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Autor: Franklin M. Bekker

Erstellt am: 17.09.2001

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Mit Pappen und Bong



Geschrieben von:   Franklin M. Bekker


Ich hatte die Augen geschlossen, um nicht wild in der Gegend umher blicken zu müssen. Die Bilder die sich mir geboten hätten wären ohnehin nicht neu gewesen. Selbst die Laute kannte ich alle. Wir saßen in einer großen Scheune, von der zwei drittel mit Sitzgelegenheiten und Büffet verstellt waren. 5 Steak hatte ich gegessen und vier Gläser Wein getrunken. Hinter mir standen Erwachsene, um die Tischtennisplatte herum. Sie diente als Tisch und nicht als Tennisplatte. Neben mir saß meine Schwester mit ihrem neuen Freund Enrico. Er war ihr wieder neuer Freund und gleichzeitig wieder ein neuer Freund. Doch was ging es mich an? Auf mich hörte sie sowieso nicht. Überhaupt hört kaum jemand auf mich, auch wenn es für einige besser wäre. Nun ja wir feierten den Geburtstag meiner Tante und ich kannte das Schema. Alle kommen und es macht den Eindruck einer ganz normalen Familienfeier, dann irgendwann, wenn alle schon am Verhungern sind, gibt es Abendbrot und anschließend darf gesoffen werden, bis am Ende irgendeines der anwesenden Paare in einen heftigen Streit ausbricht. Mir war es über und bald auch gleich. Für mich stellte ich die Statistik auf, dass wären nicht alle aufeinander Angewiesen mehr als 75% der verheirateten Erwachsenen in drei Monaten zur Scheidung bereit wären. Traurig aber wahr.
Enrico schüttelte mich kräftig, wie er es schon ein paar Mal gemacht hatte: „Aufwachen.“
Es war schon beeindrucken, wie ein erbostes Funkeln in den Augen und der betont wütend klingende Satz: „Hör auf jetzt.“ meinerseits wirkten. Schwester und Cousin mahnten Enrico gleichermaßen. Sie schienen richtig erschrocken, wie wütend ich werden konnte. Jedenfalls war dies eine interessante Entdeckung. Irgendwann aber wurde ich zurecht geweckt, denn wir wollten los. Wohin? Keine Ahnung. Erst mal wohl Zigaretten im Nachbardorf holen. Dies geschah durch einen äußerst merkwürdigen Vorgang, über den ich aufgeklärt wurde. Wir mussten nun mit dem Trabbi nach Polzin, um dort jemanden dafür zu bezahlen nach klein Bünzow zu fahren, wo er Zigaretten kaufte.
Draußen war es dunkel geworden und außerdem nieselte es. Enrico, mein Cousin Robert, meine Schwester Mäusi, die Kristin genannt werden wollte und ich quetschten uns in den Pappen. Meiner Meinung nach hörten wir eine Kassette auf der es die ganze Zeit bam bambam ging, vielleicht meinten die Anderen im Nachhinein verschiedene Titel gehört zu haben. Ich jedenfalls bin nahezu sicher, dass es ein Original geben musste und davon existierten an die 40 Coverversionen. Die Feldwege auf denen wir fuhren waren alle total aufgeweicht und mehr als einmal schleuderte der mit uns maximal 600 Kilogramm schwere Trabant beinahe diverse Abgründe hinunter. Viel interessanter wurde das, als Enrico erzählte wie viele Büchsen Bier er schon getrunken hatte. Zählen jedenfalls konnte er noch, denn er wusste, dass er den Weg achtfach sah. Dumm, dass er sich beim Zählen kaum auf das Fahren konzentrieren konnte. Ein Dorf, einen Schreck fürs Leben und einen Auspuff weniger weiter schmiss Schuhmann sein Moped, für das er natürlich keinen Ausweiß hatte an und machte sich auf Zigaretten zu holen. Robert stand derweil am Straßengraben und spuckte von ganzem Herzen. Zum Abendbrot hatte er zwei Liter Käsesuppe und allerlei Gemüse. Aus dem Pappen drang nur das Schmatzen unserer Turteltauben.
Nach ewig langen fünfzehn Minuten kam Schuhmann wieder. Für drei Mark hätte ich mich nicht nachts um zwölf auf ein Moped gesetzt, aber Kippen hatte er geholt und darüber waren alle froh. Mir war es egal und mir scheint, dass mir an diesem Abend beinahe alles egal war. Auch das wir nur wenig später bei Hermann in der Wohnung saßen.
„Hey hattest da nicht mal ne Tätowierung?, fragte Robert.
„Ja! Schau hier hatte ich auch... ein Hakenkreuz. Hab ich ausbluten lassen. Musste ja weg.“
„Ja, ja du bist ja jetzt nicht mehr rechts. Magst ne Kippe?“
„Na gib mal her. Hast Feuer?“
Robert gab ihm Feuer und Hermann holte seine Bong hervor. „Willst die jetzt darin rauchen?“
„Klar.“ Als er sich wieder setzte drückte ihn etwas. „Ah verdammte weapon.“ Er zog seine Pistole aus dem Rücken heraus. Aus der Bong trat bald ein besser als Redbull Flügel verleihender Nebel. Ich vermutete, dass noch andere Stoffe als normaler Tabak und Nikotin im Spiel waren. „Habt ihr denn gar keinen Suff mit? No drugs? Ey wie soll ich heut Nacht bloß schlafen?”
„Ach suchst dir nen geilen Film und keulst dir einen.“
„Genau die Lösung für alles.“ Fast alle lachten.
„Hast nicht ein Video da?“
„Nur James Ryan, na der kam doch eben grad im Fernsehen.“
„Ham wir aber nicht gesehen. Mach doch rein.“
„Meinetwegen.“
Wir kamen bis zu der Stelle an der ein ganz cleverer Soldat eine Kugel an den Helm bekommt und in seiner Freude, noch zu leben diesen Abnimmt, da kam dann Hermanns Oma nach Haus. So senil, wie sie alle beschrieben hatten, wo Partys waren, bekam sie offensichtlich noch mit. Stink besoffen war sie. „Na wer ist denn hier alles? Eins, zwei, drei Wer seid ihr denn? Eins, zwei drei Raus mit euch.“
„Hey pass mal auf Oma ich hab heut echt keinen Bock auf den Stress. Hau ab.“ Und Hermanns Oma ging schloss die Tür und kam wieder rein. „Eins, zwei, drei Heute gibt’s keine Party. Raus mit euch.“
„Hey Oma hau ab!“
„Wer zahlt hier die Miete? Eins, zwei, drei Du oder ich?“
„Pass mal auf Oma verpiss dich oder ich zieh dir heute Abend noch eine rein.“
Und die Oma machte wieder kehrt und kam wieder herein. „Eins, zwei, drei Wer hat Charakter? Eins...“
„Zwei“
„Drei“
„Ja genau geht oder ich ruf die Polizei. Eins...“
„Zwei.“
„Drei“
„So Oma nu reicht es bald.“ Hermann schob seine Oma aus dem Zimmer und kam wieder herein. Kurz nach ihm die Oma. „Eins...“
„Zwei, drei“
„Wer hat Charakter?“ Ich war sehr gut in der Lage sie zu verstehen. Sie hatte einen bei ihr wohnenden, nicht Miete zahlenden, volljährigen Enkel, der bei den Bullen als rechter registriert war und nun um seine Bundeswehrkarriere bangen musste. In seinem Zimmer saßen vier Fremde, davon zwei gefährlich aussehend und einer offensichtlich linksautonom und außerdem war Oma tütendicht. Doch mir war heute alles egal, auch das ich Charakter hatte.
Und so kam Oma herein und wurde wieder rausgeschmissen, bis sie eins, zwei, drei zum Telefonhörer griff. Hermann erschien es besser den Abend abzubrechen und uns sowieso. „Hermann ist böse.“, hörten wir noch Omas Stimme auf unserer Flucht durch den Hausflur hallen. Wir stürzten in den Pappen und gaben Stoff. Stoff machte sich auch im Trabbi breit, denn der Auspuff war ja abgeflogen. Wer einmal die typischen Gase, die ein Trabant so produziert eingeatmet und gerochen hat, der wird das nie wieder vergessen. Wer damit aufgewachsen ist, der wird sie mit der wunderbaren Erinnerung an alte Zeiten aufsaugen. So saß ich also da und atmete tief ein. Nach einem weiteren Bier fuhren wir wieder die aufgeweichten Landwege mit den Abhängen und sammelten unterwegs den wohl kaum noch zu gebrauchenden Auspuff ein. Enrico hatte vor ihn nächstes Mal anzuschrauben, anstatt nur mit Draht fest zuzwirbeln. Home again kam ich in die Scheune und sah mich um. Einige Gäste waren schon gegangen. „Wo ist Jürgen?“, fragte ich.
„Der ist schon im Bett.“, hörte ich seine Gemahlin sagen, an ihrem Tonfall sofort erkennend, dass sie sich gezankt hatten.
Ich setzte mich auf meinen Stuhl und schloss die Augen, sicher das nichts passieren würde als das, was ich erwartete.