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Autor: knochengott

Erstellt am: 23.10.2014

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downtown 211 - Der Gefangene



Geschrieben von:   knochengott


Teil des Episodenwerkes: downtown

  - Einleitung
  - Kapitel 1: downtown 608 - Der Prinz
  - Kapitel 2: downtown 303 - Der Beschützer
  - Kapitel 3: downtown 409 - Der Kranke
  - Kapitel 4: downtown 408 - Die Herrscherin
  - Kapitel 5: downtown 414 - Die Maskierte
  - Kapitel 6: downtown 000 - Der Krieger
  - Kapitel 7: downtown 211 - Der Gefangene
  - Kapitel 8: downtown 506 - Das Schicksal


Das Rattern seines Handys auf dem Nachttisch weckte Saul. Er schlug stöhnend die Augen auf. Das Handy konnte nur bedeuten, dass er wieder mal etwas von ihm wollte. Er war der namenlose Mieter in Apartment 506, der es irgendwie geschafft hatte Saul in der Hand zu haben. Es gab da dieses Video, das es nicht geben durfte. Die besagte Videoaufnahme existierte, obwohl Saul sicher war, dass an der Ecke des Parks keine Kamera sein konnte. Er war dort gewesen, später, nachdem er das Video gesehen hatte, um sich die Ecke genau anzusehen. Es hatte eine Weile gedauert aber schlieslich war er sicher die richtige Stelle gefunden zu haben von wo aus das Video gedreht worden war. Dort befand sich nichts, nur eine freie Fläche. Nichts was eine gestochen scharfe Aufnahme aus drei oder vier Meter Höhe ermöglichen würde. Zudem war im Video genau zu sehen was er da tat, die Kamera schwenkte mit, zoomte auf sein Gesicht und auf seine Hände, fing jede Kleinigkeit ein, Detail für Detail, Knoten für Knoten in der Schlinge, die der Mieter aus Apartment 506 damit um seinen Hals gelegt hatte. Aber Saul war sich hundertprozentig sicher das diese Aufnahme unmöglich echt sein konnte, es sei denn der Mieter hätte einen Kamerakran hergebracht. Und das war unmöglich. Saul war in dieser Nacht sicherlich nicht ganz Herr seiner Sinne gewesen, aber ein Kamerakran wäre ihm aufgefallen.
Da war keiner gewesen.
Es war einfach unmöglich, er war einfach unmöglich.

'Es steht ein Paket vor der Tür. Darin sind weitere Anweisungen.'
Saul blinzelte und las die Nachricht ein zweites mal. Ein Paket. Vor seiner Tür. Weitere Anweisungen. Der letzte Teil machte ihn nervos. Weitere Anweisungen klangen nicht gut. Er hatte für 506 bisher noch keine 'Aufträge' erledigen müssen aber der Kerl hatte etwas an sich, dass sicherstellte, dass was auch immer er wollte keine angenehme Sache sein würde.
Saul stand auf, steckte das Handy in die Tasche seiner Schlafanzughose und ging in die Küche. Vor all den folgenden Anweisungen brauchte er erstmal einen Kaffee. Er hatte den Gedanken kaum zuende gedacht vibrierte das Handy erneut.
'Keine Zeit fur Kaffee. Das Paket. Jetzt.'
Ein bitterer Geschmack bildete sich in Sauls Mund. Er hatte seine Wohnung mehrfach gründlich durchsucht und nirgendwo Kameras oder irgend etwas in der Richtung gefunden.

Das Paket stand wie erwartet vor seiner Tür. Es war klein und eine Grußkarte lag obenauf.
"Alles Gute zum Muttertag" stand in verschnörkelten Goldbuchstaben darauf. Saul nahm das Paket mit nach drinnen und setzte sich damit auf die Couch. Er öffnete die Karte und las die Anweisungen. Es waren fünf Zeilen und jede war kurz und präzise. Darunter stand eine Liste mit Gegenständen. Dann ging Saul in die Küche und kam mit einem kleinen scharfen Messer zuruck. Vorsichtig öffnete er das Paket. Es war alles da, jedes einzelne Teil von der Liste und ein Schlüsselbund. Jeder Schlüssel hatte eine Zahl von eins bis fünf. Saul las die Anweisung noch einmal. Er sollte um 7:30 Uhr beginnen. Ein schneller Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er noch ein paar Minuten Zeit hatte, also schaltete er den Fernseher ein.
Kurz darauf schaltete er ihn wieder aus, als er merkte, dass er keine Ahnung hatte was er gerade sah und verlies die Wohnung.

Als erstes ging er in den vierten Stock. Der erste Schlüssel öffnete die Tür ohne Probleme. Er stand in einem grau ausgeleuchteten Flur, der nach abgestandener Luft und hartem Alkohol roch. Vorsichtig schlich er den Flur entlang, warf einen Blick ins Wohnzimmer und zuckte zusammen. Ein alte Kerl schlief in einem Sessel, das Kinn lag auf der Brust auf, die sich langsam hob und senkte und das Gesicht war eingefallen. Der Geruch nach Schnaps war hier fast greifbar. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flures war die Küche. Sauls Schuhe quietschten leicht auf den Küchenfliesen. Er ging zum hinteren Schrank, nahm die kleine Flasche mit der braunen Flüssigkeit aus der linken Tasche und die Karte aus der anderen.
'Katzenbecher' stand dort als letztes Wort in der Reihe. '409 - 7:30 - Küche – hinter Katzenbecher' Saul nahm er den mit einer Katze bedruckte Tasse heraus, stellte die kleine Flasche dahinter und die Tasse abschliesend wieder an ihren Platz. Als er die Schranktür schloss kam ein leiser Laut aus dem Wohnzimmer, kein Schnarchen, eher ein Schluchzen. Er verharrte, aber es blieb ruhig. Schnell verlies er die Wohnung.

Die nächste Wohnung war direkt nebenan und sie war heller und sauberer. Der Flur und die anschliesende Küche bestand nur aus weiß gestrichenen Wänden und hellen Sonnenstrahlen, die durch Vorhänge fielen. In der Küche konnte er röchelndes Atmen horen, dass aus dem Speiseschrank kam. Leise öffnete er die Tür. Darin lag etwas, dass vor einiger Zeit einmal menschlich gewesen sein konnte. Jetzt war es nur noch eine Ansammlung aus Rippenbögen, wundgelegener Haut und blauen Flecken. Saul nahm die kleine Dose aus seiner Tasche und sprühte dem halbverhungerten Etwas eine Ladung ins Gesicht. Das röchelnde Atmen veränderte sich nicht, aber Saul glaubte, dass er jetzt tief und fest schlafen würde.
'408 – Speisekammer – betäuben – Spritze' und die Aufschrift „K.O.-GAS auf der Dose unterstützten das.
Er holte das Stethoskop hervor und legte es auf die Brust. Nach einer Weile fand er was er suchte. Der Herzschlag war leise aber regelmäßig. Das Stethoskop verstauend stiesen Sauls Finger an die Spritze, die noch in seiner Tasche war. Er tauschte Stethoskop gegen Spritze, suchte die Arme des halbverhungerten Dings nach einer Ader ab und stach sie hinein. Er hoffte, dass was auch immer in der Spitze war intravenös und nicht unter die Haut gespritzt werden musste. Die Flüssigkeit in der Spritze war farblos und milchig. Beim Herausziehen bildete sich ein einzelner Blutstropfen, lief aber nicht den Arm hinab. Leise schloss Saul die Tür wieder und ging.

Ein Blick auf die Uhr lies ihn leicht erschrecken. Er war spät dran! Schnell ging er zum Fahrstuhl und drückte den Knopf als sein Handy wieder vibrierte.
'Nimm die Treppe.'
Saul stutzte, überlegte kurz und entschied dann dem nicht zu folgen. Wieder vibrierte das Handy. 'Das Video Saul. Ich wiederhole mich nicht.'
Saul knirschte mit den Zähnen, steckte das Handy wütend in die Tasche zurück und ging zur Treppe. Als er durch die Tür ging hörte er hinter sich den Fahrstuhl ankommen. Wer ihn verlies sah er durch die hinter ihm zuschlagende Tür nicht.

Saul schaute sich unbehaglich um, als er in der nächsten Wohnung stand. Es roch nach Schweiss und Irrsinn, etwas das Saul aus dem Knast nur zu gut kannte. Er verharrte mit dem Rücken an die Tür gelehnt, überwaltigt vom Eindruck der unmittelbaren Gefahr und konnte sich beim besten Willen nicht bewgen. Als das Telefon vibrierte nahm er es mit tauben Fingern aus der Tasche.
'Er kommt in 10 minuten.'
Saul schluckte trocken und versuchte sich zu bewegen, aber sein Körper gehorchte nicht. Ein separater Teil von ihm fragte sich woher 506 das alles wissen konnte, aber der Großteil seines Geistes war schlicht und einfach erstarrt. Das Handy klingelte erneut.
'8 minuten.'
Saul zuckte zusammen und stieß sich mit einiger Anstrengung von der Tür ab. Er ging auf gefühllosen Beinen zum Schreibtisch und zog die oberste Schublade auf. Die Tüte mit den Pillen lag wie angekündigt ganz hinten in der Ecke. Er nahm sie heraus und ersetzte sie durch die in seiner Tasche. Tüte und Inhalt sahen identisch aus. Er schob die Schublade wieder zurück.
Sie klemmte.
Er konnte sie nicht vollständig schliesen. Schweiss brach Saul aus, als er verzweifelt an der Schublade drückte. Sie bewegte sich nicht.
Er sah auf seine Uhr. Wieviele Zeit hatte er noch? Fünf Minuten? Drei?
Mit aller Gewalt riss er an der Schublade, doch die gab nicht nach. Saul schluckte, sein Mund war noch immer ganz trocken bei dem Gedanken an der Mieter dieser Wohnung. Panik versuchte die Oberfläche seine Bewußtseins zu erreichen und es zu ertränken, doch er kämpfte dagegen an. Wenn ihn der Mieter erwischte war er dran und wenn er den Auftrag nicht ausführte war er ebenfalls dran.
Saul schloss die Augen, atmete tief ein und wieder aus. Nahm er den Griff der Schublade und zog vorsichtig. Und wie durch ein Wunder gab sie nach. Diesmal achtete er beim Schliesen darauf die Schublade perfekt gerade zu halten und sie schloss sich millimetergenau.
Er atmete auf. Seine Hände zitterten und sein Gesicht war schweisnass. Er packte die Tüte ein und verlies die wohnung. Als er sich dem Fahrstuhl näherte sah er, dass dieser gerade auf dem Weg nach oben war. Schlagartig hatte er keine Einwände gegen das Treppenhaus mehr und war verschwunden, bevor sich der Fahrstuhltüren offneten.

Vor der nächsten Tür zögerte er. Diesmal hatte er nichts abzuliefern, alles was er hier brauchte war schon in der Wohnung. Es war die Tat, dass was ihm aufgetragen wurde zu tun, was ihn zögern lies. Mit dem Schlüssel in der Hand stand er vor der Tür. Wie auf Kommando vibrierte sein Handy. Saul zog es gar nicht erst aus der Tasche, er wusste das es nur eine erneute Ermahnung sein konnte, die ihn antrieb zu tun, was der Mieter aus 506 ihm befahl.
Er steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Das Klacken kam ihm unnatürlich laut vor. Er stieß die Tür auf und trat ein, sah den schmalen Flur kaum, versuchte nur schnell zu machen.
Es hinter sich bringen.
Die Tür fiel mit einem Klack hinter ihm zu, diesmal gedämpft und leise. Saul hörte das Blut in seinen Ohren rauschen und sein Mmund war wieder trocken. Er folgte dem Flur bis zum Ende und wartete an der Tür.
Lauschte.
Dahinter hörte er leises Schnarchen, unregelmäßig und abgehackt. Er umfasste den Türgriff und drückte ihn herunter. Dahinter lag das Schlafzimmer und im breiten Doppelbett der Mann.
'418 - Schlafzimmer Flurende - Mann töten', die Anweisungen waren simpel.
Saul zögerte lange genug, um sich sein Opfer anzusehen. Er hatte einige Tattoos und war blass, fettige Haare, gelbe Finger. Hände und Füsse waren an die Bettpfosten gefesselt, was seine Aufgabe theoretisch erleichtern würde.
Wenn er sich denn dazu durchringen konnte.
Saul lachte auf, lautlos um den Mann nicht zu wecken. Als ob es seine Entscheidung war. Er konnte sich umdrehen, die Wohnung verlassen und würde innerhalb kürzester Zeit hinter Schloss und Riegel sitzen, das hatte der Mieter aus 506 klar gemacht. Saul überlief es kalt, als er sich an seine erste Haft erinnerte. Er war weder gros noch angsteinflössend und hatte sich seit seiner Kindheit mit niemandem mehr prügeln müssen. Das rochen die Kerle dort regelrecht. Es waren nur 6 Monate gewesen, aber noch heute wachte er von unbestimmten Träumen auf und schlug um sich. Er konnte sich nie daran erinnern was ihm schreckliches in seinen Träumen wiederfuhr, hatte es sich verboten sich zu erinnern.
Saul schüttelte die Erinnerungen ab und konzentrierte sich auf das hier und jetzt. Ihm war klar, dass es tun würde und beim Betreten des Schlafzimmers war ihm auch eine Idee gekommen, wie er es tun konnte. Leise ging er zur rechten Seite des Bettes. Der Kerl lag in der Mitte, war aber mit dem Oberkörper etwas nach links gerutscht. Und er hatte gegen die Fesseln angekämpft, hatte dabei das Laken zerknüllt und die Bettwäsche heruntergeworfen. Auch die Kissen.
Saul nahm sich das Kissen vor seinen Füßen und beuge sich damit übers Bett vor. Sein Schatten fiel über den Mann und er weckte ihn. Eine Sekunde lang sahen er und Saul sich in die Augen, dann drückte ihm Saul das Kissen auf sein Gesicht. Der Mann bäumte sich auf und schrie gedämpft durch das Kissen. Saul hielt es fest, die Knöchel seiner Finger waren weiß vor Anstrengung. Es dauerte länger als er gedacht, länger als er in jedem Film gesehen hatte bis der Mann endlich still lag. Zur Sicherheit hielt Saul das Kissen noch eine Weile länger auf dessen Gesicht gedrückt.
Als er es endlich hob starrte der Mann zur Decke. Saul schleuderte das Kissen auf den Boden wo es vorher gelegen hatte und stolperte aus dem Zimmer.
Im Flur riss er beinah die Garderobe um als er sich daran festhielt. Ihm war kalt. Er hatte gedacht, dass ihn das nahe gehen würde, aber ihm war nur kalt. Sein Gehirn betrachtete die Sache als erledigt und sah nach vorn. Er hatte noch einen letzten Auftrag. Und er hatte noch eine ungelesene Nachricht.
Die Finger, die das Handy hervorholten waren weiß aber sicher, zitterten nicht. Vielleicht war er über diesen Punkt schon hinaus. Er las die Nachricht.
'Knapp und effektiv – gute Arbeit'

Der Schlüssel mit der Nummer fünf paßte zum Fabrikgebäude auf der anderen Seite des Hofes. Neben der Tür lag ein 10 Kilogramm Sack Blumenerde. Er lies ihn liegen und machte sich auf den beschriebenen Platz zu suchen. Schnell hatte er eine Sammlung aus Müllbeuteln ausgemacht. Einige Ratten konnte er quietschen hören, als er näher kam, sonst war niemand zu hören oder zu sehen.
'Fabrik – Blumenerde – Kreuz – verteilen'
Die Anweisung hatte ihm einige Kopfzerbrechen bereitet. Als er sich dem vermutlichen Schlafplatz näherte entdeckte er ein Kreuz, das jemand mit rosa Farbe keine zwei Meter neben die Müllbeuteldsammlung auf den Betonboden gesprüht hatte. Er starrte das Kreuz ungläubig an, schüttelte dann den Kopf und ging zur Tür zurück. Mit einiger Mühe hob Saul den Sack Blumenerde auf und ging zurück zum Kreuz. Dort riss er den Sack mit den Fingern auf und verteilte den Inhalt großzügig, bis das Kreuz und eine Fläche von etwa anderthalb Meter völlig von der Erde bedeckt waren. Sie war dunkel und feucht und roch nicht unangenehm. Den Sack stopfte er in einen der Müllbeutel.
Er klopfte sich die Hände an seiner Hose ab und fragte sich was er nun tun sollte. Sein Handy schwieg. Saul beschloss 506 zu besuchen und ihn zu fragen, ob seine Schuld damit beglichen war.
Er verlies die Fabrikhalle, lies den Schlüsselbund in die Hosentasche gleiten und ging zum Haus zurück.

Er klopfte an die Tür von 506 und wartete. Eine Weil passierte nicht. Er klopfte erneut. Wieder nichts. Als er gerade das dritte Mal klopfen wollte höte er hinter der Tür eine Stimme.
„Herein.“
Saul lies die Hand sinken, umfaßte den Türgriff und betrat Apartment 506.