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Autor: knochengott

Erstellt am: 26.09.2014

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ODDVILLE08



Geschrieben von:   knochengott


Teil des Episodenwerkes: ODDVILLE

  - Einleitung
  - Kapitel 1: ODDVILLE01
  - Kapitel 2: ODDVILLE02
  - Kapitel 3: ODDVILLE03
  - Kapitel 4: ODDVILLE04
  - Kapitel 5: ODDVILLE 6
  - Kapitel 6: ODDVILLE08
  - Kapitel 7: ODDVILLE11




Der Autor hat folgende Stimmungen f�r sein Werk angegeben:
belustigt





innen bist du rot - die Ruhe und das Klavier - der alte Johann - bewegungsbedingte Unsymetrie - Pause vom ich-sein

Ich war heute bei meinem Friseur. Mein Friseur bedeutet natürlich nicht, dass er mir gehört, nur meine Haare. Die gehören ihm ganz und gar, jedenfalls jene welche er abschneidet.

Man findet den Laden nur, wenn man weiß, dass dort ein Laden ist. Geschickt hinter einer baufalligen Tür, gepflastert mit ineinander übergehenden und dadurch gleichzeitig sinnentleerten und sinnvertiefenden Schmierereien, die Aussagen wie "innen bist du rot" in die Welt hinausrufen, versteckt muss man ein nach Staub riechendes baufälliges Treppenhaus durch- und einen Innenhof überqueren dessen Pflastersteinen dem Wildwuchs schon seit langem nichts mehr entgegenzusetzen und kapituliert haben. Und wer sich jetzt fragt wie genau Staub riecht kann es sich als kühle, trockene Essenz eines jeden Kellers vorstellen. Als ob kein wirklicher Geruch da wäre, eher eine Abwesenheit von allem substanziellem wie Körpergeruch, Blumenduft und ähnlichem. So etwa riecht es in dem Flur, ein so starker Staubgeruch, dass er alle anderen Gerüche neutralisiert. Man ereicht schlussendlich eine rostige Feuerschutztür.
Daneben das Klingelschild wiederum macht das Versteckspiel nicht mit und liest sich einfach: Herr Hase - Friseur

Paula, meine Person des uneingeschränkten Vertrauens wenn es ums schneiden der Haare geht ist fur sich allein, auch ohne das Kuriosum des Weges zum eigentlichen Laden eine Besonderheit unter allen Friseurinnen die ich kenn. Paula trägt mit Vorliebe eine Quasiglatze mit raspelkurzen, meist grünen Stoppeln. Keine Strähnen, nichts toupiertes, kein Gedöns - ein simpler 3mm Schergerätschnitt udn etwas Farbe. Muß man einfach mögen.
Den Rest der Leute kenne ich nur vom sehen bis auf Jill an der Kasse, die nur englich spricht und aus Neuseeland kommt. An heissen Tagen kann man die Ta moko's auf der Rückseite ihrer Oberschenkel sehen. Ansonster gibt es noch zwei Besonderheiten bei Herrn Hase: die Ruhe und das Klavier.

Die Ruhe ist einfach zu erklären: Herr Hase lehnt Telefone grundsätzlich ab. Deswegen wird man nie von unsinnigem klingeln unterbrochen und der Grundpegel hier drin ist immer sehr niedrig. Unterhaltungen werden wenn überhaupt im Flüsterton abgehalten, aber meist schweigen alle. Das ist etwas seltenes bei Friseuren und alleine schon Grund genug fur mich hierher zu kommen. Und dann ist da noch das Klavier. Zwei oder dreimal pro Woche kann man fur zwei Stunden einen Studenten der Musikschule erleben, der hier sein gelerntes zum besten gibt. Und spätestens dann erlischt jede Unterhaltung.

Jill begrüßte mich wie immer mit breitem Grinsen und noch breiterem Akzent.
"Hello."
"Tachchen." gab ich zurück und dann im dicksten denglish zu dem ich fähig bin: "Ei häff ä reserveschn ett vor."
"Well indeed." sagte Jill und einen Moment grinsten wir uns wie zwei Affen auf Koks an. "Have a seat."
Ich setzte mich und winkte Paula kurz zu als sie über den Kopf, an dem sie gerade arbeitet in meine Richtung schaut. Sie winkte zurück.
Eine Reflextion erinnerte mich daran, dass ich vergessen habe das Aquarium zu erwähnen. Also Herr Hase hat DREI Besonderheiten: Ruhe, Klavier, Aquatrium.
Beim ersten mal fiel es mir noch vor allem anderen auf, denn es ist fast 2 Meter hoch und so breit wie die der Tür gegenuberliegeende Wand, aber inzwischen bemerke ich es kaum noch. Es ist wunderschön, aber wenn man es ein paar mal gesehen hat wird eben jedes Wunder alltäglich. Ich wette das ging Jesus mit seiner "Wasser zu Wein"-Nummer auch so.
Irgendwann hiess es nur noch: "Weissen, es gibt heute Fisch."
Das Aquarium ist voller Pflanzen in versachiedensten Farben und einer Felslandschaft die sich an der linken Seite bis zur Oberkante hocharbeitet um dort eien Art Plateu zu bilden und viel zu perfekt nach einem Riff aussieht, um echt zu sein.

Paula verabschiedete sich von ihrem pre-me Kunden und winkte mich näher. Wir geben uns die Hand, grinsten und an und ich ließ mich in den Stuhl fallen. Das Handtuch wurde um mich herum drapiert, die Schalldusche herangerollt und wenige Sekunden später brummte sie mich in die Glückseligkeit.

Noch während ich unter der Schalldusche war, die zur selben Zeit massiert, entfizzt und reinigt musste einer der Studenten gekommen sein, jedenfalls durchdrang plötzlich leise Musik das Brummen. Es war Bach und es war wie immer göttlich. Der alte Johann wusste wie man auf die Ohren zielt und damit das Herz trifft, soviel ist mal sicher.

Außer den Pflanzen lebt in dem Aquarium noch ein Sirene. Ja, das ist kein Tippfehler - ein Sirene, Einzahl männlich. Bei einer geflüsterten Unterhaltung erwähnte Paula mal, das es so etwas wie weiblich Sirenen anscheinend gar nicht gibt, jedenfalls hatte man bisher nur männliche Exemplare gesehen.

Etwas später hatte Paula die Schalldusche weggeräumt und dank konstruktivem Geschnippel begann mein Kopf gerade langsam wieder wie das gewollte Chaos auszusehen, was uns beide zum Ziel unserer heutigen gemeinsamen Reise fuhren würde als es rechts von mir laut und feucht klatschte. Ich hielt den Kopf gerade, war Paula doch gerade dabei mein rechtes Ohr freizuschneiden und ich wollte bewegungsbedingte Unsymetrie vermeiden und versuchte aus dem Augenwinkel so weit es ging nach rechts zu sehen. Eine flüchtige Bewegung im Aquarium war zu erkennen, aber das war auch schon alles. Dann räusperte sich jemand. Paula lies Schere und Kamm sinken. Ich drehte meinen derartig mit dem Erhalt gerade Anzahl an Ohren abgesicherten Kopf zur Seite und da war der Sirene. Er hatte sich auf die obere Ecke des künstlichen Riffs geschwungen und lauschte der Musik.
Sirene sind normalerweise trotz ihres Gesanges eher unmusikalisch, was teilweise daran liegt, das sich Schall über Wasser anders ausbreitet als unter Wasser. Teilweise auch weil der Großteil der von uns produzierten Musik einfach Scheiße ist.
Nicht so der gute Johann und nicht so Herrn Hases Sirene. Er wippte mit der Flosse mit und begann zu singen. Keine wiklichen Worte, eher eine neue Art von Tönen, ein zusätzliches Instrument zum Klavier wenn man so will. Aber im Gegensatz zum Klavier brachte er es fertig wie dutzende Instrumente zu klingen. Er sang alle gleichzeitig und doch war jedes fur sich herauszuhören. Meine Nackenhaare stellten sich auf.

Das war das erste Mal, dass ich den Sirene singen hören konnte. Das Klavierspiel war schon ein alter Hut, interessant, aber schon mehrfach gehört.
Das war etwas völlig neues. Es war beindruckend und beängstigend zugleich. Der Sirene verzog beim Singen keine Miene, hatte die Augen geschlossen und wiegte sich leicht vor und zurück. Sein nackte Brust hob und senkte sich beim singen und der schuppige Unterleib lag ruhig auf dem Riff. Er sang vielleicht für 20 Minuten, aber in der Zeit hörten wir alle wie gebannt zu. Seine Stimme durchdrang den Raum und löste uns alle von unseren Leben. Wir schwebten, jeder für sich allein und alle zusammen. Meine Haut prickelte, meine Haare standen zu Berge und ich konnte nur flach atmen. Ohne zu wissen wie hatte ich Paulas Hand genommen. Ihr Kamm lag unbeachtet neben meinem Stuhl. In den 20 Minuten wurde aus Bach etwas völlig anderes, etwas lebendiges. Die Hände des Klavierspielers flogen über die Tasten, mal langsam und geschmeidig, mal hektisch und hart. Und alles was er tat war nur das Fundament. Er legte die Betonklötze aus, auf den der Sirene den Turmbau zu Babel sang. Und während er höher und höher kletterte folgten wir ihm.
Wenn er nicht nach 20 Minuten von alleien aufgehört hätte, wir hätten uns nicht lösen können.
Ich bekam mehr als nur einen Haarschnitt - ich bekam eine 20 minütige Pause vom ich-sein.

Jetzt verstehe ich warum sich solche Mythen um Sirenen ranken. Und ich glaube auch den Beiweiß zu haben, dass es keine weiblichen Sirenen gibt. Warum viele Seefahrer lieber von singenden Frauen als von singenden Männern erzählt haben, wenn sie wieder bei klarem Verstand und umringt von grobschlächtigen, harten Seemännern waren. und mal ganz unter uns: come on! Eigentlich lag es auf der Hand wenn man genauer drüber nachdachte.
Ich meine: Bikinis aus Muscheln? Also wirklich!