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Autor: knochengott

Erstellt am: 17.10.2014

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downtown 000 - Der Krieger



Geschrieben von:   knochengott


Teil des Episodenwerkes: downtown

  - Einleitung
  - Kapitel 1: downtown 608 - Der Prinz
  - Kapitel 2: downtown 303 - Der Beschützer
  - Kapitel 3: downtown 409 - Der Kranke
  - Kapitel 4: downtown 408 - Die Herrscherin
  - Kapitel 5: downtown 414 - Die Maskierte
  - Kapitel 6: downtown 000 - Der Krieger
  - Kapitel 7: downtown 211 - Der Gefangene
  - Kapitel 8: downtown 506 - Das Schicksal


Der Wal singt die Nacht vom Sterben. Purpurne Ströme aus Blut fliesen aus seinen Wunden und färben die Blätter um ihn. Zweimal hat er versucht wegzufliegen, doch der Bug des Waljägerboots bricht immer wieder grün schimmernd durch die tiefe Wolkendecke. Jetzt ist er zu schwach. Die Waljäger suchen ihn, doch die dichten Baumkronen verbergen ihn vor ihren Blicken. Sein Gesang ist schön und schrecklich zu gleich, lässt Bäume erzittern und dringt mir in die Knochen.
Er brachte mich hierher. Ich konnte ihn meilenweit horen.
Doch jetzt bereue ich es hierher gekommen zu sein. Niemand sollte so einem Giganten beim Sterben beiwohnen, schon gar nicht ein winziger Mensch wie ich. Wo sind die Götter um ihren Leviathan zu begleiten? Sie haben uns verlassen, nein, wir haben sie verstossen.
Bei Sonnenaufgang endlich halte ich es nicht mehr aus und gehe zu ihm. Um ihn herum ist alles rutschig vom Blut, literweise hatte er es vergossen und lebte noch immer. Ich steige auf ihn und arbeite mich zum Kopf vor. Seine Haut ist rau und an vielen Stellen aufgesprungen, rosa Fleisch schaut aus Spalten in der grauen Haut hervor.
Am Kopf angelangt verstummt er und sieht mich an. Sonst nichts, sieht mich einfach nur an. Nach eine Weile schließt sich das gelbe Auge und ich steche mit meiner Lanze hinein, bis sie das Hirn erreicht und seinem Leid ein Ende setzt.
Jetzt liegt er dort drüben. Ich habe es nicht gewagt mir etwas von seinem Fleisch zu nehmen. Soll der Wald ihn haben.

Die Walfänger kommen tiefer herab, ihr Bug streift schon die Baumwipfel, so dass lange Striemen rötliches Metal unter der Patina freigelegt wird. Sie suchen fieberhaft, wohl wissend, dass sie ihn schnell finden müssen, eh der Wald ihn nimmt. Doch sie kommen zu spät. Ich kann die ersten Knochen von hier aus sehen, die Insekten arbeiten schnell und gründlich. Es bleibt ihnen keine Zeit zu warten. Ich gehe nach Norden, dort habe ich ein Lager.

Der Wald ist rau. Er hat etwas gegen Menschen und ich kann es ihm nicht verübeln. Die Walfänger sind inzwischen gelandet, etwa eine Stunde Fußmarsch hinter mir. Ich konnte das Splittern und Knacken der Bäume horen als sie von Gier getrieben ihr Boot auf den Boden zusteuerten.
Sie werden nie wieder abheben, doch dass ist ihnen nicht klar. Noch nicht.
Sie sind jung und wenn der Wald es nicht zulässt werden sie keine Gelegenheit haben weitere Erfahrungen zu sammeln. Er vergibt nicht. Ich lebe hier schon lange und ich weiss wie er ist. Er duldet mich, denn ich passe mich an, schwimme mit dem Strom, lasse alles und jeden in Ruhe. Das ist der einzige Weg hier zu uberleben. Sie kommen herunter in einer Kaskade der Gewalt, brechen sich den Weg frei und erwarten dass man sie gewährt? Narren, allesamt Narren!

Ihre Schreie waren wie sie - winzig und von kurzer Dauer. Dann Donner, dreimal donnert es hintereinander und kurze Zeit später bricht das Boot zwischen den Baumwipfeln empor. Weißer Rauch steigt in kleinen Wolken an seinen Seiten auf und wieder rollt Donner über das Land. Ich bin auf einen Baum geklettert, hab den Stamm mit meinen bloßen weichen Füßen auf dem Weg nach oben getreten ohne ihn zu verletzten. Er lies es zu, bin ich doch fur ihn nichts weiter als ein Floh für einen Hund. Hier oben sitzend kann ich das Boot sehen, der grüne Leib von Kratzern übersät, den die Bäume in die Patina gerissen haben. Rauch steigt über und unter ihm auf, darüber von der beschädigten Maschine, darunter vom brennenden Wald. Und noch immer feuern sie Ladung auf Ladung ab, verletzt und zörnig ohne zu wissen wohin sie ihren Zorn richten sollen. In ihrem Zorn sind sie den Tieren im Wald ähnlicher als sie begreifen.

Eine halbe Stunde später fliegt das Boot über mich hinweg, keine zehn Meter über mir streift es die Baumwipfel. Ich bin auf dem Weg zurück, dorthin wo sie ihren Zorn entladen haben. Das Boot qualmt stark und die Maschine in seinem Inneren klopt einen monotonen Todestakt. Sie werden nicht weit kommen verkündet dieses Klopfen und der Wald weiss das. Ich kann ihn um mich herum spüren wie er mit tausend Augen das Boot beobachten. Sollte es herunterkommen werden sie diesmal sicherstellen, dass es unten bleibt. Ich laufe weiter, der Gerucht des brennenden Holzes und die größer werdenden Hitze zeigen mir den Weg. Nur wenige Minuten später erreiche ich die Lichtung und höre gleichzeitig hinter mir wie das Klopfen abrupt verstummt und Metall gellend aufschreit. Die Maschine hat versagt.

Die Lichtung ist eine schwelende Fläche aus der nur noch ein paar verkohlte Reste des Walgerippes aufragen. Sie haben die Lichtung mit Brandbomben vernichtet. Die Hitze flautet schnell ab, kein Feuer brennt in dieser Luftfeuchtigkeit lange. Der Gestank ist erschütternd. Völlige Ruhe umgibt mich, kein Vogel oder Tier wagt es die Stille zu durchbrechen.
Nur die wenigen Flammen knistern fröhlich vor sich hin. Von Menschenhand geschaffen sind sie nicht klüger als ihre Herren. Ich borge mir ein paar dicke Blätter von einem nahestehenden Baum und wickle sie mir um die Füße. Damit kann ich die Asche und Glut überqueren und zum zertrümmerten Kopf des Wals gelangen. Eine Bombe hat ihm den Unterkiefer zerschmettert.
Ich blicke in das Auge, dass mich vor wenigen Stunden noch erkannt hat und finde eine kleine Kerbe. Das war mein Speer.

Mein Gesicht ist klebrig von Feuchtigkeit und Ruß als ich schlieslich wieder den Wald betrete. Instinktiv schlage ich wieder den Weg nach Norden ein und halte nach wenigen Schritten inne. Dort liegt das Boot. Und auch seine Crew. Ich lebe schon lange hier, aber Menschen die sich der Wald geholt hat sind immer noch ein grässlicher Anblick. Mir fällt die Burg im Nordwesten ein, die von seltsamen aber harmlosen Kreaturen bewohnt wird. Aber dort gibt es einen Glasgarten und dorthin kann ich mich zurückziehen. Ich laufe los.

Das Schloss ragt grau und verfallen vor mir auf. Ich kann graugesichtige Dinger in seinen Inneren herumlaufen sehen. Sie versuchen diesen trostlosen Ort mit ihrer abnormalen Art von Leben zu füllen.
Sie scheitern. Das ist kein Leben, dass ist eine verdrehte Version davon. Sie stülpen sich alte Fetzen über die grauen Leiber, krächzen und geifern ihre Immitation von Sprache und ficken kreischend und blökend miteinander, betrachten dass als Liebe. Es muss furchtbar sein unter ihnen zu leben, diese Gier, diese Verzweiflung, diese Aggresivität jeden Tag um sich zu haben. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, ich wende mich ab.
Der Glasgarten ist dahinter und glücklich schnell erreicht. Im Inneren ist es kühl, es riecht nach frischer Erde und Leben. Anders als im Wald, dessen Boden bitter und verfault ist. Schnell streife ich durch die grünen Farne, vorbei an mir unbekannten Pflanzen und suche meine Ecke im hinteren Bereich auf. Dort gibt es eine Lücke im überwucherten Inneren des Glasgarten und dort lasse ich mich nieder. Die Reise hat mich erschöpft, ich habe mich zu sehr beeilt den Wald und seine Schrecken hinter mir zu lassen. Links von mir steht ein kleiner Baum, der ab und an birnenförmige Früchte voller Flüssigkeit trägt. Es ist eigentlich zu spät dafür, doch ich kann zwischen den Blättern eine der braunen Früchte ausmachen und greife sie mir. Mit den Zähnen beiße ich das obere schmale Ende ab und setzte sie mir an den Mund als mich etwas trifft.

Ein jäher Schmerz in meinem Kiefer lässt mich die Frucht fallen lassen. Sie zerplatzt auf dem Boden. Als ich versuche zu schreien kommt nur ein Blubbern heraus, meine ohnehin ungeübte Zunge ist durchbohrt und nutzlos. Blut dringt mir in den Hals, ich kann es schmecken und schlucke, schlucke, schlucke. Kleine harte Stuüke sind darin und das sind vermutlich meine Zähne. Ich versuche mich trotz des Schmerzes aufzurappeln und überlege fieberhaft wer mich angreift.
Können es die Waljäger sein? Über mir ist nur der blaue Himmel durch schlieriges Glas zu sehen. Hat Jackhammer Jack endlich beschlossen mich loszuwerden?
Ich muss hier weg, soviel ist sicher. Doch als ich aufstehe trifft es mich ein zweites Mal, hoch in meine linke Seite. Ich spüre wie es mich durchdringt und innerlich zerstört. Atemlos falle ich auf die Seite. Trotz allem riecht der Boden noch frisch und ich bin froh, dass ich nicht drausen im Wald bin. Das ist mein letzter Gedanke.