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Autor: Anetreus

Erstellt am: 11.08.2007

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Der größte Autor aller Zeiten



Geschrieben von:   Anetreus


Anmerkungen des Autors:
Erste Version 2003
Überarbeitet 2007



Der größte Autor aller Zeiten

„Willkommen, meine Damen, Herren und andere Existenzen, bei: MULTIVERSATION!“
Musik, farbenfroher, geruchsreicher Vorspann in 5D.
„Diese Sendung ist übrigens Retrozeit-kompatibel und kann auch mit arkanen Geräten oder Erkenntniszaubern empfangen werden, allerdings nur in 3D. Die neuesten Errungenschaften der menschlichen Spezies machen es möglich! Mein Name ist Spenko Schlaww und heute zu Gast ist:“ Trommelwirbel „Mampfquader!“
Musik und noch mehr technische Spielereien. Ein hageres Exemplar der menschlichen Spezies betritt die Bühne und weil der Typ so langweilig aussieht, schalten so viele Zuschauer um, dass etwa fünf Galaxien mit Umschaltern bevölkert werden könnten. Da das aber kaum ein Promille der Zuschauer ausmacht, führt dies zu keinerlei Besorgnis.
Mampfquader nimmt ganz normal Platz und rückt seine völlig normal aussehende Brille zurecht.
„Herr Mampfquader... als erstes muss ich sagen, dass ich es genieße, mal einen Gast ohne extremes Erscheinungsbild oder Verhalten begrüßen zu können. Meine Damen und Herren und andere Existenzen, Sie erinnern sich noch an Nihila Nova? Aber wie Sie sehen, haben wir die Sonne und die inneren Planeten unseres Studiosystems wiederhergestellt. Sieht doch besser aus, als vorher, was? Haha. So, nun zu Ihnen, Herr Mampfquader.“
Der Mensch nickt.
„Ha! Es passiert gar nichts! Das tut gut. Viele meiner Talk-Gäste explodieren schon kurz nach der Begrüßung. Sie explodieren natürlich nicht wirklich (auf jeden Fall nicht viele), ich meine das rein metaphorisch. Würden Sie sich selbst als langweilig bezeichnen, Herr Mampfquader?“
„... kann ich nicht beurteilen,“ antwortete eine Stimme, deren erste Worte zu leise verklingen, bis die Technik reagiert und die Lautstärke erhöht.
„Kommen wir gleich auf die interessanten Dinge zu sprechen. Viele ihrer Werke sind in den meisten Universen bekannt und haben oft schon für Aufregung und Skandale gesorgt. Wenn man Sie jetzt so sieht, kann man das kaum glauben.“
Der Mensch nickt ein zweites Mal seit Beginn der Sendung.
„Müssten Sie nicht geradezu explodieren vor Inspiration und Ausdrucksstärke?“
„Ich kann mich beherrschen. Die Leute sollen sich mit meinen Werken auseinandersetzen, und nicht mit meiner Person.“
„Bevor wir auf Ihr letztes und absolut genialstes Werk zu sprechen kommen, wollen wir uns kurz über ältere Publikationen unterhalten. Die meisten unter Ihnen, meine Damen und Herren und andere Existenzen, haben schon von Gottes Sexualleben, Der Sinn des Lebens oder Die Weltformel für Jedermann gehört. Welche dieser Werke würden Sie einem begeistertem Wahrnehmer dieser Sendung empfehlen, Herr Mampfquader? Oder sind diese Werke nun alle hinfällig und vergessen, angesichts Ihrer letzten Veröffentlichung?“
Der Mensch wagt es ein drittes Mal völlig harmlos zu nicken.
„Na ja, ich will nicht behaupten, dass Gottes Sexualleben vergessen ist. Immerhin kennt nun jeder den Grund für die Schöpfung und dem Atheismus wurde ein Ende gesetzt – jedenfalls kann man nicht mehr behaupten Atheist zu sein, ohne auf Sex zu verzichten. Das ist ein Aspekt, den ich auch in mein neuestes Werk integriert habe und dabei noch eine neue Betrachtungsweise anbiete. Und zum Sinn des Lebens – darüber kann ich nur den Kopf schütteln.“
Es wird ein Kreis um Mampfquaders Kopf eingeblendet und eine Erklärung, was ein Kopf ist und wozu er dient. Nebenbei weist man auf das häufige Nicken und Schütteln hin, welches völlig ungefährlich sei.
„Und Die Weltformel für Jedermann?
„Kam ein wenig zu spät, aber wenigstens bringt sie Ordnung in die vielen Möglichkeiten, sein persönliches Universum zu gestalten.“
„Ihr letztes Werk, Herr Mampfquader, übertrifft aber alles.“
„Das ist sicherlich eine subjektive Beurteilung. Da Existenz von der Mehrheit bestimmt wird, denke ich aber, dass Subjektivität multiversell ist.“
„Eine Ihrer Theorien?“
„Für mich ist es Praxis.“
„Schön. Gut. Können Sie uns beschreiben, wie Sie auf die Idee gekommen sind, so eine umwerfende Arbeit zu verfassen?“
„Oh, lassen Sie mich nachdenken. Es begann vor vier – oder waren es fünf? – Urknallen.“
„Noch vor der Zeit der 2.0-Menschen?“
„Ja. Ja. Einer der Planeten aus der Erd-Gruppe war es. Damals nannte jede menschliche Zivilisation ihren Planeten Erde, müssen Sie wissen, na ja, damals dachte ich schon intensiv über den ersten Buchstaben nach. Eine so umfassende Einleitung, die praktisch die Kultur jeder bekannten Spezies anspricht, braucht Zeit, um heranzureifen. Jeder sollte sich angesprochen fühlen, ich wollte anregen, ermutigen und provozieren. Der klassische Spannungsbogen musste aufgebaut werden und wichtige Informationen zum Verständnis des Mittelteils mussten geliefert werden. Und das alles in einem fesselnden Stil, der den Leser nicht ermüdet oder überfordert.“
„Das ist ihnen meisterlich gelungen.“
„Danke. Dann kam der Mittelteil. In der Zwischenzeit hatte die Menschheit ihr erstes Universum vernichtet und eroberte gerade neue. Die anthropozentrischen Projekte haben die Kulturen des heutigen Multiversums stark geprägt, was jeder aus der Schule weiß. Das brachte das historische Element ein, welches sich bis zum Ende weiterentwickelt. Gleichzeitig musste ich den Leser auf meine Zukunftstheorien einstimmen, die ihn im Endteil erwarteten, ohne die Retrotemporalisten zu langweilen. In diesem Fall wurde Historie zur Prognose und umgekehrt.“
„Allein dieses hat Ihnen große Anerkennung bei den führenden Wissenschaftlern aller Universen eingebracht.“
„Ja, das Werk sollte auch den Wissenschaftler ansprechen. Das war ganz wichtig. Trotzdem sollten sich Magier und Götter nicht ausgeschlossen fühlen, womit ich jetzt auf den Abschluss meines Werkes zu sprechen komme.“
„Ich bin gespannt.“
„Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich all die Fäden, die ich mit dem Buchstaben des Mittelteiles gesponnen habe, und die Andeutungen aus der Einleitung, in dem abschliessenden Buchstaben zusammenführe, um dem Leser das letztendliche Verständnis für mein Werk zu offenbaren und einzuprägen.“
„Nun ja, das Ende, also der letzte Buchstabe, wurde recht unterschiedlich aufgefasst.“
„Ich weiß. Es tut mir leid wegen der Unannehmlichkeiten...“
„Ach was. Ein paar Randuniversen wurden zerstört – na und? Der Intelligenzquotient dort ist (oder war) so niedrig wie der eines Gottes. Da ist es nicht weiter überraschend, dass diese Wesen – allesamt Nichtmenschen – Ihr anspruchvolles Werk fälschlicherweise als Aufforderung zum Universalgenozid verstanden haben.“
„Nun, mir wurde nahegelegt, eine simplere Version für Nichtmenschen zu schreiben, aber ich fürchte, ich habe einfach zu wenig Zeit, um mich mit der Verstümmelung meines eigenen Werkes zu befassen – es geht hier immerhin um drei Buchstaben.“
„Ah, jetzt werden Sie doch etwas emotionaler“, freute sich Spenko Schlaww. „Aber sagen Sie – ist jetzt eigentlich überhaupt noch literarischer Raum für andere Werke? Sie haben so ziemlich jedes Thema der Universen mit ihrem genialen Großmeisterwerk abgedeckt, alle Probleme zu einer Lösung geführt, sämtliche Fragen beantwortet und das logische Maximum der intellektuell erfassbaren Unterhaltungsmöglichkeit erreicht. Ihr zum Totlachen reizender Humor wird unter nichtmenschlichen Völkern als Waffe eingesetzt, Ihre Tragödien führen zu Massenselbstmorden die ganze Galaxien entvölkern und Ihre Erotikwerke führen zur rapiden Wiederbevölkerung derselben.“
„Mein letztes Werk ist Alles. Auch das Nichts fehlt nicht.“
„Nun sind Sie und Ihresgleichen arbeitslos?“
„In gewisser Weise, ja. Aber die letzte Erkenntnis, auf die ich vom ersten über den zweiten bis hin zum letzten Buchstaben hingearbeitet habe wurde noch nicht bewältigt.“
„Wie meinen Sie das?“ fragte Spenko Schlaww etwas irritiert.
„Wie soll ich mich ausdrücken – es rumort noch in Ihren Köpfen, liebe Leser. Da mein Werk das Maximum von Allem fordert, bedarf es noch etwas Zeit, bis Sie alle wirklich verstehen. Ein Individuum kann mein Werk gar nicht begreifen.“
„Aber all die begeisterten Leser...“
„Ich weiß. Lassen Sie es mich anders erklären. Sie alle wurden bis zum Äußersten durch die Lektüre meines Werkes beansprucht und haben ihr persönliches Maximum an Unterhaltung und intellektueller Befriedigung erreicht. Das, was jeder von Ihnen am besten kann, wurde maximal herausgefordert. Das, was sich jeder von Ihnen am meisten gewünscht hat, ist wahr geworden. Der Sinn eines jeden Lebens ist für Sie persönlich erklärt worden. Jeder hat sein eigenes Universum verstanden.“
„Aber...“
„Das Problem ist folgendes. Wirklich verstehen kann dieses Werk aber nur ein Mensch, den es nicht in der Form gibt, wie Sie ihn sich vorstellen. Der Perfekte Mensch. Er kann alles, was je ein Mensch konnte, weiß alles, was je ein Mensch wusste. Er hatte jede Erkenntnis, die je ein Mensch hatte und hat jede Erfahrung gemacht, die je ein Mensch gemacht hat.“
„Die Summe der Menschheit sozusagen?“
„Das Integral über die gesamte Menschheit, von Anbeginn ihrer Existenz bis heute, in Form einer anthropomorphen Inkarnation.“
„Aber diesen Menschen gibt es nicht.“
„Nicht nach Ihrem Verständnis. Das ist der Grund der Verzögerung.“
„Warum gibt es keine Retrozeitexistenzen, die uns die Antwort aus der Zukunft liefern können?“
„Tja, denken Sie mal darüber nach.“
„Ähm, ja. Sie wollen andeutet, dass Ihr Werk noch eine Überraschung für uns bereithält?“
„Das ist zwar nicht der passende Ausdruck, aber er kommt der Sache ziemlich nahe.“
„Oder ist das nur ein Gag, um noch mehr Käufer anzulocken? Ich meine, jetzt will sicher jeder herausfinden, wo die Überraschung versteckt ist.“
„Je mehr Leute, um so schneller die Erkenntnis.“
„Ist es so eine Art Rätsel für die kollektive Intelligenz?“
„In gewissen Maße. Aber es beschränkt sich nicht nur auf die Intelligenz.“
„Und daher ist auch jede Form von Literatur überflüssig?“
„Nennen Sie mir ein Thema, dass nicht von meinem Werk abgedeckt wurde.“
„Oh, dass ist eine Frage für den Experten. Mir schwirrt noch der zweite Buchstabe im Kopf herum und ich müsste mich erst wieder in Ihr Werk einlesen.“
Die Abspannmusik wurde leise, aber drohend eingespielt und Spenko Schlaww blickte professionell entschuldigend in die Aufnahmegeräte.
„Tja, und die Zeit ist leider um, liebe Mitexistenzen! Ich danke Ihnen, Herr Mampfquader, dass sie da waren und Ihnen, liebe Wahrnehmer des Multiversums, dass Sie uns wahrgenommen haben! Bis zum nächsten Mal sagt: Ihr Spenko Schlaww!“