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Autor: flegeton

Erstellt am: 20.12.2002

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Warum ich nicht fähig bin, Schriftstellerin zu werden



Geschrieben von:   flegeton


Eigentlich habe ich mir vorgenommen, eine Kurzgeschichte zu schreiben. Eine gute, spannende, mit einem unerwarteten Ende. Doch bereits in der Ausarbeitung ist die Idee zum Scheitern verurteilt.
Warum?
Na, weil ich schlichtweg nicht fähig bin, Schriftstellerin zu werden.
Eigentlich wollte ich so beginnen:

Es war schon spät, es blies ein kalter Wind und meine Schritte hallten auf dem Asphalt der schmalen Gasse.

Aber schon im ersten Satz gibt es drei Punkte, die mir ganz und gar nicht in den Kram passen:
Erstens, die Perspektive; Alle meine Kurzgeschichten – naja, fast alle – sind aus der ersten Person geschrieben. Da langweilt sich ja der geduldigste Leser!
Zweitens, die hallenden Schritte, die schmale Gasse. Warum riecht das bloß so unerträglich beißend nach Klischee? Warum beginnen nur so viele Geschichten mit einer dunklen Nacht, einer schmalen Gasse und hallenden Schritten?
Und drittens letztendlich, der Wind. Können Schritte überhaupt auf dem Straßenpflaster hallen, wenn Wind bläst und den Hall in alle Richtungen zerstreut?

Und dann müsste ich in etwa so weiterschreiben:

Ich war in Eile und drückte das graue Paket an mich, als sei es ein frierendes Kind, das meinen Schutz brauchte.
Ich musste es rechtzeitig fortbringen, sonst war alles verloren.

Ein frierendes Kind. Vielleicht ein wenig überreizt, das Gleichnis! Und warum verwende ich eigentlich so oft das Wort „eigentlich“?

Natürlich, ich hätte es auch per Post schicken können, ich hätte es auch auf den Gepäckträger meines Fahrrads schnallen können. Aber nein! Etwas so Wichtiges aus der Hand zu geben, ging entschieden gegen meine Natur.

In diesem Moment höre ich etwas in meinem Kopf in einem albernen Tonfall die Worte „so etwas Wichtiges“ nachäffen. Lächerlich sowas, zumal ich an jenem Punkt der Geschichte nicht einmal die leiseste Ahnung habe, was in dem verdammten Paket eigentlich drin ist!

Der Treffpunkt war um 11 Uhr verabredet. Ich musste da sein, es ihm vorstellen. Persönlich! So fiel auch ohne Rücksicht auf meine tiefe Überzeugung der Postweg als Möglichkeit weg.
Meine eigenen Hände hatten das Werk vollbracht, das Paket geschnürt, und sie mussten es auch sein, die es trugen. Alles andere wäre geheuchelt und falsch. Es war mein Werk und ich stand dazu.

Wieder ein Paar Zeilen Text und wieder neue Zweifel:
Versteht der Leser mich? Schreibe ich zu verworren? Oder kommt das sogar der Spannung zugute?
Und verrate ich jetzt, da sich die Geschichte als schattenhaftes Gebilde aus dem Nebel schiebt nicht vielleicht schon zu viel über ihren Ausgang?

Er würde es nicht anerkennen! Natürlich würde er nicht! Niemands verstand mich! Niemand verstand uns Künstler!

Spätestens jetzt müsste bei jedem Psychologen das rote Warnlicht angehen. Projektion! Klarer Fall! Sind das nicht gerade die Fragen, die ich mir während des Schreibens stelle?
Egal, ob ich hier die Person des Lesers durch dieses geheimnisvoll angehauchte „er“ ersetze oder nicht.
Jeder, der schreibt projiziert! Na und? Um so bitterer ist es, sich selbst dabei zu erwischen!
Wie auch immer, wo also war ich stehengeblieben?

Das Paket war schwer, das Packpapier verknickte unter meinen eiskalten Fingern immer mehr und drohte zu zerreißen, außerdem war im fahlen Licht der Laterne der Himmel verdächtig grau und bedeckt. Wenn es regnete, war ich aufgeschmissen!

Fahl. Ich habe jetzt nach diesem einen Wort bestimmt 2 Minuten lang im verstaubten Archiv meines Gedächtnisses gewühlt, und zufrieden bin ich trotzdem nicht! Hat jemand vielleicht ein Wörterbuch?
Manchmal hasse ich sie, diese Worte, weil sie nie das ausdrücken, was sie ausdrücken sollen!
Und würde zur Beschreibung des Himmels nicht schon das Wort „grau“ ausreichen?
Außerdem gibt es allein in diesem kleinen Abschnitt noch etliche Kritikpunkte, die alle anzusprechen schiere Zeitverschwendung wäre.
Doch weiter im Text.

Ich hatte zum ersten Mal seit langem etwas geschaffen, was mir wichtig war, worauf ich stolz sein konnte und – verkaufte es. Einfach so. Meine Seele für ein Paar Groschen und vielleicht ein Fünkchen Aussicht auf Ruhm, der sich bei den meisten Künstlern erst nach dem Tod einstellte.

Was zum Teufel bringt mich eigentlich (wieder dieses Wort!) dazu, diesen Gefühls-Exibitionismus zu betreiben? Was zwingt mich, immer wieder eine Handlung zu wählen, die sich geradewegs zu einem Ego-Trip entwickelt?
Bin ich es den nicht viel eher selbst als der Ich-Erzähler (oder Erzählerin, wer auch immer das jetzt sein mag), die ihre Seele für jene Fünkchen Aussicht auf irgendwas freilegt?

Ich eilte um die Ecke,

Wie symbolisch!

befand mich erst einige Schritte auf dem Gehsteig der breiten Landstraße, als der erste Tropfen fiel.

Manchmal frage ich mich, ob dem Leser eigentlich (nein!) klar ist, was es mir bedeutet, die Figuren um Ecken gehen zu lassen, ob sich auch nur irgend jemand die Mühe macht, zu verstehen, was ein Regentropfen, oder vielmehr seine Metapher, überhaupt (guter Ersatz!) ist.

Ich riss meine Jacke auf, obgleich ich fror und versuchte, das Paket darunter zu verstecken, damit es nicht durchweichte und begann gleichzeitig zu rennen.

Welch Aufopferung des Autors für sein Werk! Wie über alle Maße rührend!
Ich stehe neben mir, sehe über meine Schulter und lache mich dabei selbst aus!
Wie grausam ich doch bin! Was hat mir der/die Ich-Erzähler/in getan, dass ich ihn/sie so leiden lasse?

Bald goss es wie aus Eimern, doch ich sah bereits mein Ziel: Eine beinahe durchsichtige Gartenlaube an der Landstraße am äußeren Stadtrand.

Und nein! Ich habe jetzt keine Lust, die Frage zu diskutieren, warum ich gerade von Ferienhäuschen und Gartenlauben fast schon besessen bin!

Ich ging das Paket an mich drückend an die Laube heran. Er war offensichtlich noch nicht da. Hatte er womöglich den Termin verpasst?
Oder... ich mochte gar nicht daran denken, aber konnte es nicht sein, dass er es nicht für nötig hielt, überhaupt aufzutauchen, weil... weil meine Werke nichts wert waren?
Bloß, weil ich noch jung war! Junge Künstler hatten es von allen am schwersten. Werke von Uralten, und am besten schon Toten verkauften sich doch sowieso am leichtesten.

Ist eigentlich schon mal jemandem aufgefallen, wie schwer es ist, als angehende Schriftstellerin ohne Veröffentlichungen einen Verlag zu finden?
Naja, wie auch immer: Auch dieser Abschnitt gefällt mir nicht.
Ich habe mal wieder meine heißgeliebten Pünktchen gesetzt. Früher, in der Grundschule glaubte ich, das würde die Spannung steigern. Vielleicht tut es das auch, aber ich habe langsam genug davon!
Außerdem überspanne ich ein und den selben Bogen schon seit einer ganzen Weile. Es wird Zeit nun eine Saite nach der anderen zu lockern.

Ich schlich, das Paket fest unter der Jacke verstaut um die Laube, wie eine hungrige Katze um ein Mauseloch.

Ich, ich und wieder ich. Man sagt, dass dieses Wort in Schriften von Selbstmördern viel häufiger vorkommt, als sonst. Das gibt mir zu denken.

Die Kälte durchzog mich, wie Tausende hauchdünne Nylon-Fäden, die in mein Fleisch schnitten.
Ich betrat die Gartenlaube und stellte meine kostbare Fracht auf der Bank ab, um endlich die Jackenknöpfe schließen zu können.

Mist! Ich hatte bisher geglaubt, die Jacke hätte einen Reißverschluß!

Das Licht einer nahen Laterne fiel durch die Efeu-umrandeten Fensterlöcher.
Die Beleuchtung war miserabel! Nichts würde er sehen! Gar nichts! Was machte es für einen Sinn, es gerade hier zu übergeben, dazu zu nachtschlafender Zeit, wo man sowieso nichts sah?
Es wollte es wohl gar nicht sehen, deshalb hatte er diesen Treffpunkt vorgeschlagen. Er wollte mich einfach durch die Nacht jagen! Jawohl!

Ts, ts, ts, die jungen Künstler sind ja sowas von empfindlich!

Ich drückte mich auf der Bank zusammen und schloss für einen Moment die Augen.
Mir war es auf einmal egal, dass ich gleich, falls er wirklich kommen sollte, aufs furchtbarste abserviert werden würde, ich wollte nur noch nach Hause, dorthin, wo es warm war, dorthin, wo niemand von mir verlangte, das ich kreativ war, etwas neues, tolles erschuf!

Merkwürdig! Bisher hatte ich den Verlauf der Geschichte deutlich vor Augen. Mein/e Künstler/in sollte kurz nach ihrer Ankunft in der Gartenlaube vom Abnehmer des Kunstwerks aus den finstersten Gedanken geschreckt werden, sollte sich furchtbar freuen, und das graue Packpapier von dem Kunstwerk reißen, worunter ein tolles Selbstportrait zum Vorschein kommen sollte, doch nun... nun eröffnen sich mir völlig neue Perspektiven! Erst jetzt wird mir klar, dass das, was mir vorschwebte niemals passieren wird:

Es war nicht gut genug, mein Kunstwerk. Der Gedanke hämmerte einem Schlagbohrer gleich in meinem Kopf. Es erschien mir schwach und sinnlos, nach all der Mühe, die ich mir damit gemacht hatte, die ich hineinsteckte.
Es war es nicht wert, auch nur irgendeine Ausstellung dieser Welt zu schmücken! Ich dachte an jene Mängel, die zu übermalen ich mich angeschickt hatte, die aber ,für meine Augen sichtbar, um so deutlicher hervorstachen Was war ich doch für eine Künstlerin?

Ach, also doch eine Frau!

Wo nahm ich all den Größenwahnsinn her, der mich bei Nacht und Regen hierher trieb, in der eitlen Hoffnung, Anerkennung zu finden?
Ich sprang auf, und riss das graue Packpapier vom Aquarellbild, in dem ich noch vor ganz kurzem mein Selbstportrait gesehen hatte. Ich zerbrach mit einem Fußtritt den Holzrahmen und schleuderte das Ding in den Regen hinaus.
Dann verließ ich die Hütte und begann zu rennen.
Die Kälte fühlte ich nicht mehr, auch nicht den Regen, oder das Asphalt unter meinen Füßen.
Ich rannte durch die Straße in Richtung Stadt, und keine Ahnung, ob ich wirklich weinte, oder nur der Regen über mein Gesicht floss. Doch als ich beinahe schon mein Haus erreicht hatte, schlug es in der nahegelegen Kirche 11 Uhr nachts.

Das ist er, der verdammte Grund, warum ich keine Schriftstellerin werden kann. Es geht einfach nicht!
Wahrscheinlich bin ich innerhalb dieses Textes etliche Male in der Zeit verrutscht, habe mich im Ton vergriffen, mir tausend und mehr Fehler erlaubt.
Vielleicht sollte ich sie korrigieren!
Wie oft wohl meine Künstlerin ihr Bild übermalt hatte?
Und das aller ärgerlichste ist: Vielleicht wäre es doch tatsächlich eine ganz nette Kurzgeschichte geworden, wäre ich nicht auf die Idee gekommen, sie von Vornherein dermaßen in der Luft zu zerreißen!