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Autor: Azrael

Erstellt am: 07.01.2006

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Tag 1



Geschrieben von:   Azrael


Anmerkungen des Autors:
Dies ist der Anfang einer Geschichte, die ihren Anfang als Kurzgeschichte nahm und eben diese hier veröffentliche
Da ich den Arbeistitel nicht verwenden kann, weil er ein Spoiler wäre, nehme ich einfach die Kapitelüberschrift als Titel
Ich bin gespannt auf eure Meinung(und etwas nervös, weil ich das zum ersten Mal öffentlich mache)
Na ja und die Interpunktion ist auch nicht der Hammer, aber ich hoffe es gefällt



Tag 1

Es war ein ganz normaler Novembermorgen und das Thermostat war schon seit einigen Wochen nicht mehr unter Null gefallen. Doch der Schnee war noch überall liegen geblieben; grau auf den Straßen, matschig auf den Gehwegen und an den Rändern, Kanten und dort, wo er sonst nicht störte zu weißen Haufen zusammengeschaufelt.
Es war noch früh, aber ich ging, trotz der bitteren Kälte, meine übliche Route. Ich liebte diese Tageszeit und ich brauchte sie, weil es die einzige Tageszeit war, die ich für mich hatte. Ungestört. Fern jeglichen Alltagstrotts.
Ein Glück das ich mir mein blondes Haar langwachsen ließ. So schützte es mich nun etwas vor dieser kalten Welt.
Wie immer ging ich zu dieser Zeit spazieren – was ich immer mit dem Einkaufen verband – da es mir die Gelegenheit gab, meinen Kopf frei zu bekommen, klar zu werden.
Der Morgen war grau. Jedoch schien er irgendwie zu strahlen. Hell, so dass er wieder weiß erschien.
Ich ging wie immer die Carrol-Street entlang, die mich zu einer T-Kreuzung führen würde, bei der ich nach links, rechts oder zurückgehen konnte. Wie sonst auch wandte ich mich nach rechts, meine behandschuhten Hände in den Taschen meines anthrazitfarbenen Mantels und vergewisserte mich gerade im Gehen, daß kein Auto kam, denn ich wollte die Straße überqueren.
Da gewahrte ich ihn. Schräg gegenüber mir auf der anderen Seite. Und er beobachtete mich.
Als ich ihn erblickte blieb ich erst einmal erschreckt stehen. Er stand einfach da, so als wäre er schon immer dort gestanden. Aber das konnte nicht sein, denn ich ging diese Strecke regelmäßig und ich hatte ihn hier noch nie zuvor gesehen. Aber er stand da und schaute mich mit einer wissenden Sicherheit an, die mich etwas beklommen machte. Seine wunderschönen, smaragdgrünen Augen ruhten auf mir und in ihnen brannte ein Feuer, wie ich es bis jetzt bei keinem gesehen hatte. Sein weißes, glatt rasiertes Gesicht wurde umringt von einem schwarzen Wasserfall fließenden, glatten Haares, dass ordentlich zurückgekämmt, jedoch nicht zurückgebunden war. Er hatte etwas majestätisches an sich, wie er so dastand in seinem Mantel, dem meinem gar nicht so unähnlich, nur das seiner hellgrau war .
Und wie ich ihn so ansah in seiner ganzen Person mit der makellosen Haut, den langgliedrigen Fingern und dem rosafarbenen, äußerst köstlichen Mund, merkte ich wie Begierde in mir aufstieg und ein prickelndes Gefühl bemächtigte sich meiner, welches ich jedoch nicht verstand.
Ich schaute ihn an und er schaute zurück, wissend um meiner Gefühlslage. Da merkte ich, dass ich ihn anstarrte und senkte errötend die Augen. Doch ich schaute sogleich wieder auf.
Aber jetzt schien eine Veränderung in ihm vorgegangen zu sein. Bewegung veränderte seine Haltung. Denn er kam jetzt auf mich zu. Und ich war sichtlich erschrocken.
‘Oh, Gott! Was mach ich denn jetzt? Er kommt auf mich zu‘
Er hatte die Straße betreten und hielt auf mich zu. In seinen Schritten und Bewegungen lag eine Kraft, die nicht von dieser Welt zu sein schien. Woher er sie wohl nahm.
‘Was sage ich denn nur, wenn er mich anspricht? Und was ist, wenn ich mich blamiere?‘
Er hatte die Straße zur Hälfte überquert.
‚Nein, nein! Alles nur das nicht! Da würde ich eher weglaufen, als mich vor ihm lächerlich zu machen!‘
Ein Viertel nur noch. Gleich hätte er mich erreicht.
‘Aber könnte ich mich überhaupt vor ihm lächerlich machen. Nein, Ich glaube nicht. Er würde alles verstehen!‘
Ein paar Schritte nur noch zwischen ihm und mir.
‘Oh, Gott hör endlich auf, dich wie ein kleines Schulkind zu benehmen. Du wartest ab, bis er vor dir steht. Wartest, bis er dich angesprochen hat und bis dahin schaust du ihm fest in die Augen. Genau! So machst du’s‘
Er stand genau vor mir. Ich spürte, wie mir die Knie weich wurden. Doch ich blieb standhaft und schaute ihm fest in die Augen. Er war ein paar Zentimeter größer als ich, was dazu führte, dass ich zu ihm aufschauen musste. Zuerst schaute er mir fest in die Augen. Dann begutachtete er mich von oben bis unten, als ob er mich musterte, so als wäre ich ein Stück Vieh und das alles nur mit seinen Augen. Das machte mich wütend.
Dann schaute er mir wieder in die Augen und all meine Wut schmolz dahin, wie Eis in der Sonne. Er sah mir ausgesprochen lang in die Augen, so als würde er darin etwas lesen. Ich wollte nur, dass er mich bis in alle Ewigkeit weiter so anschaute. Er sprach kein Wort, in dieser ganzen, unendlich lang und doch so unendlich schön erscheinenden Zeit. Dann neigte er seinen Kopf und während er sich vorbeugte, senkte er die Lider ein wenig, so als benötigte das, was er jetzt vorhatte seine ganze Konzentration.
Ich ahnte, was er vorhatte und schloß langsam die Augen. Doch wehrte ich mich nicht. Wie auch, mit seinen starken, großen und feingliedrigen Händen an meinen Schultern. Ich wollte mich nicht wehren, denn ich hatte Angst, dass ich keine Wahl haben könnte, das er mich dazu zwingen würde und das wollte ich nicht. Nicht diesen wunderschönen Augenblick dadurch zunichte machen.
Und dann war es geschehen.
Er küßte mich.
Und ich gab mich seinem vollem, wohlschmeckenden, rosafarbenen Mund hin. Es war ein sinnliches, berauschendes, wenn nicht sogar ein hoch feierliches Gefühl. Alles drehte sich um mich.
Aber dann kamen meine Gedanken zurück.
‘Was wenn uns jemand sieht? Was würde man von mir denken? Ich bin doch nicht schwul. Ich habe eine Frau und eine 5-jährige Tochter, die ich beide liebe.‘
Aber das machte jetzt alles nichts mehr. Ich wollte jetzt alles vergessen. Mein Leben. Meinen Beruf. Meine Familie. Mich.
Und wie einem farbenprächtigen Sinnenrausch erlag ich diesem Moment. Ließ mich treiben. Und ich fühlte ein Glücksgefühl und ein anderes, seltsames Gefühl, nicht minder schön, nur unbekannt und ungewohnt, so als wollte etwas in mich eindringen. Ein schönes Gefühl, denn es war das Gefühl nie wieder einsam zu sein, obwohl ich mich nie einsam fühlte.
Dann brach es ab.
Hörte einfach auf.
Ich stand da auf der Straße und ich wusste, dass er nicht mehr da war. In meinem Kopf hörte ich, nein, fühlte ich Worte. Worte gesprochen von einer Stimme. Flüsternd, ohne Ton. Sie wurden nicht aus gesprochen. Vielmehr waren sie einfach da. In meinem Kopf.
Und sie sagten: „Nie wieder …Mirael…nie wieder…!“
Aber ich verstand nicht alles, was mir gesagt wurde. Manchmal wurden die Worte so dumpf oder mal so hallend oder so leise, dass ich sie nicht verstand. Und so versiegte die Botschaft in meinem Kopf ohne dass ich sie ganz hören konnte oder verstand.
Ich öffnete die Augen. Mir drehte sich alles. Aber er war nicht da, wie ich es schon wußte, als meine Augen noch geschlossen waren.
Mirael
Wer war Mirael? Ich wurde wütend, weil er meinen Namen nicht wusste, was nicht weiter schlimm gewesen wäre, da wir uns gar nicht kannten, aber er hatte mich Mirael – seltsamer Name – genannt oder auch nicht genannt; jedenfalls die Stimme in meinem Kopf mich genannt – mit dem Namen eines anderen Menschen.
Ich wurde Traurig. Ich wollte nicht, daß dieses schöne Erlebnis dadurch zerstört wurde. Und ich haßte ihn dafür, daß er mich so schnell verlassen hatte.
Ich schaute um die Ecke, um nachzuprüfen, ob er wirklich weg war. Denn kein normaler Mensch hätte so schnell in diesen 2 Straßen verschwinden können. Aber Nichts. Er war weg. Seltsam?
Wieviel Uhr wir wohl hatten? Keine Ahnung. Ich schaute auf meine Uhr. Doch die war stehengeblieben. Na Ja. Dadurch ließ ich mich jedenfalls nicht beunruhigen. Kann ja schließlich jeden mal passieren.
Ich ging weiter. Ging an der Stelle vorbei an der wir uns „getroffen“ hatten und an der komischerweise Schnee in einem Kreis aufgewirbelt worden war.
Ging also zum Supermarkt und kaufte mein Zeug. An der Kasse kam ich schnell weiter, da ich das Geld passend hatte, wobei ich mich nicht daran erinnern konnte, beim Einkaufen die Preise zusammengerechnet zu haben. Jedenfalls gab ich der Frau das Geld auf den Cent genau und war deswegen alsbald wieder draußen im Freien.
Auf dem Rückweg entschloß ich mich meinen Alternativweg zu nehmen, der an der Straße mit den Häuserblocks rechts abbog und in und durch einen Park führte, der jetzt wegen der winterlichen Zeit total weiß verschneit war.
So ging ich nun durch den Park. Verfolgte die Fußspuren im Schnee mit meinen Augen, versuchte sie zu deuten und genoß die kalte Luft auf meiner stark erhitzten Haut.
Irgendwann fing es auch wieder zu schneien an. Bald, so wußte ich, würde der Spielplatz kommen. Vorfreude erfasste mich. Aber als ich mich kaum noch beherrschen konnte und meinen Schritt so beschleunigt hatte, daß ich beinahe rannte, sah ich ein blaues Licht und ich blieb augenblicklich stehen.
Das Licht blitzte auf und war verschwunden. Tauchte auf und war wieder weg. Dieses Blaulicht konnte entweder nur der Feuerwehr, der Polizei oder dem Notarzt gehören. Die Feuerwehr schloß ich aus, da ich keinen Rauch sah.
Ich musste erst einen kleinen Hügelkamm überqueren, damit ich das dahinter befindliche, einen Meter tiefer als der Hügelkamm liegende Plateau sah, auf dem sich der Spielplatz befand. Langsam ging ich weiter. Oben sah ich das Beide, Polizei und Notarzt, da waren.
Eine unheimliche Szene bot sich mir da vor meinen Augen:
Das Spielplatzgelände mit seinen Schaukeln und Klettergerüsten; die Wägen, die mich mit ihrem Licht blendeten, versperrten mir den Blick auf das was geschehen war; und über all dem der Schnee, der in dieses kleine Tal fiel – dass die Außenwelt auszuschließen schien und die ganzen Geräusche schluckte oder dämpfte – der die Sicht erschwerte und alles, was außerhalb dieses kleinen Talkessels lag, hinter einem Schleier aus graugelbem Licht versteckte.
War es wirklich schon so spät oder nur so früh, dass der Himmel hinter dem Schleier gelblich wirkte?
Wie automatisch setzte ich Fuß vor Fuß, um langsam in diese weiße Hölle zu gelangen.
Ich wollte wissen was passiert war. Deswegen umging ich einen Wagen. Noch nichts Ungewöhnliches. Nur viele Menschen, bis zu welchen Polizisten, die um irgend etwas im Kreise aufgestellt waren.
Ich hörte gedämpftes Gemurmel. Aus ihrer Mitte: Geräusche und Schreie. Ein hoher Ton erst, der stärker wurde, so als würde sich etwas aufladen. Dann ein lautes Tack gefolgt von den Worten „er reagiert nicht… nochmal …“ Dann die gleiche Geräuschkulisse wieder.

Ein Fremder drängte sich zwischen die Polizisten, um zu sehen was geschehen war. Ich kann mich noch an sein blondes, volles, langes Haar erinnern. Die Schreckensmiene als er realisierte, was er da vor sich sah. Die Angst, die förmlich zu fühlen war, als er wußte, was passierte.
Ärzte, die einen Menschen reanimierten – nicht irgendeinen Menschen, sondern seinen Menschen – und die aufhörten zu helfen und dafür lieber Zeitpunkt und Todesursache protokollierten. Ich glaube ich werde mich immer daran erinnern, wie dieser Fremde mit tränenassen Gesicht, neben seinen Menschen, auf die Knie gefallen war und den Fortgang seines Menschen mit schluchzender und später tränenerstickter Stimme, beklagte.
Nachdem die Ärzte den geliebten Menschen weggetragen hatten, an dem sich zuvor der Blonde geklammert hatte, ihn nicht gehen lassen wollte, war nur noch sein Blut da.
Blut auf weißem Schnee.
Blut, was er als einziges von ihm noch hatte, außer der einen schönen Erinnerung.
Die Polizisten gingen wieder. Zwei boten dem Fremden an, ihn nach Hause zu bringen, was er annahm, aber man solle ihm Zeit lassen, sich zu verabschieden.
Blut.
Blut auf eiskalten Händen.
Sein Blut.
Sein Blut verteilt an diesem winzigen Fleckchen.
Sein Blut, das nie mehr durch seine Adern fließen wird.
Der Fremde verabschiedete sich von seinem Menschen. Er ließ sich nach Hause bringen.

Wie ich nach Hause kam, weiß ich nicht mehr. Aber das was ich an dem Tag gesehen hatte, würde ich nie vergessen. Ich saß im Flur, mit dem Rücken zur Haustür. Erschöpfung. Blut von dem Toten auf meinen Händen. Blut von dem Toten, der im Park an dem Durchschuß, schräg links über seinem Herzen, gestorben war.
Der Tote, den ich so kurze Zeit zuvor, so schien es jedenfalls, auf der Straße erlegen bin.
Dann hob ich meine Hände und leckte das Blut davon ab.
Der Pakt war besiegelt.