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Autor: Funkelfang

Erstellt am: 30.10.2003

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Paulie



Geschrieben von:   Funkelfang


„Es ist lange her.“ Ihr nüchterner Ton versucht mich einzuschüchtern, doch in ihren Augen spiegeln sich Trauer und Enttäuschung. Ihr abgema-gerter Körper versperrt mir den Weg in unsere alte Wohnung. Ich betrach-te sie lange. Minuten vergehen bis sie endlich leise seufzt und ihren Blick abwendet. „Ich hätte nicht damit gerechnet dich jemals wieder zu sehen.“ Sie wendet mir den Rücken zu und geht den Gang entlang in Richtung Kü-che, ich folge ihr.
Wir sitzen auf den kleinen Stühlen mit den roten Sitzkissen, die sie damals extra hat anfertigen lassen, und trinken Tee. Sie schweigt lange und starrt aus dem Fenster. Plötzlich dreht sie ihren Kopf und sieht mich ernst an. „Was führt dich zu mir? Willst du deine Sachen abholen?“ Sie wirkt ge-kränkt. Ich bringe kein Wort über die Lippen. „Eigentlich wollte ich ja alles wegwerfen, so plötzlich wie du verschwunden bist, dachte ich nicht du würdest...“ Ihre Stimme versagt, ihr Körper knickt in sich zusammen und sie fängt an zu weinen. Ein schmerzliches Flüstern. „Wie konntest du nur...“ Mein Herz scheint zu zerspringen. Ich möchte zu ihr, sie umarmen, küssen, um Verzeihung anflehen. Doch ich kann nicht.
„Ich wusste ja nicht mal ob du noch am Leben bist oder... wie hätte ich denn...“ Die Verzweiflung schreit aus ihr, doch sie selbst kann nicht schreien, sie weint nur, weint, als wäre es die ganze Welt, um die es zu trauern gelte.
Vielleicht ist es so. Vielleicht bin ich ihre Welt. Immer noch, nach all den Jahren...
Sie hat es mir so oft gesagt, mir so viele Freiheiten gestattet und mir alles gegeben, was ich mir nur hätte wünschen können. Und trotzdem bin ich gegangen.
Warum? – Das weiß ich selbst nicht. Es überkam mich eben so. Vielleicht waren wir einfach zu glücklich. Eine dunkle Seele erstickt an Glück wie Nachtgestalten in der Sonne zu Staub zerfallen.
Ja, ich habe sie geliebt, mehr als alles andere auf der Welt. Und heute? Ich denke, ich liebe sie immer noch. Aber ich kann es ihr nicht sagen, ich kann einfach nicht, so sehr ich mich auch bemühe, so sehr ich mich quäle, um ein Wort der Zuneigung hervorzubringen, ich schaffe es nicht. Und ich sehe sie zerbrechen, ich sehe wie sie stirbt direkt vor meinen Augen. Das wollte ich verhindern. Man soll aufhören wenn es am schönsten ist, nicht wahr? Wenn ich sie heute sehe, weiß ich, dass ich sie nicht hätte retten können, in keiner Form und mit keinem lieben Wort. So ist das eben...
Schritte, es kommt jemand.
„Bist du da? Die Tür stand offen.“ Eine ältere Dame betritt die Küche. Sie bemerkt sofort die Tränen und ihre Miene verdunkelt sich. Sie blickt sor-genvoll auf das von Trauer taube Wesen vor ihr.
„Paulie war hier.“ Die alte Dame zuckt zusammen. „Ich habe oft von ihr geträumt seit damals, seit sie mich verlassen hat, ich habe ständig ge-träumt, sie würde zurück kommen. Und heute wahr sie wahrhaftig hier.“ Ein ungläubiges Lachen entfährt ihr, doch sie wird sofort wieder ernst. „Damals, an diesem regnerischen Donnerstag Abend, als ich ihr Ver-schwinden bemerkte, da dachte ich es wäre mir egal. Ich habe all die Jah-re geglaubt, ich würde ohne sie leben können und eines Tages wieder glücklich werden, aber als sie heute plötzlich vor meiner Tür stand... ich konnte sie nicht wegschicken. Ihr Anblick zerriss mir das Herz, doch ihr Abschied hätte mich getötet. Es ging einfach nicht...“ Sie bricht erneut in Tränen aus. Die alte Damen weint nun auch.
Als sie sich wieder gefangen hat, blickt sie ernst auf die volle Teetasse auf dem Küchentisch. Sie schweigt kurz und beginnt dann zu sprechen. „Pau-lie kann nicht hier gewesen sein. Sie... sie ist vor acht Jahren gestorben, das weißt du doch.“
„Nein, sie war hier war, sie ist zu mir zurück gekommen.“ Ihre trüben Au-gen heften sich auf das rote Sitzpolster von Paulies Stuhl und sie lächelt. Sie lächelt Paulie an, als würde die Geliebte dort sitzen, als könnten diese Augen, die nie einen Funken Tageslicht erspäht hatten, sie sehen.