinen Händen zu fühlen. Doch tatsächlich, es war da. Es löste sich nicht auf wie eine Seifenblasse oder ein flüchtiger Traum. Er sah hinter seinem Rücken auf die andere Straßenseite. Er rannte sofort hin um sich die Stelle anzusehen. Auch hier, weder Seifenblasen noch Träume. Sondern ein echter Fußabdruck. Und was für einer. Sicher ein halben Schritt lang vom großem Zeh bis zur Ferse gemessen. Jagotin kannte solche Fußabdrücke. Er hatte in seinem Leben schon damit zu tun gehabt und jedes Mal konnte er nur mit Müh und Not, und letztendlich auch einer Menge Glück Überleben.
Aber wie… warum?
Diese Gegend war frei von ihnen. Arawn kannte dieses Problem nicht. Ein Umstand den er nie ganz verstand, schließlich wäre das Menschenarme Arawn mit seinen entlegenen Wäldern und Bergen der ideale Lebensraum dieser Bestien.
Aber nun konnte er nicht einfach weitergehen. Wenn Menschen sterben würden – er würde es sich nie verzeihen. Aber alleine auf Jagd gehen? Das war Wahnsinn. Glatter Selbstmord. Die Spuren gehörten zweien. Und wäre es nur einer hinter dem zwei Jagotins herjagten, wäre das Kräfteverhältnis immer noch unausgeglichen.
Jagotin hasste es ihren Namen aussprechen zu müssen.
Unholde! Er spie ihren Namen in seinem Geiste aus. Sie waren die Sühne für den Hochmut der Menschheit. Ihre Schöpfung bezahlten wir mit unserer Überheblichkeit. Nein nicht alle Menschen, doch wir alle träumten diesen einen Traum. Der Traum des Übermenschen. Und verleugneten wir es, so war es nur eine Selbstlüge, denn jeder wollte beweißen das er jemand war. Auf seine eigene Art und Weise.
Hochmut und Arroganz oder doch Minderwertigkeitskomplexe und Geltungsdrang seinen eigenen Wert zu beweisen? Waren das die Beweggründe der Technokraten diese Zuchtprogramme ins Leben zu rufen? Die Optimierung der Maschine Mensch in der Intellekt, Schönheit, Kraft und Größe kombiniert und gepaart wurden? Kinder zu zeugen die diese Eigenschaften zum Überfluss besaßen um es ihren Kindern noch großzügiger in die Wiege zu legen.
Wir alle träumten davon, im tiefsten Unterbewusstsein, selbst die Magokraten die sich für eine Weiterentwicklung der Spezies Mensch hielten – weil sie der Elemente Herr waren. Und den Rest ihre Rasse nicht beachten, da sie ihn ihnen eine Zwischenstufe vom Tier zum Menschen sehen und ihnen kaum Wert beimessen, ihnen gar peinlich sind!
Wert, was war ein Menschenleben wert?
Jagotin schüttelte nur den Kopf. Nein, er wollte es besser machen. Zuviel ging ihm in den letzten Tagen durch den Kopf. Er dachte einfach zuviel. Er hob drei faustgroße Steine vom Boden auf um sie in seine Tasche zu stecken und setzte sich anschließend auf den Rücken Nordwinds und ritt den Spuren in den Wald hinterher. Ein Himmelfahrtskommando oder eine altruistische Handlung?

Ein kleiner Vogel hüpfte von Ast zu Ast auf seiner Suche nach Essbarem, als er von seiner Neugierde überwältigt dem reitenden Fremden hinterher hüpfte. Er drehte und wendete seinen Kopf auf denkbarste Art und Weise um das Ziel seiner Begierde von allen Seiten genau betrachten zu können, dass er sich selbst vergaß und seine filigranen Füße fast den Halt verlören, hätte er nicht rechtzeitig sein Gleichgewicht mit ein paar gekonnten Flügelschlägen zurückgeholt.
Naiv wie ein Kind, kam der Spatz diesem fremdartigen Tier mit der langen, messerscharfen Klinge auf dem Rücken, die öfters einmal irgendwo hängen blieb und den Reisenden in seinem Fortkommen erschwerte, immer näher ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob er sich nicht in Gefahr begab.
Doch dieses merkte den kleinen neugierigen Beobachter und seinen hellen Zwitschergesang gar nicht. Stattdessen konzentrierte sich dieses auf den Boden als suche es etwas. Vielleicht Gewürm oder Beeren? Vielleicht würde es ihm sogar welche überlassen, denn der Spatz war klein und bedurfte nicht viel.
Wie sollte dieses kleine unschuldige Vöglein nur ahnen das der Fremde nichts von alledem begehrte, schüttelte ein vom höchsten Baum aus sitzend ein Rabe, der das Verfolgungsspiel beobachtet hatte, den Kopf.
Jagotin schob einen störenden, tief hängenden Ast beiseite um an ihm vorbei zu kommen und wickelte seine Hände wieder in die Zügel. In einer preschenden Wut schlug der Baum hinter ihm zurück. Der kleine Spatz wich der nahenden Ohrfeige mit flinken Flügelschlägen aus und setzte sich auf eines der ausgestreckten Fingern des Baumarmes, als dieser sich beruhigte, und starrte unverständlich von den beiden hin und her, ehe er, nachdem er einen kleinen herumkrabbelnden Parasiten runterschluckte, weiter hinterher hopste um den Fremden nicht aus den Augen zu verlieren.
Die Spuren am Boden ließen sich erkennen wie ein schwarzes Samttuch auf Schnee. Jagotin versuchte sein Herz zu ignorieren, welches noch ruhig vor sich hinschlug, seinen Takt je weiter er in den Wald eindrang und je näher er seiner Beute kam, erhöhte, bis es sich wie die donnernden Hufen einer in Panik rennenden Herde auf trockenem Savannenboden anhörte.
Er hatte Angst. Das war keine Schande, auch nicht für einen erfahrenen Kämpfer. Frei von Furcht waren nur Narren. Den Mut bedeute sich seiner Angst stellen zu können und sie zu überwinden. Und je näher er sich begab, desto deutlicher wurde ihm die Notwendigkeit eines Plans wie er mit den zwei Unholden fertig werden konnte. Auf sein Glück zu bauen war töricht und darauf sie zu bitten ihm ihre Köpfe freiwillig auf einer provisorischen Guillotine feil zu bieten war reines Wunschdenken.
Ein Rabe krächzte. Bald roch er auch warum. Ein Baum fiel um. Eine mannsdicke Birke wurde von einem Unhold aus reiner Laune heraus umgeworfen und riss weiteres Geäst mit sich hinein. Die Wurzeln wurden dem Erdenleib entrissen und wirbelten das schwarze Element durch seinen Widersacher, der Luft, und attackierten als Luftgeschoß den Spatz.
Der unregelmäßig aber dicht behaarte und mit Pusteln, Beulen und Furunkeln übersäte Rücken eines dreiarmigen Unholds stierte Jagotin und dessen Begleiter an, das sie achten musste nicht in Panik zu geraten. Der zweite Unhold, der sich eben noch an seinem breiten und mit einem spärlichen Lendenschurz bedeckten Gesäß kratzte, zeigte mit zwei zusammengewachsenen Fingern auf den plötzlich aufgetauchten Leckerbissen und gab mit tiefen und grunzigem Laut aus seinem widerlichen Mund seinem Kameraden Bescheid. Langsam wendete dieser seine hässliche Visage zu Jagotin und grinste breit als er ihn mit seinem Auge, und zwar dem großen, erfasste und mit dem kleinerem den Flug einer Schmeißfliege verfolgte. Der Unhold brüllte lautes und odiös.
Nordwinds geriet in Panik und bäumte sich auf, zappelte wild und rannte schließlich zickzackförmig um die Bäume von den beiden weg, die mit krachenden Schritten hinterherkamen. Das alles kam sehr unerwartet. Auf diese Situation war Jagotin nicht vorbereitet gewesen und verlor den Halt vom Rücken seines Reittieres und fiel zu Boden. Noch hing er wie eine Puppe mit den Armen an den ledernen Zügeln. Seine Beine wurden durch den matschigen und unebenen Boden geschleift und verletzten sich an Gestrüpp, herausragenden, spitzen Ästen des Unterholzes und herumliegenden Steinen. Doch trotz allen Schmerzen hielt er krampfhaft fest, den die Beine Nordwinds waren das einzige was ihn von den Unholden trennten, die wie Furien hinter den beiden herjagten und alles umwarfen was sich ihnen in den Weg stellte. Mit großer Mühe versuchte er sich wieder hochzuziehen um auch nicht als Anker sein Fluchttier zu bremsen das versuchte ihn abzuwerfen um seine Schuppen vor den gefräßigen Mäulern zu retten, doch der Boden machte es ihm nicht leicht. Jedes Mal wenn er glaubte, jetzt würde er es schaffen, rammte der Waldgrund ihm einen neuen Schwerthieb ins Bein und sah zu wie er wohl verbluten würde, würde man ihn nicht vorher fressen.
Es beruhigte ihn das der Abstand größer wurde, als der vordere der Unholde über seine Füße stolperte und den anderen mit sich zu Boden zog und sie beim Aufstehen anfingen sich zu verkloppen. Das verschaffte ihm einen Vorsprung der größer wurde. Doch das Tier rannte unaufhörlich weiter, als hätte man ihm die Augen verbunden. Jagotin spannte seine Armmuskeln an, von denen er genügend besaß, um sich hochzuziehen. Plötzlich merkte er wie die Zügel an einer Stelle immer dünner wurden. Sofort befreite er eine Hand um nach einer heilen Stelle zu greifen. Dann rissen sie. Weitere Meter wurde der Hüne geschleift. Seine Hände waren schwitzig, er rutschte ab. Mit seiner zweiten Hand versuchte er nach dem Tier zu greifen und unterstützte seinen Halt indem er zum Sattel griff. Dann entglitt ihm alles und er fiel zu Boden. Das war der letzte Waldspeer der sich durch seine Beine gebohrt hatte. Nun lag er da und Nordwind rannte mit einem Teil seiner Habe, während der Rest sich überm Waldboden verteilte. Nur seine Skrijala, seine mächtige Axt, war ihm treu auf dem Rücken geblieben. Sie war ihm immer treu gewesen. Seid dem Tag an dem er sie schmiedete.

Wie eine fallengelassene Marionette lag der hünenhafte Jagotin verletzt im Schlamm. Seine Beine brannten innerlich als lodere Höllenfeuer durch sie hindurch. Schweiß trieb ihm aus der Stirn als er mit aller aufzubringenden Selbstbeherrschung kein Schmerzeslaut von sich gab, denn er wusste, so war es besser als wenn er sie überhaupt nicht spürte. Er hob vorsichtig den Kopf aus der nassen Erde. Sein Herzschlag stockte und sein Kiefer zitterte. Ihm war bewusst, es könne nicht mehr lange dauern bis die zwei Unholde hier waren und dann würde er ihnen nicht einmal mehr mit unversehrten Beinen entkommen können. Langsam und vorsichtig griff er zu seiner Axt. Behutsam als wäre sie ein scheues Tier das weglaufen würde kam er ihrem Griff immer näher bis er die Waffe fest umklammerte und aus der Rückenscheide zog. Dann traute er sich, am Boden liegend, nach hinten zu sehen wo seine Verfolger waren.
Die Geister meinten es gut mit ihm, nach dem Sturz waren sie übereinander hergefallen und ließen der Beute durch ihren Streit einen größeren Vorsprung. Oder wussten sie wie weit er sich von ihnen befand? Rochen sie ihn? Konnten sie seinen fleischlichen Geruch vermischt mit Blut und Schweiß, das vom Schlamm des Waldbodens überdeckt war immer noch wahrnehmen?
Eine alte Buche lag unweit vom ihm. Ihr breiter Stamm könnte ihn decken wenn sie seine Fährte nicht riechen konnten. Mühsam streckte er seinen Waffenarm in Richtung des Baumriesen um sich damit näher zu ziehen. Das Geäst des Baumes wurde vom Wind berührt und fast schon schien es als schlüge der Baum nach ihm, der sich von der Axt bedroht fühlte. Jagotin zog langsam das Gewicht seines Körpers hinter der Hand her die sich immer wieder in Wurzeln verfing und festhielt. Fast wäre ihm ein Schmerzeslaut über die Lippen gekommen, der wie ein Kriegsschrei seinen Feinden verraten hätte das ein Angriff unausweichlich ist, doch er konnte ihn im letzten Moment noch unterdrücken so das nur ein kurzes Wimmern seine Lippen verließ.
Er drehte sich seiner Zielrichtung zu und konnte sich nun am Boden liegend mit beiden Armen nach vorne robben. Dann erreichte er den schützenden Schatten und die lebende Wand die ihm Rückendeckung gab. Er nahm alle seine Kraft beisammen und kniete sich still mit dem Rücken gegen den Baum und stützte sich an seiner Skrijala ab. Er hatte keine große Chance. Seine ganze Hoffnung war das die beiden Unholde nichts ahnend unmittelbar an ihm vorbei laufen würden. Dann könnte er, im richtigen Moment zugeschlagen, einem der beiden die Füße abhacken. Zum Krüppel geschlagen würde er bald von seinen Artgenossen gefressen werden, wenn er nicht an Ort und Stelle verblutete. Doch was machte er mit dem Zweiten? Er hatte nur einen Überraschungsmoment, wenn überhaupt, und dieser war der einzige Garant für den Erfolg seines Unterfangens. Verdammt, fluchte er im Geiste, diese Aktion war töricht gewesen. Sonst hörte er auch immer auf die Stimme seiner Vernunft und stürzte sich nicht einfach blind in Gefahr.
Das Knacken eines Astes ließ sein gesenktes Haupt hochfahren. Es klang nicht nach einer großen, schweren Bestie, sondern mehr nach einem versehentlichen Fehltritt eines pirschenden Jägers. Und was ihn noch viel mehr erstaunen ließ, es kam nicht von hinten sonder von seiner rechten Seite aus. Sofort schaute er hin. Es waren zwei uniformierte Spaßvögel mit Schwertern bewaffnet die nicht nur mit einem ungeschicktem Tritt die Aufmerksamkeit der zwei Goliate auf sich zogen.
Diese Narren! Einmal in Rage versetzt ließen die beiden davon ab sich gegenseitig zu zerfleischen und eilten wie zwei aufgewühlte Stiere auf die Beiden zu.
Einer verfiel sofort in Panik und rannte wie ein Hase vor dem Fuchs in Zickzackbahnen an den Bäumen vorbei vor seinem Jäger weg. Der andere blieb wie erstarrt stehen, als wären aus dem Waldboden Ranken emporgewachsen die sich wie Stricke um seine Füße wandten und immer fester zogen je höher sie wucherten.
Es würde nichts nützen. Jagotin griff instinktiv nach einem Stein und stand abrupt auf. Er schrie aus voller Kehle: „Nein“.
Die Beiden drehten sich um. Verwirrt darüber wem sie jetzt hinterher jagen sollten, brüllte Jagotim dem jungen Soldaten zu: „Lauf! Du Narr!“
Wie auf den Befehl eines Generals schienen sich seine unsichtbaren Fußketten zu lösen und er rannte so schnell ihn seine Füße trugen.
Es würde aber nicht schnell genug sein. Einer der Unholde hatte seine Geistige Umnebelung schnell überwunden, als seine Beute die Flucht ergriffen hatte: In Kürze hatte er die Distanz überwunden. Ein gekonnter Hieb und der mit einem Helm geschützte Kopf flog in einer elliptischen Bahn durch die Luft, ehe eine Astgabelung die perfekte Bahn durchkreuzte und ihn an Ästen entlang seines Stammes in einem unvorhersehbarem Fall bis zum Boden fallen ließ. Blut floss wie durch eine Wasserquelle und spritze wie rote Farbe aus Kopf und Rumpf und bemalte die Landschaft mit roter Farbe wie ein Künstler das Papier. Der Körper sackte zusammen doch der Unhold konnte noch eine weitere flüchtende Beute wahrnehmen und rannte in jene Richtung.
Der zweite war währenddessen auf Jagotin zugerast.
Vor Schreck gebannt riss er die Augen auf und verdrängte die Panik aus seinem Kopf. Wenn er jetzt nicht klar denken konnte würde er es nie mehr können. So visierte er die verwundbaren Füße der herannahenden Bestie die sich schnell auf und ab bewegten. Dann schleuderte er wie ein David den Stein. Er traf. Ein Wunder. Der empfindliche Fußrücken hatte eine Wunde von beachtlicher Größe erfahren aus der dunkelrotes, fast braunes Blut heraus quoll und alle lebende Materie das es befleckte verätzte.
Der Unhold fiel mit markerschütterndem Schrei vornüber zu Boden. Mit seinem Kopf entwurzelte er eine weiße Birke. Die Aufmerksamkeit des Zweiten war erregt. Er ließ ab von seinem Jagdvieh und kam nun auf Jagotin zu.
Verdammt! Auch der verwundete war dabei sich aufzurichten. Seine mit Pocken und Pusteln übersäte Glatze schien keine Verwundung davongetragen zu haben, doch Jagotin zweifelte nicht daran das eine leichte bis mittlere Gehirnerschütterung sich nach dem Berserkergang zeigen würde.
Doch jetzt? Während der eine auf ihn zuraste lag der andere keine halbe Meile vor ihm entfernt. Zum Laufen war es zu späht und die fünf Steine in seiner Tasche nützten ihm nichts solange das fette Untier seine Füße mit seinem Körper schütze.
Er hatte keine Wahl. Kaum das sich der Verwundete mit schmerzendem Fuß aufgerappelt hatte umklammerte Jagotin seine Axt mit beiden Händen so fest er konnte, das selbst die Knöchel sich weiß verfärbten. Entschlossen dankte er allen seinen Geistern für das was er bisher erleben durfte und kam hinter den schützenden Baumstamm mit einem kehligen Kriegsschrei hervor und rannte mit leicht gebückter Haltung auf den Unhold zu. Seine Augen waren gebannt auf das Untier und nahmen wie die Augen eines aufgebrachten Arenastiers nichts anderes wahr. Jagotins Entschlossenheit verunsicherte den Unhold. Damit hatte er nicht gerechnet. Auf solch ein Verhalten war er nicht vorbereitet gewesen, doch sei’s drum. Wie ein Felsbrocken ging er in eine Angriffshaltung die aufgrund des Größenunterschiedes der beiden Gegner ziemlich geduckt war und rannte letztendlich auf ihn zu um seine beschleunigte Körperwucht ausnutzen zu können. Jagotin rannte ebenfalls. Die Schmerzen in seinen Beinen schienen wie Schnee vom vergangenen Jahr dahin geschmolzen zu sein. Er konzentrierte sich nur auf seinen finalen Schlag. Der Boden war steinig und mit Laub und kleinen Ästen überseht. Doch gerade als der Unhold seine unproportioniert langen Affenarmen ausstrecken wollte um nach ihm zu schlagen ließ sich Jagotin auf die Knie fallen und nutze den schlammigen Untergrund um mit seinem Schwung nach vorne zu rutschen in Reichweite seiner Füße. Wie ein Fallbeil schmetterte das Blatt Skrijalas auf seine Füße hinab. Schmerzerfüllt konnte er sein weiteres Handeln nicht mehr länger koordinieren und fiel über Jagotin was für beide unangenehm war.
Am Boden angekommen blieb er liegen. Der Schock hatte ihm das Gehirn gebraten. Der würde nie wieder aufstehen. Doch Jagotin blieb trotz des Gewichtes das er mit seinem Körper umgestoßen hatte nicht viel Zeit seine Prellungen zu bemitleiden wenn er noch einmal aufstehen wollte.
Der zweite kam ihm immer näher und er hatte keine Überraschung mehr auf Lager die das Kampfglück auf seine Seite hätten lenken können. Der Unhold hatte alles gesehen und Jagotin hatte genügend Erfahrungen mit diesen Bestien gesammelt um zu wissen das man sich trotz des unterbelichteten, kleinem Gehirn im Kampf nicht auf ihr Dummheit verlassen durfte.
Was sollte er jetzt tun?

Jagotin saß schnaubend auf den Knien, auf denen er auch seine gewaltige Axt ruhen ließ. Die Schmach welche die Schmerzen seinem Körper zufügten ignorierte er. Sein Geist war auf die langsam und fast schon spielerische Annährung des Unholdes fixiert. Es war kalt. Beißender Wind raschelte wie ein jagender Wolf durch den Waldflur. Jagotin erzitterte in der matschigen und durchnässten Kleidung. Seine Stirn glühte. Kalter Schweiß triefte aus allen Poren und die Eisgöttin Cyhiraeth kündigte ihre nahe Ankunft an. Leichte Schneeflocken fielen wie Daunenfedern einer im Fluge geschossenen Gans im Schaukelspiel des Windes und legten sich wie schlafende Kinder zu Boden. Noch waren die Schneebienen nicht zahlreich genug um die müde Welt mit einem weißen Betttuch zuzudecken. Auf der vom Himmelswasser verwandelten Erdhaut landend, zerschmolzen die geometrisch perfekten Kristalle wie Seifenblasen, bedeutungslos wie ein flüchtiger Traum im Morgengrauen. Bedeutungslos wie ein kleiner Tod im Abendrot.
Die Zahnräder in Jagotins Kopf schienen einem anderen Herrn zu gehorchen. Wann immer er versuchte die gigantische und aufwendige Denkapparatur seinem Willen Untertan zu machen geriet sie ins Stocken, bis der Urzustand wiederhergestellt und eigensinnige Empfindungen und Erinnerungen produzierte die Jagotins kahlen Kopf abzulenken trachteten.
Er hatte keine Zeit für diesen sentimentalen Quatsch. Der Unhold näherte sich ihm mit überlegen gerichtetem Blick auf ihn, eine in die Falle getretene Beute. Dieser selbstsichere und zugleich dummwirkende Gesichtsausdruck wurde durch die zwei ungleichgroßen Augen und ein sabberndes Grinsen, das eine Reihe fauliger Zähne ans Tageslicht hervorbrachte unterstützt.
Er musste sich konzentrieren! Er musste einen Ausweg aus dieser pikanten Situation finden. Oder sollte er sich seinem Verstand doch ergeben? Die letzten Augenblicke seines Lebens mit seinen schönsten Erinnerungen verbringen ehe sein Henker über ihn richtete? Ihn wie ein Spielzeug hob und in zwei Teile zerriss? Nur kurz, da kapitulierte er. Vor ihm erschien das bezaubernde Gesicht Skrijalas. Die Frau, nach der seine mächtige Waffe benannt war. Sie war so schön. Und er konnte sie nicht beschützen!
Jagotin verschob den Gedanken, packte ihn in seinem Untergedächnis wo er sofort wieder auf ihn zugreifen konnte. Noch war sein Stundenglas nicht abgelaufen. Doch er würde das Abbild ihres Gesichtes sofort wieder herausholen wenn das letzte Sandkorn durch das schmale Loch kullerte. Sein letzter Gedanke, würde das Feuer seiner Lebenskerze noch eine weile brennen lassen, bis auch die Seele des Bildes mit der seinen als Rauch zum Himmel aufstieg um sie wieder zu vereinen. Und was dann bleibt ist nur vergängliche Asche vom Wind durch getragen sich wie eine Feder an einen fremden Ort niederlassen um dort aufzugehen wie ein Samenkorn auf fruchtbarer Erde.
Jagotins Zuversicht war wieder gestärkt. Entweder würde er als Sieger diese Bestie in die tiefsten Höllen schmettern, oder wie ein Komet untergeht um das Monstrum mit seinem brennenden Sternenschweif versengen.
Am Boden kniend wartete er ab. Er wusste genau, dies war eine Geduldsprobe. Das wusste er, das wusste der Unhold der mit spielerischer Eleganz, sofern man dies so bezeichnen konnte, sich ihm näherte. Beide achteten genau auf das Verhalten des anderen um sich blitzschnell auf eine neue Situation einstellen zu können wenn einer der beiden seine Taktik änderte. Dumm nur das Jagotin die Maus in der Ecke war. Das Vieh kam ihm immer näher, wenn auch im langsamen Schritt, doch unausweichlich würde er vor ihm stehen, wenn er sich nicht rührte. Doch noch hatte er Zeit zum Nachdenken. Würde er sich rühren würde auch der Unhold schneller auf ihn zukommen, und eine Flucht hatte keine erfolgreichen Aussichtschancen.
Nebel zog auf. Wie ein Pfeil zerschnitten mehrere Hundeheulen die Luft. Jagotins Pupillen huschten schnell vom Unhold zur Richtung aus der das Hundegebell kam und wieder zurück. Er durfte ihn nicht aus den Augen verlieren sondern sein weiteres Handeln einschätzen. Der Unhold hatte sich wie erschrocken zu seiner bedrohten Flanke gewandt. Fast schon zu spät schmetterte er eines der schneeweißen Geisterhunde, der sich in seinen Arm verbissen hatte, von sich weg. Weitere attackierten ihn. Sie bissen und bellten und wo sie zubissen das Spritze Blut aus tiefen Wunden als zählte die schützende Hornhaut des Unholden an der schon Schwerter zerbrachen nicht mehr.
Der Jagdhund den der Unhold unsanft gegen einen Baum geschleudert hatte war wieder auf den Beinen als ob nichts gewesen wäre. Blutrote Augen loderten wie Höllenfeuer und Geifer tropfte wie Säure aus einem mit Wolfszähnen besetzten Maul. Wie ein Höllenhund ging er in einen Sprungangriff über. Schwer angeschlagen entschied der Unhold sein Heil in der Flucht zu suchen, doch die Hunde stellten ihm nach wie Jagdhunde die darauf abgerichtet waren eine Beute zu erledigen oder solange weiterzuverfolgen bis der Jäger es geschossen hatte.
Jagotin wollte seinen Augen nicht trauen. Aber sie waren real! So real wie die Axt in seinen Händen. Es musste real sein. Als er aufstehen wollte hörte er ein Pferdeschnaufen hinter sich. Ein Pferd das wie die Hunde weißer als neugeborener Firnschnee war, war soeben aus dem Nebel hinter ihn getreten. Es hatte roten Geisteraugen doch das ruhige Temperament ermutigten ihn es zu besteigen. Kaum saß er auf den Rücken spürte er hinter seinem Rücken eine weitere Präsenz. Nur zaghaft drehte er seinen Kopf nach Hinten. Ein weißer Reiter, eingehüllt in einem weitem Eisbärpelz der quasi seinen Ganzen Körper bedeckte. Unter dem Mantel lugten in silbrigen Steigbügeln ruhend, beschlagene, weiße Lederstiefel und silbrige Beinschienen schützt die Beine. Jagotin schaute in das Gesicht des Fremden. Unter einem prunkvollen Helm, der ein großes Hirschgeweih trug, lugten Hüftlage weiße Haarsträhnen hervor. Ein längerer am Kinn gegabelter Vollbart hüllte die untere Gesichtshälfte des unbekannten Fremden ein und ließ ihn weise und gleichzeitig kräftig erscheinen. Augen und Nase konnte er nicht sehen, als ob ein schwarzer Schleier sie wie ein Visier verdeckte, doch auch wenn er die Augen des namenlosen Fremden nicht sehen konnte, so spürte er wie sie sich inbrünstig bis in sein innerstes bohrten. Er fühlte sich nackt und ihm schien, dass diese Augen jede Scham aufdecken konnten die sich in den verborgensten Winkeln seiner Seele versteckten.
Um die linke Hand, die vor seiner Brust angewinkelt war, waren die Zügel seines Pferdes, das dem Jagotins glich, fest gewickelt. In der anderen hielt er einen eingespannten Kristallbogen den er Jagotin reichte. Verblüfft über sich selbst hatte er ihn bereits angenommen ehe er die Situation begriff. Kristallpfeile mit Schneegansfedern bestückt hingen in einem Seitenköcher seines Pferdes.
Mit der freien Hand deutete der Fremde auf die Richtung in der seine Hunde das Jagdwild jagten. Jagotin ergriff mit einer Hand die Zügel und mit der anderen hielt er den Bogen fest umklammert wie der Fremde Gott zuvor. Sein Pferd bäumte sich kurz auf, und galoppierte wie ein abgeschossener Pfeil an den Bäumen entlang. Jagotins ganze Reitkunst war gefragt und nicht vom Geisterpferd zu stürzen, dessen Rücken ihn trug.
Der Fremde verhaarte noch einen Augenblick. Sein Reittier scharrte kurz schnaufend mit dem Huf am Boden. Dann wehte ein heftiger Wind und trieb weiße Schneeflocken in einem Wirbel um den weisen Jäger.



Vielleicht beende ich die Geschichte irgendwann. Aber vorerst müll ich hier nur die Seite zu.
-_-°