Benutzer
Passwort

Beitrag   1 Bewertung   1 Favorit  



Beim Arzt



Geschrieben von:   korridor


Anmerkungen des Autors:
ziemlich alt, aber viel gutes hab ich auch noch nich geschrieben..





Der Autor hat folgende Stimmungen f�r sein Werk angegeben:
aggressiv
aufgedreht
belustigt
genervt



vorhin waren die enten noch rosa, jetzt haben sie einen babyblauen taint angenommen. das sind diese "wetterfühligen" dinger, die meine oma immer in der "modernen hausfrau" sieht, bestellt, auspackt und sich wundert, warum sie die nun eigentlich hat.
jedenfalls muss wohl der luftdruck hier drinnen gefallen sein, denn vorhin waren sie eindeutig noch rosa.
komisch, ich hab gar nix davon gemerkt, war viel zu sehr damit beschäftigt, grimmig zu schauen.
in wartezimmern muss man das immer, besonders beim arzt, da ist es auch egal was für ein fachmann da nun grade besucht werden muss.
man muss grimmig schauen, sonst denken die anderen noch, man sei zum spass da.
"herr wilber, in zimmer drei," obwohl ich durch das gerausche kaum was verstehen kann, höre ich dennoch die falsche betonung heraus.
es heisst filbér, mit der betonung auf der zweiten silbe, aber wozu soll ich das einer dummen sprechstunden hilfe erklären, ich hab wichtigeres zu tun.
wie diese enten hat mein großer zeh in den letzten zwölf stunden seine farbe von sanftem rosé nach bläulich gewechselt, und zusätzlich tut er auch noch verdammt weh.
ich gehe in zimmer drei. ein weisses zimmer, welche überraschung. ich finde, manchmal müssen arztpraxen schon fast markierband anbringen, damit man vor lauter weiss nicht gegen irgendeinen weissen tisch stösst, sich an einer weissen lampe den kopf anhaut oder über eine weisse liege stolpert. im nebenzimmer keucht jemand, es hört sich ganz anders an, als der laut den ich gestern von mir gab als ich mir meinen zeh stieß, in einer arztpraxis, die zwar auch weiss war, aber in der waren wenigstens noch ausgeschnittene Zeitungskartoons mit blöden, alten arztwitzen, mit denen man sich beschäftigen kann, während man wartet.
Ich blicke mich weiter um, gelangweilt, wartend auf den Arzt. Der Schreibtisch (ich halte es für unnötig, seine Farbe zu erwähnen) ist übersäht mit kleinen Werbegeschenken, die sowohl dekotechnisch als auf funktionell nicht in geringster Weise einzuordnen sind. Werbegeschenke müssen so sein, damit man sie immer wieder anschaut und darüber nachdenkt, was sie darstellen und ob man sie zu mehr gebrauchen kann, als sie auf den Schreibtisch zu stellen. So wirkt der aufgeklebte , genähte, gravierte Firmenname psychologisch auf das Gehirn des Betrachters und vermittelt unterbewusst eine Marketing botschaft. Schliesslich stellt man das Objekt dann auf den Schreibtisch und es wird auch von den armen Patienten begutachtet, die nicht einmal wissen, was nun die Firma Ovilax, Tetragulb oder Subivol eigentlich vertritt, und damit auch die sublime Nachricht auch nicht aufnehmen. Nein, die Patienten sitzen nur da, starren das Objekt, das Unding an und in ihren Gehirnen schwimmen kleine Fragen, von "Was zum Henker wollte ich hier nochmal?" und "Sind die echt?" (natürlich gibts auch in diesem Zimmer plastikhaftes Grünzeug, das von den Regalen wächst, wenn die Antwort auf die Frage denn "ja" war, und nur so rumhängt, falls sie "nein" war) bis zu "gibt es einen gott?" und "ist der dann privatversichert?" reichen. 10 Euro gezahlt und dafür sitze ich hier rum. Ich komme mir vor wie ein nörgelnder Bürger und führe mir vor Augen, was ich alles machen könnte, säße ich nicht hier und wartete. zu hause wartet ein haufen kram, den es zu erledigen, fertig zu machen, zu vernichten gilt. puh, ich wäre vielleicht beschäftigt, ein gestresster... zivi. ok, zugegeben, da wäre ausser der dreckigen wäsche eh nicht viel, und die würde da auch noch weitere 3 tage stehen, so lange nämlich reichen meine socken noch. aber ich könnte zum beispiel mit jens super mario zocken oder mir gemütlich ein tütchen drehen.
ausserdem sind 10euro für einen zivi viel geld, das sind 2gramm hasch, also bitte!
Ich glaube, der Arzt hat mich vergessen, denn die Plastizol uhr zeigt an, dass ich schon seit 20 Minuten warte. Ich beginne mit sowohl dekorativem als auch nicht definiertem kleinkram auf dem schreibtisch rum zu spielen, bis irgendein kleines teil davon abbricht. aha, denke ich, zerbrechlich ist das zeug auch noch. wenigstens fällt nicht auf, dass es kaputt ist, es ist viel zu...weiss..dafür und tarnt sich prächtig in seiner umgebung. bedächtig beginne ich nun an meinen fingernägeln zu kauen, denke ein bisschen an meinen wehen fuß und bemitleide mich selbst, ganz doll.
gerade als ich darüber nachdenke, ob die typischen gardinenplatten, die mir die sicht auf das graue großstadtpanorama versperren, kamellen oder lametta heissen, kommt ENDLICH der arzt. gekleidet in weiss, konnte er sich natürlich gut anschleichen, allein die brille sieht sehr technisch aus. bestimmt infrarotsicht, zur orientierung.
ich rücke meinen stuhl zurecht, will nun das hauptobjekt seiner aufmerksamkeit sein, doch er setzt sich mir gegenüber, und mustert mich während eines laschen händedrucks von oben bis unten. er scheint an meiner solidarität zu vater staat zu zweifeln, denkt, ich will meine zeh blau machen, damit ich blau machen kann. das geht klar von seiner erhobenen augenbraue aus. "ja, warte du nur, bis du meinen zeh siehst, der ist ein musterbeispiel für zermatschte extremitäten," denke ich mir. dann focusiert er mich und fragt die frage auf die ich nun schon so lange gewartet habe:"WO fehlts denn?"
wie aus der pistole geschossen kommt meine leidensgeschichte, gleichzeitig ziehe ich schuh und socke meines schmerzenden fusses aus und strecke ihm das pflaumenfarbige, schrumpelige etwas entgegen.
"ahja," macht er und lehnt sich in seinem weissen ledersessel zurück um einen block aus der schublade zu ziehen. ich kann nicht lesen was er schreibt, muss eine mischung aus steno und sütterlin sein, elanvoll roppt er den zettel ab, schwingt ihn mir entgegen. "unten in der apotheke abholen,"krieg ich zu hören, dann wieder die feuchte patsche entgegen gestreckt und schneller als ich reinkam, bin ich schon wieder draussen. wollte ich nicht noch etwas anderes, hab ich auch nichts vergessen?
schliesslich will ich so schnell nicht wieder kommen. aber bin viel zu überrumpelt, mir fällt nix ein. ich gehe zurück ins weisse wartezimmer, durch den weissen flur, grimmige menschen sitzen dort, und ich weiss was sie erwartet. aber ich bin frei zu gehen -das heisst humpeln- nach hause oder wo immer mein zeh mich zieht.
bevor ich gehe stoße ich mir natürlich nochmal das knie am garderobenständer, der mir knallgelb und hinterhältig im weg steht, als ich mich beim rausgehen noch mal nach der vielleicht doch ganz hübschen sprechstundenhilfe umsehen will. aber so ist das nun mal mit mir.