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Autor: knochengott

Erstellt am: 19.07.2014

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ODDVILLE03



Geschrieben von:   knochengott


Teil des Episodenwerkes: ODDVILLE

  - Einleitung
  - Kapitel 1: ODDVILLE01
  - Kapitel 2: ODDVILLE02
  - Kapitel 3: ODDVILLE03
  - Kapitel 4: ODDVILLE04
  - Kapitel 5: ODDVILLE 6
  - Kapitel 6: ODDVILLE08
  - Kapitel 7: ODDVILLE11




Der Autor hat folgende Stimmungen f�r sein Werk angegeben:
fröhlich
gespannt
verwirrt



rot-weiss - Minnie Maus - orange - Paradoxon

Ich befand mich auf dem Rückweg von der East Side Gallery wo wie jedes Jahr einige Künstler, unter denen sich auch ein paar Freunde von mir befanden, auf kleinen Ständen ihre Kunst anboten. Und wie jedes Jahr fiel mir auch diesmal auf wie viele Arten von Kunst, im Sinne von Malerei, es gibt. Und wie wenige davon mir gefallen.
Kurz vor dem Kreisverkehr am Bersarinplatz fiel mir ein Mädchen auf, das einen Hula-Hoop Reifen neben sich stehen hatte. Sie saß auf der Bank vor einem der kleinen Geschäfte, dessen staubiger Vorraum und die fensterlose Front auf baldige Neueröffnung hinwies. Drinnen hämmerte und bohrte man feste. Der Kreislauf des Lebens.
Der Reifen war rot-weiss geringelt, genau wie ihre Kniestrümpfe. Ihr Kleid nicht, das war rot-weiss gepunktet. Ich bremste ab, irgendwas an dem Mädchen kam mir bekannt vor.

Blonde Haare, eine Schleife wie Minnie Maus darin. Das Gesicht konnte ich nicht sehen, sie schrieb etwas auf und so sah ich nur ihren Hinterkopf. Ich drehte um und fuhr nochmal langsam an ihr vorbei. Sie sah von ihrem Notizbuch auf und mir direkt ins Gesicht.
„Hallo.“ sagte sie. Ich war etwas überrumpelt.
„Ähm hallo.“ erwiderte ich nicht besonders originell.
„Was ist dir aufgefallen?“ fragte sie. Meine Unsicherheit wuchs.
„Aufgefallen?“
„Ja was ist dir aufgefallen, warum bist du umgekehrt und nochmal zurückgekommen?“
Meine Unsicherheit überflutete einen Teil des rationalen Strandes.
„Der Hula-Hoop...?“
„Aha.“ Sie schrieb etwas in ihr Notizbuch.
„Was schreibst du da?“
„Bezugsdaten.“ erwiderte sie und sah von ihrem Büchlein hoch. „Für mein Experiment.“
Horden von logischem Verständnis flohen vor den heranrollenden Unsicherheitsmassen.
„Experiment?“ gab ich versuchsweise zum besten, doch sie hob ungeduldig die Hand.
„Willst du mich nicht etwas anderes fragen?“
„Ob ich..?“ Ich überlegte kurz während die Unsicherheitsmassen langsam in die Dämme der Neugier gedrängt wurden und fragte dann was ich wirklich wissen wollte:
„Kenne ich dich irgendwoher?“

Sie lachte auf.
„Ja und nein. Was glaubst du denn?“
„Ich weiss nicht ich habe eine Art Deja vu, als ob...“
„Nein nein nein, kein Deja vu. Das ist als ob man sich an etwas erinnert, das man schon einmal erlebt hat. Du hast das Gegenteil: du erinnerst dich an etwas was noch passieren wird.“
Ich trat einen Schritt zurück. Die Neugierdämme waren gefüllt und der rationale Strand wieder trocken.
„An etwas erinnern was noch passieren wird?“ fragte ich skeptisch und schob mein Rad so, dass es zwischen uns stand. Nur für alle Fälle. Sie bemerkte es und grinste breit.
„Oh hab ich dich erschreckt? Das wollte ich nicht. Keine Sorge ich tu dir nichts. Ich brauche nur ein paar Daten. Und sagst du nicht immer du bist neugierig?“
Das tue ich wirklich oft also entschloss ich noch etwas zu bleiben.

„Also was bedeutet das ganze?“ fragte ich doch sie winkte nur ab.
„Gleich kannst du deine Fragen loswerden. Erstmal muss ich dir was zeigen.“
„Was zeigen?“ Die Skepsis war zurück.
„Ja du Schisser.“ sagte sie lachend und nahm den Hula-Hoop in die Hand.
„Was ist deine Lieblingsfarbe?“
„Keine Ahnung - orange finde ich gut.“
„Orange also.“ sagte sie, hob den Hula-Hoop über den Kopf und lies ihn fallen. Schneller als ich sehen und begreifen konnte was passierte wurde sämtliche Kleidung an ihr orange. Das Kleid, die Strümpfe sogar die Schleife, nur der Hula-Hoop blieb rot-weiss gestreift.
„Tadaaa!“ rief sie und streckte die Arme zur Seite aus. Einer der Bauarbeiter im Inneren des Ladens blickte auf und verzog missbilligend den Mund.
„Wie machst du das?“ fragte ich ehrlich verblüfft.
„Zeitreise.“ war ihre simple Antwort.
„Zeitreise?“
„Ja der Hula-Hoop Reifen ist ein Zeitwirbel durch den ich vor und zurück springen kann wie es mir beliebt.“
„Und die Kleidung?“
„Ich bin gerade in die Vergangenheit gesprungen, habe mich umgezogen, dich dort getroffen, gecheckt, dass ich den richtigen Farbton getroffen zu haben und dann zurückgesprungen.“
„Den richtigen Farbton getroffen?“
„Ja, das orange! Ich war in drei Läden bis ich das Gefühl hatte den richtigen Farbton gefunden zu haben. Orange ist ein schwieriger Farbton, sag ich dir. So viele verschiedene Farbstufen, teilweise schon braun und teilweise fast gelb. War echt nicht einfach. Aber es hat sich gelohnt. Wie du geguckt hast! Und du kannst echt gut küssen.“
„Ich kann was?“
Bei den letzten Worten wurde sie etwas rot. Mir dämmerte etwas, einer der alkoholschwangeren Abende im Duncker Club vor einigen Wochen. Da war ein Mädchen in knallorang. Aber hatte ich sie geküsst?
Ich muss ein ziemliche dummes Gesicht gemacht haben denn sie fing wieder an zu lachen.
„Ach komm schon Schwamm drüber. Ich habe gerade den Enfin vu geschlossen.“
„Enfin vu? Geschlossen? Ich versteh nur Bahnhof.“
„Junge junge der hellste bist du nicht gerade oder?“ kicherte sie. „Okay dann nochmal langsam zum mitschreiben. Du und ich haben uns schon einmal gesehen, daher dein Gefühl mich zu kennen und wir haben uns damals gesehen weil du gerade das Gefühl hattest mich zu kennen. Macht das Sinn?“
„Nein.“ gab ich ehrlich zurück. „Überhaupt nicht.“
„Ah jetzt kommen die Fragen.“

„Was wäre wenn ich nicht angehalten hätte?“
„Dann hätten wir uns letzte Woche nicht gesehen.“
„Soll das heißen, dass du mir bekannt vorkamst, weil wir uns vor einiger Zeit schon einmal gesehen haben“
„Und geküsst.“ warf sie ein.
„ja gut und geküsst und wir haben uns damals nur getroffen, eben weil du gerade in der Vergangenheit warst. Was du wiederum nur gemacht hast, eben weil ich dich angesprochen habe, weil ich dachte dich schon einmal gesehen zu haben.“
„Ja.“
„Aber das ist doch ein verdammtes Paradoxon. Das ist dasselbe wie in die Vergangenheit zu reisen um seinen Vater zu erschießen, wodurch man aber gar nicht in die Vergangenheit reisen kann um seinen Vater überhaupt erschienen zu können.“
Ohne es zu wollen war ich laut geworden.
„Ah doch ein schlaues Köpfchen. Ja es ist ein Paradoxon und das ist die Grundlage für mein Experiment.“
„Was?“
„Ob das gerade ein Paradoxon war.“
„Na klar war es eins!“
„Scheinbar nicht, sonst wäre der Kosmos ja schon in tausend Scherben zerbrochen oder?“
Ich gab auf.
„Keine Ahnung ob es jetzt ein Paradoxon ist oder nicht aber rein logisch muss es ein Paradoxon sein!“
„Mag sein.“ Sie beugte sich runter, hob ihren Hula-Hoop Reifen auf und hielt ihn mir hin.
„Halt mal.“ Ich griff zu und sie trat einen Schritt zurück.
„Und jetzt?“
„Nichts weiter.“ sagte sie „Und mach dir keine Mühe mich zu fragen ob und wann wir uns wiedersehen. Das lässt der Kosmos nicht zu, da gibt es einen allgemein gültigen Code oder so etwas. Das werde ich als nächstes erforschen.“
„Was meinst d...“ begann ich und aus dem Nichts tauchte eine Gruppe Radfahrer auf und raste lautstark zwischen uns durch. Das Mädchen verschwand hinter einer sich schnell bewegenden Wand aus eng gekleideten Leibern.
„Siehst du?“ konnte ich sie über den Lärm hinweg hören.
Mir war gar nicht klar, dass Fahrradfahrer so einen Lärm machen können. Ich war mir fast sicher Elefanten inmitten des Lärm zu hören. Das ganze dauerte nur wenige Sekunden und als die Fahrradfahrer weg waren, war sie es auch.
Ich blieb in Gesellschaft meiner Verwirrung zurück.

Den Hula-Hoop Reifen habe ich noch. Ich hab ihn nie ausprobiert. Weiß auch gar nicht wie er funktioniert. Was vielleicht gut so ist. Und außerdem hab ich meinen Vater wirklich gern.
Und immer wenn mich Freunde fragen, warum dort ein rot-weiss geringelter Hula-Hoop Reifen in meinem Flur steht sage ich nur: Lange Geschichte.