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Autor: Tränchen

Erstellt am: 30.12.2005

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Malina Abendweib



Geschrieben von:   Tränchen


Anmerkungen des Autors:
Ein kleines Märchen, daß ich vor einiger Zeit für meine kleine, damals 5 jährige, Nichte geschrieben habe.



Sie saß auf dem riesigen Stein, der in der ganzen Gegend der "Fußabdruck Gottes" genannt wurde, da er, wenn man ihn von oben betrachtete, genau die Form eines Fußabdrucks hatte.
Sie schaute hinauf in den Himmel, den Kopf weit in den Nacken gelegt, den kleinen schönen Mund leicht geöffnet vor Staunen und die Augen ganz groß. So eine Nacht hatte es in ihrem Wald lange nicht gegeben. Sterne, so hell und klar. Sie hatte den Eindruck, sie könne sie streicheln, wenn sie nur den Arm nach ihnen ausstreckte. Einen Mond kurz vor der Vollendung der vollen Kugel, in einem fast gespenstisch strahlenden Silberlicht. Auch er, so schien es, viel größer und heller als sonst. Und jetzt, da sie so staunend zum Himmel blickte, fing es an Sternschnuppen zu regnen. „Nur für mich“, dachte das kleine Ding auf "Gottes Fußabdruck", und das Staunen nahm kein Ende.
Ihr kam nicht in den Sinn, dass so etwas wunderschönes der Vorbote für irgendetwas ein könnte. Sie saß nur da, streckte ein ums andere Mal die Arme in die Luft, um sich zu vergewissern, dass sie die Sterne wirklich nicht greifen und den Mond wirklich nicht anfassen und auch keine der unzähligen Sternschnuppen fangen konnte.

Die kleine Waldlichtung, in deren Mitte sich der riesige Stein befand, war etwas ganz besonderes für sie. Es verging kein Abend, an dem sie nicht hier her kam um sich auf den Stein zu setzen. Rundherum blühten im hohen Gras Blumen und wuchsen Kräuter, die es sonst im ganzen Wald nicht mehr gab. Es kam vor, wenn auch nur selten, dass sich jemand hierher verlief, um Kräuter oder ein paar Pilze zu sammeln. Doch sie war bisher nur einmal wirklich jemandem begegnet.

Wie jeden Abend saß sie auf ihrem Stein, da hörte sie es im nicht sehr dichten Unterholz knacken und rascheln. Da es in diesem Wald auch viele Tiere gab, verschwendete sie nicht viele Gedanken an diese Geräusche und unterhielt sich weiter mit den Dingen.
Als etwas sie an ihrer Schulter berührte, war sie so erschrocken, dass ihr der Atem stockte. Einen kurzen Moment lang leuchtete ihr ganzer Körper feuerrot auf und ein Zittern ließ sie erbeben. Wer wagte es sie anzufassen? Mit einem Ruck, der heftig genug war, dass sie beinahe vom Rand des Steines, an dem sie saß, heruntergefallen wäre, drehte sie sich um - und sah unvermittelt in ein anderes Paar Augen, die in diesem Moment mindestens genauso staunend und ängstlich dreinblickten wie ihre eigenen. Vor lauter Schreck konnte sie es allerdings nicht verhindern, dass ihr in dieser Sekunde ein kleiner Blitz aus den magischen Fingern rutschte. Das Wesen das vor ihr stand war erheblich größer als sie. Sie hatte schon viel über diese Wesen gehört und auch schon ihre Spuren an vielen stellen im Wald gefunden, aber noch nie eins gesehen: ein Mensch!

Das Menschenwesen fing an zu sprechen: „Hallo du kleines...“. Sie musste sich die Ohren zuhalten, denn es war ein so ungewohnter Ton, dass es ihr im ersten Moment weh tat. Der Mensch merkte sofort, dass irgendetwas nicht stimmte und flüsterte nun weiter: „Wer bist du denn?“. Sie legte den Kopf zur Seite, und überlegte. Sie hatte die Frage verstanden, hatte die Sprache der Menschen einmal gelernt, doch war das so lange her, dass ihr die Worte in der Menschensprache nicht gleich einfielen. Sie atmete einmal tief durch, stellte sich aufrecht hin und mit leiser, aber furchtloser Stimme sagte sie: „Ich bin Enelya Nénharma!“ Dann, in leicht abwertendem Tonfall: „Und du, Mensch?“ „Ich bin Malina. Malina, das Abendweib. So werde ich genannt, dort wo ich lebe.“, flüsterte die Menschenfrau ganz sanft und leise. Erst jetzt nahm Elenya wahr, dass der kleine Blitz den sie zuvor abgeschossen hatte, wohl Malinas Augenbraue getroffen haben musste, denn Malina rieb noch immer mit leicht schmerzverzogenem Gesicht über die Stelle. „Entschuldigung, für das da.“, sagte Enelya etwas kleinlaut und deutete auf die leicht angekohlte Augenbraue Malinas. Diese winkte nur ab: „Halb so schlimm.“ Fragte aber gleich anschließend: „Gehörst du zum Waldvolk der Elgnis?“ Die kleine Enelya wurde ganz aufgeregt und ließ alle Vorsicht fallen, trat einen Schritt auf die Menschenfrau zu, legte den Kopf wieder zur Seite und stieß hervor: „Woher weißt du das?“

So begann Malina das Abendweib ihr zu erzählen, all die Fabeln, Geschichten und Sagen, welche die Menschen sich über die Elgnis seit Jahrhunderten erzählten. Malina hatte sich während ihrer Erzählungen auf den Rand des Steines gesetzt. Enelya Nénharma hatte sich neben ihr niedergelassen und lauschte. Manchmal juchzte sie auf vor Freude, zog manchmal die Stirn in Falten, wenn ihr etwas missfiel, lächelte manchmal wissend und manchmal brach sie in lautes Gekicher aus über die Unwissenheit des Menschenvolkes.
Als Malina mit ihren Erzählungen am Ende angekommen war, hatte sich schon der Nachtnebel auf die Waldlichtung gelegt und die Sterne glitzerten am Himmel. Malina wollte sich nun auf ihren Heimweg machen und erhob sich, da hielt die kleine Elgnis sie am Saum ihres Gewandes fest, als könne sie die Menschenfrau damit aufhalten und fragte mit neugierigem Blick: „Kommst du denn wieder? Du musst mir noch viel mehr erzählen, ich weiß doch nicht viel über euch Menschenvolk.“ Diese Frage klang so kindlich neugierig, dass Malina lachen musste und entgegnete: „Enelya Nénharma es wird mir eine Ehre sein Euch noch mehr Geschichten zu erzählen“, und deutete einen Hofknicks an.

So kam es, dass die beiden ungleichen Freundinnen sich allabendlich am "Fuße Gottes" trafen, sich niedersetzten und sich gegenseitig Geschichten, Sagen, Fabeln und Märchen erzählten.
Bis Enelya eines Abends sagte: „Malina Abendweib, ich weiß nicht zu welchem Volk du gehörst, aber die Menschen können es nicht sein!“ Malinas Blick wurde mit einem mal ganz traurig: „Ja kleine Enelya, dass glaube ich auch manchmal.“ Denn sie fühlte sich oft sehr einsam. Die Menschen in ihrem Dorf schimpften sie wegen ihrer roten lockigen Haarpracht und ihrer Freude an den Kräutern und Pflanzen des Waldes eine Hexe. Keiner ging an ihrem kleinen Häuschen am Dorfrand vorbei, ohne davor auszuspucken und sich gleich danach zu bekreuzigen. Warum das so war wusste sie nicht. So ging Malina lieber in den Wald, sammelte Beeren und Kräuter, setzte sich ins Moos und sprach mit den Dingen.

Mit einem leisen Seufzen bemerkte Enelya, dass sie ganz die Zeit vergessen hatte beim Anblick des so sonderbaren Himmels und während sie in dieser Erinnerung schwelgte. Malina das Abendweib war nicht am "Fußabdruck Gottes" erschien. Zum ersten mal kam sie nicht. Auch am nächsten Abend tauchte Malina nicht auf. Langsam wuchs in ihr eine unbestimmte Unruhe. Sie fühlte, dass Malina sie brauchte. Dann begannen die Dinge ihr von Feuer und Unheil, von Unglück und Leid zu erzählen. Sie beschloss sich auf die Suche nach ihrer Freundin zu machen. Leider wusste sie nicht so recht wo sie anfangen sollte, also fragte sie die Dinge im Wald: „Habt ihr Malina das Abendweib mit dem Feuerhaar gesehen?“ Und die Dinge wiesen ihr den Weg. Ab und an blieb Enelya stehen, nahm sanft ein Blatt oder einen Farnzweig, ein paar Grashalme oder ein Mooskissen zwischen ihre feinen Finger und fragte wieder: „Sag, hast du Malina das Abendweib mit dem Feuerhaar gesehen?“ So fand sie unermüdlich den richtigen Weg bis an den Rand des Waldes, an welchen das Dorf grenzte, in dem Malina lebte.

Sie war aufgeregt, denn noch nie zuvor hatte sie eine Ansiedlung des Menschenvolkes gesehen, sie hatte noch nie ihren Wald verlassen. Wieder bückte sie sich und nahm einen Stein in ihre zarten Hände: „Sag,“, flüsterte sie: „weißt du in welcher Behausung Malina das Abendweib lebt?“ Der Stein erzählte Enelya: „Oh, kleines Elgnis ich weiß es wohl, doch solltest du schnell wieder zu deinem Volk zurückkehren, in die Sicherheit des Waldes, denn die Menschen sind nichts für euch Waldwesen.“ „Ich bin hier um meiner Freundin zu helfen, also sag schon wo sie lebt“, doch aus dem Stein war kein Wort mehr heraus zu bekommen. Enelya legte den Stein zwar behutsam zurück auf die Erde, dennoch war sie zornig darüber, keine Antwort bekommen zu haben.
Sanft legte sie ein paar Schritte weiter ihre Händchen an das Blatt einer Löwenzahnpflanze. „Bitte, bitte, kannst du mit nicht sagen in welcher Behausung Malina das Abendweib lebt?“ Hier bekam sie nach einigem Murren und noch mehr Warnungen endlich die Antwort die sie brauchte. „Geh nur, geh, wenn du nicht auf uns hören willst.“, sprach der Löwenzahn zu dem kleinen Wesen: „Die Behausung deines Menschen hat Augen und Ohren geschlossen, nichts lässt es hinein und nichts heraus. Du wirst es schon erkennen gleich da drüben, an der Stelle, auf die weder Sonne noch Mond jemals ihr Licht scheinen lassen. Da lebt dein Abendweib, welches das Menschenvolk Hexe nennt.“ Enelya stimmte die Rede des Löwenzahns sehr traurig. „Sag Löwenzahn, warum sprichst du so schlecht über meine Menschenfreundin?“ „Oh, ich kann nicht weg von meinem Flecken hier, der zwar schön doch immer gleich ist. So gebe ich nur weiter was ich höre, wenn ihre Artgenossen hier vorbeigehen und reden. Über die hinter hohen Hecken versteckte und efeuberankte Behausung und deren Bewohnerin.“
Die kleinen Händchen Enelyas ließen das Löwenzahnblatt los. In ihren Augen fühlte sich etwas ganz komisch an, der Blick wurde ganz verschwommen „Das müssen Tränen sein!?“, dachte die kleine Elgnis bei sich. Sie wusste es nicht sicher, denn noch nie war Wasser aus ihren Augen über ihre Wangen gelaufen. Sie kannte Tränen nur aus den Erzählungen Malinas über die Menschen, Denn in ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie einen Elgnis weinen sehen.
Mutig verließ sie nun die letzte Sicherheit ihres geliebten Waldes und ging hinüber zu Malinas Haus.
Oh, was sah sie da? Die Hecken waren zerstört! Die Efeuranken von den Mauern gerissen! Fenster und Türen mit dicken Brettern zugenagelt! Was war hier nur passiert?
Da vernahm sie aus der Ferne zorniges Gebrüll und wusste, sie musste sich beeilen. Es dauerte nicht lange, da hatte sie einen Spalt gefunden, gerade breit genug für ihren kleinen Körper war, so dass sie ins Innere des Hauses schlüpfen konnte. "Malina!" rief sie so laut sie nur konnte. "Malina Abendweib!"
„Wo kommst du denn her Enelya?“, sprach Malina leise, „Du solltest nicht hier sein, es ist kein guter Zeitpunkt und kein guter Ort für Wesen und Dinge, die anders sind als DIE da draußen.“ Mit entschlossener Stimme forderte die kleine Elgnis sie auf schnell zu erzählen was passiert sei, denn sie hörte was für Malinas Ohren noch verborgen blieb: SIE kamen immer näher!
So erzählte ihre Menschenfreundin: „Vier Kälber starben in einer Nacht. Eine Frau brachte Zwillinge zur Welt, auch diese starben in der selben Nacht. Am nächsten Morgen gaben alle Kühe saure Milch und die Hühner legten keine Eier. So gaben sie mir, die Schuld. Sie sagten, ich hätte das Dorf verhext. Sie haben mich hier eingesperrt und ich weiß nicht was sie vor haben.“ Schweigend, den kleinen Kopf zur Seite geneigt, hatte Elenya die Geschichte verfolgt, doch am feuerroten Leuchten konnte man ihr ansehen wie wütend sie war.
Da erhob sie sich seufzend und stieß plötzlich einen gellenden Schrei aus, so laut und so hoch, dass Malina sich diesmal die Ohren schmerzend zuhielt. Enelya begann sich zu drehen, die Bewegung wurde immer schneller, dass es irgendwann aussah als würde ein kleiner leuchtender Kreisel über den Tisch tanzen. Von überall her sausten plötzlich kleine leuchtende Punkte auf Enelya zu und vereinten sich mit ihrem Licht zu einer, immer größer werdenden, einheitlichen, schillernden, leuchtenden Gestalt. Bald war der ganze Tisch, einen Moment später bereits der ganze Raum von Licht erfüllt.
Malina traute ihren Augen kaum, was passiere hier? Da erhob sich aus dem leuchtenden Wesen ein leises Summen, das langsam zu einem für Malinas Ohren fast unerträglich lauten Ton anschwoll. Die Luft begann zu sirren als würden tausende von Bienenvölkern mit ihren Flügeln die Luft zum Zittern bringen. Die Lichtgestalt bewegte sich auf einer Wand des Raumes zu und die Mauer stürzte ein, gerade so, als würde sie vor Ehrfurcht dem Licht, dem Zittern, Surren und Brummen weichen. Da stoben die kleinen Lichtpunkte mit einem mal wie durch eine Explosion auseinander, entschwanden in alle Himmelsrichtungen und nur die kleine Enelya war zu sehen wie sie, sich immer langsamer drehend, zur Erde niedersank. „Lauf Malina Abendweib, lauf zum Fußabdruck Gottes und warte dort auf mich, egal wie lange es dauert, geh dort nicht weg!“ Ohne lange zu fragen rannte Malina los und hielt nicht eher an, als bis sie an dem Stein ankam. Sie legte sich erschöpft darauf und er fühlte sich warm an, weich und warm wie ein Bett. So dauerte es nicht lange und Malina war eingeschlafen.

Doch im Traum sah das Abendweib, was im Dorf geschah. Ihr doch sehr zerstörtes Haus leuchtete als würde es in regenbogenfarbenen Flammen lodern. In sicherem Abstand sah sie die Sippe aus dem Dorf um ihr Haus stehen. In ihren Gesichtern eine Mischung aus Staunen, Zorn, Unglauben und Angst. Da war es plötzlich als würde sich aus dem Summen, das Malina ja bereits kannte, eine Stimme formen. Erst waren die Worte nicht zu verstehen, doch dann verkündete diese Stimme donnernd: „Einen guten Menschen, den ihr zu Unrecht verurteilt und einen Ort, den ihr verflucht, obwohl dort nur Gutes lebt, habt ihr nicht verdient. Und so wird es euch genommen.“ Und in drohendem Ton fügte die Stimme hinzu: „Verschwindet!“ Als hätten die Leute darauf gewartet, stoben sie voll Angst auseinander, jeder sich selbst der Nächste, jeder so schnell wie möglich in sein Heim. Doch alle die am nächsten Morgen glaubten nur geträumt zu haben und zu der Stelle gingen an der das Haus stand, fanden nichts weiter vor als eine Blumenwiese auf der nichts weiter war als ein Lilienstrauch.

Als Malina erwachte lag sie in ihrem eigenen Bett, zugedeckt mit ihrer eigenen Decke. Ein kleiner Rundgang durchs Haus zeigte, dass es völlig in Ordnung war und als sie vor ihre Haustür trat, sah sie in einigen Metern Entfernung Enelya Nénharma im Mondlicht auf dem "Fußabdruck Gottes" sitzen und in die Sterne schauen.