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Autor: Franklin M. Bekker

Erstellt am: 17.12.2000

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Der Grimm



Geschrieben von:   Franklin M. Bekker


Franklin M. Bekker
Der Grimm

Ich erwachte mitten in der Nacht. Mir war kalt, meine Haut war ausgetrocknet und alles Glück war aus mit heraus gesaugt. Es war eine Art Halbschlaf, indem ich meine Augen nicht ganz geöffnet hatte und ich mir nicht sicher war, ob ich nun träumte oder wachte. Der Vollmond warf sein silbernes Licht durch mein Fenster und in diesem Licht konnte ich es erblicken. Es war ein großes, dunkles, vierbeiniges Wesen, dass in meinem Zimmer war. Mysteriös und unheimlich kam es mir vor, ich begann zu schwitzen. Es wurde kälter in meinem Zimmer, meine Haut verschrumpelte, meine Lippen wurden spröde, und mein Gemütszustand war, so gräulich, Furcht erregend, dass es nicht solch finstere Worte gab um, ihn zu beschreiben. Es beugte sich über mich, so dass ich seinen kalten Atem spürte und trotdem ich es nicht reden hörte, konnte ich verstehen, was es sagte und ich wusste mit einmal sogar, was es dachte: „Da ist etwas waches, lebendiges in dir. Du bist im Halbschlaf, du glaubst zu träumen.“
Ich bekam Angst. Sicher war ich mir nicht. War dies ein Albtraum? Dieses Wesen durchdrang mich und mir wurde kälter, meine Haut trockener und ich verfiel in eine tiefe Depression. Ich spürte seine Bösartigkeit. Dieses Wesen, es wollte den Menschen Leid zufügen, sie quälen und sie verzweifeln sehen. Was sollte ich tun? Mir schien als spüre es, dass ich nicht wirklich wach war und ich hatte Angst davor wach zu werden. Ich versuchte zu schlafen, es wurde misstrauisch, es wurde wütend und ich versuchte zu schlafen. Schlafen! Ich hatte es geschafft und endlich ließ es ab von mir. Nun schlief ich. Doch ich hatte dunkelste Träume. Immer wieder sah ich unsere Erde, unseren Planeten, den Blauen in dichtem schwarzen Nebel verschwinden. Und ich spürte, dass es kein guter Nebel war. Es war tödlicher Nebel unter dem die Menschen verelendeten. Sie erfroren und vertrockneten. Und wer das nicht tat den erwartete ein schlimmeres, grausameres, fürchterlicheres, schrecklicheres, tödlicheres, düsteres Schicksal. Diese Menschen verloren alle Freude, Glück wurde ihnen genommen. Sie verfielen in einen dämmrigen Geisteszustand, in dem sie alle verdammten Qualen, immer und immer wieder erlebten und je mehr Schmerzen sie hatten, desto tödlicher wurden ihre Gedanken, bis sie sich zum Schluss das Leben nahmen, wenn sie dazu noch in der Lage waren. Plötzlich schreckte ich auf. Es war ein fürchterliches Bild, dass ich gesehen hatte. Ein vollkommen verrotteter Jungendlicher, seine Haut schien kalt und bleich, aus seinen Augen sprach der Wahnsinn. Er erinnerte mich an irgendwen. Doch an wen?
Es viel mir trotz angespannten Nachdenkens nicht ein und ich grübelte noch eine Weile, bis ich zu mir selbst zurückkehrte. Ich war total außer Atem und trotzdem war mir kalt. Kalt am Leib und in der Seele. Es war etwas das ich noch nicht gespürt hatte und darüber war ich froh. Doch jetzt war es da. So kalt! Nie wieder, glaubte ich, würde ich Freude oder Glück empfinden zu können.
Was war das gewesen? Pure Fiktion? Es schien mir zu realistisch, zu echt, zu wahr. Licht! Ich brauchte Licht. Doch irgendetwas hinderte mich daran aufzustehen. Vor mir bildete sich schwarzer Nebel. Dieses Wesen? Mir wurde noch kälter, meine Haut fing an zu schrumpeln und ich dachte an Selbstmord. Aber ich verdrängte den Gedanken, schnell sprang ich auf und hechtete zum Lichtschalter. Die Nebel verschwanden wieder. Das konnte doch kein Traum gewesen sein?
Schlafen! Unbedingt wollte ich schlafen, denn Erschöpfung machte sich in mir breit, und das war ein merkwürdiges Gefühl. Wie konnte es sein, dass mir so verdammt kalt war? Erschöpfung und Kälte, das konnte einfach nicht zusammen gehören! Meine Hand bewegte sich in einer langsamen Bewegung zitternd auf den Lichtschalter zu. Wollte ich das Licht überhaupt auslöschen? Unsicherheit erfüllte mich plötzlich, zusätzlich, zu dieser bösen, mysteriösen Kälte und dann war es zu spät. Das Licht war aus und ich lag schon auf meinem Bett. Wieder wurden meine Gedanken düster und ich sah Bilder, die kein Mensch ungeschadet auch nur an sich vorbei zischen sehen konnte. Und vor meinen Augen standen diese Bilder förmlich und ich wurde gezwungen sie zu betrachten. Sie anscheinend endlos zu betrachten. Diese Bilder, diese finsteren Bilder! Bilder voller Schrecken, Gräuel, Unmenschlichkeit und Angst. Angst in den Gesichtern der Personen. Kalte Angst. Kalte Angst und dieser Wahnsinn! Nur das Fürchterlichste war, dass die Gesichter nicht das finsterste waren - sondern die Dunkelheit. Die Dunkelheit mit der alles noch zusammenhing. Sie war der Auslöser für alles, die Dunkelheit.
Ich zwang mich zu erwachen, richtete mich auf und machte Licht. Mit dem Licht wurde mir auch wieder wärmer. Lebensmut schlich sich wieder in mein Herz. Dieses Wesen aber, es ließ mir keine Ruhe. Was war es? Ein unwiderstehlicher Drang zu forschen keimte in mir auf. An einen bösen Traum glaubte ich nicht mehr, ich war zu erschrocken, als das es hätte ein Traum sein können. Meine Suche dauerte lange, bis in die frühen Morgenstunden hinein. Dann gegen 5 Uhr fand ich etwas im Internet. Eine Seite namens Grimm.de. Viele Leute im Guestbook beschrieben, einen großen Hund in ihrem Schlafzimmer gesehen zu haben. Dieser hätte sich allerdings, nachdem sie Licht gemacht hatten, in Luft aufgelöst. Und dann stieß ich auf ein Gedicht. Ein grausames Gedicht. Es erinnerte mich zu sehr an die Nacht, welche ich gerade begonnen hatte zu vergessen.

Eine Nacht

Eine Nacht,
in der mich dunkle Träume plagten,
in der Lichter,
sich nicht auf die Straße wagten,
in der Leute,
nur nach ihren eigenen Problem fragten,
in der,
böse Mächte mich jagten.

Vom Dämon verfolgt, fast in den Tod getrieben,
geplagt von Kälte,
nach Wasser gelechzt,
begann ich mit Glück und wärme in meinem Herzen,
wieder zu Lieben.

Doch das Wissen um ihn,
die Angst vor dem Tod,
Die Furcht vor der Dunkelheit,
ich weiß,
dass mir immer noch,
dieses böse Schicksaal droht.

Der Gedanke dieser Hund oder was auch immer es war, könnte wirklich existieren ließ mir keine Ruhe mehr. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Es war so echt, so wie ich es gerade noch empfunden hatte. Das Gefühl seelischer Kälte machte sich wieder in mir breit. Ich schauderte bei dem Gedanken, dass ich unmittelbar nach dem se passiert war, meine Gefühle hätte aufschreiben wollen. So etwas musste unmöglich sein. Und dann kam mir der Gedanke: dieser Mensch muss es erst verarbeitet haben, denn: wenn er das gleich nach dem Erlebnis geschrieben hat, dann hätte er sich selbst umgebracht. Da war ich mir sicher. Doch trotzdem, dass einige Zeit vergangen war, bevor er es geschrieben hatte, war es so echt. Mir wurde klar, egal was ich auch machen würde dieses Erlebnis würde mich nie wieder loslassen. Das wurde mir bewusst, und ich begann zu heulen. Es kam mir wie Tage vor und immer wieder brach ich in neuen Tränenstürze aus. Das ganze was ich erlebt hatte, erst jetzt begriff ich das wahre Ausmaß und die Komplexität der Situation.
Es war nun nicht mehr ein merkwürdiges, gruseliges oder schauriges Erlebnis, das ich mir eingebildet hatte. Nein, es war Realität, und es war Realität, dass mein Leben bedroht war. Ich stand auf, sah in den Spiegel, nahm mir ein Taschentuch und versuchte die bösen Gedanken zu verdrängen. Ich versuchte nach vorne zu schauen. Doch konnte ich das überhaupt? War das möglich? Was sah ich denn? Ich sah den Tod vor mir! Und wenn ich es schaffen sollte ihn zu überlisten? Den Grimm? Dann erwarteten mich die Erinnerungen dieser Nacht und vielleicht noch die Erinnerungen vieler anderer, zukünftiger Nächte. Wollte ich das? Ich wusste es nicht. Nur eins wusste ich: Ich will leben, für alles das was heute Nacht nicht geschehen war. Und so beschloss ich zu leben. Leben, leben!
Ich kehrte an meinen Computer zurück, um ihn auszuschalten und erinnerte ich mich an die Seite. Sie war ja immer noch geöffnet. Plötzlich „sprang“ mich eine Adresse fast an. „Das ist ja in meiner Stadt“, sagte ich zu mir selbst. Ein Herr Müller hatte von einem ähnlichen Erlebnis berichtet. Kurzerhand beschloss ich ihn zu besuchen, denn dies war mein einzigster Anhaltspunkt. Von der Seite nahm ich auch die Information mit, dass der Grimm unbedingt Lichtscheu ist. Doch das hatte ich irgendwie schon gewusst. Wer dem Grimm begegnet, der hat keinen sehnlicheren Wunsch als helles Licht auf den Augen zu spüren.
Als ich an der vermeintlichen Haustür von Herrn Müller stand, viel mir auf, dass an dem Schild nicht Müller sondern Hicks stand und es öffnete mir kein Herr Müller sondern ein Fräulein Hicks in meinem Alter. Sie war bezaubernd, doch ich machte mir über andere Sachen Gedanken. „Was gibt’s?“, fragte sie.
„Ich wollte zum Herrn Müller.“
„Ja das war mein Opa. Er ist vor kurzem verstorben.“
Ein Schreck, und ein Zucken von mir ein merkwürdiger Blick von ihr.
„Mein Beileid.“, sagte ich.
Alle Hoffnung war aus meinem Herzen verschwunden. Innerlich machte ich mich mit dem Gedanken zu sterben vertraut. Der Tod stand in meinem Gesicht.
„Danke.“, erwiderte sie, sichtlich aufgeregt. Plötzlich!
„Na ja ich geh dann mal.“
„Worum ging es denn.?“ Sollte ich es ihr erzählen? Das klang garantiert ein bisschen lächerlich. Aber vielleicht wusste sie ja etwas darüber. „Nun ich wollte eigentlich eine Auskunft von ihm haben. Er hat im Internet etwas über einen Hund, der in das Nichts verschwindet geschrieben.“
„Hast du ihn gesehen?“, fragte das Mädchen entsetzt und auf einmal kreidebleich.
„Ja“, antwortete ich knapp.
„Oh mein Gott.“
„Hast du etwas davon gehört?“
Sie holte tief Luft und es kostete sie offensichtlich einiges an Überwindung mich herein zu bitten.
„Was weißt du über dieses Tier?“
„Mein Opa hatte panische Angst vor diesem Wesen, er nannte es den Grimm. Er tauchte als mein Großvater 17 war, das erste mal auf. Damals hatte er es niemandem erzählt. Er hat bei seinem Leben geschworen zu schweigen. Doch vor ein paar Wochen, hat er es mir erzählt, da kam der Grimm wieder. Er wollte meinen Opa töten, denn er wurde schwach und der Grimm hatte Angst, die Energie, die in meinem Opa steckte zu verlieren. Der Grimm er lebt von den Menschen, die von ihm wissen, aber trotzdem niemals über ihn sprechen.
Niemand glaubte meinem Opa und man schickte ihn zu verschiedenen Psychiatern. Es half nicht, denn es war nicht ausgedacht. Mein Opa kämpfte gegen dieses Wesen. Er stand immer nahe bei einem Lichtschalter, wenn es dunkel war. Am Tage baute er an einer Maschine, die ihn retten sollte...
Doch er schlief vor Erschöpfung dabei ein und am nächsten Morgen fand man ihn – tot! Sein Körper war kalt und seine Haut total vertrocknet. Und dieser Gesichtsausdruck...“
Sie brach in Tränen aus und ich konnte es ihr nachfühlen. Ich nahm ihre zittrige Hand, die kalt war.
„Hast du ihn auch gesehen?“, fragte ich.
Mit einer Stimme die noch zittriger war, als ihre Hand, und verheulter, als ihr Gesicht sagte sie: „Nein, aber ich war..“. Sie sprach nicht weiter und ich wollte nicht mehr fragen. Nur eines musste ich noch wissen. „Willst du noch leben?“, fragte sie, „mein Großvater wusste es nicht genau.“ Ohne zu überlegen nickte ich. Überlegen ist gefährlich, dachte ich, man zweifelt immer schnell.
„Dann will ich versuchen dir zu helfen.“ Sie zog ihre Hand weg und wühlte in ihren Taschen. Ich gab ihr ein Taschentuch und sie bedankte sich, wischte die Tränen aus den Augen. „Geht es wieder?“
„Ja, es geht. Komm mit!“
Sie führte mich durch die Stube, in der wir gesessen hatten, durch einen Flur eine Treppe hinauf. An den Wänden hingen Bilder, die ich im Vorbeigehen betrachtete und dann, musste ich stehen bleiben. Diese eine Person, ich vermutete es war ihr Opa, ich erkannte ihn wieder. Er sah auf dem Photo lebensfroher aus und kräftiger, doch er hatte das richtige Alter. Jetzt erbleichte ich, mein Herz raste und Tränen kullerten mein Gesicht entlang. Als sie merkte, dass ich ihr nicht gefolgt war drehte sie sich um. Sie sah wie intensiv ich das Bild betrachtete. „Was?“
„Ist das dein Opa? Ich habe ihn im Traum gesehen.“, sagte ich wobei ich mich wirklich zusammen reißen musste, um mich nicht wie eine Memme anzuhören.
„Das tut mir leid. Komm lieber weiter. Ich stieg mühsam die Treppen zu Ende hoch. Wir standen nun vor der Tür und ich war geistig wieder aufnahmefähig, kurz bevor wir den Raum betraten.
Danach aber brach wieder alles auf mich ein. Die seelische Kälte, welche ich heute morgen empfunden hatte, war nichts im Vergleich zu dem Gräuel, dass in diesem Raum anwesend war. Und als ich an die Heizung stieß und spürte, dass sie ganz heiß war, aber trotzdem merkte, dass der Raum total kalt war, da wurde mir klar, warum sie das Problem mit dem Grimm so gut verstand, weil sie in diesem Raum war – zu lange! Ich blickte sie an und sie nickte, was meine Vermutung bestätigte. Der Raum war warm gestaltet, es hingen viele schöne Bilder darin. Er war eingerichtet mit einem Kleiderschrank, einem Schreibtisch, auf dem viel Elektrozeugs lag, und einem Bett, dass nahe zum Lichtschalter stand. Auffällig nah!
Zu der Elektronik auf dem Schreibtisch herüber blickend, fragte ich ob dies die Maschine wäre, die ihr Opa bauen wollte. Sie nickte.
„Kann ich das Zeugs zu mir schaffen?“, fragte ich.
Wieder nickte sie. „Aber du wirst meine Hilfe brauchen. Mein Opa hat zwar Notizen gemacht...“, sie deutete mit ihrem Finger auf einen Hefter „...aber du wirst sie niemals allein entziffern können. Ich werde dir helfen müssen.“
„Und deine Eltern?“
„Ich sage, dass ich bei einer Freundin übernachte. Das wird gehen.“
Wie packten also die Elektronik in einige Beutel und gingen dann so schnell wie möglich aus dem Zimmer und die Treppe herunter. Als wir an dem Bild vorbei kamen lief mir abermals ein Schauer über den Rücken und irgendetwas wollte mich zwingen hinzuschauen. Nur mit knapper Not konnte ich mich den Klauen dieses Zwangs entreißen. In der Wohnstube verschnauften wir dann erst mal. Das Schwierigste war geschafft.
„Ich gehe nur noch schnell ein paar Sachen zusammen packen.“, sagte sie, „Kommst du klar?“
Ich nickte nur. Sie ging weg und ich hatte Zeit zum Nachdenken. Wieso wollte ich dieses Bild unbedingt sehen? War es mein eigener Wille, mein Interesse oder ein Zwang, der mit der Begegnung mit den Grimm, zu tun hatte. Ich schauderte. Und dann dieser Raum! Dieser kalte Raum! Wie froh ich war, dass nur ein Teil des Grauens dieses Raumes auf mich übergegangen war. Wenn ich mir vorstellte wie die ganze dunkle Kraft dieses Raumes auf mich einwirkte. Mir wurde kalt. Dann dachte ich an ihren Opa, der es gespürt haben musste. Diese finstere Macht! Und ich verstand jetzt, wieso diese Leute, diese vielen Leute, die ich in meinen Träumen gesehen hatte, so aussahen. Ich verstand wieso ihre Gesichter so voll Furcht, Schmerz, Angst, Panik, Schaudern, Grauen und Dunkelheit waren. Das was ich heute Nacht gespürt hatte war nur ein ganz kleiner Teil von der Macht, die der Grimm wirklich hatte.
Ich war geschockt. Ich wollte, dass sie wieder kam und ich verfiel in ein unheimliches Dämmern. Die Bilder der Nacht kamen zurück und sie erschienen mir noch grausiger. Jetzt wo ich das ganze Ausmaß ihrer Fürchterlichkeit und Dunkelheit sah. Da war auch wieder dieser Jugendliche, er war der einzigste Jugendliche und ich glaubte ihn wirklich zu kennen. Der Schmerz in seinen Augen war größer, die Kälte in seinem Gesichte eisiger und die Dunkelheit, für die Augen undurchdringbarer. Es war eine Qual die immer wenn man sie erlebte und fühlte, schmerzvoller wurde. Grausamer und Unerträglicher! Und noch ein Gedanke drängte sich mir auf: Das war eine der Qualen die, die Opfer des Grimms immer und immer wieder erlebten. Ich war eines dieser Opfer. Die ganze Zeit hatte ich es nicht wirklich wahr haben wollen, doch ich, ich gehörte zu den Menschen die eines Tages so aussehen würden.
Gerade als ich mich wieder sammeln wollte, die düsteren Gedanken verstreuen, kam sie herein. Ich blickte auf. Ihr Gesicht war bleich. „Du, du siehst schrecklich, grauenerregend aus.“, sagte sie. Ich versuchte ein halbwegs normales Gesicht zu machen. Fuhr mit der Hand darüber, rieb ein bisschen, damit sich meine Züge normalisierten und meine Haut wieder Farbe bekam. „Böse Gedanken. Lass mich nie wieder so lange allein!“ Sie nickte bedächtig, wir brachten das Zeug nach Hause und begannen es zu untersuchen. Es war kalt und egal was wir taten es blieb auch kalt.
„Dies scheint einen Strom vom Gehirn zu messen.“, sagte ich. Ich hielt eine Elektrode hoch, die einen Saugnapf an ihrem Ende hatte. „Es scheint als müsste man sie an die Schläfe stöpseln.“ Ich probierte es aus, zuckte aber sofort weg. Sie war kalt. So eisig kalt. Kalt! „Komm wir tauschen die Sauger aus.“, nimm den hier, der ist noch unbenutzt. Ich probierte ihn und es ging. Wir verkabelten das Gerät so, wie wir dachten, dass es richtig wäre, doch es passierte nichts. „Mal sehen. Wir haben den Strom und der geht hier lang. Er trifft auf diesen Schalter hier. Was ist das?“ Ich zeigte mit dem Schraubenzieher auf eine kleine Platine, die irgendwie mit dem Schalter verbunden war. „Keine Ahnung“, sagte sie „Aber das hier ist ein Strommesser und das ein Voltmeter. Und da kommt eine Lampe.“
„Es scheint als sollte durch den Gedanken an Licht im Kopf, ein bestimmter Strom fließen, er durchfließt das Ampere- und Voltmeter...“
„Die Messen den Strom und geben ihn an diese Platine hier weiter. Wenn der Strom die korrekten Messergebnisse hat, wird der Schalter umgelegt, es entsteht hier ein Stromkreis und die Lampe leuchtet.“
„Ja das muss so stimmen. Los wir probieren es gleich aus. Vielleicht kann ich dann doch noch ein bisschen schlafen.“ Doch es brachte nichts. Das Prinzip hatten wir verstanden, aber irgend etwas musste defekt sein. „Vielleicht ein kleines Kabel oder die Platine.“ Es half nichts. Wir grübelten lange. Doch dann wurde es Zeit zu Schule zu gehen. Eigentlich war mir nicht danach zu gehen, doch dort konnte ich für die restliche Zeit der Dunkelheit wach bleiben und am Tage gab es genug Gelegenheit zu schlafen. Die ganze Nacht hindurch war ich hin und wieder eingenickt. Egal wie groß die Angst vor dem Schlaf war. Meine Sehnsucht nach Erholung war größer. Sie hatte mich immer und immer wieder aufwecken müssen. Ich bezweifelte, dass ich eine Nacht weiter überhaupt noch ansprechbar sein würde.
Es war erst kurz nach acht und die Tage waren sehr kurz. Die Dunkelheit war immer noch nicht verflogen und der Unterricht hatte gerade begonnen. Es war für mich unmöglich, die Augen noch offen zu halten, denn wir hatten Geschichte. Der Unterricht war nicht besonders aufregend und die Stimme des Lehrers wie ein Schlaflied für meine erschöpften Sinne. Ich lag da, und wollte gerade zu schlafen beginnen, auf einmal ging das Licht aus. In der Schule gab es einen Sensor, der das Licht ausschaltete, wenn er „der Meinung war“ es wäre hell genug. Ich öffnete die Augen und sah Nebel vor mir. Der Schreck fuhr durch meine Glieder und mir fröstelte plötzlich. „Mach das Licht an“, schrie ich dem Mädchen, dass am nahesten zum Lichtschalter saß zu. „ Ist ja gut antwortete sie.“ Langsam erhob sie sich von ihrem Platz. Doch ich sprang schnell auf, durchquerte den Klassenraum mit einigen schnellen Schritten und Sprüngen. Meine schrumpligen Finger berührten den Lichtknopf. Ich wirbelte herum und sah den Grimm verpuffen.
„Nun setzen sie sich mal wieder hin.“, befahl der Lehrer, der gar nicht wusste was er anderes sagen sollte, grimmig. So sprachlos war er.
Ich ging zu meinem Platz. Als ich saß drehte sich Markus, der vor mir saß, zu mir um. „Das war er.“, sagte er. Markus war bleich wie sie, gestern. Er zitterte und seine Stimme war voll Angst und Schauder. Und in diesem Moment sah ich ihn wieder, den Jugendlichen aus meinen Träumen. Es war Markus gewesen. Sonst war er immer so ein Lebensfroher Mensch gewesen, doch nun konnte ich es ganz deutlich erkennen. Lebendig waren die Augen noch grausamer zu meiner Seele als in den Träumen.
„Markus wovon redest du?“
„Vom Grimm du hast ihn auch gesehen oder?“
„Woher weiß du davon?“
„Er ist mir eines Nachts als ich noch ein ganz kleines Kind war begegnet. Ich habe geschworen nie jemandem von ihm zu erzählen, sonst würde ich mit meinem Leben bezahlen. Doch jetzt hat er es auf mich abgesehen.“ Ich wunderte mich, hatte er es nicht begriffen? Der Grimm hatte es auf mich abgesehen. In meinem Gesicht machte sich noch mehr Schrecken breit. „Was hast du?“ fragte er. Sah er es denn nicht? Markus hatte soeben den Grimm verraten und somit seinen Schwur gebrochen. Kurz holte ich tief Luf, dann sagte ich: „Der Grimm will mich, er verfolgt mich, nicht dich.“ Endlich begriff er, doch zu spät um sein Leben zu retten. Tränen liefen ihm das Gesicht herunter. „Nein er hat es auf dich abgesehen. Oh mein Gott! Was habe ich getan?“ Ja er hatte seinen Schwur gebrochen und den Grimm verraten, was einem Todesurteil gleich kam. Markus griff seine Schultasche und lief aus dem Raum, so schnell er nur konnte. Mitten in die immer noch währende Dunkelheit. „Markus verdammt, es ist noch nicht hell genug.“, rief ich ihm nach. Doch er hörte mir nicht zu. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er jetzt die Bilder sah. Und unter diesen Bilder war nun auch mein eigenes. Er würde nicht versuchen dem Grimm noch zu entkommen, er wollte nicht mehr, er wollte nicht mehr leben. Nicht mehr Leben!
In der nächsten Stunde hatten wir Sport. Ich dachte viel über Markus nach, fragte mich wie viel Schuld ich an seinem Tod hatte. Doch es half ja alles nichts. Letztendlich war es der Grimm, der ihn umgebracht hatte. Ein mal mehr stand ich im Tor. Ich war ein guter Torwart und ich wollte es mal wieder allen zeigen. Thomas sprang hoch, warf in den Strafraum hinein. Ein Aufsetzer! Der Ball stieß hoch in die obere, linke Ecke. Ich sprang, nahm den Ball in beide Hände, viel auf den Boden, war entgültig erschöpft und ohnmächtig.
Die dunklen Träume suchten mich heim, es war eine Höllenqual. Wieder und wieder sah ich die gleichen Leute. Und wieder und wieder sahen sie schlimmer aus. Doch am fürchterlichsten war, ein Bild sah ich nicht. Das von Markus! Tat der Grimm mir das absichtlich an? Das Bild von ihrem Opa hatte ich auch gesehen, nachdem er schon tot war. Wieso das von Markus nicht? Ich spürte wie meine Seele kälter und dunkler wurde. Meine Haut schrumpelte mehr und mehr und trotzdem, dieser Traum immer mehr Kraft forderte, wachte ich irgendwann auf.
Ich lag in einem weißen Zimmer und ein älterer Heer kam gerade herein. „Na endlich, wir hatten schon gedacht du wachst gar nicht mehr auf.“ Ich fühlte mich ermattet und erschöpft, mehr als jemals zuvor. In meinem Kopf und Magen drehte sich alles.
„Was ist denn...?“
„Du hattest einen Kreislaufzusammenbruch. Wir mussten ne Menge Aufputschmittel in dich hinein pumpen.“
„Kann ich jetzt nach Hause?“
„Wir werden dich mit dem Krankenwagen fahren, du musst die nächste Woche im Bett bleiben. Und versprich mir dich nicht mehr so zu überanstrengen im Sportunterricht.“ Ich versprach es ihm, obwohl ich natürlich wusste, dass es absolut nichts mit dem Sportunterricht zu tun hatte. Meine Erschöpfung!
„Wie spät ist es eigentlich?“
„ Es ist ein Uhr Nachmittag.“
Anschließend fuhr man mich wie versprochen nach Hause. Ich schleppte meine müden Knochen die Treppe hoch und packte mich dann auf mein Bett. Die Fernbedienung lag griffbereit. Ich schaltete den Fernseher ein um alle Gedanken zu verdrängen. Es ist unglaublich, wie entspannend Talkshows sind, wenn man merkt wie sorglos die Diskutierenden oft sein können. Ich konnte wirklich relaxen. Es war schon bald um drei und sie klingelte an der Türe. Mir viel auf, dass ich ihren Namen gar nicht kannte. Doch ich war mir nicht wirklich sicher, ob sie das wollte. Wenn ich als namenloser starb, dann war das doch einfacher für sie. Auch sie fragte nicht nach meinem Namen und so machten wir uns gleich wieder an die Arbeit. Wir verglichen die Aufzeichnungen, Skizzen und unsere Vorstellungen immer und immer wieder mit dem Gerät. Es war aber vergebens. Wir fanden keinen Fehler oder defekt. In der Theorie hätte es funktionieren müssen. Die Erschöpfung meinerseits nahm zu, doch ich wollte solange wach bleiben wie möglich. Wir probierten mit den Gedanken, die man haben sollte. Es war als wenn man vor einer Tür stünde, die nur mit einem Zauberwort zu öffnen war, oder als wenn man das Passwort für einen Computer durch Zufall herausfinden wollte.
Und dann schlief ich ein. Ich wusste es war mein Todesurteil, aber ich hatte keine Kraftreserven mehr um dagegen anzukämpfen. Wieder waren die Träume schlimmer als beim letzten mal. Ich sehnte mich im Traum nach Selbstmord und wollte schon nicht mehr leben, oder doch? Ich wusste es nicht mehr. Ich wusste nicht einmal mehr was ich wusste und dass ich wusste, dass ich wusste was ich wusste. Und dann kam mir der Gedanke leben und alles sehen, was ich in diesen Träumen nicht sah. Leben! Ich wusste wieder: Ich wollte Leben. Dann wurden die Träume wieder schlimmer und ich wusste wieder gar nichts. Wieder sah ich diese Menschen, diese Menschen mit den dunklen, fürchterlich Augen. Meine Seele verfinsterte sich ein weiteres Mal, und ich glaubte zu wissen, dass es das letzte mal war. Ich durchlebte die Träume wieder und wieder. Immer die gleichen Bilder. Fürchterlicher und fürchterlicher von Mal zu Mal. Und immer in der Erwartung des Bösen, der Dunkelheit. Einmal glaubte ich ein Schluchzen zu hören, einen Druck auf meine Schläfe zu spüren, mich geirrt zu haben und dann mit einmal, war er da – der Grimm!
In seiner ganzen fürchterlichen Art senkte er sich auf mich hinab. Grauenhafter, als ich es je vermutet hatte. Doch dann war da etwas das ich nicht erwartet hatte. Er wollte mich nicht töten. Er wollte diesen Pakt eingehen. Er lebt von mir und dafür lässt er mich in Frieden und ich schweige. Ich überlegte. Ich spürte das Gerät auf meinem Kopf und als ich mir die Frage stellte, wusste ich wie es funktionierte. Ich sah wie sie in der Dunkelheit schon fast verzweifelt war. Sie hatte sich das Gerät angeklemmt. Die Lampe im Zimmer leuchtete. Dann dachte sie daran aufzustehen und den Lichtschalter zu betätigen und sofort tat sich etwas. Der Stromkreis reagierte und ein Kabelchen begann zu qualmen, es war defekt. Sie begann zu heulen, wechselte es aus, mit zittriger Hand, stöpselte es mir an und dann heulte sie sich in den Schlaf. Erst später verstand ich es. Sie heulte, weil ihr Opa es fast geschafft hatte und doch gestorben war.
„Wenn du jetzt das Licht einschaltest, dann wirst du dein ganzes Leben lang nicht vernünftig schlafen können. Immer werde ich dich verfolgen. Du wirst leiden. Leiden wie du es dir jetzt noch nicht im entferntesten vorstellen kannst. Leiden. Du wirst leiden. Leiden!“ Diese Gedanken flößte er mir ein und ich bekam Angst. Grauen , Furcht und Panik erfüllten mich, fürchterlicher als ich es in den ganzen vergangenen zwei Tagen gespürt hatte. Ich willigte ein. Er ließ von mir ab und ging wieder in seine Welt zurück.
Meine Träume besserten sich schlagartig, an diese dunklen Bilder konnte ich mich nur noch entfernt erinnern. Sie erschienen gar nicht mehr so fürchterlich und doch wusste ich, ich hatte grausamstes erlebt und sollte ich je ein falsches Wort sagen, würde es sich wiederholen. Dies tat ich natürlich mit diesem Text, doch ich halte es für die einzige Chance, den Grimm irgendwann entgültig zu besiegen. Mir ist klar, dass ich jetzt wieder die Qualen erleiden muss, doch ich denke ich will Leben und ich werde das auch.
Zunächst allerdings schlief ich friedlich, bis zum Morgen. Ich hob meinen Kopf hoch und dachte daran Licht zu machen, was sich erübrigte da ich ja noch immer dieses Gerät an meiner Schläfe befand. Auf meinem Bett bewegte sich etwas.
„War er da?“, fragte sie.
Ich nickte.
„Ist er weg?“, für immer log ich.
„Gott sei dank.“
„Du hast herausgefunden wie es geht?“ Ich zeigte auf das Gerät, ihre Miene verfinsterte sich. Sie brach in Tränen aus. „Ein Kabel war es, nur ein Kabel, verdammtes Kabel.“
Ich zog ein Taschentuch aus der Tasche, setzte mich zu ihr, wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht, gab ihr einen Kuss auf die Wange, umarmte sie und sagte: „Ist ja gut.“
Nach einiger Zeit löste sie sich aus der Umarmung, lächelte mich an und reichte mir die Hand.
„Ich bin Sabine.“
„Franklin.“